Wer sind die Opfer? Anmerkungen zu den Dopingopferhilfegesetzen

Dopingopfer-Hilfegesetz 1 und Dopingopfer-Hilfegesetz 2

Am 24.8.2002 wurde das Gesetz über eine finanzielle Hilfe für Doping-Opfer der DDR (Dopingopfer-Hilfegesetz-DOHG) unter dem Applaus von vielen Abgeordneten des Deutschen Bundestages in Kraft gesetzt. Am 28.6.2016 folgte das zweite Gesetz über eine finanzielle Hilfe für Dopingopfer der DDR (Zweites Dopingopfer-Hilfegesetz- 2.DOHG).
Im ersten Gesetz wurde festgelegt, dass beim Bundesverwaltungsamt aus humanitären und sozialen Gründen ein Fonds in Höhe von 2 Millionen € eingerichtet wird, aus dem finanzielle Hilfe an Dopingopfer der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik gewährt wird. Aus diesem Fonds erhielten DDR-Dopingopfer eine finanzielle Unterstützung von jeweils rund 10.500 € als einmalige Hilfe. Dieses Gesetz trat 2007 außer Kraft.
Mit dem zweiten Gesetz wurden dem Bundesverwaltungsamt 13,65 Millionen € bereitgestellt, um weiterhin finanzielle Hilfe an Dopingopfer zu gewähren. Die damalige Bundesregierung sah in einer Pressemitteilung vom 5. Juli 2016 darin ein „Zeichen der Menschlichkeit“ und wies darauf hin, dass „viele ehemalige DDR-Leistungssportler bis heute an den Spätfolgen des Dopings leiden. Einige ihrer Nachkommen sind infolge des Dopings ebenfalls schwer geschädigt“. Das neue Gesetz regelte daher, dass diese DDR-Dopingopfer ebenfalls rund 10.500 € als einmalige Hilfe beim Bundesverwaltungsamt beantragen und erhalten können. „Die Neuauflage des Dopingopfer-Hilfefonds ist nicht nur ein Zeichen der Wertschätzung und des Mitgefühls für die Opfer. Sie ist auch aus Gründen der Gleichbehandlung geboten“.

Das Bundesverwaltungsamt (BVA)

Das Bundesverwaltungsamt teilte mir auf meine Nachfrage mit, dass nach dem Dopingopfer-Hilfegesetz 1 194 Personen und nach dem Dopingopferhilfegesetz 2 1449 Personen eine finanzielle Hilfe erhalten haben. Auf der Grundlage des ersten Hilfegesetzes erhielten die Personen eine finanzielle Hilfe in Höhe von 10.328 €, nach dem zweiten Gesetz betrug die finanzielle Hilfe 10.500 €. Auf Basis des ersten Dopingopfer-Hilfegesetzes wurden gegenüber dem Bundesverwaltungsamt 308 Anträge gestellt, wovon 108 abgelehnt wurden. Das zweite Dopingopferhilfegesetz führte zu 1754 Anträgen, von denen 305 abgelehnt wurden. Die Antragsfristen für das DOHG 1 als auch für das DOHG 2 sind inzwischen ausgelaufen – für das DOHG 1 im Jahr 2003 und für das DOHG 2 mit Ablauf des Jahres 2019.
Zu den gesamtstaatlichen Aufwendungen (z.B. auch für Verwaltungskosten) für Entschädigungsleistungen in der Dopingopferhilfe liegen dem BVA keine Erkenntnisse vor. Bekannt ist dieser Behörde lediglich, dass für das DOHG 1 ein Fonds in Höhe von 2,025 Millionen € und für das DOHG 2 ein Fonds in Höhe von 13,65 Millionen € eingerichtet wurde.
Für die bis heute erfolgte Entschädigung von DDR-Dopingopfern wurden nach Angaben des BVA aus Mitteln des Steuerzahlers¹ allerdings eine Gesamtentschädigungssumme von 17.280.100 € aufgewendet. Vergleicht man diese Summe mit den Fonds der beiden Dopingopfer-Hilfe Gesetzen (2.925.000 € bzw. 13.650.000 €) so ergeben sich hieraus Mehrausgaben von 1.605.100 €, deren Finanzierung jedoch bislang nicht offengelegt wurde.
Das Bundesverwaltungsamt schließt bei seiner Antwort auf meine Nachfrage aus, dass Personen, die eine finanzielle Hilfeleistung nach dem DOHG 1 erhalten hatten, eine weitere finanzielle Hilfeleistung nach dem DOHG 2 bekommen konnten. Ob eine finanzielle Entschädigung durch die Dopingopferhilfegesetze einen Einfluss auf Entschädigungsansprüche durch das Opferentschädigungsgesetz (OEG) hat, konnte vom Bundesverwaltungsamt nicht beurteilt werden.

