Turnschuhdiplomatischer Steckbrief eines vergessenen “Auswärtsspiels”: Zum Afrika-Engagement des DDR-Sports

Daniel Lange

Vorbemerkung
In Kürze besteht der im April 1964 an der damaligen Deutschen Hochschule für Körperkultur (DHfK) in Leipzig gestartete und heute an der dortigen Universität gestaltete Internationale Trainerkurs (ITK) seit 60 Jahren. Der Kurs für Trainer und Sportlehrer aus aller Welt stellte eine markante internationale Säule des DDR-Sports dar, dessen Auslandsarbeit bisher kaum bekannt ist. Zumindest für Afrika liegt nun die Kontinentalstudie “Turnschuhdiplomatie” vor, die auf Basis von staatlichen, parteilichen, sportbezogenen oder sicherheitspolitischen (oft bisher unentdeckter) Akten eine Vielzahl von sportspezifischen Aspekten im Rahmen der Afrikapolitik der DDR rekonstruiert und auswertet.[1] Angesichts steter Debatten um den heutigen sportpolitischen Auftritt Deutschlands in der Welt erscheint eine retrospektive Vergegenwärtigung dieses vergessenen “Auswärtsspiels” der deutschen Sportgeschichte lohnenswert, da sich so ein umfassendes Panorama verschiedener Verknüpfungspunkte zwischen kultureller Auslandsarbeit, Außenpolitik, internationaler Verbandsarbeit, Sportbildung, Leistungssport oder Außenhandel auf unterschiedlichsten Ebenen offenlegen lässt. Nicht nur die aktive Rolle des Sports im Kontext der DDR-Afrikapolitik wird dabei deutlich, sondern auch die Perspektiven involvierter afrikanischer Staaten. Nur im Spiegel auch ihrer Interessen und damaliger deutsch-deutscher Rivalitäten mit der Bundesrepublik wird das Afrika-Engagement des DDR-Sports verstehbar. Nicht alles dazu kann hier erörtert werden. Dennoch sollen die folgenden Stichpunkte dazu anregen, die Einsatzchancen des internationalen Sports stärker zu beachten und weitere (nicht nur) sporthistoriographische Forschungen zur Auslandsarbeit des DDR-Sports zu initiieren.

1. Anfänge in Afrika

Oft setzt die DDR-Afrikaforschung mit dem ersten Afrika-Beschluss des Politbüros als Machtzentrale der in der DDR herrschenden Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) vom 4.1.1960 ein. Doch nach ersten Impulsen zwischen der DDR und Ägypten (u.a. Handelsabkommen 1953) gab es Sportkontakte mit Afrika schon ab Mai 1955, als ägyptische Radsportler bei der Friedensfahrt starteten. Die Zeit damals war politisch äußerst angespannt. Erst 1955 hob die sowjetische Besatzungsmacht in der DDR das Kriegsrecht auf und gewährte ihr formal „staatliche Souveränität“. Suchte die Bundesrepublik im Kontrast dazu (sie erkannte die DDR nicht an) die Nähe zur NATO und die weltweite diplomatische Exklusion der DDR mit Hilfe ihrer Hallstein-Doktrin, spannte die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken (UdSSR) die DDR in den Warschauer Pakt ihrer Satellitenstaaten und so in ihre Außenpolitik ein. So auch in Nordafrika, wo 1956 zwischen Ägypten und der Allianz Israel-Frankreich- England die Suez-Krise ausbrach. Der sowjetische Außenminister Wjatscheslaw Molotow schrieb DDR-Ministerpräsident Otto Grotewohl Ende 1955, „jedes sozialistische Land“ müsse seine globale Präsenz „wesentlich steigern“ und die noch junge DDR habe dabei speziell in paktfreien Ländern wie Indien, Syrien und Ägypten die Sowjetunion zu unterstützen.[2] W. Molotow meinte, „nicht nur Diplomaten und Politiker können zur Verringerung der internationalen Spannung beitragen, sondern auch Wirtschaftler und Kulturschaffende, offizielle Vertreter von Staaten und alle anderen, die [die freundschaftlichen Beziehungen zwischen den Ländern … fördern].“[3] Damit lag für die SED der auswärtige Rückgriff auf den populären Sport nahe.

