Der Sport hat einen Friedensauftrag – Ein Appell aus Anlass der Olympischen Spiele im Jahr 2024 in Paris

In der Zeit zwischen dem ersten Advent und dem Feiertag der Heiligen drei Könige ist es in der abendländischen Kultur schon seit langer Zeit üblich, sich rhetorischen Ritualen hinzugeben und sich gegenseitig in semantischen Interpretationen eines bedeutsamen Wortes und Phänomens, dem gewichtigen Begriff des „Friedens“ zu überbieten. Auf den Kanzeln der christlichen Kirchen wird bei jeder Predigt die Friedensbotschaft verkündet. Bei den vielen Jahresansprachen von Politikern¹ ist die Friedensmetapher eine zwingende Notwendigkeit, um deren populistischen Interessen zu entsprechen. Wenn der Bundespräsident, Bundeskanzler oder die Ministerpräsidenten und Ministerpräsidentinnen der Bundesländer zum Jahresende zu „ihrem Volk“ sprechen sind ihre rhetorischen „Künste“ zwar meist etwas bescheiden, doch das Wort des „Friedens“ führen sie immer mehrfach im Munde. Im öffentlich-rechtlichen Fernsehen hat die Friedensthematik ihren saisonalen Höhepunkt im Fernsehjahr. Nachrichtensendungen werden dadurch ebenso geprägt wie das gesamte Unterhaltungsprogramm und die sich Jahr für Jahr wiederholenden musikalischen „Ohrwürmer“ und die immer wieder erneut vorgeführten Spielfilme, in denen jeweils ein friedliches „Happy End“ gefeiert wird, die jedoch ganz gewiss nicht originell und zeitgemäß sind.

Das System des Sports, das für westliche Gesellschaften ein sehr bedeutsames Teilsystem darstellt, macht dabei verständlicherweise keine Ausnahme. Die verantwortlichen Eliten des Sports und Sportpolitiker widmen in ihren Reden zum Jahreswechsel ihre besondere Aufmerksamkeit der Friedensthematik und sind bemüht, eine für den Sport nahliegende Fair Play Kultur zu pflegen und auch die Beachtung der Menschenrechte wird für äußerst wichtig erachtet.

Der Jahreswechsel 2023/24 hatte dabei im Vergleich zum Wechsel früherer Jahre eine ganz eigenständige Bedeutung und stellte auch eine ganz besondere Herausforderung dar. Seit mehr als zwei Jahren wird die Welt durch einen terroristischen Angriffskrieg Russlands gegenüber der Ukraine in umfassender Weise in ihrer kulturellen, ökonomischen und gesellschaftspolitischen Entwicklung nachhaltig beeinträchtigt und teilweise auch sehr gefährdet. Der Krieg hat täglich den Tod von zahllosen unschuldigen Menschen zur Folge. Allein in diesem Krieg sind bereits 500 000 Soldaten getötet worden. Laut statistischem Bundesamt sind zudem bis zum Ende des Jahres 2023 bereits 11.000 Zivilisten getötet und 20.000 verletzte Zivilisten allein in der Ukraine zu beklagen. Dabei ist jeder Tote und jeder Verletzte einer zu viel und wir alle haben den sinnlosen Tod zahlloser ukrainischer und russischer Väter, Mütter, Söhne und Töchter zu betrauern.

Wenige Wochen vor dem Jahreswechsel kam es dann auch noch zu dem barbarischen Terrorangriff der Hamas gegen unschuldige jüdische Bürgerinnen und Bürger, der einen kaum weniger barbarischen Krieg zwischen Israel und der Hammas und der Hisbollah auslöste und ein nahezu unendliches Leid für viele israelische Familien zur Folge hatte. Aber auch an die vielen unschuldigen Palästinenser muss gedacht werden, deren Existenz bereits seit mehreren Jahren immer wieder durch einen israelischen Staat bedroht wurde, dem selbst viele selbstkritische jüdische Bürgerinnen und Bürger und international anerkannte jüdische Politikexperten, Philosophen und Soziologen den Status einer „Demokratie“ absprechen.

„Künstler ermahnen uns“
(Kunstplakate aus dem internationalen Kunstpark „798“ in Peking)

Bedenken wir, dass neben den beiden Brandherden in der Ukraine, in Israel und im Gazastreifen es noch mehr als weitere 20 kriegerische Auseinandersetzungen mit zahllosen unschuldigen Opfern während des diesjährigen Jahreswechsels gegeben hat und noch immer gibt, so muss wohl von uns allen konstatiert werden, dass wir im Moment in einer äußerst friedlosen Zeit leben wie man sie zu Beginn des 21. Jahrhunderts, in dem wir seit 24 Jahren leben, ganz gewiss nicht erwarten konnte und wie sie auch in der zweiten Hälfte des vergangen Jahrhunderts in der Welt nur selten anzutreffen war. Gleichzeitig müssen wir erkennen, dass tragfähige und erfolgversprechende Initiativen zugunsten einer friedlichen Welt und zur Lösung der vielen militärischen Konflikte weltweit nirgendwo zu erkennen sind.