Neben dem Bundesverwaltungsamt müssen weitere Institutionen erwähnt werden, die einen Zusammenhang zur DDR-Dopingopfer-Hilfe aufweisen.

Dopingopfer Hilfe e.V.

Schon länger bekannt war mir dabei der 1999 gegründete Doping-Opfer-Hilfe-Verein, dessen Arbeit nicht zuletzt wegen Frau Geipel, der ehemaligen Vorsitzenden dieses Vereins, mehrfach öffentliche Diskussionen hervorgerufen hat. Der DOH e. V. ist nach eigenen Angaben „ein gemeinnützig und ehrenamtlich betriebener Verein, der den Geschädigten des organisierten Sports in Deutschland hilft, ihre oft schweren Lebenssituationen besser zu bewältigen und unsere Gesellschaft über die weitreichenden Folgen der Chemie im Sport aufzuklären“. In ihrer Beratungsstelle in Berlin betreuen sie „mittlerweile über 1500 Betroffene mit oft drastischen Schicksalen.“ „Wir kämpfen bei Politik und Sport für die Belange der Geschädigten, insbesondere für die Unterstützung der Opfer des DDR-Staatsdopings und deren „zweiter Generation“.
In der Satzung des Vereins wird als Zweck herausgestellt, dass er nach Wesen und Ziel eine Institution ist, die in seinem „zentralen Anliegen zuerst den Opfern des organisierten Zwangsdopings der ehemaligen DDR aber auch des systemischen Dopings in der Bundesrepublik vor und nach 1989 jede nur erdenkliche ideelle, informelle so wie in Akutfällen finanzielle Hilfe zukommen lässt. Besondere Unterstützung erhalten auch diejenigen Betroffenen, die durch die Einnahme von Doping-Substanzen ihrer Eltern kausal geschädigt wurden… Der DOH ist ausdrücklicher Ansprechpartner, wenn es darum geht, auf die gravierenden Gefahren im Hinblick auf die Chemiesierung im Sport und in der Gesellschaft hinzuweisen. Deshalb kooperiert der DOH und DJK.“

SED-Opferbeauftragte

Meine Nachfragen beim Deutschen Bundestag haben ergeben, dass es für dieses Parlament auch einen Bundesbeauftragten für die Opfer der SED-Diktatur gibt. Die „SED-Opfer beauftragte“ ließ mir mitteilen, dass die Beratungsstelle des Dopingopfer-Hilfe Vereins aktuell jährlich eine Zuwendung von 90.000 € aus dem Haushalt des Bundesministeriums des Innern und für Heimat erhält. Sie bat mich, mich bei „Fragen, die die DOH betreffen wie bspw. zur Satzung oder Mittelverwendung an diese selbst oder an den Zuwendungsgeber (BMI) zu wenden“. Zu meiner Überraschung wies die SED-Opferbeauftragte in Ihrem Antwortschreiben darauf hin, dass sie ein Beratungsangebot für Opfer des DDR-Zwangsdopings „auch weiterhin für dringend notwendig erachtet“. Um die Beratung von Dopingopfern zu sichern und entsprechend der Bedürfnisse der Betroffenen zu gestalten, setzt sich die SED- Opferbeauftragte dafür ein, dass die Beratungsstelle der DOH auch zukünftig „eine mehrjährige Förderung erhält und ihr Beratungsauftrag zukünftig auch die verwandten Themen, wie die sexualisierte Gewalt im Sport umfasst“. Ein aktuelles Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages fügte die SED-Opferbeauftragte ihrem Schreiben an, weil dies ihrer Meinung nach den besonderen Charakter des Dopings in der DDR unterstreiche. Das Gutachten empfiehlt allerdings weder eine mehrjährige Förderung des Dopingopfer-Hilfe-Vereins und eine Fortführung des Beratungsauftrages und schon gar nicht die Ausweitung auf verwandte Themen, wie z.B. die sexualisierte Gewalt im Sport.

