Ergreift der DOSB-Präsident in der Öffentlichkeit das Wort, so ist von „Sport Deutschland“ die Rede. „Sport Deutschland“ ist auch meist der Titel der DOSB Veröffentlichungen in den letzten Jahren. Angesichts dieses imperialen Sprachgebrauchs kann es kaum überraschen, dass auch eine der jüngsten Kreationen des deutschen Sports „Athleten Deutschland e.V.“ sich diesem eigenartigen Sprachgebrauch anschloss. Stellt man sich vor, man würde gleichermaßen von „Kunst Deutschland“, von „Musik Deutschland“ und von „Literatur Deutschland“ sprechen, so würde spätestens dann ein Unbehagen bei all jenen zu spüren sein, denen die Qualität der deutschen Sprache noch ein Herzensanliegen ist.
Folgt man der Satzung von Athleten Deutschland e.V., so sind dessen ordentliche Mitglieder alle Athletenvertreter der olympischen, nicht-olympischen und paralympischen Spitzenverbände, das heißt, sämtlicher Wettkampforganisationen des Sports in Deutschland. Außerordentliche Mitglieder können Mitglieder von Bundeskadern derselben Verbände sein und die Aufgaben und der Zweck des Vereins werden in erster Linie in beratenden Leistungen gesehen, wobei vor allem die Themenbereiche „Anti-Doping“, „Missbrauch und sexualisierte Gewalt“, „Matchfixing und Spielbetrug“, „duale Karriere und Athletenförderung“, „Athleten und Schiedsvereinbarungen“, „Nominierung und Qualifikationskriterien“ und „Unterstützung bei der Bildung von Gewerkschaften für einzelne Sportarten“ besonders hervorgehoben werden. Gemäß der Satzung ist dieser Verein in erster Linie Sprecher sämtlicher deutscher Athleten und seine Beratungsleistungen sind vor allem auf die Athletenkommission des DOSB ausgerichtet. Betrachtet man die jüngsten Aktivitäten des Vereins, so kann man allerdings sehr schnell erkennen, dass sich zumindest aus der Sicht des Vorstands die Aktivitäten nicht nur auf Deutschland beschränken sollen. Der Verein hat mittlerweile die internationale Bühne betreten. Er sieht sich als Interessenvertreter aller olympischen Athleten, zumindest hat er ein Arbeitsfeld betreten, von dem sämtliche Athleten in allen Sportarten der Welt betroffen sind. Hintergrund ist dabei ein Verfahren des Bundeskartellamtes zur „Beschwerde wegen Beschränkung des Individualsponsorings von Athleten durch die Anwendung der Regel 40, Paragraf 3 der Olympischen Charta“. Das Bundeskartellamt hat zu diesem Verfahren Athleten Deutschland e.V. beigeladen. In der Stellungnahme gegenüber dem Bundeskartellamt beklagt die deutsche Athletenvertretung die Auswirkung der Olympischen Charta mit ihrer Regel 40, Paragraf 3. „Durch die Unterwerfung unter die IOC Charta ist es den Athletinnen und Athleten weltweit nur in geringstem Maße möglich, in der für jeden Teilnehmer wirtschaftlich wichtigsten Phase seiner sportlichen Laufbahn mit Partnern und Sponsoren zu werben. Dieser genannte Zeitraum ist für die olympischen Athleten insbesondere deswegen so wichtig, weil sie in der medialen Darstellung ansonsten neben der Fußballberichterstattung eher unterrepräsentiert sind. Den Athletinnen und Athleten gehen entscheidende Werbeeinnahmen und mögliche weitere Partnerschaften verloren, die zur notwendigen Sicherung der finanziellen und wirtschaftlichen Lage der Athleten beitragen können. Hinzukommt, dass bei Olympischen Spielen die platzierten Athletinnen und Athleten im Gegensatz beispielsweise zu Welt- und Europameisterschaften keine Prämien bekommen.“ Aus der Sicht von Athleten Deutschland e.V. handelt es sich hierbei um einen unzulässigen Eingriff in die nach deutschem und europäischem Recht grundsätzlich garantierte Berufsfreiheit und damit in die Berufsausübung als Sportler. Weiter wird in dieser Stellungnahme die Monopolisierung der Vermarktung der Olympischen Spiele infrage gestellt. Das IOC entscheidet demnach alleine über die Verwendung der Übertragungsrechte und verfügt über Bild- und Persönlichkeitsrechte der Athleten, ohne dass die Athleten de facto ihr Einverständnis hierzu geben können.
