Römische Zeiten … wenn Reichtum zu einem Problem des Sports wird

Dass es den „Reichen“ zu gut geht, kann nicht nur in tarifpolitischen Auseinandersetzungen als treffendes Argument gehört werden. Die Annahme, dass sich die Reichen in unserer Gesellschaft in einer Identitätskrise befinden, könnte jedoch Überraschungen hervorrufen. Wer als distanzierter Beobachter[1] bei großen Sportereignissen teilnimmt, für den könnte diese Annahme allerdings naheliegend sein. Heute ist es immer schwieriger, das zu beschreiben, was einen Reichen auszeichnet. Nicht nur unsere Städte verheimlichen den Unterschied von arm und reich. Einige durchaus wünschenswerte Errungenschaften der Demokratie haben bewirkt, dass die Angleichung verschiedener sozialer Schichten nicht nur als bloße Täuschung wahrgenommen wird. Ehemals gravierende Unterschiede zwischen den Schichten wurden vielmehr ausgeglichen, teilweise gar beseitigt. Die Wohnkultur der sozial unteren Schichten hat sich vermehrt an die der Oberschicht angeglichen, zumindest ist sie nicht mehr geeignet, den großen Statusunterschied zu anderen Gruppen zu demonstrieren. Aber auch andere Erscheinungsweisen des Reichtums der vergangenen Jahrhunderte sind nahezu vollständig untergegangen. Autos, ja selbst teure Autos, sind zur Massenware geworden; die Ess- und Trinkkultur der Reichen wird zwischenzeitlich längst von der Mittelschicht imitiert. Leichte Kost und Weingenuss, Südfrüchte und Konfekt, präsentiert in künstlerischem Dekor, sind Merkmale des Lebensstils von fast jedermann geworden. Wo also lässt sich das Reichsein heute noch ausleben? Was nützt einem Reichtum, wenn man ihn nicht zeigen kann?

Die Sportarena scheint angesichts dieser Mangellage ein willkommener Ort zu sein, an dem Reiche ihre Identitätsprobleme lösen können. Besonders willkommener Anlass waren dabei zunächst die internationalen Tennisturniere und Formel 1-Rennen, insbesondere dann, wenn sie vom Fernsehen übertragen wurden. Wichtige Bedingung ist, dass das jeweilige Sportereignis im Fernsehen live gesendet wird. Nicht zuletzt dadurch kann sichergestellt werden, dass die sozial unteren Schichten ihre Wiedererkennungserlebnisse haben. Für einen Arbeitnehmer muss es ein erhebendes Gefühl sein, seinen Chef via Fernsehen in einer VIP-Lounge mit dem Ausruf „Guck der Chef!“ bei einem Tennisturnier wiederzuerkennen. Demonstration des Reichtums heißt dabei nicht selten, sich durch bestimmte Kleidung, durch Mode und vor allem durch besondere Esskultur, aber auch in vielen Fällen durch sportfachliches Unvermögen auszuzeichnen. Der Auftritt der Reichen kommt einer Inszenierung gleich. Die Damenwelt – als ob es noch keine Emanzipationsdiskussionen gegeben hätte – gleicht jener Staffage, wie sie uns aus vergangenen Jahrhunderten bekannt ist. Wer angenommen hatte, dass Models und Moden wie sie in Tagesschauberichten über exklusive französische oder italienische Modenschauen vorgestellt werden, Kunstprodukte ohne Markt seien, muss sich eines Besseren belehren lassen. Diese pompös gekleideten und bemalten Damen genießen es, ein mindestens ebenso aufmerksames Publikum zu haben wie die Athleten und Athletinnen in der Arena. Da männlicher Reichtum sich allenfalls durch leibliche Genüsse und salopp sportive, wenngleich ganz gewiss nicht billige Kleidung auszeichnen darf, müssen die Damen stellvertretend den Reichtum nach außen zur Schau tragen. Ohrgehänge und Colliers gehören ebenso dazu wie das erjagte Fell, dessen ursprünglicher Besitzer längst auf der Liste der geschützten Tiere steht. Der Typus Mann, der diese Schickeria auszeichnet, wirkt jung-dynamisch, ist gut gepflegt und elegant im Umgang mit den Frauen. Auch er weiß seinen Auftritt zu inszenieren. Insbesondere betritt man die Logen der Sportarenen immer erst dann, wenn die Ränge gefüllt sind, d. h., wenn das Volk