Landesbeauftragte für die Aufarbeitung der SED-Diktatur

In der Bundesrepublik kann die DDR-Dopingopfer-Hilfe auch eine Aufgabe von Landesregierungen sein, so u.a. in Mecklenburg-Vorpommern, wo die Landesbeauftragte für die Aufarbeitung der SED-Diktatur sich auch der Dopingopfer-Hilfe angenommen hat. Auf ihrer Homepage schreibt diese Landesbeauftragte:
„Der Leistungssport diente als Aushängeschild der DDR und sollte nach innen und außen über die Defizite des „real existierenden Sozialismus“ hinwegtäuschen. Die staatlich gelenkte Sportpolitik organisierte Erfolge auch durch den flächendeckenden Einsatz von Doping. Dabei wurden geschätzte 15.000 Leistungs-und Nachwuchssportler auch zwangsweise oder in Unkenntnis gedopt. Viele ehemalige Sportler leiden heute unter erheblichen gesundheitlichen Spätfolgen… der Landtag Mecklenburg – Vorpommern hat sich zur Aufarbeitung von Doping und Zwangsdoping in den drei Nordbezirken der DDR bekannt und mit Beschluss vom 28. Januar 2016 die Behörde der Landesbeauftragten als Anlaufstelle für Betroffene ehemalige Sportlerinnen und Sportler benannt. Die Landesbeauftragte nimmt die Anfragen von in der DDR von Doping betroffenen und geschädigten Sportlern entgegen und arbeitet eng mit dem Verein Doping – Opfer – Hilfe e.V. zusammen.“

Das Gesetz und die Opfer

Die bislang zitierten Informationen zu den Dopingopferhilfegesetzen drängen in diesem Zusammenhang die wohl wichtigste Frage geradezu auf:

  • Wer waren bzw. wer sind die Opfer des DDR-Dopings?
  • Diese Frage wirft mindestens zwei weitere Fragen auf:
  • Wer entscheidet, ob eine Person als Opfer anerkannt wird?
  • Welche Belege müssen vorliegen, damit eine Anerkennung erfolgen kann?

Es müsste eigentlich zu erwarten sein, dass die Dopingopfer-Hilfegesetze auf diese Fragen tragfähige Antworten geben. Im §2 des DOHG werden zur Anspruchsberechtigung folgende Ausführungen gemacht:

  1. Anspruch auf finanzielle Hilfe… haben Personen, die erhebliche Gesundheitsschäden erlitten haben, weil
    1. ihnen als Hochleistungssportlern oder Nachwuchssportlern der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik ohne ihr Wissen oder gegen ihren Willen Dopingsubstanzen verabreicht worden sind,
    2. ihrer Mutter während der Schwangerschaft unter den Bedingungen der Nummer 1 Dopingsubstanzen verabreicht worden sind.
  2. Der Anspruch ist nicht übertragbar und nicht vererblich, es sei denn der Anspruchsberechtigte verstirbt nach Antragstellung. In diesem Fall wird die aufgrund des Antrags bewilligte Leistung seinem Ehegatten, Verlobten auch im Sinne des Lebenspartnerschaftsgesetzes, Lebenspartner, seinen Kindern oder Eltern ausgezahlt, wenn und soweit sie erben.

In §4 wird zum „Verfahren“ ausgeführt, dass die Ansprüche beim Bundesverwaltungsamt anzumelden sind:
Dem Antrag sind beizufügen:

  1. ein fachärztliches Gutachten, in dem Art und Ursache des erheblichen Gesundheitsschadens angegeben und begründet werden, sofern bekannt unter Angabe der verabreichten Dopingsubstanz,
  2. Eine eigenhändig unterzeichnete Erklärung der Antragstellerin oder des Antragstellers, durch wen und in welchem Zeitraum ihr oder ihm Dopingsubstanzen ohne ihr oder sein Wissen oder gegen ihren oder seinen Willen verabreicht wurden.