Aufgrund dieser für die deutsche Athletenkommission untragbaren Position fordern sie eine Partizipation am Vermarktungsgewinn. Gefordert wird eine Ausschüttung in Höhe von 25% des Gesamtgewinns aus den Vermarktungs- und Übertragungserlösen des IOC. Es muss dabei gewährleistet sein, dass die Mittel den Athletinnen und Athleten direkt zufließen. Zusätzlich fordert die Athletenkommission, dass das IOC weitere 10% seines Gewinns aus Vermarktung- und Übertragungsrechten für die Finanzierung eines unabhängigen Anti-Doping-Managements und damit einer vom Sport unabhängig agierenden Welt-Anti-Doping-Agentur einsetzt. Abschließend fügen die Athletinnen und Athleten hinzu, dass sie maximale Transparenz und Darlegung der Vermarktung- und Übertragungseinnahmen, so wie der Mittelverwendung durch die Sportorganisationen erwarten.
Medienwirksam hat der Sprecher von Athleten Deutschland e.V. Hartung in einem Interview mit dem Sportinformationsdienst vom 18.09.2018 die Kernpunkte dieser Stellungnahme noch einmal der deutschen Öffentlichkeit präsentiert und der Applaus der großen Tageszeitungen und des Fernsehens war dabei gesichert. Naheliegend war auch die Reaktion des IOC. Es lud die deutsche Athletenvertretung zu einem Informationsgespräch in das Hauptquartier des IOC nach Lausanne ein. Athletensprecher Hartung mit seinen Kolleginnen und Kollegen der Athletenkommission wollten sich dabei nicht als Bittsteller sehen. Vielmehr, so Hartung, hätte das IOC genügend Zeit gehabt darüber nachzudenken, wie es mit den neuen Ideen und Forderungen der Kommission umgehen möchte. Er meint, sie „werden nicht starr auf einer Dollarzahl beharren aber eine Beteiligung für die Sportler ist mittelfristig ein klares Ziel“ und eine entsprechende Beteiligung erwartet der Athletensprecher auch bei zukünftigen Weltmeisterschaften der Fachverbände. Wenn Athleten ihre Bildrechte abgeben, sollen sie entweder eigene Werbeflächen bekommen oder eben finanzielle Zuwendungen.