Bei Siegerehrungen “soll die Fahne der DDR nicht unentfaltet bleiben“, so Edith Baumann schon 1951 als Sportsekretärin des SED-Zentralkomitees (ZK) vor den Weltjugendspielen.[4] Rasch drängte die Partei zur Popularisierung der DDR auf Sportveranstaltungen mit ausländischer Beteiligung im eigenen Land (Friedensfahrt, Deutsche Turn- und Sportfeste 1954/56/59, 1958/60 Weltmeisterschaften im Handball / Radsport) und mit ersten Leistungssportbeschlüssen im Politbüro (1954/56/59) auf Aufmerksamkeit schaffende Erfolge in der Weltspitze. Dazu gehörten der Aufbau von Sportstrukturen[5] und ab 1951 die Gründung eines Nationalen Olympischen Komitees (NOK), ab 1955 im Internationalen Olympischen Komitee (IOC) zunächst provisorisch mit Auflagen registriert), das Auslandskontakte generierte. Es war mit Mostafa El-Said der Vizepräsident des NOK Ägyptens, der im September 1955 die DHfK besuchte (die nun erste Auslandsstudenten aus Indien und Korea zuließ). Zerschlug sich im August 1955 noch die Idee ägyptischer Fußballoffizieller, die DDR-Elf für ein Salär von 10 000 britischen Pfund zu einer Gastspielreise einzuladen, folgten 1956 neben Radsportkontakten Länderkämpfe im Hockey und Boxen und der Einsatz von Auswahltrainer Gerhard Gralla zum Aufbau des Rudersports in Ägypten. 1957-59 arbeiteten sechs weitere DDR-Trainer am Nil.[6] Ab 1958 servierte die DDR auch beim Tennisturnier in Kairo zum Satzgewinn, das Eva Johannes und Horst Stahlberg 1960 sensationell gewannen.[7]

Das waren die Startschüsse für die Sportachse Kairo – (Ost-)Berlin. Bald darauf traten auch Marokko (1957 im Hockey) und Tunesien (1960 im Boxen und Fußball) gegen die DDR an. Im Sudan aber wehrte die BRD durch diplomatische Einwände von der DDR forcierte Kontakte im Tischtennis, Boxen, Tennis und Fußball ab. Sie wollte in der Region selbst “Flagge” zeigen. Vom Mythos der 1954er Weltmeister umweht, trat die bundesdeutsche Fußballelf Ende 1958 in Kairo an (und verlor 1:2). Sie sollte für politische Sympathien bei den Ägyptern sorgen, die mit der DDR über ein Kulturabkommen (mit Sport) sprachen. Was offenbar glückte: Während die DDR erst 1965 zu einem solchen Kontrakt gelangte, signierten Ägypten und die BRD ihre erste Kulturvereinbarung im November 1959.

2. Weltanschauliche Fiktionen

Das Tor für die DDR nach Afrika stand in Kairo, der Schlüssel dazu lag in Moskau. Die UdSSR hatte bis 1956 diplomatische Beziehungen mit Libyen, Tunesien, Marokko, Liberia, Sudan und Ägypten unter Gamal A. Nasser etabliert, dessen “arabischer Sozialismus“ Moskau und (Ost-)Berlin ideologische Ankerpunkte bot. Zur Auslandsprofilierung der DDR sah die SED über die ihr bekannte Härte Nassers gegen Kommunisten und andere politische Gegner hinweg. Ihr Gang auf ägyptisches Neuland folgte der Triebkraft des Kreml. Daher seien nur kurz die Ideologiemaxime der DDR als Basis auch ihrer Sportkontakte mit Afrika notiert.

