Zum Verhältnis zwischen Kirche und Sport

Anmerkungen zu einer wün­schenswerten Partnerschaft

Aus der Sicht von heute scheint es normal zu sein, dass die beiden großen Kirchen Deutschlands den Sport akzeptieren und umgekehrt der Sport gegenüber den Kirchen seinen Respekt zollt. Die Aufgeschlossenheit der Kirche vollzog sich jedoch erst um die Jahrhundertwende. Sie ist das Ergebnis einer Wandlung, bedingt durch die Aufgabe des anthropologischen Dualismus. Mit der anthropologischen Wende im 19. und 20. Jahr­hundert kam es in der Kirche zu einer positiveren Bewertung der Leiblichkeit des Menschen. Hinzu kam, dass die Kirche sich insgesamt gegenüber weltlichen Fragen öffnete und damit auch ihre Aufmerksamkeit dem Sport zuwenden musste. Mit der Erkenntnis der Ganzheit des Menschen und der Untrennbarkeit von Leib, Seele und Geist gab die Kirche die Ansicht auf, dass das Christentum von seiner grundsätzlichen Lehre her leib- und daher sportfeindlich sein müsse. Die neue Aufgeschlossenheit hatte u.a. die Gründung eigener Sportorganisationen zur Folge. Seit dieser Zeit führte zunächst der Sport in den Kirchen als konfessioneller Sport ein Eigenleben, das durch die Gleichschaltung im Nationalsozialismus beendet wurde. Nach 1945 waren es dann nicht zuletzt die kirchlichen Sportführer, die sich für eine integrative Einheitssportbe­wegung eingesetzt haben. Kirchliche Vertreter wurden folgerichtig deshalb auch bereits sehr früh in führende Gremien des Deutschen Sportbundes berufen. Seit diesen Anfängen hat sich die Beziehung zwischen Kirche und Sport zu einem differenzierten institutionellen Gefüge auf Bundes-, Länder- und Gemeindeebene entwickelt. Auf der Ebene des Bundes hat sich ein Dialog zwischen der obersten Sportführung und den Leitungen der Kirchen eta­bliert. Resultat regelmäßiger Begegnungen waren z.B. die Vereinbarung „Kirche und Sport, Programm einer Partnerschaft“ aus dem Jahr 1971, die Schrift „Miteinander für alle – gemeinsame Wege für Kirchengemeinden und Sportvereine“ von 1977 und die „Gemeinsame Erklärung der Kirchen zum Sport“ mit dem Thema „Sport und christli­ches Ethos“ im Jahre 1990. Auch die DSB-Empfehlungen zur Frage der Sonntagshei­ligung sind auf diesen übergeordneten Dialog zwischen Kirche und Sport zurück­zuführen. Auf Bundesebene wurde 1976 außerdem eine ständige Kontaktkommission Kirche und Sport eingerichtet und die beiden großen Kirchen etablierten ihre eigenen Bundesarbeitskreise (1964 EKD bzw. 1966 KKD). So kam es auch auf Landesebene zur Gründung von Arbeitskreisen unter Berufung von Sportbeauftragten in den Landes­kirchen. Davor hatten sich bereits auf lokaler Ebene Terminkonferenzen, Stammtische und Arbeitskreise gebildet. Diese organisatorischen Einheiten dienten und dienen in erster Linie der Klärung aktueller Fragen. Darüber hinaus haben die Partner auch Foren geschaffen, in denen mittel- und langfristige Gesichtspunkte kritisch erörtert und diskutiert werden, die für die Ent­wicklung des Verhältnisses von Kirche und Sport von Bedeutung sind. Für den DSB waren dabei die Werkwochen das geeignetste Instrument der Zusammenarbeit zwischen Kirche und Sport. Ein wichtiges Ziel dieser Wochen war es, Multiplikatoren aus Kirchen und Sportorganisationen bzw. Hochschulen auf jene Themen aufmerksam zu machen, die im Verhältnis zwischen Kirche und Sport bedeutsam sind. Beispielhaft seien die Themen „Frauen in Kirche und Sport“, „Die deutsche Frage in Kirche und Sport“, „Sport für Behinderte“, „Sport für Arbeitslose“ erwähnt.

Die Kirchen boten mit ihren Akademie-Tagungen eine entsprechende Dienstleistung an. Die erste Tagung einer Evangelischen Akademie über Sportfragen erfolgte bereits 1949. Seit dieser Zeit haben sich die Akademien der Katholischen und Evangelischen Kirche in unzähligen Veranstaltungen Fragen des Sports gewidmet. Besonders erwäh­nenswert sind in diesem Zusammenhang auch die Studienkurse des Arbeitskreises Kir­che und Sport der Evangelischen Kirche Deutschlands, die seit 1970 zu Fragen des Sports in Sils Maria durchgeführt werden. Angesichts solchen Engagements konnte es kaum überraschen, dass der Sport zur Vorbereitung des aus Anlass der Olympischen Spiele 1972 in München stattfindenden wissenschaftlichen Kongresses die Kirchen zur Mitarbeit einlud. Ein besonderes öffentliches Interesse hat die Einrichtung kirchlicher Dienste bei Sportwettkämpfen hervorgerufen. Kirchliche Dienste gibt es u.a. beim Deutschen Turnfest, bei Europa- und Weltmeisterschaften und bei Olympischen Spie­len, wobei es einen sogenannten Olympia-Pfarrer bereits seit den Olympischen Spielen 1952 gibt. 1970 wurde zum ersten Mal ein hauptamtlicher Pfarrer für Sportfragen für die EKD berufen, 1972 wurde diese Stellung auch in der katholischen Kirche geschaf­fen.