Die Stellungnahme der Athletenkommission gegenüber dem Bundeskartellamt wirft viele Fragen auf. Unklar ist in dieser Stellungnahme zunächst, auf welchen Zeitraum sich die Regel der Olympischen Charta bezieht und wie viele Athleten innerhalb dieses Zeitraums direkt von einem Werbeverbot betroffen sind. Auch müsste gefragt werden, ob aus einer globalen Perspektive betrachtet die Athleten tatsächlich in diesem Zeitraum über Werbemöglichkeiten verfügen, die ihnen das IOC verwehrt. Irreführend ist es auch, diese sogenannte „frozen period“ als die wichtigste Phase einer sportlichen Laufbahn zu betrachten. Grundsätzlich verfügen alle Athletinnen und Athleten über die Möglichkeit außerhalb dieser Periode mit Sponsoren zu werben und die wichtigste Phase einer sportlichen Laufbahn erstreckt sich hoffentlich nicht nur über wenige Monate oder Wochen, sondern über einen Zeitraum von mehreren Jahren. Irritierend ist auch die Klage über die Fußballberichterstattung. Gemäß der Satzung muss man annehmen, dass auch Fußballspieler Mitglieder von Athleten Deutschland e.V. sein können. Fußball ist olympische Sportart und herausragende Bundesligaspieler waren Mitglieder der deutschen Olympiamannschaften, ohne dass man dabei erkennen konnte, ob deren Teilnahme bei Olympischen Spielen ihnen einen besonderen materiellen Schaden verursacht hätte. Interessant ist darüber hinaus, dass Athleten Deutschland e.V. sich auf eine grundgesetzlich garantierte Berufsfreiheit und damit auf eine Berufsausübung als Sportler beruft. Man könnte daraus den Schluss ziehen, dass sämtliche deutsche Athletinnen und Athleten Berufssportler sind. Dies ist eine Sichtweise, die sich unter sportpolitischen Gesichtspunkten zumindest zu diskutieren lohnt. Arbeitsrechtlich ist diese Position nicht weniger interessant. Man denke vor allem an die vielen Studierenden, die sich während ihres Studiums um eine Doppelkarriere bemühen, aber auch an die Mitglieder der Bundeswehr, des Bundesgrenzschutzes und der Polizei wäre dabei zu denken. Mit Zweifeln wird in der Stellungnahme auch das Prinzip der exklusiven Vermarktung betrachtet, das ja in allen Bereichen der Wirtschaft anzutreffen ist und somit nicht als ein Sonderstatus der Sportwirtschaft betrachtet werden kann. Zweifel legen die Frage nahe, welche non-exklusive Vermarktung die Athletenkommission sich vorstellen könnte. Neugierde ruft auch die Ausführung hervor, dass die Athletinnen und Athleten weltweit nur verschwindend gering an den Vermarktungsgewinnen des IOC partizipieren, obwohl sie ihre weitreichenden Bild- und Persönlichkeitsrechte zur Verfügung stellen.
Wie die tatsächliche Partizipation der Athletinnen und Athleten derzeit aussieht, wird allerdings nicht offengelegt. Es stellt sich dabei vielmehr auch die Frage, ob es indirekte Formen der Partizipation gibt, die von den Athleten und Athletenvertretern nicht beachtet werden und bei der direkten Partizipation würde man gerne etwas Genaueres über die finanzielle Höhe erfahren. Abschließend wirft die Stellungnahme die Frage auf, in wie fern „die Athletinnen und Athleten maximale Transparenz und Darlegung der Vermarktungs- und Übertragungseinnahmen sowie der Mittelverwendung durch die Sportorganisationen“ erwarten müssen. Wird diese Forderung gegenüber dem IOC erhoben, so wird unterstellt, dass das IOC intransparent in Bezug auf deren Darlegung der Vermarktungs- und Übertragungseinnahmen ist. Allein ein Blick auf die Webseite des IOC hätte die Athletenkommission eines besseren belehren können.
Mit Blick auf die ehrenamtliche Tätigkeit der Athletenkommission kann manch eine dieser hier aufgeworfenen Fragen als unpassend und ungerecht bewertet werden. Die Forderung nach einer höheren Professionalität der Athletenvertretung und damit auch die Forderung nach einer hauptamtlichen Bearbeitung der Athleteninteressen kommen nicht von ungefähr. Für die große Mehrheit der olympischen Athleten kann und muss man sich wünschen, dass sie auch stärker finanziell unterstützt werden für ihre sich oft über Jahrzehnte erstreckende Trainingsarbeit und für ihre sportlichen Leistungen. Die soziale Absicherung ist bei den meisten Athletinnen und Athleten völlig unzureichend, wobei man dabei nicht übersehen sollte, dass die Unterschiede zwischen reichen und armen Nationen so erheblich sind, wie auch die Unterschiede innerhalb der olympischen Sportarten ein beträchtliches Ausmaß diesbezüglich annehmen. Auch die Forderung der Athletenkommission in Bezug auf die Unabhängigkeit der Welt-Anti-Doping-Kommission und für die Bereitstellung neuer finanzieller Mittel, um die Unabhängigkeit zu gewährleisten, ist mehr als verständlich und für jeden interessierten Verantwortlichen im Bereich des Sports nachvollziehbar. Bei all diesen Forderungen stellt sich jedoch die Frage, ob das IOC der richtige Adressat ist und es stellt sich auch die Frage, was geschehen würde, wenn diesen Forderungen entsprochen würde und ein Netzwerk nationaler Athletenkommissionen sich der Aufgabe zu stellen hätte, Milliardeneinnahmen zugunsten betroffener Athleten zu verteilen.