§6 regelt das Verfahren zur „Aufklärung des Sachverhalts“. Demnach soll die Antragstellerin oder der Antragsteller „an der Aufklärung des Sachverhalts durch das Bundesverwaltungsamt und den Beirat mitwirken, insbesondere durch persönliches Erscheinen, Duldung zusätzlicher medizinischer Untersuchungen, eigene Sachverhaltsangaben und Benennung von Zeugen. Kosten für vom Beirat geforderte zusätzliche medizinische Untersuchungen werden erstattet… Zur Anerkennung eines erheblichen Gesundheitsschadens genügt die Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs mit der Verabreichung von Dopingsubstanzen… Wurden der Antragstellerin oder dem Antragsteller Dopingsubstanzen vor Vollendung des 18. Lebensjahr verabreicht, so wird vermutet, dass ihr oder ihm die manipulative Wirkungsweise dieser Mittel nicht bekannt war.“

Sollten die Voraussetzungen für die Gewährung der Hilfe „zweifelhaft“ sein, so sieht das DOHG 1 und 2 im §5 einen Beirat vor, der beim Bundesministerium des Innern einzurichten ist. Dieser „Beirat nimmt schriftlich gegenüber dem Bundesverwaltungsamt Stellung.
Der Beirat setzt sich zusammen aus einem Vertreter des Bundesministeriums des Innern, zwei Personen mit ärztlicher Approbation, einer Person mit Befähigung zum Richteramt, einem Sporthistoriker, einem Vertreter des Doping-Opferhilfe-Vereins, einem Vertreter einer Spitzenorganisation des Deutschen Sports sowie einem Vertreter der Spender. Der Vorsitzende muss die Befähigung zum Richteramt haben“.

Auf meine Nachfrage hierzu teilte mir das Bundesverwaltungsamt mit, dass dieser Beirat allerdings sowohl während der Laufzeit des DOHG 1 als auch während der Laufzeit des DOHG 2 nicht einberufen wurde. Es muss also davon ausgegangen werden, dass in den vergangenen 20 Jahren bei der Bewilligung beziehungsweise bei der Ablehnung von insgesamt 2062 Anträgen die Voraussetzungen für die Gewährung der Hilfe bei keinem Antragsverfahren „zweifelhaft“ war.

Fragen über Fragen

Für mich, als ein emeritierter Sportwissenschaftler und ehemaliger Sportfunktionär, der seit 1976 sich für einen engagierten Anti-Dopingkampf eingesetzt hat, der Mitglied in verschiedenen Anti-Dopingkommission gewesen ist, der sich bereits 1993 gegenüber dem damaligen Bundesminister des Innern Otto-Schily für ein Anti-Dopinggesetz eingesetzt hat, werfen die hier vorgelegten Ausführungen zu den Dopingopfer-Hilfegesetzen eine ganze Reihe von Fragen auf.

Zuallererst muss gefragt werden wer die Opfer sind, wenn Athleten wissentlich oder unwissentlich mittels unerlaubter medikamentöser Substanzen sportliche Leistungen erzielen und Erfolge erreichen, die sie ohne ihren Betrug nicht hätten erreichen können. Opfer solcher Betrugshandlungen sind meines Erachtens insbesondere auch all jene Athleten, die dem Prinzip des Fair Play verpflichtet waren und sind, und die gemeinhin als die „sauberen Athleten“ bezeichnet werden können. Solche Athleten und Athletinnen hat es auch in der DDR gegeben. Angesichts des staatlich verordneten Dopings wurden diese Athletinnen und Athleten Ihrer möglichen sportlichen Erfolge beraubt und müssen deshalb meines Erachtens als die eigentlichen Opfer des DDR-Dopings betrachtet werden.

