Talente im Sport

1.Anmerkungen zum Talentbegriff

Die Etymologie des Wortes „Talent“ ist bezeichnend. Das Wort stammt aus dem Griechischen und meint eine ausgezeichnete geistige oder auch körperliche Befähigung. In diesem Sinn spricht man von mathematischen, philosophischen und künstlerischen Talenten. Ursprünglich bedeutete das griechische Wort tálanton „Waage“ und das talentum war eine griechische Gewichtseinheit. Der Bedeutungswandel, den das deutsche Wort Talent hinter sich hat, bis es über das französische Wort talent in unsere deutsche Sprache eingeführt war, ist dabei vielsagend. Er verweist auf das Neue Testament und zielt auf ein anvertrautes Gut, ein übergebenes Vermögen, auf von Gott übergebene Fähigkeiten. Das Talent sollte begrifflich vom Genie unterschieden werden. Dabei ist der Unterschied des Talents vom Genie oft nur mit Mühen festzustellen, da sich das Talent in seinen höchsten Entfaltungen dem Genie bis auf einen unmerklichen Abstand nähern kann. Im Allgemeinen kann man allerdings sagen, dass dem Genie die schöpferische Ursprünglichkeit, mit der es sich seine eigene Bahn bricht und unter günstigen Umständen der Kunst und Wissenschaft neue Gebiete öffnet, als besonderes Merkmal zuzusprechen ist. Das Talent hingegen hält sich eher an das Gegebene, benutzt das Vorhandene seinem Zweck gemäß und formt es um. Das Talent produziert weniger aus sich selbst und geht auch selten einen eigenen Weg. Diese Unterscheidung ist hilfreich, denn die Förderung von Talenten scheint sich als etwas einfacher zu erweisen als das Ziel, Genies hervorzubringen und möglicherweise ist der Raum des Sports über seine Regeln dahingehend begrenzt, dass es gerade in ihm vor allem um Talente geht und gehen muss.

„Schau mal, ist das ein Talent“, „dieser Junge ist ein riesiges Talent“, „sie ist genauso talentiert wie ihre Mutter“. Solche und ähnliche Äußerungen kann man hören, wenn Kinder musizieren, wenn sich Kinder und Jugendliche in Sportwettkämpfen mit anderen messen oder wenn eine Kunsterzieherin die Bilder ihrer Schulklasse bei einer Ausstellung präsentiert. Diese Äußerungen lassen auf Sachverhalte schließen, die wichtig und bedeutsam sind. Talente können äußerst spontan beobachtet und entdeckt werden. Talente werden nach ihrem jeweiligen Ausmaß ihres Talents eingeordnet: Manche Menschen können großes Talent haben, es kann sich aber auch um Supertalente handeln. Der von mir skizzenhaft wiedergegebene Gebrauch des Talentbegriffes verweist auf dessen gesellschaftliche Bedeutung. Man kann dabei Merkmale erkennen, die es zu beachten gilt, wenn man sich den Talenten unserer Gesellschaft zuwenden möchte. Sprechen wir vom Talent, so haben wir von der Gegenwart zu sprechen. Doch das Talent verweist auf die Zukunft und auf die Verantwortung, die heute zugunsten des morgen zu übernehmen ist. Es verweist auch auf die Verantwortung der älteren zugunsten der jüngeren Generation. Diskussionen über die Talente im Sport müssen deshalb Diskussionen über Prozesse sein. Biographien müssen dabei in den Blickpunkt unserer Aufmerksamkeit geraten, aber auch Begriffe wie reifen und wachsen, sich entwickeln, eine Persönlichkeit werden, ein eigenes Ich sein, und Handlungsmuster wie üben, trainie­ren, langfristig denken, planen und handeln füllen das semantische Feld, wenn man der Komplexität des Phänomens des Talents gerecht werden möchte.

2.Zur gesellschaftlichen Bedeutung der Talentsuche und -förderung

Talente zu suchen, Talente zu finden, Talente zu fördern und Talente zu bewahren -dies ist ein äußerst modernes Problem, nicht zuletzt in Gesellschaften, die sich selbst als Wissens- und Informationsgesellschaft bezeichnen. Das Problem ist jedoch kein neues Problem. Es begleitet die Menschheitsgeschichte und wird anthropologisch durch den äußerst reizvollen Sachverhalt bedingt, dass es durch die Schöpfung Gottes möglich wurde, dass innerhalb des Spezies Mensch jedem Individuum eine eigene Originalität zukommt. Jeder Mensch hat auf diese Weise seine Stärken und Schwächen, Fähigkeiten und Fertigkeiten, ein Profil, das ihn einmalig macht. Man konnte schon immer beobachten, dass bezogen auf bestimmte Aufgaben es Men­schen gab, die problemlos diese Aufgaben lösen konnten und andere hingegen mit Schwierigkeiten konfrontiert waren. Gewiss hängt dies auch mit Fragen der Intelligenz zusammen und möglicherweise sind andere Einflüsse für den Zusammenhang noch beachtenswerter, über den hier nachgedacht werden soll. Wichtig scheint mir ledig­lich, dass wir erkennen, dass es schon immer Bemühungen gab, für bestimmte gesellschaftliche Aufgaben über eine gezielte Selektion jene auszuwählen, die zur Lösung dieser Aufgaben sich durch besondere Fähigkeiten und Fertigkeiten auszeichnen.

Dennoch ist es nicht dasselbe, wenn wir heute im Vergleich zu früheren Zeiten über Fragen des Talents diskutieren. Meines Erachtens hat es noch nie eine Gesell­schaftsform gegeben, die dringender auf die Lösung des Talentproblems angewie­sen war, als dies für unsere Gesellschaft der Fall ist. Im Zuge der funktionalen Ausdifferenzierung und der Modernisierungsprozesse, die in Industriegesellschaften im vergangenen Jahrhundert zu beobachten waren, kam es nicht nur zu einem Zuwachs an Teilsystemen und zu einer Spezialisierung, die sich auf die Abarbeitung von Problemen in diesen Gesellschaften bezieht. Mit diesen Prozessen der Ausdifferenzierung ging vielmehr auch ein Prozess der Ausdifferenzierung der menschlichen Kompetenzen einher, der es zunehmend schwieriger macht, über entsprechende Entscheidungsprozesse die richtigen Menschen mit den angemessenen Kompeten­zen zur Erfüllung der ihnen zugedachten Aufgaben auszuwählen. Nicht zuletzt deshalb wird in jüngster Zeit eine interessante Elitendiskussion geführt und nicht zuletzt deshalb besinnt man sich in allen Industriegesellschaften auf das Problem der Talentsuche und Talentbewahrung. Im System des Sports sind dabei die gleichen Sachverhalte zu beobachten wie in allen übrigen Teilsystemen unserer Gesellschaft. Auch der Sport hat sich zunehmend funktional differenziert. Was einstmals noch zusammen erfahren und ausgeübt werden konnte, muss heute getrennt bearbeitet werden. So war es beispielsweise in den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts noch möglich, gleichzeitig in der Handball- und in der Basketball-Nationalmannschaft zu spielen und drei Sportarten auf hohem Niveau nebeneinander zu betreiben. Sehr schnell ist jedoch eine Spezialisierung eingetreten, die es einem Athleten oft nur noch möglich macht, eine einzige Kunstfertigkeit auszuüben, die ihm jeden weiteren Zugang zum Sport verstellt und ihn gleichsam an eine Spezialkarriere in einer speziellen Teildisziplin bindet.

Die naheliegenden Gründe für die Talentfindung und Talentbewahrung im Sport sind die Sicherung zukünftiger sportlicher Erfolge und die Absicherung eines Gene­rationenvertrages in den Spitzensportverbänden. Das Problem hat aber längst auch eine ökonomische Relevanz. Für einen kommerziell betriebenen Hochleistungssport werden zurecht Input-Output-Kalkulationen angestrebt. Leistungssportkarrieren kosten Geld, sie sind finanziell riskant. Deshalb stellt sich die Frage, auf welcher Grundlage und zu welchem Zeitpunkt Investitionen in Athleten getätigt werden. Das Problem der Talentfindung ist also ohne Zweifel gesellschaftspolitisch bedeutsam, hat höchste sportpolitische Relevanz und bedarf dringend vernünftiger Lösungen.