bereits Platz genommen hat. Wie im griechischen Tempel, wo die Priester in das Adyton, den Raum der Unbetretbarkeit, entschwinden konnten, findet sich in der modernen Sportarena die Lounge, in der der exklusive Zutritt Erkenntnismerkmal der Reichen oder zum Aufsteigersymbol der Neureichen geworden ist. Die Kulthandlung hinter verschlossenen Türen lässt man jedoch sehr gerne vom Fernsehen übertragen, sodass zumindest die Neugierde des Volkes befriedigt wird. „Brot und Spiele“ hieß dies bei den Römern, und es kommt nicht von ungefähr, dass sich selbst Athleten wie Alexander Zverev als Gladiatoren fühlen angesichts einer Galerie, die des Sports, den er betreibt, seines Erachtens kaum würdig ist. Lukullische Tempel inmitten einer Sportarena, dies scheint den eigentlichen Wandel zumindest eines Teils des modernen Sports zu kennzeichnen. Immer mehr Stadionbauer und Hallenarchitekten planen die Bedürfnisse der reichen Schickeria in ihre Konstruktionen ein. Die Reichen sollen oben sitzen, damit sie das Volk unter ihren Füßen haben. Der sportliche Wettkampf ist ganz offensichtlich in einem Ambiente dieser Art eher eine Nebensache. Im Gegensatz zum „normalen“ Zuschauer, der für seine Eintrittskarte viel bezahlt und dafür auch hart gearbeitet hat, werden den Reichen die Eintrittskarten geschenkt. Sponsoren verbinden schließlich Interessen mit dieser selbstlosen Gabe. Empfindet es der „kleine Mann“ als eine Gunst der Stunde, bei einem Daviscup-Finale eine Karte nach langem Anstehen erwischt zu haben, so kann der Reiche das Geschenk, bei diesem bedeutsamen Sportereignis teilnehmen zu dürfen, mit lässiger Geste zur Nebensache machen. Er kommt zu spät, er steht während des Spieles auf, um in seinen „Tempel“ zurückzugehen und da er ohnehin kein sachkundiger Zuschauer ist, lässt er sich das Ergebnis am besten auf dem Bildschirm in der VIP-Lounge erklären. Halbleere Ränge bei angeblichem Ausverkauf der Karten sind eine Folge dieser besonderen Art von „Großzügigkeit“, von der selbst interessante Wettkämpfe bei den Olympischen Spielen nicht verschont werden. In den deutschen Sport-Arenen von heute (und nicht nur dort) lassen sich somit „die feinen Unterschiede“ beobachten, wie sie Bourdieu so treffend für die französische Gesellschaft beschrieben hat: Je mehr sich der Habitus der Mittelschichten den Gewohnheiten und Lebensstilen der Oberschichten angleicht, desto entschiedener sind diese bemüht, sich über neue Formen des Genießens, des Bewegens und des Unterhaltens von den aufsteigenden Mittelschichten zu unterscheiden. Gespannt darf man der weiteren Entwicklung entgegensehen. Wie wird der normale Sportbetrachter, jener, der am Sport wirklich interessiert ist, auf Dauer auf diese „Eroberung des Sports“ durch die Reichen reagieren? Bleibt er gelassen in der Annahme, dass der Reiche früher oder später ein neues Feld der Selbstdarstellung suchen und finden wird? Solange die Reichen nicht den Daumen senken, wie einst Nero bei den Gladiatorenkämpfen, scheint diese Gelassenheit angeraten zu sein. Unterhaltend ist das Ganze ganz offensichtlich für beide Seiten. Sollte dies die wichtigste Funktion dieser Inszenierung sein, so ist sie ganz und gar unbedenklich. Von „römischen Zeiten“ im Sinne von Aufstieg und Verfall kann – wie es die Überschrift zu diesem Beitrag nahelegt – zumindest nicht die Rede sein. Konsum bedeutet nicht notwendigerweise Verfall, zumal in der aktuellen Konstellation alle Beteiligten voneinander zu profitieren scheinen. Die Athleten werden mit hohen Preisgeldern von eben jenen ausgestattet, die über ihnen mit vollem Mund residieren. „Otto Normalzuschauer“ kann den Athleten bewundern und sich über die Eitelkeit der Reichen amüsieren und diese wiederum scheinen ein Identitätsproblem zu lösen, das ihnen zumindest in den vergangenen Jahren wohl zu schaffen gemacht hat.