Die SED folgte der Utopie, das Gesellschaftsmodell des Kapitalismus global mit dem Zwischenschritt des Sozialismus durch den Kommunismus zu ersetzen. Fusionieren sollten dazu drei „Hauptströme“: Der „real existierende Sozialismus“ im Warschauer Pakt, die Kommunisten und die Arbeiterklasse westlicher Länder sowie die internationale Befreiungsbewegung, die aus den sog. nationalen Befreiungsorganisationen und schon entkolonisierten Nationalstaaten Asiens, Afrikas und Lateinamerikas bestand. Jene drei Aktionsstränge sollten sich im „revolutionären Weltprozess“ unter dem Dach des Marxismus-Leninismus vereinen. Zudem gab sich die DDR per Verfassung antiimperial, antifaschistisch, antirassistisch und antikolonial (was ihr im von Kolonialherrschaft geprägten Afrika den Zutritt erleichterte). Daraus leitete die als “marxistisch-leninistische Kampfpartei” agierende SED eine „internationale Solidarität“ ab, aus der sich u.a. die Unterstützung der „um ihre nationale Befreiung kämpfenden Völker“ speiste. Die Ansicht, Sozialismus und Befreiungsbewegung würden weltweit kombiniert, entsprach dem Verfassungscredo von Frieden und Völkerverständigung und war als „antiimperialistische Solidarität“ ein „Grundanliegen sozialistischer Außenpolitik“. Damit einher ging die Fiktion, befreite Länder Afrikas würden sich zwangsläufig sozialistisch ausrichten, da sie sich nach ihrer Leiden während der Kolonialzeit als antiimperial verstehen und folglich vom als imperial und kolonial verpönten Kapitalismus abwenden müssten. Daher sah die SED in ihnen „natürliche Bündnispartner des Weltsozialismus“ und verstand ihr Werben um die diplomatische Gunst „sozialistisch orientierter“ Staaten Afrikas aus ihrem Weltbild heraus als logisch. Dabei war der Sport in ein „weltweites Streben für Frieden und Völkerverständigung eingeschlossen“ und “offiziell in die Außenpolitik einzubeziehen“. „Afrikanische Nationalstaaten“ galten daher auch im Sport als Teil „eines der revolutionären Hauptströme der Gegenwart und objektiv Verbündete der sozialistischen Staaten“. Das verfing in Afrika durchaus, da sich derlei Ideen teils in dortigen Parteiagenden wiederfanden (so in Kongo, Angola, Mosambik).[8]

3. Solidarität ist keine Einbahnstraße

Solidarität war also keine Worthülse, ging mit beachtlichen Spenden der Bevölkerung für “junge Nationalstaaten” einher, ließ sich propagandistisch bestens ins Schaufenster der Außenpolitik stellen und schloss oft die Kostenübernahme durch die DDR ein. Das hieß aber nicht, dass sich Afrikas Staaten mit der Sache der DDR zwingend gemein machten. Sie waren nicht nur Spielball zwischen den beiden deutschen Staaten in Afrika und wussten sehr wohl, in diesem Spannungsfeld ihre Ziele zu formulieren und zu erreichen (im Zweifel durch die Entscheidung für die finanziell bessere Offerte, die sich meist die BRD leisten und mit ihrer Hallstein-Doktrin leichter durchsetzen konnte). Oder sie blieben neutral, etwa 1961 im Umfeld des Berliner Mauerbaus. Die deutsche Frage berührte Afrikas Alltag kaum; ihre Probleme sollten die Deutschen selbst lösen.[9] Für die DDR hingegen hieß Solidarität aber auch nicht, dass sie damit keine Interessen verband, kein Entgegenkommen dafür erwartete und diese (wie die SED oft postulierte) uneigennützig leistete. So beim Versuch von Ende 1960, umrahmt von einem Fußballfreundschaftsspiel in Monrovia gegen die B-Auswahl der DDR Liberia für ein Staatssportabkommen zu gewinnen. Damals gab sich die DDR in solchen Fällen oft nur einigungsbereit, wenn sich im Gegenzug ihre diplomatische Anerkennung z.B. durch die Einrichtung einer Handelsmission anbahnen ließ (doch je länger die Hallstein- Doktrin wirkte, desto mehr musste die DDR von dieser fordernden Position abrücken). Die liberischen Funktionäre verhielten sich daher auch “blockfrei” und versagten ihren Gästen zum Anpfiff gar das Hissen ihrer Nationalfahne. Der Streit um die (aus westdeutscher Sicht) “Spalterflagge” der DDR war auch bei Wettkämpfen in Afrika ein Dauerthema, den die dortigen Länder je nach aktueller Lage und Interessen durchaus verschieden handhabten.

Und nicht selten wurde zwischen der DDR und ihren afrikanischen Partnern trotz aller Solidarität, eventueller ideologischer Schnittmengen und vermeintlicher politischer Parallelen mit harten Bandagen verhandelt. So 1978/79 um ein Höhentrainingszentrum, dass die DDR mit Blick auf die Olympischen Spiele in Moskau in Algerien bauen, dies aber nur exklusiv ihren Topathleten und nicht etwa algerischen Sportlern zugänglich machen wollte. Der Streit um die Trainingsstätte schaukelte sich derart hoch, dass DDR-Botschafter Karl-Heinz Vesper notierte, dieser führe gar zu “nicht unerheblichen politischen Belastungen für die Gesamtbeziehungen” mit Algerien.[10] Damals wurden immer öfter von vielen Ländern Afrikas auch höhere Preise für ihre anfangs oft kostenfreien Plätze im ITK oder an der DHfK gefordert, was bei diesen großen Frust auslöste. Damit sind zwei weitere Facetten der Afrika-Arbeit des DDR-Sports angedeutet: Der Leistungssport und der Außenhandel.