Meine kurze historische Bilanz kann als Erfolgsbilanz verstanden werden. Das Ver­hältnis zwischen Kirche und Sport scheint intakt zu sein und ohne Zweifel kann fest­gestellt werden, dass es in den letzten 70 Jahren gelungen ist, gegenseitige Voreingenommenheiten und Vorbehalte zwischen Kirche und Sport abzubauen. Dies gilt vor allem für jene Führungspersonen, die sich bei den regelmäßig stattfindenden Tagungen der Bildungswerke und Akademien getroffen haben. Dabei wurden in erster Linie grundsätzliche und aktuelle Fragen zum Sport theoretisch diskutiert. Die Resul­tate liegen in Buch- und Schriftform vor. Sie prägen insbesondere den ideellen Über­bau des Sports und sie sind ohne Zweifel unverzichtbarer Orientierungspunkt, wenn Wertefragen des Sports zur Diskussion stehen.

Das Verhältnis zwischen Kirche und Sport kann jedoch nicht nur positiv bilanziert werden. Als jemand, der nunmehr seit mehr als 50 Jahren die Beziehung zwischen Kirche und Sport aktiv begleitet, selbst an vielen gemeinsamen Veranstaltungen teilge­nommen hat, teilweise dabei auch referieren durfte, und sich in beiden Institutionen zu Hause fühlt, für eine derart betroffene Person ist das Verhältnis zwischen Kirche und Sport aus der Sicht von heute eher als kritisch, in vieler Hinsicht auch als problema­tisch zu bezeichnen. An mehreren Beispielen möchte ich dies erläutern.

Überall in unserer Gesellschaft können wir heute beobachten, dass unpersönliche Maß­nahmen von oben auf der örtlichen Ebene ohne Echo bleiben. Dies gilt für die Politik ebenso wie für den Sport und die Kirche. Für das Verhältnis des Sports zur Kirche kann das Defizit in dieser Beziehung kaum deutlicher ausgesprochen werden, wie es einst Sportpfarrer Jakobi tat. „Vieles von dem, was in Dokumenten ausgesprochen und gewünscht wurde, konnte bisher nicht verwirklicht werden“. Der praktische Sportalltag wurde von den abstrakten Diskussionen der Führungsebene ebenso wenig erreicht wie der kirchliche Alltag. Dies gilt vor allem für den ethischen Beitrag, den die Kirchen zu leisten hätten und den man zu Recht von den Kirchen abverlangen müsste. Vor allem auf der Ebene der Gemeinden ist der ethisch-normative Einfluss auf das Handeln im Verein nahezu wirkungslos geblieben. Wenn in der Schrift „Kirche und Sport auf Orts­ebene“ davon gesprochen wird, dass Kirche und Sport sich zu verlässlichen Partnern entwickelt haben, dass beide in einem wachsenden Verständnis füreinander stehen, im Dienste der gleichen Menschen, und dass ihr Handeln von Soli­darität bestimmt ist, so zeigt sich bei einer genaueren Betrachtung, dass gerade dieses Verhältnis auf Ortsebene so nicht anzutreffen ist. Sport und Kirche stehen weder „im Dienste der gleichen Menschen“, noch sind sie in der Alltagspraxis verlässliche Partner. Jene Menschen, die sich im Sportverein organisiert haben, sind nur selten identisch mit jenen, die sonntags in die Kirche gehen, und umgekehrt sind die regelmäßigen Kir­chenbesucher nicht selten jener Personenkreis, der sich in Distanz zum Sportverein befindet. Der Anteil jener, die Mitglieder im Sportverein und gleichzeitig praktizierende Mitglieder einer Kirche sind, dürfte kaum höher liegen als bei 2 %. Fragt man Sportvereinsmitglieder danach, was sie sonntags morgens gerne tun, so will die Mehr­heit gründlich ausschlafen, baden oder ihren Körper pflegen, Küchen- und Hausarbei­ten erledigen, Spaziergänge machen oder mit dem Auto wegfahren. Natürlich wollen sie auch gerne Sport treiben, die Zeitung oder ein Buch lesen. Der Kirchgang hingegen nimmt in einer derartigen Bedürfnisrangliste den allerletzten Platz ein.

Für die Diskrepanz zwischen theoretischem Dach und praktischem Alltag in Kirche und Sport gibt es viele Gründe. Zwei scheinen mir dabei besonders wichtig zu sein. Ein erster Grund resultiert aus den Schriften, die in der Regel die Folge derartiger Tagungen sind. Schriften, wie die Publikationen des Arbeitskreises Kirche und Sport bzw. Akademie-Schriften und Tagungsberichte sind weitestgehend untaugliche Kommunikationsmedien zur Vermittlung jener Inhalte, die in der alltäglichen Praxis eine Verbesserung hervorrufen sollen. Diese Schriften sind für intellektuelle Zielgruppen geeignet, sind willkommene Lektüre bei Lehrveranstaltungen an Hochschulen und Universitäten. Von jenen, über die dabei geredet wird, werden sie jedoch nur selten oder gar nicht rezipiert. Die Transformation der Inhalte in die alltägliche Kommunikation gelingt nur im Ausnahmefall. Eine Analyse von Predigttexten kann dies ebenso belegen wie eine Überprüfung der Sportvereinszeitschriften.