Erinnern wir uns noch einmal an die eingangs von mir zitierten Äußerungen, so stellt sich uns das Problem der Talentsuche und Talentförderung auf eine relativ einfache Weise. Talente sind durch Beobachtung erkennbar und hat man sie erkannt, dann muss man sie fördern. Fördert man sie auf intensive Weise, so wird am Ende ein Erfolg wahrscheinlich. Leider zeigt uns die Praxis, dass die diesbezüglich vorherrschenden Probleme sehr viel komplexer sind. Menschen sind keine Roboter. Karrieren sind nur bedingt planbar. Manches Talent kann nicht frühzeitig erkannt werden und nicht wenige Talentprognosen haben sich im Nachhinein als falsch erwiesen. Hat ein Problem diese Qualität, so ruft man die Wissenschaft, die jedoch auch nur bedingt weiterhelfen kann. Über die Frage, was ein Talent ist, streiten sich Sportwissenschaftler schon mehrere Jahrzehnte, ohne dass ein Konsens erwartet werden könnte. Viele Test- und Prognoseverfahren werden auf dem Markt offeriert, befriedigende Lösungen sind dennoch nach wie vor in weiter Ferne.

Teilweise liegt dies daran, dass sich einige Wissenschaften in der Gefahr befinden, sich diesbezüglich selbst zu überschätzen. Es liegt vermutlich aber auch an den falschen Erwartungen, die an die Wissenschaftler herangetragen werden. Angesichts dieser Situation wäre es jedoch unangemessen und problematisch, wenn man den Ratschlag befolgen würde, den man so oft in Fachverbänden des Sports hören kann. „Vergesst die Wissenschaft, Erfahrung ist schon immer der beste Ratgeber, Talente erkennt man auf den ersten Blick“. Da das relevante Problem der Talentsuche, Talentfindung und Talentbewahrung nie vollständig und umfassend, sondern nur annähernd gelöst werden kann, benötigen wir systematisches Denken und systematisches Handeln, d.h. wir benötigen wissenschaftliche Beratung. Dies gilt für Spitzenverbände, dies gilt für den Deutschen Olympischen Sportbund, es gilt für jeden Hochleistungssport dieser Welt.

3. Ausgewählte Beispiele internationaler Talentsuche und -förderung

Will man auf dem Weg der Annäherung weiter vorankommen, muss man seinen Blick auf die eigenen Probleme richten. Nicht weniger bedeutsam könnte es jedoch sein, dass man auch den Blick über die eigenen Grenzen hinauswagt und bereit ist dazuzulernen und umgekehrt auch zulässt, dass in dieser globalen Welt andere von uns möglicherweise lernen können. Deshalb möchte ich im Folgenden einen Vergleich präsentieren. Verglichen werden dabei sechs Systeme des Hochleistungssports, wobei unser Interesse der Frage gilt, wie in diesen Systemen das Problem der Talentsuche, -findung und -bewahrung angegangen und einer Lösung zugeführt wird. An dieser Stelle kann dies nur ein sehr skizzenhafter Vergleich sein. Er soll Gemeinsamkeiten und Unterschiede deutlich machen, die in diesen sechs Systemen beobachtet werden können. Er soll aber vor allem eines deutlich machen: Für die zu diskutierenden Probleme gibt es nicht nur eine Lösung. Erkennen wir die funktionalen Äquivalenzen bezogen auf ganz bestimmte Probleme, so sehen wir, dass es auch für unsere Lösungswege Alternativen gibt. Ob es sich dabei um bessere Alternativen handelt, soll dem Werturteil der sportlichen Praxis überlassen sein.

3.1 Australien

Meine vergleichende Darstellung möchte ich mit Australien beginnen. Australien kann vielfältige Erfahrungen aufweisen, wie Talente gesucht und gefördert werden können. Das für uns interessanteste Programm wurde aus Anlass der Olympischen Spiele in Sydney im Jahr 1993 initiiert, nachdem das IOC die Olympischen Spiele im Jahr 2000 nach Sydney vergeben hatte. Das australische Talent Search Program war dabei das erste national koordinierte Programm seiner Art, um nach sportlichen Talenten in Australien zu suchen. Das Programm wurde vom Australian Institut of Sport in Canberra zentralistisch koordiniert. Ihm unterstellt waren fest angestellte Talent Search Programm State Coordinators. Diese Landeskoordinatoren leiteten das Programm selbstverantwortlich in den Bundesdistrikten. Abhängig von der Größe der Bundesdistrikte wurden Budgets für Reisen und Tests festgelegt. Das Programm umfasste alle australischen Schülerinnen und Schüler zwischen 14 und 16 Jahre, die im Jahr 2000 zwischen 20 und 22 Jahren sein würden. Man ging davon aus, dass nur 2% der getesteten Schüler zwischen 14 und 16 Jahren die Anforderungen für eine Förderung erfüllen würden. Diese 2% sollten dann die zukünftige Olympiamannschaft 2000 erfolgreich verstärken. Im Mittelpunkt dieses Talent Search Program standen die Sportarten Leichtathletik, Kanu, Radfahren, Rudern, Schwimmen, Triathlon, Wasserball und Gewichtheben. Mitte 1996 kamen noch Baseball, Softball und Volleyball dazu. Die Tests wurden in Zusammenarbeit mit den nationalen Fachverbänden, den Leitern der Trainingszentren und den Talent Search Koordinatoren entwickelt. Es wurde dabei vor allem das Hauptanforderungsprofil der Sportarten berücksichtigt. Das neue Testverfahren zeichnete sich durch eine Zweistufigkeit aus. In der ersten Stufe der Talentsichtung erfolgte die Sichtung der Talente in den Schulen. Die 14- bis 16jährigen Schüler aller High Schools in Australien wurden dabei mittels einfacher physischer und psychologischer Verfahren getestet. Auf der Grundlage dieser Testergebnisse wurden die ausgewählten Jugendlichen durch den Talent Search Koordinator nach entsprechenden Normtabellen den Sportarten zugewiesen. Da überraschend viele Jugendliche die Testnormen erfüllten, wurden statt der geplanten 2% nun 4-6% zu den sportartspezifischen Labortests eingeladen. Diese stellten die zweite Stufe des Talentsichtungsverfahrens dar. Ein wichtiges Bezugskriterium für diese speziellen Tests sind die anthroprometrischen Maße der besten 100 Sportler einer jeden Sportart. So wurden Richtmaße für jede Sportart definiert, die angehende Nachwuchssportler als Voraussetzung für eine Förderung erfüllen mussten. Sämtliche aus der Schulsichtung nominierten Jugendlichen mussten sich diesen sportartspezifischen Tests unterziehen. Entsprach die Leistung nicht den Anforderungen, so wurden den Sportlern nahegelegt, mehr zu trainieren, um das gesetzte Ziel zu erreichen, oder aber das Programm zu verlassen. Die besten Jugendlichen wurden dann dem Talentförderprogramm der jeweiligen Landessportinstitute zugeführt und für ein weiteres Jahr besonders gefördert.

Auf die sehr systematisch durchgeführte Talentsichtung und Talentauswahl folgte die nicht weniger systematisch durchgeführte Talentförderung. 964 talentierte Jugendliche wurden ab dem Jahr 1995 in ein Talent Development Program eingebunden und 1.113 Schülerinnen und Schüler erhielten 1996 die Möglichkeit, an einer dritten sportartspezifischen Testphase teilzunehmen. Diese Phase wurde von den nationalen Sportorganisationen und den Landessportinstituten organisiert. Die Teilnehmer trainierten auf der Grundlage individueller Trainingsprogramme, die auf ihre bisherige Trainingserfahrung und ihren Leistungsstand abgestimmt waren. Die Talentförderung Australiens war dabei sehr gezielt auf die Bedürfnisse der jeweiligen Sportart sowie auf die Bedürfnisse der Athletinnen und Athleten ausgerichtet. Hierbei kommt es zu einer intensiven Kooperation mit den Schulen. Zu beachten ist, dass in Australien keine Spezialschulen zugunsten des Hochleistungssports existieren. Die Kooperation zwischen den Schulen und dem Hochleistungssport muss in Australien auch nicht gesetzlich geregelt werden, da die Unterrichtung von Hochleistungssportlern für australische Schulen ein besonderes Prestige darstellt. Die Schulleitungen australischer Schulen sind somit jederzeit zur Kooperation mit den Fachverbänden bereit. Gesteuert werden diese Absprachen zwischen den Fachverbänden und den Schulen über ein sogenanntes National Athlete Career und Education Program, das haupt­amtlich von vier Mitarbeitern der Australian Sports Commission in Canberra geleitet wird. Im australischen System wird sehr viel Wert auf die schulische Ausbildung der Athleten gelegt. Hierzu gibt es äußerst spezifische Unterstützungsmaßnahmen. Mit­tels sogenannter Distance Education Programs wurden Open Learning Systems entwickelt, bei denen die Athleten mit Hilfe eines Laptops von jedem Ort der Welt mit ihrer Schule bzw. Universität kommunizieren können. In der Regel werden dabei keine Lehrer mit zu den Wettkämpfen geschickt. Neben diesen Programmen ist ferner die Junior Foundation zu erwähnen. Ihr Ziel ist es, junge Australier im Sport lang­fristig, sowohl finanziell als auch ideell, zu unterstützen. Diese Stiftung entspricht in etwa der Stiftung Deutsche Sporthilfe, allerdings werden über diese Stiftung nur Athleten im Alter von 14 bis 18 Jahren gefördert und die Athleten müssen unter den Top 10 der jeweiligen nationalen Ranglisten sein oder eine Position unter den besten 5 bei U16- oder U19-Wettkämpfen im Ausland vorweisen. Das australische System ist auch insofern beispielhaft, da die soziale Absicherung der Athleten ein wichtiges Anliegen des bereits erwähnten Athletic Career und Education Program ist. Die finanziellen Hilfestellungen werden nicht nur im Bereich der Ausbildung geleistet, die Athleten werden vor allem auch bei der Arbeitsplatzsuche unterstützt und sie werden geschult, um sich öffentlich kompetent zu präsentieren. Ein sogenanntes Personal Management Program ermöglicht es dem Athleten, sich im Zeitmanagement einzu­üben, über ein Olympic Job Opportunity Program werden für die Athleten geeignete offene Stellen gesucht und Athleten werden unterstützt, Absprachen mit ihren Arbeit­gebern zu treffen, wenn es darum geht, sich auf wichtige Wettkämpfe vorzubereiten. Über dieses Programm werden derzeit 300 Athleten unterstützt.