4. Devisenbeschaffung in Turnschuhen

Zunächst zum Außenhandel. Ab 1960 wuchsen die Wirtschaftssorgen der DDR. Auswärtige Abenteuer im fernen Afrika konnte sie sich kaum leisten. Schon kurz nach dem Mauerbau hoffte sie auf einen Milliarden-Warenkredit der BRD (vergeblich). Auch der Außenhandel wurde einer Inventur unterzogen. Bis 1962 war (der Apartheid-Staat…) Südafrika neben Ägypten der wichtigste Partner im bereits wieder abflauenden Afrika-Handel der DDR.[11] Neue Lösungen und mehr Erfahrung waren gefragt. Nach einer Seeexpedition des Leipziger Institutes für Warenkunde in Westafrika fragte das Neue Deutschland als Zentralorgan der SED: „Sind Waren aus der DDR tropenfest?“[12] Angesichts wachsender Finanzzwänge und Geschäftsinteressen stellte die SED ab 1962 alle Gesellschaftsfelder auf den Prüfstand. Im ZK der SED rief Staats- und Parteichef Walter Ulbricht die Mobilisierung aller Finanzreserven aus.[13] Und im Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten (MfAA) wurde alsbald betont, junge Nationalstaaten u.a. aus Afrika sollten ihre Kurs- oder Studienplätze an der DHfK mitfinanzieren.[14] Jene Marschroute zeichnete sich bereits ab, als Ägypten vorgab, 500 Sportstudenten in Leipzig schulen lassen zu wollen, über dieses lukrative Mammutprojekt aber angeblich auch mit der Sporthochschule Köln sprach. Die Gespräche wurden zu so einer Hängepartie. W. Ulbricht beendete zum Deutschen Turn- und Sportfest 1963 das Feilschen der Ägypter und ordnete an, dass diese alle Kosten dafür selbst zu tragen haben, da die DDR “nichts zu verschenken” habe (womit sich das Projekt erledigte).[15] 1966 gelang es erstmals, gegen Devisen über die Außenhandelsgesellschaft „Union“ Sportartikel an das NOK Ägyptens zu exportieren. Dazu gehörten Stoppuhren, Maßbänder und Trainingsgeräte, die für die DDR selbst rar und teuer waren und die sie bisweilen gar selbst importieren musste (z.B. 30 Glasfiber-Hochsprungstäbe). Ebenso verbanden sich Sport und Außenhandel im Juni 1978, als die aus Kaffeelieferungen Angolas an die DDR resultierenden Verbindlichkeiten im Tausch gegen diverse Exportgüter devisenfrei verrechnet wurden. Dazu zählten z.B. LKW’s, Gabelstapler oder 265000 Paar Turnschuhe, die kurzfristig zusätzlich von den nach fixen Jahresplänen arbeitenden Betrieben der DDR-Schuhbranche anzufertigen waren und diese in Produktionsnöte versetzte. Das Vorhaben war deshalb prioritär, da im Februar 1979 Staats- und Parteichef Erich Honecker nach Angola reiste und sich die DDR dort keine Blöße aufgrund von ausstehenden Lieferungen geben wollte. Hier griffen die SED-Wirtschafts- und Außenhandelsbosse Günter Mittag und Alexander Schalck-Golodkowski ein, damit noch vor Honeckers Ankunft in Angola zumindest ein Teil der Turnschuhe vor Ort eintraf.