Genau jene Institutionen unserer Gesellschaft, die sich während der Advents- und Weihnachtszeit in ihrer Friedensrhetorik gegenseitig zu überbieten versuchten, zeichnen sich diesbezüglich durch ein Totalversagen aus. Dies gilt die für die politischen Institutionen gleichermaßen wie für die kirchlichen Institutionen und die anderen religiösen Institutionen aber auch bei allen übrigen relevanten gesellschaftlichen Institutionen – wie zum Beispiel der Institution des Sports – kann man keine ernsthaften relevanten Friedensbemühungen erkennen. In der Politik scheint der Begriff der „Diplomatie“ und das kluge diplomatische Handeln ein Fremdwort geworden zu sein. Eine Partei, die einstmals sich als eine „Friedenspartei“ definierte, überbietet sich gemeinsam mit anderen politischen Parteien in unserem Lande in einem Wettbewerb zur Frage, mit wie vielen und mit welchen Waffen man noch den Krieg in der Ukraine unterstützen sollte, Dabei wissen doch alle, dass Waffen immer den Tod von unschuldigen Menschen zur Folge haben, dass mit weiteren Waffenlieferungen die Dauer des Krieges nur verlängert wird und sich lediglich  die Waffenindustrie über ihre Umsatzsteigerungen freuen kann, die sie ihrer erfolgreichen Kriegslobby-Arbeit zu verdanken haben. Eine sich selbst als „feministisch“ bezeichnende deutsche Außenpolitik unterstützt die ständige Erweiterung des Einflussbereiches der NATO und arbeitet mit rhetorischen Drohgesten, die alles andere als friedenssichernd sind. Und der Bundespräsident und die Bundesregierung glauben, dass sie mit ihrer Politik dem gefährlich anwachsenden Antisemitismus in der deutschen Gesellschaft entschieden entgegentreten, indem sie bei ihrer Unterstützung des Staates Israel kein „aber“ zulassen. Doch weil bei dieser Unterstützung nicht unterschieden wird zwischen dem Staat Israel und seinen jüdischen Bürgerinnen und Bürgern, die unsere Unterstützung verdient haben, werden antisemitische Tendenzen in unsere Gesellschaft eher verstärkt als bekämpft und eine gleichberechtigte Unterstützung von Juden und Muslimen in einem demokratischen Staat Israel eher verhindert als gefördert.

In Bezug auf die Religionen muss ebenfalls von einem Totalversagen gesprochen werden. So erwartet man vom Weltkirchenrat der evangelischen Kirche seit zwei Jahren vergeblich eine mit einer Stimme sprechende friedenspolitische Initiative gegenüber der internationalen Politik. Auch ein Bemühen um ein ökonomisches Vorgehen der internationalen Wirtschaftsverbände zur Beendigung der Konflikte ist nicht zu erkennen. Die Bemühungen der katholischen Kirche um eine Friedensmaßnahme gegen den Krieg – gemeinsam mit den orthodoxen Kirchen des Ostens – ist über harmlose und folgenlose Versuche nicht hinausgekommen. Allenfalls kann man die offene und klare Ansprache von Papst Franziskus wertschätzen, der in seinen Weihnachtsansprachen den tödlichen Zusammenhang von Waffen und Krieg klar zum Ausdruck gebracht hat. Seine Ansprache gipfelte in der Aussage, dass mit dem Gebrauch von Waffen noch nie Frieden hergestellt wurde, dass Waffen töten und dass es ohne Waffen keine Kriege geben würde. Ein „politisches Waffenverbot“, das heute dringender denn je ist, wurde noch nie deutlicher ausgesprochen.

Die unterschiedlichen institutionellen Ausprägungen des Islam, die in der Welt anzutreffen sind, haben in Bezug auf die aktuellen Kriege ebenfalls in jeder Hinsicht versagt. Von allen weiteren Repräsentanten der Religionen des Buddhismus, des Hinduismus und sonstiger Religionsgemeinschaften lassen sich ebenfalls keine nennenswerten Friedensinitiativen beobachten. Es muss vielmehr von einem totalen Versagen der Religionsführer gesprochen werden. Gleiches gilt für die weltweit agierenden ökonomischen Institutionen und Organisationen gleichermaßen wie für die Weltorganisationen der Gewerkschaften. Die einzige internationale Organisation, die an ihrem selbst gegebenen Friedensauftrag festhält und sich in Kooperation mit den Vereinten Nationen über die Durchführung seiner Olympischen Spiele zumindest um einen „Frieden auf Zeit“ bemüht, ist das IOC. Von dessen Stakeholdern, d.h. von den internationalen Sportfachverbänden und den mehr als 200 Nationalen Olympischen Komitees sind allerdings so gut wie gar keine eigenständigen Friedensbemühungen zu erkennen. Oft ist sogar eher das Gegenteil der Fall.