3.2 Großbritannien

Als Modell der Talentsuche und -förderung ist seit einigen Jahren auch Großbritannien von Interesse. Unter der Regierung von Tony Blair im Jahr 1997 wurde eine National Strategy for Sport ins Leben gerufen mit dem Ziel, die sportlichen Leistungen auf allen Ebenen zu verbessern. Hierzu gehörte auch eine Veränderung des Schul- und Jugendsports sowie Maßnahmen zur Förderung des leistungssportlichen Nachwuchses. Die verschiedenen Programme und Initiativen, die seither an den britischen Schulen umgesetzt und durch Regierungs- und Lotteriegelder finanziert wurden, sind unter dem Hauptprogramm Active Schools zusammengefasst, deren Qualitätssiegel die Activemark und Sportsmark Awards sind. Um einen Award zu erhalten, müssen die Schulen einen exzellenten Standard des Sportunterrichts, ein überdurchschnittliches außerunterrichtliches Sportangebot und ein Netzwerk zwischen Schule, Gemeinde und Sportvereinen vorweisen. Diese Awards sind für insgesamt drei Jahre gültig, anschließend kann sich die Schule erneut um einen Award bewerben. Zusätzlich zu diesen Qualitätssiegeln wurde eine Reihe weiterer Programme initiiert.

Coaching for Teacher ist eine spezifische einwöchige Trainerausbildung für Sportlehrer, die durch Sport England finanziert und durch Sports Coach UK koordiniert wird. In insgesamt 17 Sportarten erfolgt eine qualitativ hochwertige Aus- und Weiterbil­dung von Lehrern der primary und secondary schools, die in außerunterrichtlichen Sportangeboten der Schulen engagiert sind,

Beim Sporting Champions Program besuchen Sportstars und Sportfunktionäre Schulen, Jugendorganisationen und Sportvereine und werben für den Sport. Jährlich nehmen mehr als 200 Sportler an diesem Programm teil und führen über 50 Besuche an Schulen durch.

Das School Sports Coordinators Program hat das Ziel, ein Netzwerk zwischen primary und secondary schools, Gemeinden, Sportvereinen und Sportfachverbänden aufzubauen, um somit Kindern und Jugendlichen neue Möglichkeiten des Sporttreibens zu ermöglichen. Zu diesem Zweck werden sogenannte „Schulfamilien“ gegrün­det, die sich aus einem Development Manager der lokalen Schulbehörde, den School Sport Co-ordinators der secondary schools und den Primary Link Teachers der primary schools zusammensetzen. Die engagierten Lehrer werden bis zu zwei Tagen in der Woche freigestellt, um einen Sportentwicklungsplan für ihre Schule zu erstellen, Kooperationen mit lokalen Sportvereinen einzugehen, Trainerausbildungen für ältere Schüler zu organisieren, ein Wettkampfprogramm für die Schule zu ent­wickeln sowie die Inhalte des Sportunterrichts und die außerunterrichtlichen Sportangebote zu überarbeiten. Der immense finanzielle Aufwand – z.B. erhielt in England eine sogenannte „Schulfamilie“ 75.000 Pfund pro Jahr für drei Jahre, um den Lehrerausfall zu decken – macht sich bezahlt. Im Jahr 2002 existierten in England bereits 33 Schulfamilien mit 145 School Sport Co-ordinators, im Jahr 2003 waren es 250 Schulfamilien mit 1.000 School Sport Co-ordinators.

Sportsmatch ist ein Programm für Nachwuchssportler des Department for Culture, Media and Sport. Es stellt einen spezifischen Anreiz für Sponsoren aus der Wirtschaft dar, denn als Anerkennung für deren Spende an ein Projekt bekommt die entsprechende Non-Profitorganisation wie z.B. Schulen oder Sportvereine genau den­selben Betrag von Sportsmatch. Bis 2005 wurden 23 Millionen Pfund auf 3.000 Projekte in 72 Sportarten verteilt. Insgesamt waren 2.700 Firmen beteiligt.

Seit 1997 können sich auch alle secondary schools in England – d.h. weiterführende Schulen – beim Department for Education and Employment (DfEE) um den Status einer specialist school bewerben. Diese Spezialschulen existieren in England mit vier verschiedenen Schwerpunkten: Technologie, Fremdsprachen, Kunst und Sport. Die sogenannten Sport Colleges haben hierbei vor allem das Ziel, Talente zu fördern und Nachwuchssportler gezielt zu unterstützen. Die Schüler und Schülerinnen der Sports Colleges, die im Alter zwischen 11 und 18 Jahren sind, erhalten im Durchschnitt bis zu 10 Stunden pro Woche mehr Sport- und Trainingsstunden, Stipendien, Unterricht in Kleingruppen, Nachhilfeunterricht sowie Informationen über sportbezogene Berufe und deren Ausbildungswege. Ferner wird Geld in Um- und Neubau von Sportstätten, in den Kauf spezifischer Sportausrüstung, in die Einstellung qualifizierter und sportartspezifischer Lehrkräfte und in die Fortbildung von Lehrern investiert. Die Sport Colleges werden dabei über eine Mischfinanzierung unterstützt. Das Department for Education and Employment unterstützt die Sports Colleges zu Beginn mit einer Anfangsfinanzierung von 100.000 Pfund, sofern diese nachweislich von Sponsoren aus der freien Wirtschaft 50.000 Pfund erhalten. Anschließend zahlt das DfEE drei Jahre lang für jeden Schüler dieser Schulen 123 Pfund, sofern es die Summe von 123.000 Pfund nicht überschreitet. Nach den ersten vier Jahren kann sich die Schule erneut um den Status bewerben, der dann für weitere drei Jahre vergeben wird. Dar­über hinaus steht es den Sports Colleges offen, sich um weitere Unterstützung bei ausgeschriebenen Projekten und Programmen zu bewerben, z.B. beim National Lottery Fund. Im Jahr 1997 erhielten 11 secondary schools den Status eines Sports Colleges. Im Jahr 2004 waren es bereits 150 Sports Colleges.

Aber auch die britischen Fachverbände sind intensiv in die Talentsuche und -förderung junger Athleten involviert. So kann beispielsweise der Britische Leichtathletik-Verband UK Athletics ein ausdifferenziertes Talentidentifikations- und -födersystem aufweisen – das sogenannte TID-Programm. Das TID-Programm sucht hierbei gezielt nach talentierten Athleten in ausgewählten Städten, im Umfeld aus­gewiesener Trainer und in Hochleistungssportzentren. Um das Programm erfolgreich umzusetzen, wurde darüber hinaus ein Netzwerk an „Talentsuchern“ bei Schul- und Jugendwettkämpfen geschaffen sowie eine regelmäßige Überwachung der Ergeb­nisse von Schul- und Jugendwettkämpfen durchgeführt.