So weit so gut – wäre da nicht jene Spezies von Menschen, die sich in diesem Unterhaltungsspiel als Vermittler sehen möchten. Funktionäre werden sie genannt und wenn vom Sport und dessen kultureller, gesellschafts- und sozialpolitischer oder pädagogischer Bedeutung die Rede ist, so betonen diese Funktionäre das Wörtchen „ehrenamtlich“, um sich als Menschen zu rechtfertigen, denen Altruismus auf den Leib geschneidert ist und denen jede selbstlose Geste gut genug ist, um der „Sache des Sports“ zu dienen. Ich spreche dabei von einem Phänomen, das ich über drei Jahrzehnte in den verschiedensten Organisationen des Sports selbst erlebt habe und die Genüsse, die die sog. Hospitality Lounges bei nationalen und internationalen Sportwettkämpfen ihren Besuchen boten, durchaus geschätzt habe.

… auf schmalem Grat zwischen Altruismus und Schmarotzertum

Plädoyers für das Ehrenamt im Sport haben durchaus ihre Berechtigung. In gewissem Sinne sind sie heute notwendiger denn je. Die Wiederentdeckung der Ehre für die künftige Entwicklung der modernen Gesellschaft ist notwendig und insbesondere aus moralischen Gründen dringend erwünscht. Einige Funktionäre im Sport, die heute in dessen Dachorganisationen das Sagen haben, tragen hierzu freilich meist nur sehr wenig bei. Das selbstlose Handeln, das die Ehrenamtlichkeit im Sport auszeichnen sollte, ist heute fast ausschließlich nur noch in den Vereinen anzutreffen. Vom Jugendleiter einer Handballabteilung, der jahrein jahraus bemüht ist, genügend Spieler für seine Mannschaften zu finden; vom Schiedsrichter, der Woche für Woche von Dorf zu Dorf zu fahren hat, Kreisliga-Spiele pfeift und sich dabei den Beschimpfungen der Mannschaften stellt; vom Schatzmeister, der gemeinsam mit seiner Frau die Geschäfte der Vereinsbuchhaltung erledigt; von der Pressewartin, die Sonntag für Sonntag die Spielberichte an die örtliche Presse weitergibt …, von all diesen Personen müsste dabei die Rede sein, wenn wir von der Ehre im Sport sprechen wollen. Kosten-Nutzen-Kalküle spielen dabei keine Rolle. Angesichts dieser alltäglichen Kultur der Solidarität und des Helfens in den Vereinen kommt das ehrenamtliche Handeln in den Top-Etagen des Sports zumindest mit Blick auf eine immer größer werdende Zahl von so genannten Spitzenfunktionären einer Karikatur gleich. Von Korruption, Faulheit, Machtbesessenheit, Eitelkeit, Verlogenheit, Dummheit, Mediokrität, Arroganz, Unmoral und Dekadenz ist dabei in immer mehr Organen der Massenmedien die Rede. Vieles davon mag übertrieben sein, manches Dargestellte beruht auf Vorurteilen, die dem Sport schon immer gegolten haben. Der eigentliche Sachverhalt, dass einige Formen der „ehrenamtlichen Führung des Sports“ fragwürdig geworden sind, bleibt davon jedoch unberührt: Da wollte ein NOK-Präsident über mehrere Jahre nicht zurücktreten, obgleich dies längst überfällig gewesen wäre und er sich selbst mehr Schaden zufügte, als dies angesichts seiner unbestrittenen Verdienste erwünscht sein konnte. In einem Sportfachverband, der unter einer gravierenden Führungskrise litt, drängte sich fast das gesamte Präsidium für eine erneute Kandidatur auf. Ein Mitglied der Anti-Doping-Kommission des ehemaligen DSB setzte sich öffentlich für die Freigabe von Doping ein und bewarb sich gleichzeitig um das Amt des NOK-Präsidenten. Angesichts eines oftmals grotesken und peinlichen Gerangels um Positionen fordern auch in jüngster Zeit immer mehr Athleten uns Athletinnen, dass „die Köpfe ihrer Funktionäre rollen müssen“. Doch Stehaufmännchen gleich halten sich diese nicht selten über Jahrzehnte hinweg an der Macht. Zur Not kann dabei ein Amt im internationalen Verband Garant für ein verlängertes Verweilen im Kreis der „Führungsfunktionäre“ sein. Freiwillige Rücktritte sind außergewöhnlich, viel eher werden die „Sportfreunde“ mittels rührender Gesten gebeten, doch bitte noch eine Amtsperiode zu gewähren.
