Der Beitrag der Wissenschaften für Coaching Tätigkeiten im Sport

Die Performanz der Athleten in den olympischen Sportarten ist ohne die Hilfe Dritter heute kaum noch denkbar. Nur in seltenen Fällen gibt es im Bereich des Hochleistungssports noch das Phänomen des Selbstcoaching. Athleten verzichten dabei in der Vorbereitung, Durchführung und Evaluierung ihrer sportlichen Höchstleistung auf jegliche Hilfe durch dritte Personen. Die sportliche Höchstleistung ist also ausschließlich ihre Eigenleistung. Aktions- und Präsentationsleistung sind in der Person des Athleten verschmolzen. Der Athlet ist der alleinige Meister seines Erfolges.

Der Athlet steht auf den Schultern eines Riesen und er hat seinen sportlichen Erfolg mit einer personellen Umwelt zu teilen, die an Komplexität kaum noch übertroffen werden kann. Der Riese erweist sich dabei als ein Mix von Personen, der in seiner Vielfalt kaum zu überbieten ist.

Abb. 1: Personelle Umwelt eines Athleten

Da ist zunächst und vor allem jene Person, die ihn nahezu täglich beim Training, bei der Vorbereitung seiner Wettkämpfe, während und nach den Wettkämpfen begleitet. In unterschiedlichen Kulturen kann es für diese Person unterschiedliche Begriffe geben. In der deutschen Sprache ist dabei vom Trainer, vom Übungsleiter, vom Coach, vom Betreuer, vom Chef-Trainer, vom Disziplin-Trainer, vom Konditions-Trainer, vom Taktik-Trainer etc. die Rede. Im französischen wird entraîneur, instructeur und moniteur unterschieden, im italienischen allenatore, istruttore, selezionatore und coach, im englischen Sprachgebrauch dominiert das Wort Coach für das Berufsfeld jener Person, die den Athleten in Training und Wettkampf führt und steuert. Die einzelnen Begriffe können auf Tätigkeiten verweisen die manchmal in einer Person vereint sind, nicht selten werden sie aber auch von verschiedenen Personen ausgeübt, so dass das Coaching-Phänomen und das Verhältnis zwischen Athlet und Coach sich nicht zwangsläufig auf eine Zwei-Personen-Beziehung erschöpfen muss. In manchen Sportarten ist hier eine äußerst differenzierte Situation zu beobachten.

Neben dem Coach gehören noch eine ganze Reihe von weiteren Personen zur bedeutsamen Entourage des Athleten. Hervorragend sind dabei die Rollen der Ärzte und der Physiotherapeuten. Immer bedeutsamer wurden in den vergangenen Jahrzehnten die Athletenmanager. Hinzugekommen sind in jüngster Zeit auch immer häufiger Kommunikationsberater und nicht zu vergessen sind die privaten Bezugspersonen – Vater, Mutter, Geschwister, Verwandte und Freunde des Athleten. Schließlich ist auch das weitere Umfeld zu beachten, das über Funktionäre, über Vereine, über Verbände und im weitesten Sinne über die Nation auf den Spitzensportler einwirkt.

Beobachtet man aus einer unabhängigen Position die Wettkämpfe und die Trainingsprozesse und fragt man gleichzeitig die Athleten wer im personellen Umfeld welche Rolle spielt, so wird man sehr schnell erkennen, dass trotz aller Komplexität und Vielfalt, für den sportlichen Erfolg des Athleten dem Trainer eine herausragende Rolle zukommt. Niemand nimmt so direkt Einfluss auf den Athleten wie es beim Trainerhandeln der Fall ist. Niemand ist mit der Persönlichkeit des Athleten vergleichbar vertraut wie der Trainer und niemand gilt der Dank des erfolgreichen Athleten so umfassend und ausschließlich wie dies bei Trainern der Fall ist. Die Tätigkeit des Coaching ist deshalb aber auch eine Tätigkeit, die sich durch eine außergewöhnlich hohe Verantwortung auszeichnet. Die Verantwortung bezieht sich dabei auf einen Menschen, der ihm anvertraut wird oder sich ihm anvertraut hat. Oft handelt es sich dabei um junge Menschen, teilweise sind sie noch im Kindesalter. Die Verantwortung bezieht sich dabei auf weitaus mehr als die Entwicklung einer bloßen Sportkarriere. Der Erfolg einer sportlichen Karriere ist ebenso zu verantworten wie dessen Scheitern. Jeder Leistungssport hat ein Hier und Jetzt, er hat aber immer auch ein Danach und auch dieser Lebensabschnitt ist durch den Trainer mit zu verantworten. Darüber hinaus zeichnet er verantwortlich für die physische und psychische Gesundheit des Athleten und angesichts der hohen Belastungen in Training und Wettkampf ist es eine schwierige Aufgabe mit dieser verantwortungsvoll umzugehen. Im weitesten Sinne nimmt der Trainer einen enormen Einfluss auf die Persönlichkeitsentwicklung seiner Athleten.