Besonders folgenreich ist der Sachverhalt, dass durch das Totalversagen aller relevanten Institutionen der Pazifismus und große Teile des christlichen Wertekanons außer Kraft gesetzt wurden. Menschen, die sich dem Pazifismus zugehörig fühlen, werden diskreditiert. Ihre Friedensinitiativen werden massenkommunikativ der Lächerlichkeit preisgegeben und als Kabarettthemen missbraucht. Wer sich als gläubiger Christ im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine oder bei der kriegerischen Auseinandersetzung zwischen Palästina und Israel auf die zehn Gebote beruft, dem wird selbst von den eigenen christlichen Institutionen widersprochen. Dabei ist aus meiner Sicht die Annahme, dass während eines Krieges die Gültigkeit der zehn Gebote außer Kraft gesetzt werden darf, in jeder Hinsicht inakzeptabel. Es gibt hierfür in den theologischen Grundlagen des Christentums ganz gewiss auch keinen Beleg dafür.

Angesichts dieser Situation ist es wichtiger denn je, dass man sich nicht zuletzt auch hier in Deutschland daran erinnert, dass es schon Zeiten gegeben hat, in denen die blaue Friedenstaube ein nahezu alltägliches Symbol unserer Gesellschaft gewesen ist, dass viele Häuser in deutschen und europäischen Dörfern und Städten mit Friedensfahnen drapiert gewesen sind und dass es in den verschiedensten Lebensbereichen unserer Gesellschaft keine Schande gewesen ist, wenn sich Menschen in Friedensinitiativen engagiert haben.

Dies galt und gilt vor allem für das System des Sports, das mit dessen kultureller Bedeutung und in dessen Wertekonzeption dem „Prinzip der Assoziation“² in ganz besondere Weise verpflichtet ist. Für den modernen Sport sind „Konkurrenz“ und „Kooperation“ konstitutiv, und beide müssen durch das Prinzip des Fair Play zusammengehalten werden. Das Gebot der „Solidarität“ und der „Kooperation“ sind für die Austragung sportlicher Wettkämpfe unverzichtbar. Deshalb war es auch längst überfällig, dass das olympische Motto „Citius“,“Altius“,“Fortius“ durch ein „Communiter“(„schneller, höher, stärker – gemeinsam“) ergänzt wurde. Thomas Bach, der diese Fortschreibung des modernen Olympismus aus Anlass der äußerst problematischen und in vielfacher Weise gefährdeten Olympischen Winterspiele in Peking im Jahr 2022 durchgesetzt hat, hat hierfür allerdings keinen Applaus erhalten. Weder von der internationalen Politik noch von großen Teilen der Sportpolitik wurde dieser Schritt in seiner Bedeutsamkeit anerkannt und beachtet.