Ein zweiter Grund könnte noch wichtiger sein. Eine genauere Analyse der bisher statt­gefundenen institutionalisierten Begegnungen macht deutlich, dass sich seit vielen Jah­ren von der Seite der Kirche und von Seiten des Sports überwiegend derselbe Perso­nenkreis begegnet, wobei dieser sich zumindest teilweise aus Personen zusammensetzt, die weit entfernt von der praktischen Arbeit in den Vereinen und Kirchen stehen. Auf diese Weise findet kein angemessener Multiplikationseffekt in Bezug auf die Erweite­rung der Teilnehmerkreise statt.

Begegnungen zwischen Kirche und Sport sind nicht zuletzt vor dem Hintergrund, dass sich nahezu immer dieselben Leute treffen, stets auch in der Gefahr, dass durch die durchaus wünschenswerte Partnerschaft bestehende Konflikte überdeckt werden. Dabei zeichnen sich beide Seiten durch ein intensiv ausgeprägtes Harmoniebedürfnis aus. Ethische Gemeinsamkeiten, die bei solchen Diskussionen immer wieder als erfreuliches Resümee herausgestellt werden, können angesichts der Distanz zur Basis jedoch die Gefahr der Verschleierung in sich bergen. Prüft man die propagierten ethischen Gemeinsamkeiten, so sind es meist solche, die den realen Verhältnissen in Sport und Kirche kaum mehr genügen. In den letzten Jahren wurde z.B. vermehrt deutlich, dass im Bereich des Hochleistungssports bei den Verantwortlichen des Sports und den Vertretern der Kir­chen eher ein unterschiedliches als ein gemeinsames Verständnis in Bezug auf die ethi­schen Werte des Sports zu beobachten ist. Die jüngsten Erklärungen der Kirchen zum Sport machen dies besonders deutlich. Unter ethischen Gesichtspunkten sind die beiden Partner eher Konkurrenten, als dass sie übereinstimmende Auffassungen von einer gemeinsamen Wertorientierung vertreten. Dies kann am Beispiel des Doping-Problems, am Problem des Kinderleistungssports oder am Problem der überhöhten und einseitigen finanziellen Vergütung zugunsten weniger Sieger auf dem Rücken vieler Verlierer ver­deutlicht werden. Klare ethische Forderungen der Kirche sind hierzu allerdings nicht zu erkennen. Ob auch bei diesen Fragen ein ethischer Pluralismus angebracht ist, wie dies von einigen Vertretern der Kirche und des Sports behauptet wird, scheint mir mehr als zweifelhaft zu sein. Mir scheint es eher angebracht zu sein, für eine produk­tive Kollision zu plädieren.

Die genannten Probleme sind vorrangig Probleme des Sports. Die Probleme, die sich in der Beziehung zwischen Kirche und Sport beobachten lassen, dürfen jedoch nicht nur dem Sport angelastet werden. Auf der Seite der Kirche ist es meines Erachtens bis heute mit wenigen Ausnahmen nicht gelungen, sich theologisch und pastoral fundiert und qualitativ anspruchsvoll mit dem Sport auseinanderzusetzen. Gerade was den Dia­log zwischen Sportwissenschaft und Theologie betrifft wird deutlich, dass bis heute die Theologie den Sport in erster Linie als ein sachfremdes Thema betrachtet. Nur wenige Theologen überhaupt halten es für angemessen, sich mit einem Phänomen, das immer­hin ein Drittel der deutschen Bevölkerung in organisierter Weise bewegt, auseinan­derzusetzen bzw. zur Kenntnis zu nehmen. Nach wie vor sind jene, die sich dem säku­laren Phänomen „Sport“ widmen die Außenseiter in ihren kirchlichen Gemeinschaften. Oft sind sie allein schon dadurch benachteiligt, weil sie die schönen Seiten des Sports selbst erlebt haben und weil sie möglicherweise während ihrer aktiven Arbeit als Pfar­rer oder Theologe noch selbst Sport betreiben. Gewiss gibt es auf diese Weise auch Befangenheit. Gewiss würde man sich wünschen, dass gerade jene Theologen und Pastoren, die selbst den Sport auf positive Weise erlebt haben, sehr viel entschiedener zu kritischen Begleitern des modernen Sports werden als dies in der Regel der Fall ist. Die eigentliche Kritik muss jedoch auf jene theologischen Fakultäten zielen, die an deutschen Universitäten ihre Lehre und Forschung auf nahezu jeden gesellschaftlich relevanten Bereich ausgeweitet haben, dabei jedoch auf auffällige Weise das gesell­schaftspolitisch immer bedeutsamer werdende Phänomen und System des Sports ver­nachlässigen.