Im Prozess der Talentsuche und Talentförderung lassen sich dabei verschiedene Stufen feststellen. Zu Beginn werden talentierte junge Sportler eingeladen, um an dem sogenannten sports specific testing day teilzunehmen. Die Auswahl dieser Jugendlichen geschieht hierbei über drei verschiedene Verfahren:

Zunächst werden Schulen in der Nähe von High Performance Centres, Coaching Centres of Excellence, Trainiergemeinschaften und ausgewählten Städten identifi­ziert. Diese Schulen werden durch den Regional Performance Manager (RPM) kon­taktiert. Nach dieser ersten Kontaktaufnahme werden die für das TID-Programm ausgewählten Schulen durch ein TID-Test-Team besucht, um die Stufe eins des Programms durchzuführen. Dieser Schultest basiert auf einer Serie von Tests: Größe, Körpermaße, Spannweite der Arme, Hochsprünge, 40m-Sprint und Pendel­lauf. Nach der Eingabe der Testergebnisse in ein spezifisches Computer-Programm werden diejenigen Jungen und Mädchen identifiziert, die am sogenannten sport specific testing day in der Nähe ihrer Schule teilnehmen dürfen.

Zweitens werden die Ergebnisse von Schul- und Jugendwettkämpfen durch die Regional Performance Manager ausgewertet und entsprechende Athleten für den sports specific testing day ausgewählt.

Drittens werden die Athleten durch Talentsucher entdeckt. Der Regional Performance Manager kann auf eine Reihe von Talentsuchern zurückgreifen, wie z.B. Lehrer, Vereinsmitglieder, ehemalige Athleten und Trainer. Diese Athleten werden ebenfalls zum sports specific testing day eingeladen.

Die sports specific testing days werden jedes Jahr von April bis Mai durchgeführt. Die Tests umfassen hierbei die Überprüfung verschiedener anthropometischer Maße (z.B. Größe, Spannweite der Arme) sowie spezifische sportmotorische Tests und einen mehrstufigen Fitnesstest. Die Testergebnisse der Athleten werden mit den festgelegten Richtnormen verglichen. Diejenigen, die diese Normen erreichen, werden eingeladen, den regionalen Talentkadern (Regional Talent Squad – RTS) beizutre­ten. Die übrigen Athleten werden in Kontakt mit dem sogenannten club feeder program gebracht, welches parallel zum RTS existiert. Die Förderung dieser Athleten erfolgt in einer ähnlichen Richtung, basiert jedoch auf dem lokalen Vereinssystem.

Zusätzlich zu dem Testtermin im Frühjahr findet im Herbst ein weiterer Testtag zur Leistungsüberprüfung statt. Die Athleten werden somit am Ende der Saison vom Regional Performance Manager und dem Trainer, der die Saison über mit den Athleten gearbeitet hat, erneut sportartspezifisch überprüft. Anhand dieser zusätzlichen Ergebnisse entscheiden der Regional Performance Manager und der Trainer, ob der Athlet im TID-Programm verbleibt bzw. in dieses aufgenommen wird oder ob er ins feeder club system wechseln muss.

In Großbritannien gibt es grundsätzlich zwei Möglichkeiten, als Athlet eine finanzielle Unterstützung und somit eine soziale Absicherung zu erhalten: die individuelle För­derung des National Lottery Sports Fund – den sogenannten Subsistence Award -sowie die Unterstützung durch SportsAid.

Die Fachverbände können einzelne Sportler für eine direkte Unterstützung durch das Subsistence Programm des UK World Class Performance Programme vorschlagen. Voraussetzungen für eine individuelle Förderung sind entsprechende Leistungen bei internationalen Sportgroßereignissen sowie festgelegte Platzierungen auf den internationalen Bestenlisten. Athleten, denen keine finanzielle Förderung durch UK Sport zukommt, haben die Möglichkeit, finanzielle Unterstützung über die Home Countries zu erhalten. So hat beispielsweise Sport England seit dem 1. Januar 2000 eine spe­zielle Förderung für talentierte Athleten eingeführt, die das Potential besitzen, Medaillen in den kommenden 10 Jahren zu gewinnen.

SportsAid ist hingegen eine Wohltätigkeitsorganisation, die gezielt Nachwuchssport­ler im United Kingdom unterstützt. Als sie 1975 gegründet wurde, war es die einzige Möglichkeit für Athleten, finanzielle Unterstützung zu erhalten. Jetzt versucht SportsAid die Lücke zwischen den Spitzensportlern, die durch das World Class Performance Programme des Lottery Funds unterstützt werden, und den teilweise unbekannten Nachwuchssportlern (12-18 Jahre) zu schließen. 80% aller britischen Olympiateilnehmer werden oder wurden von SportsAid gefördert. SportsAid finanziert sich durch Spendengelder und organisiert daher verschiedenste Veranstaltungen, z.B. den Sports Ball. Aber auch Projekte mit Investoren aus der freien Wirtschaft, wie z.B. das Barclaycard Team, werden durchgeführt. So wurden z.B. 100 potentielle Olympia- und Paralympics-Teilnehmer vier Jahre lang auf die Spiele in Sydney von Barclays und SportsAid unterstützt. 2005 wurden ca. 2.000 Sportler und Sportlerinnen durch SportsAid unterstützt.

3.3 Frankreich

Auch in Frankreich haben eine systematische Talentsuche und -förderung, eine Differenzierung nach Leistungskadern und eine systematische finanzielle Unterstüt­zung der Hochleistungssportler eine lange Tradition. Seit 1979 gibt es z.B. ein schu­lisches Auslese- und Sichtungsverfahren (Brevet d’aptitude physique (BAP)), das aus sportmotorischen Tests und entwicklungsbiologischen Prognosen besteht, mit­tels dem junge Talente selektiert werden sollen. Darüber hinaus verfügt Frankreich über ein ausgeprägtes schulisches Wettkampfsystem, bei dem die schulischen Wett­kämpfe als Beobachtungsort für Talente genutzt werden. Anders als in den meisten anderen Leistungssportnationen ist der Status des Athleten im französischen System klar definiert. Frankreich dürfte wohl das einzige Land in der Welt sein, in dem der Status des Hochleistungsathleten per Gesetz geregelt ist. Mit demselben Gesetz regelt auch der Staat, unter welchen Bedingungen ein Fachverband ein Hochleistungssport-Fachverband sein kann. Das Gesetz hat den Charakter einer Eingangskontrolle. In ihm wird definiert, was ein junger Mensch zu erfüllen hat, wenn er vom Staat als Hochleistungssportler anerkannt wird. Hat er diese Anerkennung, so hat er aber auch die Rechte, alle staatlichen Institutionen zugunsten des Hochleistungs­sports für sich in Anspruch zu nehmen. Athleten, die den Status eines sportif de haut niveau erreicht haben, wird somit eine staatliche Garantieabsicherung gewährt. Hochleistungssportler gehören zur Elite der französischen Gesellschaft, werden als solche betrachtet und anerkannt. Dies hängt mit der sehr direkten staatlichen Steue­rung des Hochleistungssportsystems zusammen, wobei dem Ministerium für Sport eine herausragende Bedeutung zukommt. Finanziell werden die französischen Hochleistungssportler sowohl von ihrem Nationalen Olympischen Komitee als auch über das Ministerium bzw. die Fachverbände unterstützt. Sie können einmalige Zuwendungen, in Abhängigkeit von ihren sportlichen Erfolgen erhalten, es gibt aber auch regelmäßige finanzielle Zuwendungen sowie Ausbildungs-, Arbeits- und Studienplätze mit besonderen Konditionen. Neben diesen Hilfen können Athleten auch Hilfen zur Unternehmensgründung (prêts aux sportifs créateurs d’entreprise) in Anspruch nehmen. Diese Gelder sind allerdings in einem Zeitraum von bis zu vier Jahren wieder zurück zu zahlen und werden mit 1% verzinst.

Eine weitere Besonderheit des französischen Systems sind die besonderen institu­tionellen Vorkehrungen zur sozialen Absicherung der Athleten. So gibt es am zen­tralen Institut in Paris ein Centre de Soutien permanent, es ist das Zentrum dauer­hafter Unterstützung, das den Athleten individuelle Hilfen offeriert. Daneben existiert u.a. der Parcours individualisé de Formation, der die individuelle Ausbildung der Athleten steuert. In der Unité Formation Professionnelle Continue Sportif geht es um die weiterführende sportbezogene Ausbildung und die Unité de Langues Étrangères vermittelt den Athleten Fremdsprachenkenntnisse.