Nicht weniger naheliegend ist die Frage, warum sich ein Gesetz des Bundestages nur auf Opfer des DDR-Dopings bezieht und die Opfer des Dopingmissbrauchs in der ehemaligen Bundesrepublik dezidiert nicht beachtet werden, die es dort sowohl in der Form von Opfern wie sie in den Dopingopfer-Hilfegesetzen definiert werden als auch in der von mir als besonders beachtenswert benannten Opferform mehrfach gegeben hat und auch heute noch gibt.

Auf den Sachverhalt und das Unrecht, dass in der ehemaligen DDR Athletinnen und Athleten ohne ihr Wissen oder gegen ihren Willen Dopingsubstanzen verabreicht wurden, wird zurecht und in aller Entschiedenheit in den Dopingopferhilfegesetzen hingewiesen und ohne Zweifel war es angebracht aus humanitären und sozialen Gründen Fonds in Höhe von 15 Millionen € zu Gunsten der DDR-Dopingopfer festzulegen.
Es stellt sich jedoch die Frage, ob ein fachärztliches Gutachten ausreichend sein kann, um festzustellen, dass ein „erheblicher Gesundheitsschaden“ ursächlich auf die Verabreichung von Dopingsubstanzen zurückzuführen ist. Da die „Wahrscheinlichkeit“ eines ursächlichen Zusammenhangs des erheblichen Gesundheitsschadens mit der Verabreichung von Dopingsubstanzen“ für die Anerkennung eines „erheblichen Gesundheitsschadens“ genügt, stellt sich die Frage auf welcher Grundlage der Facharzt diese „Wahrscheinlichkeit“ feststellt. An das Bundesverwaltungsamt muss deshalb die Frage gerichtet werden, ob es bei seiner Kausalitätsprüfung das im Entschädigungsrecht vorgesehene zweistufige Verfahren ausreichend berücksichtigt hat. Bezogen auf jeden einzelnen Antrag wäre dabei in einer ersten Stufe zu überprüfen, ob ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem schädigenden Ereignis und dem Primärschaden besteht. Sodann ist zu prüfen ob zwischen dem Primärschaden und dem gesundheitlichen Folgeschaden ein Kausalitätszusammenhang besteht.

Weiter stellt sich die Frage wie überprüft wird, ob einem Antragsteller die Dopingsubstanzen „ohne sein Wissen und gegen seinen Willen“ verabreicht wurden. Für Antragsteller, die zum Zeitpunkt des Dopingmissbrauch erwachsene Athleten bzw. Athletinnen waren, muss festgehalten werden, dass in zahlreichen Stellungnahmen ehemaliger Athletinnen und Athleten der DDR darauf hingewiesen wurde, dass erwachsene Athletinnen und Athleten in der DDR über ein ausreichendes Wissen über die Doping-Manipulationen des DDR-Hochleistungssports verfügten.

Als Hochleistungssportler, denen Doping Substanzen gegen ihren Willen verabreicht worden sind, sind wohl nur solche anzusehen, denen die Verabreichung verbotener Substanzen bekannt war, die diese abgelehnt haben und diese trotz entgegenstehen Willens zu sich genommen (in Tablettenform), oder über sich haben ergehen lassen (Duldung von Spritzen).

Ferner stellt sich die Frage, ob bei der Genehmigung von Anträgen hinreichend berücksichtigt wurde was zu den Obliegenheiten eines jeden Sportlers gehört. Er ist nämlich grundsätzlich verpflichtet über ein Wissen über das Doping-Verbot im Sport zu verfügen. Zu diesem Doping-Verbot gehört, verbotene Substanzen dem Körper selbst zuzuführen oder durch Dritte zu führen zu lassen. Jeder Hochleistungssportler ist verpflichtet, sich über die Regelkonformität eingenommener und verabreichter Substanzen umfassend zu informieren und gegebenenfalls so lange nach zu fragen bis er Gewissheit über die Regelkonformität erlangt hat. Sich auf die Aussage des verabreichenden Dritten zu verlassen, dass diese Substanzen „harmlos“, „üblich“, „nicht verboten“, oder „notwendig sind, um mit den anderen Schritt zu halten“, reichen hierzu aufgrund der klaren Sportregelvorgabe und der eigenen Verantwortlichkeit für die dem Körper zugeführte oder zuzuführen gestattete Substanzen nicht aus. Diese Regel gilt auch für minderjährige Hochleistungssportler, bei denen die Erkundungspflicht die Erziehungsberechtigten bzw. die gesetzlichen Vertreter haben.