Initiativen des Sports zugunsten des Friedens auf unserer Welt wie sie noch in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts in Deutschland und in Europa weit verbreitet waren, Demonstrationen gegen die Foltermaßnahmen in Argentinien aus Anlass der Fußball Weltmeisterschaft, sportliche Friedensmärsche, organisatorische Bemühungen unter dem Motto „Sportler für den Frieden“ sind heute in weite Ferne gerückt. Ein Bemühen meinerseits um eine sportliche Friedensinitiative aus Anlass des fürchterlichen Krieges in der Ukraine wurde von einem evangelischen Landesbischof, der gleichzeitig den Vorsitz im Weltkirchenrat der evangelischen Kirche innehat, wohl begrüßt und er hatte versprochen, dieses Anliegen auch beim Weltkirchenrat vorzutragen. Eine Antwort von ihm ist jedoch bis heute ausgeblieben. Dabei wären sportliche Friedensmärsche heute dringender denn je, und es wäre wohl eine der vornehmsten Aufgaben aller verantwortlichen Sportpolitiker der Bundesregierung und des Deutschen Bundestages eindeutige Forderungen zugunsten diplomatischer Friedensbemühungen anlässlich des verheerenden Krieges in der Ukraine und in Israel abzuverlangen und auch öffentlichkeitswirksam vorzutragen. Leider ist eher das Gegenteil zu beobachten. Die Institutionen des deutschen Sports sind sich ihrer autonomen Rolle in Bezug auf den Friedensauftrag nicht bewusst und haben sich devot den politischen Fehlentscheidungen Berlins untergeordnet. Dafür gibt es aber eine an Lächerlichkeit kaum zu übertreffende  „Armbinden-Kultur“ in Regenbogenfarben, angeführt von einer Bundesministerin des Innern und für Heimat der Bundesrepublik Deutschland, mit der man sich in heuchlerischer Weise mit Verletzungen gegenüber den Menschenrechten auseinandersetzt. Unbemerkt bleibt dabei, dass man sich an einer Teilung der Menschenrechte schuldig macht, die nicht nur aus Sicht der Vereinten Nationen, sondern vor allem aus ethisch-moralischer und christlicher Sicht unteilbar sein müssen. Wenn ukrainische Athletinnen und Athleten ihren russischen Gegnern bei Siegerehrungen den Handschlag verweigern, wird dieser Geste und willentlichen Entscheidung durch die deutschen Massenmedien applaudiert, wenn hingegen muslimische Athleten und Athletinnen ihren jüdischen Gegnerinnen und Gegnern dasselbe antun, werden diese Handlungen als ein Verstoß gegen die ungeschriebenen Regeln des Fair Play- Prinzips im internationalen Sport (meines Erachtens durchaus zu Recht) angeprangert und verurteilt. Wenn das IOC unter Führung seines IOC-Präsidenten Bach sich für die Teilnahme  unschuldiger  russischer Athletinnen und Athleten als „neutrale Athleten“ unter klar vorgegebenen Bedingungen bei den Olympischen Sommerspielen in Paris 2024 einsetzt, so forderte die staatliche deutsche Politik gemeinsam mit weiteren europäischen Staaten den Ausschluss aller russischen und belarussischen Athletinnen und Athleten, ohne dass ihnen von  der großen Mehrheit der deutschen Sportorganisationen einschließlich der Athletenvertretungen widersprochen wurde. Vergleichbare Forderungen zum Ausschluss von Athletinnen und Athleten aus Nationen, die in diesen Tagen in verantwortungsloser Weise sich in kriegerischen Auseinandersetzungen mit anderen Nationen befinden und damit kontinuierlich gegen die Menschenrechte verstoßen, sind mir allerdings nicht bekannt.

Dabei könnten die bevorstehenden Olympischen Sommerspiele 2024 angesichts der durch die vielen Kriege, die derzeit in unserer Welt zu beklagen sind, zu einem ganz besonderen Friedensappell werden und ein volles Friedensmahnmal darstellen. Dazu wäre jedoch erforderlich, dass sich sämtliche Organisationen des Sports auf die Werte der olympischen Charta besinnen, das Prinzip der Unteilbarkeit der Menschenrechte beachten, sich gegen jede Form von Rassismus und Diskriminierung aktiv wehren und dass sie ihr Interesse an einem dauerhaften Frieden in großer Geschlossenheit demonstrieren und auf sich aufmerksam machen. Friedenskongresse und Friedensmärsche und – Läufe könnten dabei ebenso dazugehören wie der Friedensbotschaft gewidmete eigenständige Sportveranstaltungen. Auch Friedensgesten von einzelnen Athletinnen und Athleten müssten willkommen sein. Wer dem Solidaritätsgebot widerspricht, sollte erfahren müssen, dass er sich damit aus der Gemeinschaft des Sports selbst ausschließt. Gesten der Verbrüderung wären dabei ebenso erwünscht wie eine engagierte Begleitung all dieser Maßnahmen durch Kunst, Literatur, Wissenschaft und Musik. Coubertin hatte vor mehr als 100 Jahren eine Vision. Diese hat sich meines Erachtens noch keineswegs überlebt. Der Wunsch nach Frieden ist überall in der Welt zu beobachten und all jene, die durch Kriege ihre Angehörigen verloren haben wissen, welche Bedeutung Frieden für sie hätte haben können, wenn er zum richtigen Zeitpunkt gestiftet worden wäre.

Alle Verantwortlichen und Beteiligten des nationalen und internationalen Sports seien hiermit aufgerufen, den Friedensauftrag und die Friedenschance vor, während und nach den Olympischen Spielen in Paris 2024 wahrzunehmen und mit vielen weiteren Ideen mitzuhelfen den von vielen Menschen in aller Welt erwünschten Frieden zu stiften und diesen zu bewahren.

Letzte Bearbeitung: 6.1.2024

¹ Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf „gendergerechte“ Sprachformen – männlich weiblich, divers – verzichtet. Bei allen Bezeichnungen, die personenbezogen sind, meint die gewählte Formulierung i.d.R. alle Geschlechter, auch wenn überwiegend die männliche Form steht
² Assoziation“ bezeichnet das Resultat eines Prozesses, bei dem zwei oder mehrere kognitive Elemente (hier zwei Ideen) miteinander in eine konstitutive Verbindung gebracht werden..