Abb. 2: Verantwortlichkeiten eines Trainers

Die Verantwortung des Trainers, das zeigen diese Beispiele, ist umfassend. Nur wenige Professionen erreichen diesen Grad von Verantwortung gegenüber Dritten, wie dies beim Beruf des Trainers erwartet wird. Dieses Berufsfeld stellt somit allein unter dem Gesichtspunkt der Verantwortung eine außergewöhnliche Herausforderung dar. Will der Trainer dieser Herausforderung entsprechen, so ist er auf verschiedene Kompetenzen angewiesen, deren Erwerb und Besitz für seinen beruflichen Erfolg als unverzichtbar anzusehen sind. Zur Beschreibung der Kompetenzen von Trainern bedient man sich heute verschiedener Modelle, wobei vor allem eine nicht-endlich-definierte Zahl von Teilkompetenzen unterschieden wird. In Anlehnung an sprachtheoretische Konzepte möchte ich von einer umfassenden Handlungskompetenz des Trainers sprechen, die sich dadurch auszeichnet, dass man die Frage stellt was ein Trainer weiß, was er tut, was er versteht, was er fühlt, was er denkt und was er sagt (vgl. Abbildung 3).

Abb. 3: Handlungskompetenzen eines Trainers

Qualität und Quantität dieser Kompetenzen sind teilweise durch Instruktionen und Lernprozesse beeinflussbar oder sind weitgehend in der Person des Trainers angelegt und können im besten Falle auf optimale Weise zugunsten des Athleten genutzt werden.

Die Trainerkompetenzen habe ich bisher eher aus einer allgemeinen Perspektive betrachtet. Treten wir der Trainer-Athlet-Beziehung etwas näher, beobachten wir Trainer in ihrer täglichen Arbeit im Training und während der Wettkämpfe, so erkennen wir sehr schnell, dass offensichtlich vier Kompetenzen für die Ausübung des Trainerberufs von großer Bedeutung sind – Fachkompetenz, Methodenkompetenz, Kommunikationskompetenz und Wissenskompetenz. Zu den Grundkompetenzen eines Trainers gehören laut der ICF (International Coach Federation) zum Beispiel die Fähigkeit zum vertrauens- und respektvollen Beziehungsaufbau mit dem Athleten, aktives Zuhören, direkte Kommunikation, Fähigkeit zum Fragenstellen, Aufmerksamkeitslenkung des Athleten, Entwicklung von Plänen und deren Umsetzung, Präsenz, Selbstbewusstsein, Spontanität, als Motivator zu agieren, konstruktives Feedback zu geben und viele weitere (vgl. Abbildung 4).

Abb. 4: Basic Coaching Competencies (ICF), Quelle: Brefi Group, http://www.brefigroup.co.uk