Die Kadergliederung in Frankreich ist vergleichbar mit den bereits vorgestellten Kadersystemen ihrer Konkurrenten. An der Spitze steht die sogenannte Elite, dieser Kategorie gehören die Finalisten bei Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen bzw. Europamei­sterschaften an. In der zweiten Gruppe befinden sich die sogenannten Seniors. Es handelt sich um die Mitglieder von Nationalmannschaften, die bei internationalen Wettkämpfen Frankreich vertreten. Die dritte Gruppe umfasst die sogenannten Jeunes. Hierbei handelt es sich um talentierte jugendliche Hochleistungssportler. Schließlich gibt es eine vierte Gruppe, Reconversion genannt. Es handelt sich dabei um jene Athleten, die am Ende ihrer Karriere stehen und mindestens vier Jahre zur Gruppe der Seniors oder Elite gehörten. Hier ist man bemüht, ihnen den Einstieg in ein Berufsleben nach ihrer leistungssportlichen Karriere zu erleichtern und sie hierbei zu unterstützen. Eine weitere wichtige Gruppe stellen die sogenannten Espoirs dar. Es handelt sich dabei um jene Athleten, die noch nicht als Leistungssportler einge­stuft werden, die sich aber auf dem Weg zu einem Leistungskader befinden. Insgesamt waren im Jahr 2000 ca. 5.900 Athleten als staatlich lizenzierte Athleten registriert. Die sonst übliche starke pyramidale Gliederung findet man allerdings in der Kadergliederung in Frankreich nur bedingt, denn 912 Athleten gehörten der Gruppe der Elite an, 2.218 waren „Senioren“ und 2.571 hatten den Status der Jeunes. In der Kategorie Reconversion wurden zu diesem Zeitpunkt 154 Sportler geführt. Sind die Talente einmal mittels des genannten Auswahlverfahrens entdeckt, so werden sie in sogenannten Pôles, vergleichbar mit unseren Leistungszentren, trainiert. Dabei gibt es zwei verschiedene Gruppen von Trainingszentren, einmal die Pôles France für die Nationalmannschaften und die Pôle Espoirs, überregional ausgerichtete Trainings­zentren, in denen vor allem die Sportler der Kategorien Jeune und Espoir mit dem Ziel trainieren, zukünftig in den Pole France aufgenommen zu werden. Die Einrich­tung der Pôles erfolgt durch das Ministerium auf Vorschlag der Fachverbände. In Frankreich gab es im Jahr 2000 410 Pôles, davon waren insgesamt 140 Pôles France und 270 Pôles Espoir. In der Hauptstadt Paris sind am nationalen Sportinstitut (Institute National du Sport et d‘ l‘Education Physique – INSEP) mehr als 20 verschiedene Pôles zu dem zentralen Trainingszentrum Frankreichs zusammengefasst.

Vermutlich gibt es kaum ein Hochleistungssportsystem in der Welt, in dem die soziale Absicherung so formalisiert gesteuert wird, wie dies in Frankreich der Fall ist. Dies wurde bereits mit der Kadergruppe Reconversion angedeutet und zeigt sich sehr viel deutlicher darin, dass es an jedem der genannten 410 Pôles schulische Einrichtungen zur Betreuung der ausgewählten Talente gibt. Darüber hinaus existieren schuleigene Sportvereine, die für den außerunterrichtlichen Sport verantwortlich zeichnen und sich in Schulsport-Verbänden organisiert haben. Sie haben ein eigenes Wettkampfsystem aufgebaut, das den einzigen schulfreien Mittwochnachmittag für sich nutzt. Die Sportlehrer sind verpflichtet, sich im Rahmen ihres Deputats drei Stunden in der Woche für den außerunterrichtlichen Sport einzusetzen. Ähnlich stellt sich die Situation an den Universitäten dar. Hier ist der Donnerstagnachmittag für den Wettkampfsport freigehalten, er wird über die Federation Nationale du Sport Universitaire (FNSU) organisiert. Insgesamt haben die Schüler in Frankreich sehr viel mehr Sportunterricht als in Deutschland, in den Sekundärschulen sind für die sech­sten Klassen z.B. vier Grundstunden Sport als Pflichtstunden vorgesehen. Alle ande­ren Klassenstufen haben drei Stunden Sport pro Woche, darüber hinaus den außer­unterrichtlichen Sport als ständiges Angebot. Schüler und Studenten, die den Status eines Hochleistungssportlers haben, erhalten während ihrer schulischen bzw. univer­sitären Ausbildung besondere Vergünstigungen. So können Leistungssportler, die ihr Abitur machen, ihre Noten konservieren, ihnen werden u.U. spezielle Termine für ihre Prüfungen offeriert und sie haben für zahlreiche weiterbildende Lehranstalten erleichterte Zugangsbedingungen. Einige Hochschulen reservieren eine bestimmte Anzahl von Plätzen für Leistungssportler.

3.4 USA

Ein Vereinswesen, wie es in Teilen Europas für die Ausübung des Wettkampfsports üblich ist, ist in den USA nur sehr vereinzelt anzutreffen und für den Hochleistungs­sport nahezu bedeutungslos. Die kommerziellen sports clubs werden eher von vermögenden Amerikanern zur Ausübung von Gesundheits- und Freizeitsport genutzt. Die tragenden Säulen des amerikanischen Hochleistungssports sind deshalb vor allem die Schulen und die Universitäten und darüber hinaus die Ligen des Profisports. Der Schulsport ist dabei der bedeutsame Ort, an dem die Talente gesucht werden. Herausragende sportliche Leistungen von Schülerinnen und Schülern oder von Studentinnen und Studenten erregen dabei die Aufmerksamkeit von Trainern und sogenannten scouts, die dann dafür sorgen, dass die talentierten Nachwuchsathleten in die entsprechenden Schul- bzw. Hochschulmannschaften aufgenommen und somit in ein regelmäßiges Training integriert werden. Anders als in den meisten Sportnationen verlässt man sich bei dieser Talentsuche nicht auf wissenschaftlich begründete Tests. Grundlage für die Auswahl bildet vielmehr die Beobachtung vor Ort und die Auswertung der Wettkampfergebnisse. Die Athleten werden aufgrund ihrer Leistung und ihrer Wettkampfergebnisse identifiziert und daraufhin gezielt gefördert. Die Talentfindung und -förderung wird dabei von verschiedenen Programmen in Abhängigkeit von den unterschiedlichen Ansprüchen in den Sportarten begleitet. Der amerikanische Schwimmverband verfolgt bspw. seit vielen Jahren mit seinem USA Swimming Camp-Program eine systematische Talentsuche und -förderung. Local Swimming-Committees nehmen dabei die erste Selektion guter Schwimmer vor, delegieren diese wiederum an die regionalen Camps, die schließlich in dem nationalen Junior-Team-Camp und dem nationalen Team-Camp münden. Darüber hinaus wird ein Olympia-Trainingscamp in Colorado Springs durchgeführt. Die Teilnehmer müssen dabei der Altersklasse 13-18 Jahre angehören, die Heimtrainer der Talente dürfen zu diesen Camps mit anreisen und erhalten Aufwandsentschädigungen. Im Mittelpunkt des Camps steht die Ausbildung der Athleten sowie deren Trainer, die Auswahl der Athleten für die Nationalmannschaft wird vor Ort vom Camp-Direktor und von den Trainern getroffen. USA Swimming verfügt darüber hin­aus über das sogenannte Gold Medal Clinics-Program. Dieses Programm zielt darauf ab, dass ehemalige Spitzensportler in die lokalen Swimming Camps entsendet werden, um dort clinics abzuhalten und Talente zu fördern. Das Olympische Komitee der Vereinigten Staaten unterhält zahlreiche Grass-Root-Programme, die jedoch vorwiegend der allgemeinen Motivierung von Kindern und Jugendlichen zum Sport­treiben dienen. Zu diesen Programmen zählen Champions in Life, FLAME (Finding Leaders among Minorities everywhere) und Citizenship through Sports Alliance (CTSA). Innerhalb des Olympischen Komitees gibt es die Abteilung Athlete Development Division, die sich speziell mit der Förderung von Nachwuchsathleten beschäftigt. Diese division arbeitet eng mit den nationalen Fachverbänden zusam­men und entwickelt high quality inter-mediate sports programs für talentierte Jugend­liche, um deren Potential in den olympischen Sportarten optimal auszuschöpfen. Die Athlete Development Division fungiert aber auch als Bindeglied mit den community based sports organizations. Dabei verfolgt sie speziell das Ziel, die dort angesiedel­ten Talente zu entdecken und den Förderprogrammen der Fachverbände zuzufüh­ren. Im Jahr 1996 wurde das sogenannte Community Olympic Development Program entwickelt, das sich vor allem um die jüngeren Athleten kümmert, die Perspektiven zum sogenannten Elite-Level aufweisen. San Antonio in Texas, Minneapolis, St. Paul in Minnesota, Salt Lake City in Utah und Atlanta in Georgia wurden als erste Stand­orte für das neuartige Programm ausgewählt, da dort die geeigneten Infrastrukturen bereits vorhanden waren. Dieses Programm wurde mittlerweile auf weitere Gemeinden ausgedehnt und das Angebot der Sportarten wurde erweitert.