Eine kritische Bilanz der Zusammenarbeit zwischen Kirche und Sport wäre ohne eine Behandlung der Frage der Sonntagsheiligung als Bewährungsprobe für das Verhältnis von Kirche und Sport unvollständig. Der Sport und die Kirchen befinden sich in einer besonderen Konkurrenzsituation, wenn es um die zeitliche Inanspruchnahme des Sonn­tags geht. Die beiden Kirchen und der Deutsche Olympische Sportbund sind die drei größten gesell­schaftlichen Organisationen der Bundesrepublik Deutschland. Mehr als 55% der Bevölkerung gehören den beiden großen christlichen Kirchen an, mehr als 30 % der Bevölkerung sind als Mitglieder im Deutschen Olympischen Sportbund organisiert. Diese Organisationen sprechen mit ihren Angeboten für den Freizeitbereich nahezu die gleichen Zielgruppen an und könnten es prinzipiell mit denselben Menschen zu tun haben, die einerseits Sport trei­ben wollen, andererseits als Christen am Leben ihrer Kirchengemeinde teilnehmen möchten. Der besondere Terminkonflikt resultiert dabei aus dem Gebot der Sonntags- ­und Feiertagsheiligung. Für das Verhältnis zwischen Kirche und Sport in Deutschland hat sich diese Frage der Sonntagsheiligung als besonders brisant erwiesen. Sie ist wohl das wichtigste Thema in der Auseinandersetzung zwischen Kirche und Sport seit 1950. In dieser Auseinandersetzung kam es 1959 zu ersten Empfehlungen zum Schutze von Sonn- und Feiertagen. In dieser Empfehlung des Arbeitskreises „Sport und Kultur“ im damaligen Deutschen Sportbeirat wird u.a. vorgeschlagen, dass der veranstaltungsfreie Sonntag anzustreben ist. Gemeint ist ein Sonntag im Monat, der von Veranstaltungen jeglicher Art freizuhalten ist. Außerdem wird vorgeschlagen, dass der DSB sich dafür einsetzen soll, dass in ländlichen Gemeinden Sportwettkämpfe nur am Sonntagnach­mittag stattfinden, und im Einvernehmen mit den Kirchen sollte angestrebt werden, den Sportbetrieb mehr und mehr vom Sonntag auf den arbeitsfreien Samstag zu verle­gen. Die Frage der Sonntagsheiligung – das zeigt sich in diesen Empfehlungen – wurde lange Zeit vornehmlich unter dem Aspekt des Gottesdienstes diskutiert. Erst später wurde die Frage auch von Seiten der Kirche mit gesellschaftspolitischen Argumen­ten versehen. Es geht dabei um die Frage des Ruhetages und des Tages der Besinnung im Allgemeinen. Die Notwendigkeit eines Ruhetages in einer industriellen Gesellschaft zur Erholung und zur Besinnung mit Blick auf Familie, Gemeinschaft und Geselligkeit, wird heute politisch nicht nur von der Kirche gefordert, sondern auch von verschie­denen staatlichen und gewerkschaftlichen Gruppen unterstützt. Deshalb kann es durchaus als ein Erfolg bezeichnet werden, dass in der gemeinsamen Erklärung der Kirchen und des Deutschen Sportbundes aus dem Jahre 1980 und auch 1985 gefordert wird, dass der Mensch an Sonn- und Feiertagen Gelegenheit haben soll, zur Ruhe zu kommen, Gottesdienste zu feiern und sich auf sich selbst zu besinnen. Dabei wird betont, dass in letzter Zeit zunehmend Klage über fehlendes Verständnis für den gesetzlich geregelten Schutz der Sonn- und Feiertage geführt wird. Geändert hat sich diesbezüglich bis heute nur wenig oder gar nichts. Die Frage der Sonntagsheiligung ist nach wie vor das offene und konfliktträchtige Thema zwischen Kirche und Sport. Lediglich hat sich die Position der Kirche in dieser Auseinandersetzung verändert. Sie setzt sich weniger für eine Schutzzone, eine Spezialveranstaltung ein, d.h. sie plädiert weniger für ihr Recht auf Gottesdienst am Sonntagmorgen. Im Zentrum steht vielmehr das Bemühen, die lebensnotwendige Schutzzone für den Menschen generell zu erhalten. Der Gottesdienst wird nun allenfalls als Angebot, nicht als Zwang verstanden. Von sportlicher Seite wird dabei entschuldigend darauf hingewiesen, dass der Sonntagvor­mittag aufgrund fehlender ehrenamtlicher Mitarbeit und zu weniger Sportanlagen nicht aus dem Wettkampfbetrieb ausgespart werden kann. Diese Entschuldigung hält jedoch einer genaueren Analyse nicht stand. Vielmehr scheint es eher ein organisatorisches Problem zu sein, somit letztlich ein Problem des Willens und der ethischen Festlegung, ob der Sport bereit ist, den Sonntag in seiner Terminplanung auszusparen und ihn zu einem Ort der Begegnung und Besinnung werden zu lassen. Betrachtet man heute die Forderung zur Sonntagsheiligung, so muss man feststellen, dass keine der in vielen Erklärungen geforderten Positionen realisiert ist. Weder ist die Kirche in der Forderung nach Sonntagsheiligung auf Vereinsebene, im Bereich der Kommune erfolgreich gewesen, noch haben sich jene Kontaktkreise gebildet, die auf höchster Ebene gefordert wurden, um an der Basis Lösungen zur Klärung dieses Konfliktes zu finden. In der Diskussion um die Sonntagsheiligung wird deutlich, dass der Sport als mächtige politi­sche Institution sich nur ungern der Kritik der Kirchen stellt. Deshalb unterbreiten die Vereine auch weiterhin ein umfassendes Sportangebot am Sonntagmorgen und nicht selten geschieht dies ohne Rücksichtnahme auf kirchliche Belange. Dabei könnte gerade für den heutigen Sport eine „Theologie der Zeit“ eine dringende Hilfe sein. Durch die Fortschritte in der Technik beherrschen wir mehr und mehr die Dinge des Raumes. Gleichzeitig entgeht uns aber die Zeit. Sie wird verbraucht, um die Dinge des Raumes zu beherrschen. Wir werden blind für die Zeit, weil wir sie nicht sehen können. In der Heiligung des Sabbats kommt der Vorzug der Zeit vor dem Raum zum Ausdruck. Er gilt dem Schwachen, der Kreatur und der von Gott geschaffenen Natur. Eine zeitge­mäße Vorstellung vom Sonntag verlangt jedoch keine ein für alle Mal festgelegten Rituale und Einschränkungen. Der Sonntag ist vielmehr ein Tag für Seele und Leib. Dem Sport kann deshalb in einer modernen Interpretation des Sonntags durchaus ein wichtiger Platz zukommen. Er müsste jedoch einen Ausweg aus der Zeit ermöglichen, den Alltag ausgrenzen und Möglichkeiten zur Gemeinschaft anbieten und damit der Zeit eine neue Qualität verleihen. Vom bloßen Wettkampfsport kann dies freilich nicht geleistet werden. Vielmehr müsste der Kommunikation der Vorrang vor der Konkur­renz zugebilligt werden. Das Leisten müsste vom Motiv des Spielerischen geprägt sein und Kommunikation dürfte nicht mit Konsum gleichgesetzt sein. Schon gar nicht darf der Sport als Religionsersatz offeriert werden.