Was sind die Ursachen für solche Gelüste? Was macht das Führungshandeln des Sports so lohnenswert? Da ich selbst Mitglied des Präsidiums des Deutschen Sportbundes, des NOK für Deutschland, Präsident eines nationalen Spitzensportverbands und Vize-Präsident eines internationalen Sportverbandes gewesen bin, ist mir zumindest teilweise ein Einblick in die Dachorganisationen möglich gewesen. Die von mir vermuteten Antworten auf die aufgeworfenen Fragen müssen folgerichtig zumindest teilweise auch auf mich selbst angewendet werden. Beobachte ich mich selbst und beobachtet man andere Funktionäre in den Führungsgremien des Sports etwas genauer, so könnte man meinen, dass es einerseits ein bei Sportfunktionären besonders ausgeprägtes Bedürfnis nach Bedeutsamkeit ist, dass es andererseits die lukrativen Reisen sind und dass es schließlich die Annehmlichkeiten sein könnten, die heute im „großen Sport“ anzutreffen sind. So kommt der Kampf der Funktionäre um eine Akkreditierung bei Olympia der Auseinandersetzung von Kindern gleich, wenn diese um die erste Reihe bei einem Kasperletheater ringen. Wer die offizielle Mannschaftskleidung der deutschen Mannschaft tragen darf, ist etwas Besonderes; wichtiger ist es jedoch, dass man auch den Zugang zu den verschiedensten VIP-Lounges erhält. Die Farbe der Akkreditierungskarten mit ihren Kennzeichen für die unterschiedlichen „Klassen“ des Sports bringt es dabei an den Tag: Wer oben ist und wer wirklich das Sagen im Sport hat, trägt Gold, Silber ist kennzeichnend für auf- und absteigende Funktionäre. Wessen Identität durch Bronze gekennzeichnet wird, der muss sich dem zweiten Glied der Funktionäre zugehörig fühlen. Wer hingegen nur zu einer einzigen Sportstätte und damit nur zu einer Sportart Einlass erhält, der zählt in der Regel zu jenen, die die „Ware Sport“ produzieren, an der sich die anderen ergötzen. Zu dieser Gruppe gehören die Trainer, Physiotherapeuten, Kampfrichter und nicht zuletzt auch die Athleten. Angesichts dieser Hierarchie sind Peinlichkeiten unter den Funktionären an der Tagesordnung. Dort, wo es etwas umsonst gibt, wird kräftig hingelangt, ganz gleich, ob es um eine interessante Reise, das gesponserte Buffet in der VIP-Lounge oder um die schönen Geschenke eines Gastgebers geht. Sitzungen von internationalen Sportgremien kommen bourgeoisen Ausbeutungsritualen zu Zeiten Ludwigs des XlV. gleich. Flug in der LH-Senatorklasse, Nobel-Suite und Edel-Karosse, Begleitung durch eine Motorrad-Eskorte, Hostessen und sonstiges Personal zu Diensten der Herren des Sports, dies alles kennzeichnet das Paschahandeln der internationalen Sportgremien und einige ihrer höchsten Funktionäre und die deutschen Vertreter in diesen Gremien nehmen bis auf wenige Ausnahmen solche Annehmlichkeiten wie selbstverständlich ebenfalls in Anspruch, ohne sich dabei an jene zu erinnern, die ihnen ein Mandat gegeben haben und die mit ihrer Arbeit in den Sportvereinen die Basis dafür bilden, dass die Funktionäre des Weltsports überhaupt zu Ansehen und Macht kommen konnten. Selbst bei den Weltstudentenspielen, bei der Universiade also, hatte ein so genannter „Sportführer“ die Frechheit, sich stehend bei Eröffnungsfeiern in Luxuskarossen durch das Stadionrund chauffieren zu lassen, aufwendige Empfänge zu geben und von den großen zukünftigen Aufgaben der Jugend der Welt zu reden, ohne in den letzten Jahren auch nur einmal eine Universität betreten zu haben. Jubiläen und runde Geburtstage dieser Art von Sportfunktionären ufern mittlerweile zu Ritualen der Eitelkeit aus. „Sehen und Gesehenwerden“ ist dabei das Gebot der Stunde. Was könnte nahe liegender sein, als dass Rechnungshöfe ein immer aufmerksameres Auge auf solche Art des Tuns richten?