Das Treffen der Athletenkommission mit dem IOC in Lausanne wurde von großen Erwartungen begleitet. Die hierzu üblichen massenmedialen Vorschusslorbeeren taten ein Übriges. Das Resultat der Begegnung mit dem IOC endete jedoch eher wie ein Hornberger Schießen. IOC-Präsident Bach hatte sich mit seinen Experten bestens auf das Treffen vorbereitet. Mit einer mittlerweile beispielhaften Transparenz legte er die Einnahmen und Ausgaben des IOC offen. Er brachte fundierte Nachweise für die Mittelverwendung und zeigte sich offen für weiterführende Diskussionen. Jedem Beteiligten an diesem Gespräch muss sehr schnell klar geworden sein, würde das IOC die Forderungen der Athletenkommission erfüllen, würden 25% der Einnahmen zugunsten der Athleten ausgeschüttet und 10% zusätzlich für die Finanzierung der WADA aufgewendet, so wäre dies das Ende des Internationalen Olympischen Komitees. Es wäre das Ende der Olympischen Spiele. Dies wäre nicht zuletzt deshalb der Fall, weil ohne die finanzielle Unterstützung durch das IOC die olympischen Sportarten ihren Wettkampfbetrieb nicht aufrechterhalten könnten und das olympische Programm deshalb auf Dauer nicht mehr gesichert werden könnte. Aber auch die Arbeit sämtlicher Nationaler Olympischer Komitees wäre dabei infrage gestellt. Die derzeit üblichen Ausschüttungen zugunsten zukünftiger Olympischer Spiele könnten nicht mehr gewährleistet werden. Die Reaktionen auf das Treffen von Lausanne waren deshalb in mehrerer Hinsicht typisch. Das IOC hat in einer öffentlichen Erklärung noch einmal sehr ausführlich seine vielfältigen Leistungen dargestellt, die es zugunsten der Olympischen Bewegung erbringt. Die Gäste aus Deutschland haben sich in einer Pressemitteilung für das besondere Engagement des IOC-Präsidenten und seiner Experten bedankt und die FAZ glaubt zu wissen, dass nach dem Treffen mit dem IOC-Präsidenten Bach die Distanz zwischen Athletenvertretern und Funktionären noch immer sehr groß ist. Der massenmedialen Euphorie folgte somit die typische massenmediale Ernüchterung. Dabei hat die Gültigkeit der berechtigten Forderungen der Athletenkommission durch dieses Treffen nicht gelitten. Im Gegenteil, sie sind nach wie vor relevant und es stellt sich die Frage, ob nicht neben dem IOC ganz andere Zielgruppen für das Problem verantwortlich zeichnen, auf das uns die Athletenkommission aufmerksam gemacht hat. Die internationalen Spitzenverbände wären dabei ebenso auf den Prüfstand zu stellen, wie die nationalen Sportverbände insbesondere in den großen Industrienationen. Aber auch die reichen Nationen, allen voran Deutschland, müssten Ansprechpartner sein, wenn man die angemessenen Lösungen für die Probleme der Athleten finden möchte.
Verfasst: 03.10.2018