Die Struktur der amerikanischen Talentförderung ist ganz wesentlich durch ein rigides Selektionssystem mittels sogenannter Trials geprägt, wobei die Wettkämpfe entscheiden, ob ein Athlet die nächsthöhere Etappe in seiner Karriere erreichen kann. Die Chancen der Schüler und Studenten, ihre Sportkarrieren erfolgreich zu gestalten, sind dabei äußerst gering. Von 10.000 High-School-Athleten im Basketball werden durchschnittlich nur drei Athleten in ein professionelles Team übernommen, die Quote der College-Studenten im Basketball liegt bei 2:100, im Football stehen die Chancen auf eine professionelle Karriere für High-School-Athleten bei 1:1.000 und am College bei 3:100. Diese rigide Selektion wird auch in der Kaderstruktur des Leichtathletikverbandes sichtbar, die ähnlich wie in allen übrigen Leistungssportna­tionen eine Fünfstufigkeit aufweist. Im Young-Kader sind die Athleten im Alter zwischen 6 und 14 Jahren organisiert, ihm folgt der Junior-Kader für die Alters­gruppe der 15- bis 19jährigen, die Mitglieder des Collegiate-Kaders sind zwischen 17 und 24 Jahre alt und besuchen ein College. Die Athleten des Post Collegiate-Kaders haben das College bereits abgeschlossen und sind zwischen 22 und 28 Jahren alt. Ferner werden Athleten, die potentielle Olympiateilnehmer sind, in den Olympic Caliber-Kader aufgenommen. An internationalen Ereignissen dürfen jeweils nur die Besten teilnehmen. Grundlage hierfür ist das bereits erwähnte Trial-System. Jeweils die besten zwei Athleten der Youth- und der Junior-Gruppe dürfen an den jeweiligen Altersweltmeisterschaften teilnehmen.

Athleten der Collegiate-Kader dürfen, sofern sie die Kriterien des Olympischen Komitees erfüllen, an den World University Games teilnehmen. Die Athleten, die den speziellen Kadergruppen zugehören, erhalten von den Verbänden intensive Unterstützung. Diese Unterstützung ist finanzieller, medizinischer und wissenschaftlicher Natur. Darüber hinaus werden die Athleten zu speziellen Fördermaßnahmen eingeladen. Das Olympische Komitee stellt darüber hinaus Stipendien und finanzielle Zuschüsse bereit. Das finanzielle Volumen erreicht dabei eine Größenordnung von 145 Mio. US-Dollar pro Jahr. Auffällig ist jedoch, dass in diesem Förderprogramm spezielle Schulen, wie sie in anderen Leistungssportnationen normal geworden sind, keine Rolle spielen. Vielmehr ist das amerikanische System in erster Linie durch die Quantität der Wettkämpfe und durch die dadurch mögliche Wettkampfselektion geprägt.

Während einer leistungssportlichen Karriere erhalten die amerikanischen Athletinnen und Athleten eine intensive Betreuung an ihren Universitäten. Außerdem werden die Leistungssportler beim Eintritt in die berufliche Karriere unterstützt. Dies gelingt insofern sehr viel leichter als in anderen Sportnationen, da in der amerikanischen Gesellschaft Sportler ein hohes Ansehen genießen und daher auch bevorzugt ange­stellt werden. Darüber hinaus gibt es ein finanziell gut ausgestattetes Belohnungssystem für erfolgreiche Athleten. Bei Olympischen Spielen erhalten die Athleten bei entsprechenden Erfolgen Belohnungen aus dem Operation Gold Program des Olym­pischen Komitees, nach der Karriere erhalten ehemalige Olympiateilnehmer, die nicht am College-System teilgenommen haben, Zuschüsse zur Durchführung eines zweiten Bildungsweges. Athleten, die im College-System integriert waren, erhalten Studienplätze und Stipendien durch die NCAA. Für die Division I, der 294 Colleges angehören, gibt es pro College 30 Stipendien pro Jahr, 18 für Männer und 12 für Frauen. Jedes Stipendium ist etwa 30.000 US $ wert, so dass in diesen Institutionen jeweils etwa 750.000 US $ pro Jahr zur Verfügung stehen. Darüber hinaus erhalten die erfolgreichen Athleten Zuschüsse über ihre nationalen Verbände. So bezahlt bspw. USA Track and Field den Athleten, die den Top Ten der Welt angehören, 7.000 US $ finanzielle Unterstützung, außerdem erhält der Athlet 1.500 US $ für die Bezahlung, seines Trainers und weitere 1.500 US $ für die Finanzierung medizinischer und rehabilitativer Maßnahmen. Eine prinzipielle Altersabsicherung ist im amerika­nischen System jedoch unbekannt. Hier wird grundsätzlich die Selbstverantwortung des Athleten erwartet, deshalb hat er auch die Risiken überwiegend selbst zu tragen, die ihm bei seinem Engagement im amerikanischen Hochleistungssport begegnen.

3.5 Russland

Anders, als es z.B. in den Vereinigten Staaten üblich ist, beruht das Talentsuchprogramm der Russischen Republik auf einem wissenschaftlich fundierten Findungskonzept. Dabei geht man davon aus, dass die Wissenschaften sehr genau ein Talent für eine bestimmte Sportart und somit für bestimmte Fähigkeiten in dieser Sportart im Voraus bestimmen können. Die wissenschaftliche Talentsuche basiert dabei auf drei Pfeilern. Zum Ersten wird das Wissen über die notwendigen Grundvoraussetzungen für eine bestimmte Sportart und deren spezifischer Charakter festgelegt. Zum Zwei­ten basieren die Auswahlkriterien auf wissenschaftlichen Untersuchungen, die wiederum sportartspezifisch angelegt sind. Zum Dritten kommen standardisierte diagnostische Tests zum Einsatz und es wird auf erprobte und vielfach angewandte Prozeduren der Auswahl von Talenten zurückgegriffen. Die Auswahl der Talente wird dann auf der Grundlage der Tests vorgenommen, dabei wird vor allem das biologische Alter der Athletinnen und Athleten beachtet. Anthropometrische Messungen sind ebenfalls bedeutsam, es werden aber auch die persönlichen und psychischen Charakteristika der Athletinnen und Athleten erfasst.