Besonders offensichtlich ist dabei die kommunikative Kompetenz. Die Rhetorik des Trainers ist ein entscheidendes Handlungsmuster im Umgang mit Sportlern. Ein Trainer instruiert, korrigiert, lobt, tadelt, erläutert, beschreibt, polemisiert, gestikuliert, brüllt, besänftigt, vergleicht, debattiert, schwafelt, präzisiert, baut Sympathien auf, lehrt, entwickelt, unterstützt, bestärkt, führt vor, beschützt etc. Im Gefüge der Kompetenzen ist die kommunikative Kompetenz ohne Zweifel von zentraler Bedeutung für die Profession des Trainers. In der Ausbildung zum Trainer wird diese Kompetenz meist vernachlässigt und so kann es kaum überraschen, dass die Unterschiede die man in Bezug auf erfolgreiche und weniger erfolgreiche Trainer beobachten kann sehr häufig auch auf die kommunikativen Unterschiede verweisen, die zwischen diesen Trainern bestehen. Was ein Mensch sagen kann, was er kommunizieren kann, hängt auf das Engste mit dem Denken des Menschen und mit seinem Wissen zusammen. Das Sagen, das Denken und das Wissen bilden in gewisser Weise einen Verbund, der für die qualitative Kennzeichnung von menschlichen Persönlichkeiten prägend ist.

Wenn wir die Rolle des Wissens erkunden, wie diese für gelungenes Trainerhandeln kennzeichnend ist, so müssen wir uns mit dem deutschen Wort „Wissenschaft“ auseinandersetzen. Das Wort Wissenschaft verweist auf Wissensbestände, die sich durch eine besondere Qualität auszeichnen. Sie entsprechen den Gütekriterien empirischer Forschungen (Objektivität, Reliabilität und Validität), sind strukturiert und basieren auf Theorien. Diese Wissensbestände sind in besonderer Weise gesichert und sie sind von einer außergewöhnlichen Relevanz. Sie werden von Professionen erarbeitet und weiterentwickelt und sie sind in Bezug auf die Hierarchie gesellschaftlicher Wissensbestände von höchster Priorität.

Für die Bestimmung der Wissenskompetenz von Trainern ist deshalb die Frage von ganz wesentlicher Bedeutung, welchen Beitrag die verschiedenen Wissenschaften zur qualitativen und quantitativen Kennzeichnung der Wissenskompetenz von Trainern erbringen. Dabei wird allerdings auch sehr schnell erkennbar, dass die Wissenschaften für alle weiteren Kompetenzen neben der Wissenskompetenz eine hilfreiche Rolle spielen können und zur näheren Bestimmung dieser Kompetenzen wichtig sind. Dies gilt für die soziale und emotionale Kompetenz gleichermaßen wie für die kognitive und kommunikative Kompetenz. Der Begriff der Wissenschaft scheint allerdings nur auf den ersten Blick eine Hilfe zu sein, will man die Wissenskompetenz von Trainern etwas genauer charakterisieren. Dies liegt vor allem daran, dass es zuletzt im vergangenen Jahrhundert zu einer nahezu unendlichen Vervielfältigung der Wissenschaften gekommen ist. Waren es über Jahrtausende zunächst nur ganz wenige Wissenschaften, die den Wissenshorizont des Menschen geprägt haben, erscheint in der heutigen Zeit der Wissenschaftsbegriff von einer besonderen Kreativität geprägt zu sein, mit der es möglich ist der Familie der Wissenschaften jeden Tag neue Söhne und Töchter zuzuführen. Betrachtet man diese Wissenschaften aus der Perspektive des Trainerberufes so erkennt man sehr schnell, dass manche von diesen Wissenschaften eine große Nähe zum Beruf des Trainers aufweisen, andere hingegen nicht einmal auf eine indirekte Weise einen Bezug zum Trainerhandeln herstellen lassen. Für die Kennzeichnung einer relevanten Wissenskompetenz für das Trainerhandeln ist deshalb eine begründete Selektion jener Wissenschaften erforderlich, die auf der Grundlage ihrer Theorien, Methoden und Forschungserkenntnissen den Nachweis erbracht haben, dass ihre Erkenntnisse für das Trainerhandeln eine Hilfe darstellen könnten. Bezugspunkt sollten dabei die relevanten Handlungsmuster aus der Praxis eines erfolgreichen Trainers sein. Die Frage welche Wissenschaften dem Trainer Hilfen in seinem Handeln sein können würde bei dieser Vorgehensweise über ausgewählte Handlungsmuster entschieden, die jeweils einzeln unter dem Aspekt auf den Prüfstand zu stellen sind, welche wissenschaftlichen Erkenntnisse für die Optimierung des jeweiligen Handlungsmusters relevant sein können. Talente sichten, Anfänger motivieren, Athleten dauerhaft motivieren, Trainingseinheiten planen und durchführen, Training periodisieren, Tagesabläufe steuern, Bewegungsmuster kreieren, Bewegungen korrigieren, Lernprozesse überwachen, Wettkämpfe vorbereiten, Coaching während des Wettkampfes, Trainingseinheiten auswerten, Wettkämpfe evaluieren, Betreuungsgespräche führen, schulische Prozesse begleiten – werden diese und ähnliche weitere Handlungsmuster auf den Prüfstand gestellt, so wird man sehr schnell erkennen, wie hilfreich wissenschaftliche Erkenntnisse für die Ausübung des Trainerberufes sein können.