… wenn das Prinzip „Leistung“ nicht mehr zum Tragen kommt

Für soziale Aufsteiger, und das sind wohl die meisten Sportfunktionäre (für mich trifft dies zumindest zu), mag dies alles kennzeichnend und deshalb auch ein verständliches Handeln sein. Problematisch ist dabei ja auch nicht, dass manche dieser Funktionäre mit ihren Reisetrophäen prahlen oder von der Kusshand einer Prinzessin schwärmen, bei deren Audienz sie leibhaftig anwesend sein durften. Nicht deshalb soll hier von „römischen Zeiten“ des Sports die Rede sein. Dieses Merkmal kommt dem Sport von heute vielmehr deshalb zu, weil bei immer mehr Sportfunktionären, deren Tun im Sport von der hier nur skizzenhaft wiedergegebenen Umwelt geprägt ist, von einer sportfachlichen Arbeit, d. h. von einer verantwortungsvollen und kompetenten Führung des Sports und von einer wirklich ehrenamtlichen, d. h. selbstlosen Arbeit, nur ganz selten die Rede sein kann. Handfeste materielle Interessen, gepaart mit Inkompetenz, kennzeichnen vielmehr das, was mit den „römischen Zeiten“ im Sport gemeint sein könnte. Die fachliche Inkompetenz vieler ehrenamtlicher Gremien des Sports scheint dabei das eigentliche Problem zu sein. Dies wird nirgends so deutlich wie in den Sitzungen einiger Führungsgremien des Sports. Überfüllte Tagesordnungen werden dort viel zu oft von der Mehrheit der Mitglieder teilnahmslos, weil unvorbereitet, abgearbeitet; ausführliche Diskussionen sind eher unerwünscht; langfristig angelegtes Steuerungshandeln ist nur selten möglich und unpopuläre Entscheidungen werden meist vertagt. Der Sport wird dabei maßgeblich von Funktionären geführt, die ihre Ämter meist Proporzentscheidungen verdanken. Bestimmte Leistungsnachweise für ein Amt sind in der Regel nicht zu erbringen. Eher sollte man sich durch Anpassungsfähigkeit auszeichnen und sich den Ritualen der großen „Sportfamilie“ fügen. Das Führungshandeln weist dabei fast sämtliche Merkmale auf, die heute die so genannte Jet-Set-Klasse prägen: Anreise per Flug oder ICE, Sitzung im Aircondition-Konferenzraum eines renommierten Hotels, ausgewählte Getränke und ein Imbiss zur Stärkung der stressbelasteten, weil meist in mehreren Ämtern des Sports tätigen Herren (Frauen waren in solchen Gremien früher nur selten anzutreffen, doch haben sie heute immer häufiger Amt und Würden in Gremien des Sports, so lassen sich Unterschiede zwischen den Geschlechtern nur mit konstruierter Mühe oder gar nicht ausmachen). Frühzeitiges Verlassen von Sitzungen signalisiert gewichtige Stellung im Gefüge des Sports; flüchtiger Aufbruch am Ende der Sitzungen ist deshalb Normalität. Beinahe folgerichtig für ein derartiges Arbeitsklima ist es, dass manche Beschlüsse nur für das Protokoll gefasst werden und deren Umsetzung in praktisches politisches Handeln keiner Kontrolle unterliegt. Gewiss findet dieses Tun der Funktionäre meist in deren Freizeit statt. Doch sollte auch hier beachtet werden, dass die immer häufiger werdenden Sitzungen an Wochentagen zu Lasten der Arbeitgeber gehen und somit meist die öffentliche Hand (viele Ehrenamtliche sind im öffentlichen Dienst beschäftigt – ich selbst gehörte ebenfalls zu dieser Gruppe) als Sponsor tätig wird (was meines Erachtens durchaus wünschenswert und sinnvoll ist), dass den Spitzenfunktionären außerdem Aufwandsentschädigungen