Die Talentfindung erfolgt in Russland wie in allen Hochleistungssportsystemen der Welt vorrangig im öffentlichen Schulwesen. Die Sichtung selbst wird durch erfahrene Trainer und Lehrer durchgeführt. Sie erfolgt vorrangig auf lokaler und regionaler Ebene. Wie in keinem anderen Land der Welt wird nach der Sichtung ein systemati­sches Fördersystem für die talentierten Kinder und Jugendlichen über das staatliche Schulwesen bereitgestellt. Besonders ausgeprägt ist dabei die Struktur der Spezialschulen zugunsten des Hochleistungssports. Dabei werden verschiedene Typen von Schulen unterschieden. So gibt es an der Basis die sogenannten Kinder- und Jugendsportschulen. 2002 existierten ca. 4.500 Schulen dieser Art in Russland. Auf der nächsthöheren Ebene gibt es die speziellen Kinder- und Jugendsportschulen der sogenannten olympischen Reserve. Diesen Schulen folgen die höheren Leistungs­sportschulen, die sich vor allem auf die olympischen Sportarten konzentrieren. In diesen Schulen wird das Training auf die schulischen Lernprozesse abgestimmt, so dass den Athletinnen und Athleten ein intensives Training ermöglicht wird. Seit dem Jahr 2001 nach langen Phasen der Stagnation und des Rückgangs gab es zum ersten Mal wieder anwachsende Zahlen bezogen auf die Kinder- und Jugendsportschule. Wie in allen Leistungssportsystemen werden die geförderten Athletinnen und Athleten verschiedenen Kadern zugeordnet. Die unterste Stufe ist die Stufe der beginnenden Spezialisierung, man kann sie auch als Anfängerstufe bezeichnen. Ihr folgt eine vertiefte Spezialisierung, danach kommt die sportliche Vervollkommnung. Bezogen auf die zu erreichenden Titel wird der Internationale Meister des Sports, vom Meister des Sports, vom Meisterkandidat und von anderen Klassifikationen der Jugendklassen und der Kinderklassen unterschieden. Diese Zuordnung ist von Sportart zu Sportart unterschiedlich, dies gilt auch für die entsprechenden Altersklas­sen. Die Förderung findet periodisiert statt: die technische Grundlagenausbildung dauert ca. zwei bis fünf Jahre, ihr folgt die sportliche Vervollkommnung, für die im Durchschnitt drei Jahre geplant sind. Im Anschluss daran setzt die Periode des höchsten sportlichen Könnens ein, die wiederum drei bis fünf Jahre andauern kann. Während ihrer Karriere erhalten die Athletinnen und Athleten eine intensive Förderung, die vor allem sportfachlicher Natur ist. Es gibt auch finanzielle Hilfen und darüber hinaus bietet das russische Leistungsportsystem den Athletinnen und Athleten ein durchdachtes Belohnungssystem. In den Sportarten werden die Athletinnen und Athleten in Abhängigkeit zu ihren internationalen Erfolgen den Nationalkadern zugeordnet. Derzeit kann davon ausgegangen werden, dass im besten Kader, d.h., jenen Athleten, die den besten sechs der Welt angehören, ca. 1.800 Athletinnen und Ath­leten vertreten sind. Dem Juniorenkader bis zum Alter von 23 Jahren gehören ca. 2.400 Athletinnen und Athleten an, hingegen sind in den Jugendnationalmannschaften sehr viel weniger Athletinnen und Athleten organisiert. Am geringsten ausgeprägt ist die soziale Absicherung der Athleten im derzeitigen russischen System, wobei sich allerdings nach wie vor die traditionellen Strukturen des ehemaligen Sowjetsystems positiv auswirken. So gibt es Möglichkeiten für Athleten, nach ihrer Karriere eine Laufbahn bei der Polizei oder dem Militär anzustreben oder über ergänzende Bildungsqualifikationen den Beruf des Trainers zu erreichen.

3.6 China

Das System der Talentsuche und Talentförderung in der Volksrepublik China weist große Ähnlichkeiten zu dem der ehemaligen Sowjetunion auf. Die Talentsuche basiert vorrangig auf einer systematischen Beobachtung von Wettkämpfen. Trainer und Lehrer haben dabei den Auftrag, Kinder und Jugendliche auf der Grundlage vorgegebener Beobachtungskriterien bei Wettkämpfen zu beobachten. Darüber hinaus kommt ein Testprogramm zum Einsatz, das von den mehr als 100 Sporthochschulen Chinas entwickelt wurde und bei dem die physische, technische und psychische Leistungsfähigkeit der Sportler im Mittelpunkt steht, um zukünftig aussichtsreiche Sportler zu finden. Die Tests werden sehr stark sportartenspezifisch ausgerichtet. Wurden Talente auf diese Weise entdeckt, so werden sie in ein Kader-Fördersystem eingegliedert, das sich ebenfalls durch eine vergleichbare Hierarchie auszeichnet, wie sie im System der Sowjetunion angetroffen werden konnte. Dieses Kadersystem ist auf das Engste an ein System von Spezialschulen zugunsten des Hochleistungssports gebunden. Das Schulwesen ist somit fester Bestandteil des Talentfördersystems. Dabei werden die Spezialschulen nicht dem Erziehungssystem, sondern dem sport­politischen System zugeordnet und werden entsprechend von der Generalverwaltung für Sport in Peking lediglich in Zusammenarbeit mit dem Erziehungsministerium ver­antwortet. Das Sportschulensystem Chinas kann jedoch nicht als ein einheitliches Gebilde von Schultypen angesehen werden, vielmehr gibt es regionale Besonder­heiten und die Berücksichtigung lokaler sportlicher Stärken und Traditionen. So bietet nicht jede Sportschule alle Sportarten an, sondern es ist vielmehr ein flexibles System, das abhängig ist vom jeweiligen Bedarf. Das System ist dennoch in seiner Hierarchie klar strukturiert. Die unterste Stufe der Sportschulen wird von den Allgemeinen Freizeitsportschulen gebildet. Insgesamt existieren mehr als 30.000 solcher Schulen in ganz China, in ihnen werden derzeit ca. 300.000 Talente gefördert. Der Weg eines Talents beginnt grundsätzlich in diesen sogenannten Allgemeinen Freizeitsportschulen. Die zweite Stufe des Sportschulensystems bildet die Freizeitschule mit einem sportlichen Schwerpunkt bzw. die sogenannte Sportmittelschule. In diesen Schulen werden Kinder und Jugendliche gefördert, die sich bereits in den Allgemei­nen Freizeitschulen als besonders begabt erwiesen haben. Das Merkmal „Schwerpunkt“ kommt einer Schule dann zu, wenn sie sich für eine bestimmte Sportart durch besonders gute Voraussetzungen auszeichnet. Dazu gehören gut ausgebildete Trainer und eine gewisse Anzahl von talentierten Kindern. Sportmittelschulen sind hingegen normale Mittelschulen mit der Fachrichtung Sport. In diese Schulen werden jedoch nur begabte Sporttalente aufgenommen, verwaltet werden diese Schulen von den Kreisen. Sportmittelschulen sind in der Regel Internatsschulen. Insgesamt gibt es derzeit 225 solcher Internatsschulen, die Zahl aller Freizeitsportschulen mit Schwerpunkt und Sportmittelschulen liegt bei 2.680, in diesen Schulen trainieren ca. 85.000 Schüler. Die nächsthöhere Stufe wird von den Hochleistungssportschulen und den Wettkampfsportschulen gebildet. An diesen Schulen trainieren sämtliche Hochleistungssportler der Provinzen. Jede Provinz unterhält dabei mindestens eine derartige Schule, in manchen Provinzen existieren aber bereits fünf Wettkampfsportschulen. Derzeit trainieren an diesen Schulen ca. 32.000 Sportler. Die Talente werden dort auf höchstem Niveau und unter bestmöglichen Bedingungen gefördert. Aufgabe dieser Schulen ist es auch, die Provinzauswahlmannschaften zu organisie­ren und zu steuern. Jeder Schüler ist entsprechend seinem Niveau einer Bewährungskontrolle ausgesetzt. Wenn die Leistungen nicht den Erwartungen entsprechen, scheiden die Schüler aus den Sportschulen aus. In den Schulen werden die Schüler nicht von Lehrern, sondern von Trainern trainiert, die allerdings auf die gleiche Ausbildung verweisen können, wie dies bei Lehrern der Fall ist.

Die Kadergliederung im chinesischen Hochleistungssport ist in Abhängigkeit von den Sportarten definiert. Die Schwimmer haben z.B. zur Talentsichtung und Talentförderung zwei Talentpools gebildet. Der erste Pool bezieht sich auf die Schüler der Altersgruppe 10-14 Jahre, dies sind ca. 1.800 Jungen und 1.600 Mädchen. Im zweiten Talentpool, dies ist die Altersgruppe zwischen 15 und 20 Jahren, trainieren hingegen 370 Jungen und 430 Mädchen. Volleyball wiederum gliedert seine Athleten in einen Junioren A-, Junioren B- und Jugendkader, wobei derzeit 600 A-, 540 B- und 280 Jugendkaderathleten unterschieden werden. Der Chinesische Leichtathletik-Verband hat ein spezielles Talentförderungsprogramm in Zusammenarbeit mit dem Sportschulsystem aufgelegt. Hierbei unterscheidet man insgesamt fünf Kader zwischen dem Alter von 6 und 18 Jahren. Die zentralistische staatliche Steuerung des Hochleistungssportsystems in China ermöglicht, dass der Staat den Athleten eine soziale Absicherung gewährt, wie sie in anderen Hochleistungssportsystemen derzeit nicht erreicht werden kann. Dabei sind die Athletinnen und Athleten ähnlich wie in Frankreich gemäß einem Erlass des Innenministeriums als Angestellte des Staates zu betrachten. Auf diese Weise erhalten die Athleten der Nationalmannschaften ein monatliches Gehalt vom Staat, darüber hinaus noch weitere Zuwendungen wie z.B. Wohnung, Auto oder Steuerbegünstigungen. Außerdem erhalten Athleten Unterstützung bei der Ausbildung und beim Studium. Nach der lei­stungssportlichen Karriere greift eine Vorschrift der Sportkommission aus dem Jahr 1953, die den Staat verpflichten, Studien- und Ausbildungsplätze für Spitzenathleten bereitzustellen. Für den Zeitraum bis zehn Monate nach der Karriere erhalten die Athleten ferner eine Sportsonderzulage. Für ein Studium erhalten die Athleten erheb­liche Erleichterungen, was den erforderlichen Notendurchschnitt betrifft. Hat ein Athlet einen Platz unter den ersten acht bei Weltmeisterschaft, Olympischen Spielen oder Asienmeisterschaften erreicht, so muss ihm prinzipiell ein Ausbildungsplatz an der Universität gewährt und finanziert werden. Die Möglichkeiten der sozialen Absicherung in China sind somit erfolgsbezogen. Athleten, die vorzeitig scheitern, werden in diesem System nicht berücksichtigt.