Eine andere Vorgehensweise wie sie häufig zu beobachten ist, um die Rolle der Wissenschaften für den Trainerberuf zu kennzeichnen, ist die Auflistung der Wissenschaften selbst. Ausgehend von ihren Inhalten, Theorien und Forschungserkenntnissen wird dann in einem zweiten Schritt auf den Nutzen dieser Wissenschaften für den Trainerberuf geschlossen. Meist bildet sich dabei eine Hierarchie der Wissenschaften heraus, die für den Beruf des Trainers von besonderer Relevanz zu sein scheint (vgl. Abbildung 5).

Abb. 5: Hierarchie der Wissenschaften für den Trainerberuf

Die Trainingswissenschaft und die Biomechanik werden als besonders bedeutsam für den langfristigen Leistungsaufbau und die Steuerung von sportmotorischen Fähigkeiten und Fertigkeiten gesehen. Die Medizin leistet Beiträge zum Erhalt der sportlichen Leistungsfähigkeit, zur Sicherung der gesundheitlichen Qualität von Athleten, zur Optimierung von Trainingsprozessen und zur Betreuung bei Verletzungen und dem Wiederaufbau des Leistungspotenzials. Die Psychologie ist auf die psychische Qualität sportlicher Leistungen ausgerichtet. Der Soziologie billigt man eine Rolle bei der Optimierung von Gruppenprozessen zu, wobei die Sozialpsychologie hier ebenfalls eine grundlegende Hilfe sein kann. Das dabei die Pädagogik ebenfalls sehr bedeutsam sein sollte wird oft übersehen. Andere Wissenschaften tauchen erst gar nicht im Beschreibungskatalog der Wissenschaften auf, obgleich sie durchaus eine wichtige Rolle spielen können. Für die Sportökonomie gilt dies gleichermaßen wie für die Sportinformatik. Fragen der Sportethik können für eine berufliche Ethik von Trainern konstitutiv sein. Linguistik und Kommunikationswissenschaft wären längst in die Curricula der Trainerausbildung zu integrieren, wollte man ihrer Bedeutung für die Trainerkompetenz gerecht werden.

Ganz gleich welchen Zugang zur Kennzeichnung der Wissenschaften man wählt, es wird dabei einen gemeinsamen Nenner geben. Die Wissenschaften haben in den vergangenen Jahrzehnten für das Trainerhandeln einen erheblichen Bedeutungszuwachs aufzuweisen. Der Beruf des Trainers zeichnet sich durch einen Bildungshorizont aus, in dem spezielle und allgemeine Bildung eine gelungene Symbiose eingegangen sind. Beide Bildungsbestände werden durch verschiedene Wissenschaften fundiert. Gute Trainer zeichnen sich dadurch aus, dass sie zur Rezeption wissenschaftlicher Erkenntnisse in der Lage sind, und dass es ihnen gelingt, wissenschaftliches Wissen in praktisches Wissen zu überführen, jenes Wissen, das für die praktische Tätigkeit relevant ist, ist von einem gut ausgebildeten Trainer zu akzentuieren  und unnötige Wissensbestände sind herauszufiltern. Die Spreu muss vom Weizen getrennt werden.

Verfasst: 28.10.2015

Erstveröffentlichung: Der Beitrag der Wissenschaften für Coaching-Tätigkeiten im Sport. In: Zeitschrift Leistungssport 2/2016, 46. Jahrgang, S. 26-29.