Der Hinweis des Bundesverwaltungsamtes, dass der im Gesetz vorgesehene Beirat deshalb nicht einberufen wurde, weil es bei keinem der insgesamt 2O64 eingereichten Anträge Voraussetzungen gegeben habe, die für die Gewährung der Hilfe zweifelhaft gewesen wären, wirft zumindest die Frage auf, mit welcher Begründung 413 Anträge abgelehnt wurden und ob es gegen diese Ablehnung Einsprüche gegeben hat. Aber auch bei den 1649 genehmigten Anträge stellt sich die Frage, ob nicht wenigstens bei einigen Anträgen Zweifel angebracht gewesen wären. Die ehemalige Vorsitzende des Doping-Opferhilfe-Vereins I. Geipel unterzeichnete in Darmstadt ein Protokoll zu einer Zeugenvernehmung durch die Staatsanwaltschaft Darmstadt vom 21.5.1997. In diesem Protokoll, das auch beim Rechtsstreit Misersky./. Geipel vor dem 10. Zivilsenat des Kammergerichts Berlin 2021 vor gelegt wurde, sind folgende Sätze zu lesen:

„Es war ein allgemeines Wissen, dass Sportler z.B. zum Muskelaufbau Tabletten einnehmen, aber über spezielle Dopingverfahren vor wichtigen Wettkämpfen wurde nicht miteinander gesprochen, auch nicht mit Gegnerinnen.
Mir sind die blauen Tabletten, unter den Sportlern „blaue Steaks“ genannt, bekannt…
Ich kann mich erinnern, dass mir Dr. Riedel einige Male vor bestimmten Auswahlwettkämpfen anbot, eine Spritze geben zu lassen, er sagte „damit wäre ich ganz vorne“. Doch er wusste, dass ich damit nicht einverstanden gewesen wäre.
Ich merkte schon, dass durch die Tabletteneinnahme ein muskulärer Aufbau erfolgte. Allerdings nahm ich die Tabletten nur im geringen Maße ein, da eine größere Menge immer eine große Verspannung in meinem Körper hervorrufte…
Mir war, wie wahrscheinlich jedem anderen Sportler auch, von Anfang an klar, dass die Tabletten ein Doping Mittel darstellen“.

Angesichts dieser Zeugenaussage von Frau Geipel muss es doch wohl als zweifelhaft bezeichnet werden, warum ihr vom BVA der Status eines „Dopingopfers“ zugebilligt wurde und sie die Entschädigungszahlung von mehr als 10.000 € erhalten hat.

Die Landesbeauftragte für die Aufarbeitung der SED Diktatur für Mecklenburg-Vorpommern ist zu fragen, wie sie ihre Annahme begründet, dass es in der DDR einen flächendeckenden Einsatz von Doping gegeben hat, obwohl der wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages in seinem Gutachten zum „Zwangsdoping in der DDR“, „Verwaltungsrechtliche Rehabilitierung und Opferentschädigung“ (WD7-3000-026/22) folgenden Hinweis hierzu macht: „Da in der DDR nicht flächendeckend gedopt wurde, sondern nur diejenigen Sportler, die einer gewissen Elite in bestimmten Sportarten angehörten, war der Adressatenkreis der Beschlüsse genau bestimmbar.“(Seite 7) Sie müsste auch gefragt werden, auf welcher wissenschaftlichen Datengrundlage  sie zu der Einschätzung gelangt ist, dass „15.000 Leistungs- und Nachwuchssportler auch zwangsweise oder in Unkenntnis“ in der DDR gedopt wurden.