Umgekehrt wird der Beitrag der Kirche zur Sonntagsheiligung gewiss nicht nur in der Forderung nach besserem rechtlichen Schutz vor Konkurrenz und in der Veränderung sportlicher Veranstaltungen zur Gottesdienstzeit liegen können. Damit lässt sich die Zahl der Gottesdienstbesucher gewiss nicht erhöhen. Ernst Klees politische Behauptung, dass ein schönes Tor mehr erfreue als ein schmalziges Kirchenlied, sollte nicht verges­sen werden. Notwendig sind deshalb eher gute und festliche Gottesdienste, die ein Solidarerleben stiften und die Familie in den Mittelpunkt stellen. „Der Sonntag gewinnt seinen Sinn im Miteinander der Menschen“ (Huber).

Gerade am Beispiel der Sonntagsheiligung wird das Verhältnis zwischen Kirche und Sport in seiner besonderen Brisanz deutlich. Wird dieses Verhältnis aus einer kritischen Perspektive beurteilt, so muss es mit Blick auf den gegenseitigen Nutzen als ein einsei­tiges bezeichnet werden. Die Sportorganisationen benützen die Kirchen, wenn sie sich gesellschaftspolitisch, philosophisch, theologisch, ethisch, moralisch und pädagogisch zu legitimieren haben. Pädagogische Qualitätszuschreibungen ermöglichen es dem Sport, seinen gesellschaftspolitischen Standort nicht zuletzt gegenüber anderen wichtigen gesellschaftlichen Institutionen zu bestimmen. Auf diese Weise gelingt es ihm, öffentliche Unterstützung für seine Arbeit zu erhalten. Der Sport lässt sich jedoch in der Zusam­menarbeit mit der Kirche nur auf jene Gebiete ein, wo es eben um diese gesellschaftspolitische Anerkennung und Aufwertung des Sports geht. Er selbst versagt der Kirche seine Unterstützung, wenn es um die eigentlichen Fragen und Belange der Kirchen geht. So bei der Frage der Sonntagsheiligung, aber auch bei all jenen ethisch-morali­schen Fragen, die der moderne Hochleistungssport uns heute stellt und für die sich die Kirchen aufgrund ihres kirchlichen Auftrages verpflichtet fühlen müssen.

Meine Bilanz ist überwiegend kritisch ausgefallen. Meine Hinweise auf Probleme machen Sinn, wenn jene, die die Problemanalyse teilen, zukünftig bemüht sind, Lösun­gen zu den angesprochenen Problemen zu finden. Die Notwendigkeit eines konstrukti­ven Verhältnisses zwischen Kirche und Sport bleibt von solch einer kritischen Bilanz unberührt.