5. Leistungssport und kommerzialisierte Solidarität: Trainingslager auf Äquivalenzbasis

Zu jener Zeit hatte die DDR ihre internationale Anerkennung seit 1972/73 erreicht. Ihre Afrikapolitik stand um 1980 im Zenit und hatte sich nach dem Wegfall des einst dominanten Langzeitziels diplomatische Anerkennung verändert und ausdifferenziert (und war daher überdimensioniert, was für die DDR immer weniger finanzierbar war). Das tangierte die Auslandsarbeit des Sports und so auch den Leistungssport. Schon die 1956 bei der Ägypten-Tour startenden Radasse um Täve Schur nutzen das Klima dort, um dem deutschen Winter zu entfliehen. Vor den Olympischen Spielen 1968 in Mexiko-Stadt wurden dann nicht nur Klima-, sondern auch Höhentrainingslager immer aktueller. Wie in Ägypten initiierte die DDR in Guinea ein Sportärztebüro, von dem sie sich auch tropenmedizinische Erkenntnisse im Leistungssport versprach. 1966 las man im “Leichtathlet” vom Höhentest in Kenia von Mittelstreckenläufer Jürgen May. Da Kenia im britischen Commonwealth nicht “sozialistisch orientiert” war und 1967 der Sechs-Tage-Krieg in Ägypten ausbrach, führte die DDR nun auch Trainingslager in Algerien durch (Rudern, Rad, Leichtathletik). Erst vor den Olympischen Spielen in München 1972 und Montreal 1976 und dann bis zum o.g. Zerwürfnis 1979, weshalb fortan Alternativen besonders in Äthiopien und Tunesien gefunden wurden.

Jene Reisen in Entwicklungsländer kosteten den Sport der DDR jährlich bis zu 650000 Valutamark (also Devisen), die sie in ihrer akuten Wirtschaftskrise (weniger Erdöl aus der UdSSR 1982, BRD-Milliardenkredite 1983) nicht hatte. Die SED (speziell G. Mittag, der die kommerziell ausgerichtete Entwicklungsländerkommission beim Politbüro leitete) forderte damals von allen Gesellschaftsbereichen, jegliche Kosten enorm zu senken und alle möglichen Dienstleistungen im Außenhandel gegen Devisen zu exportieren. Im Sport hieß das, unter Abschottung des Leistungssports Studienplätze, Fortbildungen, Auslandstrainer, Beratereinsätze, Trainingslager oder Planungen im Sportstättenbau (vermarktet über die Außenhandelsbetriebe LIMEX oder intercoop) so offensiv abzusetzen, dass sich die Kosten für die Höhen- und Klimatrainingslager des Leistungssport auf Äquivalenzbasis als Tauschhandel “valutadeckend” kompensieren ließen. Nur: Jene Angebote mussten zunächst auch organisiert und deren Durchführung sichergestellt werden, was jährlich mit bis zu 4,5 Mio. Mark der DDR (so etwa 1987) zu Buche schlug. Somit ließ sich die Afrika-Arbeit des Sports zwar weiter als solidarische Hilfe anpreisen (was sie für viele Staaten unzweifelhaft war), im Laufe der Zeit stand sie (indirekt) aber immer stärker im Dienst des alles überragenden Leistungssports.[16] Zudem erhielt die DDR aufgrund ihres sportlichen Weltruhms derart viele Hilfsanfragen aus aller Welt, dass sie den daraus resultierenden Aufwand gar nicht leisten und die damit verbundenen Erwartungen immer weniger erfüllen konnte. Und immer öfter boten in den 1980er Jahren auch andere Staaten des Warschauer Paktes (und auch China) solche Sportdienstleistungen kommerziell in Entwicklungsländern an – nur eben billiger. Es hatte sich unter den sozialistischen Ländern ein Konkurrenzmarkt gebildet, in dem die jungen Nationalstaaten das günstigstes Angebot wählen konnten. Jene sich verstärkende “kommerzialisierte Solidarität” trug erheblich dazu bei, dass die Sportbeziehungen der DDR nach Afrika am Ende der 1980er Jahre deutlich an Intensität verloren, immer unbeständiger wurden und mit einigen Staaten nahezu brach lagen.