Der DOH e. V. hatte nach seiner Gründung ohne Zweifel eine wichtige Aufklärungsfunktion und hat auch gegenüber betroffenen Opfern wichtige Beratungsleistungen erbracht. Ein Verein, der jedoch in seinem zentralen Anliegen zuerst den Opfern des organisierten Zwangsdopings der ehemaligen DDR Hilfen zukommen lässt, sollte jedoch keine Einrichtung auf Dauer sein. 30 Jahre nach der Wiedervereinigung ist abzusehen, wann die Dopingfolgen des DDR-Zwangsdopings überwunden sind. Es ist wohl nachzuvollziehen warum die Verantwortlichen des Vereins den Zweck des Vereins erweitert haben und dabei auch noch um die Unterstützung durch die Landesbeauftragte für die Aufarbeitung der SED-Diktatur buhlen. Die Bemühungen um den Selbsterhalt des Vereins können auf der Grundlage von Spenden und Mitgliedsbeiträgen akzeptiert werden.  Eine Fortsetzung der Förderung durch das Bundesministerium des Innern aus Steuermitteln muss jedoch infrage gestellt werden.
Der DOH e.V. müsste auch gefragt werden, was er denn unter der „Chemisierung des Sports“ versteht und warum in seiner Satzung der Sportverband DJK als jener Partner benannt wird, der ihn bei diesem eigenartigen Aufklärungsauftrag gegen eine „Chemiesierung des Sports“ unterstützen soll. Der Verein müsste ferner gefragt werden, wie er und mit welchen Maßnahmen er das „systemische Doping in der Bundesrepublik“ nach 1989 bearbeitet und dabei den Betroffenen „ideelle, informelle und in Akutfällen finanzielle Hilfen“ zukommen ließ und läßt. Müssten diese Hinweise nicht auch Anlass sein, dass auf der Grundlage des Anti-Doping-Gesetzes eine Schwerpunkt-Staatsanwaltschaft sich für die Arbeit des DOH e.V. interessieren müsste? Wäre das nicht mindestens ein Thema für den Bundesrechnungshof bzw. für den Bund der Steuerzahler e.V? Angesichts seiner fragwürdigen Satzung und seinem noch fragwürdigerem Tätigkeitsbereich hat es mich nicht überrascht, dass eine Anfrage, die ich an den neuen Vorsitzenden dieses Vereins gerichtet habe, bis heute nicht beantwortet wurde.

Schlussbemerkungen

Die Antwort auf die Frage, wer oder was ein Opfer des Dopingbetruges ist, das haben die hier vorgelegten Ausführungen gezeigt, ist ganz offensichtlich komplexer und schwieriger als dies von jenen Politikern des Deutschen Bundestages angenommen wurde, die für die lückenhaften und unzureichenden Dopingopfer-Hilfegesetze verantwortlich zeichneten. Das gravierendste Versäumnis ist dabei, dass einmal mehr die Opferrolle von Athletinnen und Athleten, die in fairer Weise bemüht sind, sportliche Leistungen zu erbringen, nicht erkannt und beachtet wurde. Viele junge Menschen haben angesichts des umfassend verbreiteten Dopingbetrugs in allen olympischen Sportarten ihre Karriere frühzeitig beendet, weil sie erkannt haben, dass sie gegen Athleten und Athletinnen, die ihre Leistung mittels medikamentöser Manipulation erbringen, keine Chance haben. Die sauberen Athleten und Athletinnen werden bei Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften ihrer möglichen Medaillen beraubt. Ihnen werden mögliche massenmediale Präsenz, Prämien und Sponsorenverträge vorenthalten. Die empfundenen Frustrationen führen aus naheliegenden Gründen vielfach zu einem vorzeitigem Karriereende. All diese Beobachtungen führen dringend zu der Forderung, dass der Opferbegriff, der bei den Dopingopfer-Hilfegesetzen zur Anwendung gekommen ist, dringend auf den Prüfstand gestellt werden muss. Er bedarf einer Erweiterung und einer gezielten Berücksichtigung der Interessen der sauberen Athleten und Athletinnen.

Letzte Bearbeitung: 18. Oktober 2022

¹ Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf „gendergerechte“ Sprachformen – männlich weiblich, divers – verzichtet. Bei allen Bezeichnungen, die personenbezogen sind, meint die gewählte Formulierung i.d.R. alle Geschlechter, auch wenn überwiegend die männliche Form steht.