Wenn behauptet wurde, dass der Kirche die Religion und dem DOSB der Sport entglitten ist, so muss dabei beachtet werden, dass es sich dabei durchaus um dieselbe kritische Situation handeln kann, die auf abgelaufene Prozesse gesellschaftlicher Modernisierung zurückzuführen ist. In einer derartigen Situation sind nicht Besserwisser gefragt. Man braucht vielmehr eine solide fundierte Religionskritik auf der einen und eine solide Sportkritik auf der anderen Seite. Im Verhältnis zwischen Kirche und Sport sollten dabei die spezifischen Besonderheiten der jeweiligen Institution beachtet werden. Die Kirche sollte Kirche bleiben, damit der Sport Sport bleiben kann. Nur auf dieser Basis sind gemeinsame Schritte möglich, nur auf dieser Basis lässt sich eine Schnittmenge für gemeinsames Handeln finden. Eine gemeinsame Verantwortung gegenüber unserer Demokratie ist dann ebenso zu postulieren wie eine gemeinsame Verantwortung für die Schöpfung; und ökologische Interessen werden auf diese Weise zu einem gemeinsamen Anliegen.

Das Steuerungsproblem ist dabei das ungelöste Problem beider Institutionen. Beide benötigen Steuerung ohne zu bevormunden. Wir sind auf der Suche nach Stoppregeln, wohl wissend, dass sich damit Bevormundung zwangsläufig als Gefahr eröffnet. Die Situation, in der sich heute Kirche und Sport befinden, stellt sich uns als eine radikale Pluralisierung dar. Das besondere Merkmal dieser Pluralisierung ist gekennzeichnet durch einen Abschied vom Prinzipiellen, durch die Befreiung der Menschen aus abso­luten Kontroversen. In gewisser Weise ist dadurch unsere aktuelle Situation geschichts-und utopiefrei geworden. Wir befinden uns sowohl im Bereich des Sports als auch im Gebiet der Kirche in einer durch und durch modernen Gesellschaft. Diese moderne Gesellschaft lässt keine Abschlussgedanken zu. Bei allem berechtigten Plädoyer für Pluralität muss jedoch begriffen werden, dass über den Sinn des Lebens der Mensch nicht selbst verfügt. Der Sinn des Lebens wurde dem Menschen geschenkt. Der einzelne ist wohl in seine Freiheit entlassen, er trägt jedoch Verantwortung für die Welt als Schöpfung. Er trägt Verantwortung für die Schwachen und Stummen. Für die Institu­tionen gilt dies gleichermaßen. Wollen sie steuernd eingreifen, so müssen sie auch über die Fähigkeit des Nein-Sagens verfügen. Das Nein-Sagen ist eine Form des prinzipiel­len Handelns, eine Position gegen die Ziellosigkeit moderner Entwicklungsprozesse. Für beide Bereiche, für Kirche und Sport, geht es dabei um ein konstruktives Seinlassen in einer Zeit, in der Fortschreiten mehr als nur Gefahren, sondern die Gefahr der Selbstzerstörung in sich birgt. Wie lässt sich den Menschen vermitteln, dass Selbstbe­grenzung Freiheitsgewinn bedeuten kann?

Das konstruktive Seinlassen muss mit einer neuen Schule der sinnlichen Wahrnehmung einhergehen. Dazu gehört vor allem ein neuer Umgang mit der Zeit. Die Zeit muss dabei als Teil unseres Lebens gedacht und erfahren werden. Formen der rituellen Besinnung sind notwendig, um Auswege aus einer nahezu ausweglosen Situation zu fin­den. Pluralität ist dabei jedoch durchaus vonnöten; sie darf aber nicht mit „Oberflächlichkeit“ gleichgesetzt werden (Welsch). Es muss für die Verschiedenartigkeit und Vielfalt Partei ergriffen und den Monopolen entgegengetreten werden. „Noch der letzte Wille ist nicht harmlos, wenn er den Respekt vor der Andersheit des Anderen verliert, die in keinem Wissen zu bewältigen ist“ (Meyer-Drawe 1992). Gerade in der weiteren Zukunft, sowohl der kirchlichen als auch der sportlichen, sind beide Seiten auf eine enge Kooperation angewiesen. Dies gilt nicht zuletzt für die Lösung der immer dringender werdenden sozialen Probleme, die in unserer Gesellschaft in den nächsten Jahren noch sehr viel häufiger zu beobachten sind als dies bereits heute der Fall ist und von denen immer mehr Menschen betroffen sein werden. Demo­graphisch stellt die Gruppe der Älteren die größte sozialpolitische Herausforderung dar. Ihr Gewicht wird allein dadurch sichtbar, dass Menschen über 60 bereits mehr als ein Viertel der Gesamtbevölkerung ausmachen. Nicht zuletzt bedingt durch das Problem einer adäquaten Altersversorgung, vor allem aber auch durch die schwierige politische Inte­grationsaufgabe zwischen Ost und West und Nord und Süd, besteht dabei die Gefahr, dass unsere Gesell­schaft eine noch sortiertere Gesellschaft wird, als sie es ohnehin war. Das heißt, die Ungleichheit wird zunehmen. Die Auslese trifft Teile der älteren Generation und leider auch einen Teil der Jugendlichen. Sortiert wird aber auch nach Geschlecht und nicht zuletzt die große Mehrheit der Fremden werden auch zukünftig durch das sozialpolitische Sieb unserer Gesellschaft fallen.