gewährt werden (ganz im Gegensatz zu den vielen kleinen Helfern in den Vereinen) und dass vor allem die „social benefits“ (Ansehen, Macht und Einfluss) vermutlich ausreichend hoch sind (nur so kann das ausgeprägte Verharrungsvermögen vieler Funktionäre erklärt werden). Ehrenamtliches Führungshandeln im Sport gleicht somit eher einem Schlittern auf dem Eis. Ein fester Grund ist nicht auszumachen. Tragfähige Perspektiven zur zukünftigen Sportentwicklung existieren meist nicht, Zieldiskussionen finden nur selten statt: Reagieren anstelle von Agieren, Vertagen anstelle von Entscheiden, Proporz anstelle von fachlicher Qualifikation, Nepotismus anstelle von Leistungsprinzip, Kumpaneien anstelle von Distanz. Die Gegensatzpaare könnten fortgeführt werden. An der bilanzierten Bewertung der aktuellen Situation des Sports wird sich dabei vermutlich in nächster Zukunft kaum etwas ändern: Mit Blick auf die ehrenamtlichen nationalen und internationalen Sportfunktionäre in den Dachorganisationen des Sports ist es deshalb um die Zukunft des Sports derzeit nicht gut bestellt. Wer jedoch glaubt, dass in vermehrter Hauptamtlichkeit die Lösung für die Probleme des Sports gefunden werden kann, wie dies lauthals nicht zuletzt von Vertretern der Presse behauptet wird, dem müssen nicht weniger Kritik und Zweifel entgegengebracht werden. Ehrenamt und fachliche Kompetenz müssen nicht notwendigerweise Gegensätze sein und Hauptamt in Kombination mit Inkompetenz ist in den Verbänden des Sports nicht weniger häufig verbreitet als bei den ehrenamtlichen Funktionsträgern. Wer heute auf vermehrte Hauptamtlichkeit im Sport setzt, der sollte sich zunächst auf glaubwürdige Weise von jener Art von Hauptamtlichkeit distanzieren, wie sie heute noch viel zu oft in vielen Verbandsverwaltungen anzutreffen ist. Ein Handeln nach dem Prinzip „Leistung“ sucht man dort ebenso oft vergeblich wie auf der Seite vieler Ehrenamtlicher. Stechuhrmentalität, Vetternwirtschaft als Grundlage für Stellenbesetzungen, Führungslosigkeit und Abschieben von Verantwortung sind kennzeichnend für viele Sportverwaltungen. Bei vermehrter Hauptamtlichkeit ist angesichts dieser Situation vermehrte Bürokratie die Folge; das eigentliche Führungsproblem des Sports bleibt jedoch ungelöst. Römische Zeiten sind interessante Zeiten, dies wird in den nächsten Jahren immer wieder auch im Sport zu erfahren sein. Niedergang muss dabei nicht notwendigerweise die Folge sein. Das moderne Rom von heute kann uns dies auf eindrucksvolle Weise zeigen.

 

Letze Bearbeitung: 14. Januar 2024

Die Inhalte dieses Beitrages wurden vor 30 Jahren zum ersten Mal veröffentlicht. Der damalige Beitrag wurde lediglich an wenigen Stellen überarbeitet und aktualisiert. Es hat mich selbst überrascht, dass Überlegungen, die vor 30 Jahren angestellt wurden, in vieler Hinsicht auch heute noch ihre Gültigkeit haben. Allein deshalb scheint es mir angebracht zu sein, meine Ausführungen von damals noch einmal in das Bewusstsein kritischer Leser zu bringen.

¹ Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf „gendergerechte“ Sprachformen – männlich weiblich, divers – verzichtet. Bei allen Bezeichnungen, die personenbezogen sind, meint die gewählte Formulierung i.d.R. alle Geschlechter, auch wenn überwiegend die männliche Form steht.