4. Talentsichtungs- und -fördersysteme aus vergleichender Perspektive

Will eine Nation bei Olympischen Spielen erfolgreich sein, so hat sie sich dem Pro­blem der Talentsuche und -findung zu stellen. Beobachtet man sechs erfolgreiche Olympische Nationen aus einer vergleichenden Perspektive, so wird deutlich, dass dieses Problem in keinem der Systeme befriedigend gelöst wird. Ja man hat den Eindruck, dass es für die Experten dieser Sportsysteme lediglich ein einziges Sport­system gegeben hat, das als Orientierung der Problemlösung dient, dessen Nachahmung jedoch nicht möglich ist und das aus guten Gründen nach einem 50jährigen Experiment scheitern musste. Zeichnete sich das DDR-Sportsystem durch ein umfassendes, systematisches Such- und Findungsprogramm aus, das nahezu flächen­deckend zum Einsatz kam, so ist nach dem Zusammenbruch der staatskommunistischen Systeme in keiner der beobachteten Sportnationen eine systematische Findungsstrategie zu erkennen, die als umfassend und flächendeckend bezeichnet werden kann. Wohl neigen die Systeme dazu, eigene Institutionen einzurichten, deren Aufgabe es ist, Talente zu suchen und zu finden. Die Suche richtet sich dabei vorrangig auf die öffentlichen Schulen, doch sprechen diesbezüglich alle Experten von einer unbefriedigenden Problemlösung. Talente werden nach wie vor viel zu oft nur zufällig entdeckt, für manche Experten erfolgt die Entdeckung viel zu spät und was besonders problematisch ist, die Entdeckung hat nur selten positive Folgen.

In den sechs Nationen gibt es beim Umgang mit dem Problem der Talentfindung und -förderung eine ganze Reihe von Gemeinsamkeiten und man entdeckt sogenannte Schlüsselprobleme, die auf möglichst intelligente und befriedigende Weise gelöst werden müssen. Darunter fällt z.B. die Entscheidung darüber, wie alt die Kinder zu Beginn der Talentsuche sein sollen und mit Hilfe welcher Tests die Identifikation möglicher Talente am besten gelingen kann. In Ländern wie China und Russland beginnt die Talentsuche bereits im Alter von sechs Jahren und ist mit der Anwen­dung sportspezifischer Tests verbunden, die neben sportmotorischen Fähigkeiten auch anthropometrische Parameter prüfen. Andere Nationen hingegen wie beispielsweise die USA verlassen sich auf eine unsystematischere Beobachtung junger Sportler oder setzen gar ganz auf die Wettkampfleistung als alleinige Größe.

Hat man eine bestimmte Anzahl von Talenten entdeckt, so ist über die Fördermaßnahmen, die den Talenten zugutekommen sollen, zu entscheiden. Hierbei ist der Hochleistungssport aller Nationen auf eine Kooperation mit den Bildungsinstitutionen angewiesen. Freilich sind auch hier (zwangsläufig) völlig unterschiedliche Maßnahmen zu beobachten, da sich die Organisation des Bildungssystems in den einzelnen Ländern z.T. in gravierender Weise unterscheiden kann. In China und Russland existieren dabei Spezialschulen zugunsten des Hochleistungssports, in Australien und Großbritannien sind dagegen spezielle Programme aufgelegt worden, die helfen sollen, Hochleistungssport und Schule besser aufeinander abstimmen zu können. Aber auch der staatliche Einfluss wie z.B. in Frankreich ermöglicht in einem gewissen Rahmen ein Entgegenkommen der Schule.

Finanzielle Unterstützung und die Belohnung sportlicher Erfolge ist in allen sechs Ländern zu beobachten. Dabei differiert jedoch nicht nur die Höhe der Unterstützungsleistungen erheblich, auch die Bedingungen für die Vergabe entsprechender Fördergelder sind unterschiedlich. Sie reichen von leistungsbezogenen Kriterien bis hin zu einer pauschalen Förderung, die allein durch einen Kaderstatus gerechtfertigt wird.

Auch für das heikle Thema der sozialen Absicherung der Spitzenathleten und die Wiedereingliederung der Sportler in ein Leben nach dem Spitzensport gelten unterschiedliche Herangehensweisen. Die Bandbreite der Maßnahmen beginnt hier mit einem starken Engagement des Staates, der die Sportler als staatliche Angestellte bzw. Elite definiert und deshalb Sorge für sie trägt (China, Frankreich). Andere Nationen, wie z.B. Australien, versuchen dies mit speziellen Ausbildungsprogrammen für Sportler zu lösen. Die USA kann man sich in dieser Problematik auf das Interesse und das Engagement der Universitäten verlassen.

Betrachtet man den Personaleinsatz, mit dem im Hochleistungssport der verschiedenen Nationen die Talentsuche und -förderung bedacht wird, so kann festgestellt wer­den, dass sich in einigen Ländern der Staat direkt an der Bereitstellung von Personal beteiligt (Frankreich). In anderen Ländern hingegen (Großbritannien) entstanden neue Berufsfelder, die sowohl von der Wirtschaft als auch vom Staat finanziell getragen werden. Es liegt nahe, dass in Bezug auf die Personalausstattung und die Finanzierung der Talentsuche und -findung erhebliche Unterschiede zu erkennen sind. Intensive Ressourcen werden diesbezüglich vor allem in China, in Russland, aber auch in Australien und Großbritannien bereitgestellt.

Eine der schwierigsten Aufgaben für die Verantwortlichen des Sports ist es, den Talenten einen Weg zur internationalen Spitze zu ermöglichen, Fluktuationen auf diesem Weg möglichst zu vermeiden und das drop-out-Problem zu meistern. Was nicht zuletzt heißt, dass man den Kindern und Jugendlichen einen humanen, einen ethisch verantwortbaren Weg in den Hochleistungssport möglich macht, der sich dadurch auszeichnet, dass die soziale Absicherung des Athleten nicht nur eine rhetorische Floskel ist.

Als ein besonderes Problem der Talentsuche und -findung stellt sich das Problem der Hierarchie des Sportsystems dar. Kinder müssen dort gesucht und gefunden werden, wo sie leben und ihr Lebensraum ist in der Regel das Hoheitsgebiet der lokalen Sportstrukturen. Doch das Anliegen der Talentfindung ist in der Regel ein besonders bedeutsames Anliegen der zentralen nationalen Sportinstitution. Auf diese Weise haben alle Hochleistungssportsysteme das Problem der Kommunikation zwischen Basis und Dach zu lösen, das sich gerade in Bezug auf Talentsuche und -findung als äußerst schwierig erweist. Auch hier zeigt sich, dass in den verschiedenen Hochleistungssportnationen annähernd gleiche Probleme bestehen und man sich auf der Suche nach angemessenen Lösungen befindet. Interessant sind dabei die neu geschaffenen Institutionen Großbritanniens, aber auch Australien ist diesbezüglich als besonders beispielhaft zu betrachten.

Mein hier nur skizzenhaft vorgenommener Vergleich soll zeigen, dass es sich lohnt, die Sportsysteme der Konkurrenten genauer zu beobachten und dass man über die Beobachtung des Fremden für das Eigene lernen kann. Ein interessanter Hochlei­stungssport sollte sich meines Erachtens durch eine offene interkulturelle Kommuni­kation auszeichnen. Ein Hochleistungssport, der sich auf Geheimwissenschaft bezieht und in dem Versteckspiele normal sind, befindet sich in der Gefahr, die eige­nen ethischen Maximen ständig in Frage zu stellen. Der Hochleistungssport muss sich durch intelligente Problemlösungen auszeichnen, Kreativität muss das besondere Merkmal eines kulturell bedeutsamen Hochleistungssports sein. Ist dies der Fall, sollten wir uns alle auf den Weg machen, nach kreativen Lösungen zu suchen, um Kinder und junge Menschen in den Hochleistungssport hineinzuführen und ihnen auf dem Weg zum Erfolg verantwortungsvoll zu helfen.

letzte Überarbeitung: 24.02.2020