Die allgemeine Entwicklung unserer Gesellschaft weist somit nicht nur positive Ten­denzen auf. Nicht zuletzt die Veränderungen im Arbeitsleben haben in den vergange­nen Jahrzehnten bewirkt, dass traditionelle Klassenbindungen aufgelöst werden. Der Mensch ist verstärkt auf sich selbst angewiesen. Er erlebt sein individuelles Arbeits­marktschicksal mit zahllosen Risiken, Chancen und Widersprüchen. In unserer Gesell­schaft häufen sich die Paradoxien. „Riskante Chancen“ lautet die Formel, die unsere Zeit prägt. Immer häufiger sind Prozesse mit einer intensiven Eigendynamik zu beobachten, ohne dass wir über die dafür geeigneten und wirksamen Stoppregeln verfü­gen. Vor allem heißt das, dass eine sich immer schneller beschleunigende Modernisie­rung unserer Gesellschaft immer gravierender Folgeprobleme und Folgelasten erzeugt. Ein Fahrstuhleffekt hat unsere Gesellschaft wohl nach oben gebracht, reale Wohl­standssteigerung hat eine physische Existenzminimierung in weite Ferne gerückt. Soziale Ungleichheit ist aber dennoch das zentrale Problem für die Weiterentwicklung unserer Gesellschaft.

Unsere Gesellschaft ist heute eine gespaltene Gesellschaft. Das Bild von der Eindrittel-Zweidrittel-Gesellschaft mag überzogen sein. Betrachten wir doch jene einmal etwas genauer, die in unserer gespaltenen Gesellschaft von der Mehrheit immer entschiede­ner abgetrennt werden. Da sind zunächst die knapp Arbeitslosen und die Sozialhilfeempfänger, deren wachsende Zahl in diesen Tagen eine Rekordmarke erreicht hat. Da sind aber auch die Kurz- und Leiharbeiter und die vielen geringfügig Beschäftigten. Eigentlich müssten wir uns schämen, dass etwa 5 Millionen Menschen am Rande des Existenzmini­mums leben, das durch die Regelsätze des Bundessozialhifegesetzes definiert wird. Die heutige Armut ist die Armut der Arbeitslosen, der alten Menschen, der Pflegebedürfti­gen, der Verschuldeten, der Ausländer und der alleinerziehenden Frauen. Es ist aber auch die Armut der Wohnungssuchenden, denn es fehlen mehr als 2 Millionen Woh­nungen. In der Einkommensverteilung wird immer deutlicher, dass das untere Drittel der privaten Haushalte über immer weniger verfügt, derzeit über 16 % des Gesamtein­kommens, das mittlere Drittel über 27 % und das obere Drittel jedoch über 57 %. Die Nettogewinne in den selbständigen Unternehmen haben in den vergangenen Jahren ständig zugenommen. Sie sind viermal so stark gestiegen wie die Nettolöhne. Das ver­fügbare Einkommen eines Selbständigenhaushaltes liegt heute viermal so hoch wie das eines Arbeitnehmerhaushaltes. Diese Zahlen verdeutlichen, auch wenn es vielen nicht passt, dass es in unserer Gesellschaft zwingend geboten ist, von sozialer Ungleichheit zu sprechen.

Der Sport hat sich deshalb zur Aufgabe gemacht, mit einer eigens angelegten sozialen Offensive diesen sozialen Problemen in unserer Industriegesellschaft zu begegnen. Dies ist keineswegs eine Selbstverständlichkeit. Die offizielle Sportpolitik hat nämlich bisher von den sozialen Problemen in unserer Gesellschaft nur selten Notiz genommen. Der Sport hat sich bis heute meist mit dem Hauptstrom der Gesellschaft arrangiert. Er ist auf der Seite derer, die der Marktlogik folgen. Er darf sich jedoch dann auch nicht wundern, wenn der Sport selbst von eini­gen Kritikern als Antriebsmotor für gesellschaftliche Ungleichheit gesehen wird. Will der organisierte Sport mit seinem neuen Anliegen erfolgreich sein, so bedarf er der kritischen Begleitung durch die Kirche. Vor allem ist dabei eine arbeitsteilige Vorge­hensweise gefragt. Nicht alles, was an sozialen Problemen in dieser Gesellschaft exi­stiert, kann nämlich auf dem Rücken des institutionellen Sports abgearbeitet werden. In vieler Hinsicht sind die Turn- und Sportvereine, die ja die tragenden sozialpolitischen Säulen des kommunalen Lebens sind, bereits heute an der Grenze ihrer Leistungsfä­higkeit angelangt. Es wäre deshalb verfehlt, wenn man die „soziale Offensive des Sports“ als eine Aktion verstehen würde, die vorrangig der organisierte Sport allein zu tragen habe. Es geht vielmehr darum, dass in einer arbeitsteiligen Vorgehensweise der Sport ein willkommenes Medium einer sozialen Offensive ist, die Träger der Offensive jedoch jene Organisationen sind, die sich bei der Lösung von sozialen Problemen durch eine besondere Kompetenz auszeichnen. Kirchliche Einrichtungen und Organisationen sind dabei besonders gefordert. Dies gilt nicht nur für die Lösung jener Probleme, die Menschen höheren Lebensalters haben, es gilt für Randgruppen in unserer Gesellschaft ebenso wie für alleinerziehende Mütter, für Sozialhilfeempfänger und Arbeitslose. Der Sport – ganz gleich in welcher Form er angeboten wird – kann dabei gewiss nicht die grundlegende Lösung für das jeweilige Problem anbieten, und schon gar nicht können die Probleme in den Einrichtungen des Sports selbst gelöst werden. Der organisierte Sport kann jedoch seine besondere fachliche Kompetenz den Kirchen ebenso anbieten wie vielen weiteren geeigneten Trägern öffentlicher und privater Sozialarbeit. Auf diese Weise kann in deren Einrichtungen mit dem Medium des Sports vielleicht eine engagiertere und aktivere Sozialarbeit, eine bessere und interessantere Altenbetreuung, eine erfolgreichere Integration von Randgruppen und Außenstehenden erbracht wer­den, die man ohne Sport möglicherweise nicht erreichen könnte. Umgekehrt könnte die Kirche den Sportvereinen und den ehrenamtlichen Mitarbeitern des Sports zeigen, auf welche Weise man in den Vereinen sportfachliche Angebote und vor allem außersport­liche Angebote pädagogisch ansprechender und organisatorisch effektiver gestaltet. Im Austausch von Informationen und in der Kooperation und Arbeitsteilung liegt somit die Zukunft des Verhältnisses zwischen Kirche und Sport. Dieser Austausch und diese Kooperation dürfen nicht nur auf der Ebene des Deutschen Olympischen Sportbundes und den Dachorganisationen der Kirchen erfolgen. Er muss sich vielmehr dort ereignen, wo Menschen die Last sozialer Probleme zu tragen haben. In den Vereinen, in den Kirchengemeinden, vor allem aber außerhalb dieser Institutionen – in sozialen Brennpunkten -, dort wo in der Regel die Probleme am gravierendsten sind, muss sich die Partnerschaft von Kirche und Sport bewähren. Wir alle sind aufgefordert, dabei einen wichtigen Beitrag zu lei­sten.