6. Ausklammerung der Diplomatie im Trainingsanzug aus der kulturelle Auslandsarbeit

Wie für die (sich ab 1974 im Zuge der Bürgerkriege in Mosambik, Angola und Äthiopien verschärfenden) ideologischen Aspekte der Afrika-Politik der DDR ist es wichtig, für ihre dreidimensionale Außenpolitik zwischen den tonangebenden Parteistrukturen, dem Staatsapparat (Ministerien u.a.) und den Massenorganisationen wie dem Deutschen Turn- und Sportbund (DTSB) zu differenzieren. Denn der SED galten ihre amtlichen Beziehungen zu anderen sozialistischen oder kommunistischen Parteien weltweit als “Herzstück” der DDR-Außenpolitik. Über ihren Ersten Sekretär (später: Generalsekretär) W. Ulbricht bzw. E. Honecker und den nach Ressorts arbeitenden Sekretären im ZK der SED wurden die dortigen Abteilungen (z.B. für Sport oder internationale Verbindungen) koordiniert und so die politisch-ideologischen Grundsätze konzipiert. Das hieß im Sport, dass das Staatliche Komitee für Körperkultur und Sport (StaKo, später Staatssekretariat) die Auslandsarbeit der DDR für ihre diplomatische Anerkennung nach den Vorgaben der Partei genauso zu forcieren hatte (in den Bereichen Bildung, Medizin, Wissenschaft) wie der DTSB (in der Verbandsarbeit, im Leistungssport). Das sich das nicht immer voneinander trennen ließ und so auch Streit zwischen den beiden Institutionen auftrat, lag wohl in der Natur der Sache (wobei der DTSB mit seinem ZK-Mitglied M. Ewald an der Spitze und seinem engen Draht zur Parteiführung immer am längeren Hebel saß). Beide Institutionen waren aber für die DDR international sehr bedeutungsvoll. Leistungssporterfolge im Weltsport auf Seiten des DTSB setzten die DDR oftmals überhaupt erstmals auf die Landkarte und brachten ihr globale Aufmerksamkeit und Renommee ein. Das StaKo indes war für das Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten (MfAA) so wichtig, weil es für die DDR eine außenpolitisch alles entscheidende Aufgabe war, über erste internationale Kooperationen zwischen staatlichen Institutionen (wie der DHfK) zu ersten bilateralen Staatsabkommen zu kommen, um so im Rücken der Hallstein-Doktrin Schritt für Schritt ihrer diplomatischer Anerkennung und der Aufnahme offizieller bilateraler Beziehungen mit anderen Ländern (außerhalb des Warschauer Paktes) näherzukommen. Daher war im MfAA staatlicherseits zunächst das StaKo (ihm war u.a. die DHfK zugeordnet) der relevantere Akteur in der Sportauslandsarbeit und deshalb kam es in den Verantwortlichkeiten zwischen DTSB und StaKo 1965 sogar zu einer von E. Honecker abgesegneten Ländertrennung. Für jene Staaten, von denen sich die DDR damals am ehesten die diplomatische Anerkennung versprach, war fortan nur noch das StaKo zuständig (was Ägypten, Syrien, Irak, Tansania, Ghana und Guinea betraf). Und deshalb war über das StaKo die Sportauslandsarbeit u.a. mit Afrika in den entsprechenden Referaten im MfAA traditionell auf dem Terrain der kulturellen Auslandsarbeit (KAB) verortet, auf dem die den Sport beinhaltenden Abkommen zur kulturell-wissenschaftlichen Zusammenarbeit (KWZ) entstanden. Das aber änderte sich nach der diplomatischen Anerkennung 1972/73, weil dann ab 1975 alle internationalen Sportkontakte dem DTSB zugeordnet wurden (mit der weiter existenten Ausnahme der genannten Länder) und der Sport aus der KAB bzw. KWZ des MfAA “ausgeklammert” wurde, da er seine auswärtig- strategische Aufgabe erfüllt hatte und diplomatisch nicht mehr benötigt wurde. In den Afrika-Beziehungen des Sports was das MfAA somit nun weitgehend “ausgeschaltet”. Nach diesem Abschluss der seit dem Ende der 1950er Jahre bekannten Diplomatie im Trainingsanzug übernahm der Sport nun insbesondere eine weltweit enorm ausstrahlende politisch-repräsentative Werbefunktion für das sozialistische Image der DDR.

7. Sicherheitspolitische und armeesportspezifische Aspekte

Zur Ausdifferenzierung der Afrika-Arbeit des DDR-Sports gehören ab 1975 mit den sicherheitspolitischen Initiativen des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) und den Aktivitäten des Armeesports zwei weitere hochinteressante Aspekte. Im Militärwesen kam es zu Afrika-Kontakten ebenfalls schon ab 1957, als Sportoffizielle der ägyptischen Armee die DHfK besuchten oder die SED 1960 einem ägyptischen Major sogar eine Hospitanz in der Armeesportvereinigung Vorwärts (ASV) gewährte, da für den wachsenden Einfluss der DDR am Nil „alle Möglichkeiten der Kontaktaufnahme mit Ägypten auszunutzen sind“.[17] Später waren Trainer mehrerer Armeesportklubs wie Heinz und Lisa Reich (Potsdam, Turnen), Hubert Reinhold (Berlin, Boxen), Reinhold Glandien (Berlin, Handball) oder Gerhard Reichelt (Frankfurt/Oder, Fußball) in Afrika tätig. Hier zu beachten sind auch die (weniger intensiven) Afrika-Kontakte der Gesellschaft für Sport und Technik und der Start afrikanischer Athleten bei den Sommerspartakiaden des Sportkomitees befreundeter Armeen im Warschauer Pakt.
Was den Bereich des MfS betrifft (das ab 1964 zunächst in Sansibar, Guinea und Ghana aktiv war), so finden sich ab 1975 in seinen sicherheitspolitischen Abkommen mit afrikanischen Geheimdiensten oft auch Absprachen bezüglich des Sports, die auf Seiten der DDR u.a. durch die dem MfS nachgeordnete landesweite Sportvereinigung Dynamo und z.B. deren Fußballclubs (BFC Dynamo, Dynamo Dresden) zur Ausführung kamen, so in der Aufbauarbeit für die bis heute in Mosambik bestehende Sportvereinigung Roter Stern Maputo.[18] Einen länderübergreifenden Rahmen auf diesem Terrain boten die jährlichen Treffen der Sportorganisationen der Schutz- und Sicherheitsorgane sozialistischer und befreundeter Länder, an denen Länder Afrikas in den 1980er Jahren teilnahmen.

Schlussbemerkung
Die vorliegenden Skizzen über die Afrikageschichte des DDR-Sports macht interessierten Lesern hoffentlich Lust “auf mehr”. Einige ihrer Facetten ließen sich hier zumindest “anreißen”. Zeigen ließ sich dabei, dass das Thema sehr komplex ist, pauschale Einordnungen zu kurz greifen, zuweilen Ambivalenzen des DDR-Auftritts offenbar werden und weitere Aspekte zu ergründen sind. Das gilt u.a. für das Wirken des westdeutschen Sports in Afrika, den Umgang des DDR-Sports mit der Apartheid-Frage Südafrikas (u.a. in den Vereinten Nationen) oder den Doppelpass von DDR und Afrika in internationalen Sportverbänden wie dem IOC und dem Obersten Sportrat Afrikas, mit dem die DDR zwischen 1965 und 1973 im Umfeld der Allafrikaspiele eng kooperierte.[19] Diesen und weiteren Fragen nachzugehen, dazu lädt der Band “Turnschuhdiplomatie” – ganz im Sinne von www.sport-nachgedacht.de – mit seinen über 2000 Quellennachweisen ein.

Letzte Bearbeitung:  4. 02. 2024

 

  • [1] Daniel Lange, Turnschuhdiplomatie: Die internationalen sportpolitischen Beziehungen der DDR nach Afrika als besonderer Bestandteil ihrer Außenpolitik (1955-1990), Berlin 2022. Zugleich Dissertation an der Universität Potsdam (bei Prof. Dr. Hans Joachim Teichler und Prof. Dr. Herman Wentker) und im Promotionsförderprogramm der Bundesstiftung Aufarbeitung. Erschienen am Institut für Leistungssport & Trainerbildung von Prof. Dr. Jochen Zinner an der Deutschen Hochschule für Gesundheit & Sport. Siehe www.turnschuhdiplomatie.de.
  • [2] Notiz von O. Grotewohl, 31.12.1955, zitiert nach: Schwanitz, Wolfgang G., Wasser, Uran, Paktfreiheit?, Zur Geschichte der Beziehungen zwischen der DDR und Sudan (1955-70), in: Ders. (Hg.), Jenseits der Legenden: Araber, Juden, Deutsche. Berlin, 1994, S. 141.
  • [3] Aus: Diskussionsreden auf dem XX. Parteitag der KPdSU, (Ost-)Berlin, 1956, S. 165.
  • [4] Über die Weltfestspiele der Jugend und die Aufgaben in der Kultur und Sportarbeit, E. Baumann auf der ZK- Sitzung am 5./6.5.1951, in: Teichler, Hans Joachim, Die Sportbeschlüsse des Politbüros, Köln, 2002, S. 221ff..
  • [5] U.a.: Gründung von DHfK (1950) und Staatlichem Komitee für Körperkultur (1952), Einrichtung von Kindersportschulen (ab 1952), Konzentration von Spitzenathleten in Sportclubs (ab 1954).
  • [6] Dies waren im Turnen Günter Buchmann, Rudolf Fischer und Helga Buchmann, Gerhard Feck im Volleyball sowie Karl-Heinz Langhoff und Annemarie Ritter in der Leichtathletik.
  • [7] Im Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der DDR (MfAA) hatte man die schwungvolle Auftaktphase der Sportkontakte mit Ägypten derart im Blick, dass man die Bewerbung der DDR über ihren erfolgreicher werdenden Sport nun auch in ihre ab 1958/59 in Westafrika intensivierten Initiativen einbezog (Guinea, Ghana) und dabei Werbematerial “besonders über unsere Sportbewegung” einsetzte, wofür das MfAA noch für 1959 erstmals 53000 Deutsche Mark der DDR bereitstellte. Siehe: Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes (PAAA)/Bestand MfAA/A 16733/24ff., MfAA-Kulturabt., Perspektivplan zur weiteren Entwicklung der Beziehungen der [DDR] zu den afrikanischen Staaten, August 1959 (undatiert).