Soziale Netzwerke – das wissen wir – sind für das psychische Wohlbefinden von Men­schen von zentraler Bedeutung. Ein Sportverein – ebenso wie eine Kirchengemeinde -kann als ein derartiges Netzwerk gedeutet werden. In ihnen kann emotionale Unter­stützung gewährt werden, hier kann Selbstwertgefühl gewonnen werden, hier kann man praktische Alltagshilfe erhalten. Dazu gehört vor allem, dass die Sportvereine ebenso wie die Kirchengemeinden als heimatliche Orte gedeutet werden können. Vereine und Gemeinden müssen Orte gelungener Kommunikation und Sozialisation sein. Sie müssen ein Protest gegen eine uniformierte Welt sein, die im Rahmen globaler Vergesellschaf­tung zur Weltgesellschaft wird. Sie müssen Orte nicht entfremdeter Sozialbeziehungen sein. Dies alles kommt nicht von selbst, sondern es muss erarbeitet werden und es ist täglich unter Beweis zu stellen. Es gibt beweiskräftige Befunde, dass Verfügbarkeit und Qualität von Hilfe und Unterstützung aus dem eigenen Beziehungsnetz entscheidend dafür sind, wie wir mit unseren Problemen zurechtkommen. Soziale Netze bilden eine Art „Begleitschutz durch die Fährnisse unseres Lebens“, sie lassen sich als soziales Polster verstehen. Doch gerade die sozioökonomisch unterprivilegierten und gesellschaft­lich marginalisierten Gruppen haben besondere Defizite aufzuweisen in Bezug auf die Stabilität ihrer Netzwerke. Gerade sie sind nicht in der Lage zur eigeninitiativen Beziehungsarbeit. Der Matthäus-Effekt ist somit wirksam. „Wer hat, dem wird gegeben, dass er die Fülle habe, wer aber nicht hat, von dem wird auch genommen, was er hat.“ Wer heute in unserer Gesellschaft über mehr Einkommen und mehr Bildung verfügt, hat sowohl mehr Helfer als auch mehr Kontaktpartner. Wer also mehr materielle Mittel und Wissen hat und daher für die Pflege seiner Beziehungen mehr einsetzen kann, hat auch mehr Helfer in der Not und Kontakte im Alltag. Deshalb sind sozialpolitische Programme der Netzwerkförderung unabdingbar.

Der Sport muss in der weiteren Zukunft in ganz neuer Weise daran gemessen werden, ob er hierzu seinen Beitrag erbringt. So notwendig dabei der materielle Aspekt wie Sportanlagen und Mittel für die Sportausübung sind, so wichtig ist ein Werben für mehr Toleranz, Geduld, Kompassion und Teilungsbereitschaft. Im Interesse einer freiheitlichen, stabil und sozial ausbalancierten Entwicklung unseres Staates müssen wir ein besonderes Interesse an der Integrationsbereitschaft und Integrationsfähigkeit unse­rer Bürger und der tragenden gesellschaftlichen Institutionen haben. Andernfalls ist ein Aufbrechen von bislang nicht gekannten Konflikten vorherzusehen. Um dies zu ver­hindern, ist der Sport aufgerufen, einen wichtigen Beitrag zu leisten. Ebenso gilt dieser Aufruf aber auch der Kirche. Ohne deren kritische Begleitung und Unterstützung wird das Bemühen des Sports immer nur ein angestrengtes Schwimmen gegen den Strom sein.

Letzte Überarbeitung: 13.08.2020