  • [8] Programmatische Dokumente kommunistischer und Arbeiterparteien sowie anderer revolutionärer Parteien in Asien, Afrika und Lateinamerika, Teil 5, aus: Akademie für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der SED (Hg.), Thematische Information und Dokumentation, Reihe C, Heft 22, (Ost-)Berlin, 1985. Die vielfältige Literatur zu den weiteren zitierten Stellen ist beim Verfasser hinterlegt.
  • [9] Lange, Daniel „‚Es geht nicht einfach um die Frage, ob Fußball gespielt wird'“, in: Deutschland Archiv, 24.8.2021, Link: www.bpb.de/338814.
  • [10] PAAA/MfAA/ZR 2798/81, K.-H. Vesper an Manfred Ewald (DTSB-Präsident), Algier, 28.5.1979.
  • [11] Eine am Institut für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der SED vorgelegte Dissertation wies aus, dass der Afrika-Handel der DDR (anders als bei anderen Warschauer-Pakt-Staaten) ab 1961 zurückging. Afrikas Anteil am Außenhandel fiel 1958-62 von 1,8% auf 1,3%, siehe: Militzer, Käthe, Probleme der Entwicklung der Wirtschaftsbeziehungen zwischen der DDR und Ländern des afrikanischen Kontinents, (Ost-)Berlin, 1964, S. 61.
  • [12] Neues Deutschland (ND), Sind Waren aus der DDR tropenfest?, 16.1.1965, S. 11.
  • [13] ND, Alles für die Stärkung der ökonomischen Grundlagen der DDR, 24.3.1962, S.1.
  • [14] PAAA/MfAA/A 16719/11f./Kulturabt., Orientierung der Kulturarbeitspläne und Maßnahmepläne zur Entwicklung der kulturellen und wissenschaftlichen Beziehungen zum Ausland 1965 (undatiert).
  • [15] PAAA/MfAA/A 16841/28-29/Kulturabt., Vermerk in einem Schreiben von Alfred B. Neumann (Vorsitzender des Staatlichen Komitees für Körperkultur und Sport) an den stellv. Außenminister Paul Wandel, 28.8.1963.
  • [16] DTSB-Präsident M. Ewald setzte in jener Zeit (als Mitglied im ZK der SED) durch, dass die vom Sport geforderten Devisenerlöse u.a. aus seiner Afrika-Arbeit als Einnahme und Einsparung doppelt bilanziert wurden. Einerseits galten die durch Leistungen für Entwicklungsländer generierten Beträge als direkte Devisen-Einnahmen. Da sie als “immaterielle Leistungen” mit Trainingslagern u.a. in Afrika “devisenlos” verrechnet wurden, wurden sie auch als “indirekte” Einnahmen deklariert, die der Sport für die DDR an Devisen einsparte. Das trug dazu bei, die um 1982/83 auch dem Leistungssport drohenden massiven Devisenkürzungen (u.a. für den Import von Trainingsgeräten aus dem nichtsozialistischen Ausland) abzuwehren, um den Kampf um die Weltspitze bei den Olympischen Spielen 1984 nicht zu gefährden.
  • [17] ZK-Abteilung Sicherheit an Ministerium für Nationale Verteidigung, Mai 1960, zitiert nach: Storkmann, Klaus, Geheime Solidarität: Militärbeziehungen und Militärhilfen der DDR in die „Dritte Welt“, Berlin, 2012, S. 185.
  • [18] Lange, Daniel, Dynamo in Afrika: Doppelpass am Pulverfass, in: Deutschland Archiv, 30.6.2022, Link: www.bpb.de/510044.
  • [19] Lange, Daniel, Turnschuhdiplomatie im Schatten: Der DDR-Sport und die Allafrikaspiele 1973 in Nigeria, in: Deutschland Archiv, 13.10.2023, Link: w.bpb.de/541656.