Interview Henner Misersky – Die Dopingaufarbeitung für die DDR macht keinen Sinn mehr

 

In „sport-nachgedacht.de“ war bereits in den vergangenen fünf Jahren die Aufarbeitung der Entwicklung des deutschen Sports insbesondere in mehreren Gastbeiträgen ein wichtiges Thema. Ein etwas genauerer Blick wurde dabei auch auf das Problem der so genannten „Dopingopfer“ geworfen, dem nach der Wiedervereinigung die verschiedenen Bundesregierungen mit einem eigenen Gesetz gerecht werden wollten. Besonders kompetent haben sich mit der Frage nach den Dopingopfern der ehemaligen DDR Werner Franke, Gerhard Treutlein, Rüdiger Nickel vor allem auch Henner Misersky auseinandergesetzt. Ein bemerkenswertes Interview, das er dem „Nordkurier“ in diesen Tagen gegeben hat, macht einmal mehr deutlich, wie dringend notwendig eine sachgerechte und faire Aufarbeitung der Entwicklung des Sports in den beiden deutschen Staaten wäre. Von einem Ende der Aufarbeitung darf deshalb noch lange nicht gesprochen werden. Der besondere Auftrag, der gegenüber kompetenten  Historikern besteht, stellt sich deshalb nach wie vor.
Das Zitat aus dem Interview, das der „Nordkurier“ als Überschrift für die Antworten von Henner Misersky gewählt hat, ist in vieler Hinsicht irreführend, denn die Inhalte des Interviews widersprechen der Überschrift in jeder Hinsicht. Sie deckt sich auch ganz gewiss nicht mit der Aufklärungsarbeit und mit den Interessen von Henner Misersky.
Für die FAZ ist diese misslungene Überschrift jedoch willkommener Anlass in einem Kommentar von „Miserskys Fehlschluss“ zu sprechen und ihm eine „eindeutige Blindheit“ zu unterstellen, ohne auch nur einen der von Misersky dargelegten Befunde, die mit den Antworten von Misersky in dem Interview offengelegt werden, in Frage zu stellen oder gar zu widerlegen. Schon gar nicht werden die Fakten erwähnt, die sich auf die ehemalige Vorsitzende des Doping-Opferhilfe- Vereins beziehen und die einen Widerspruch zu den Darstellungen derselben Person in der FAZ bedeuten. Angesichts eines solchen Kommentars scheint für einen Kommentator einer FAZ-Sportredaktion das Eingeständnis von Recherchefehlern und die Entschuldigung für eine fehlerhafte Berichterstattung wohl in utopische Ferne gerückt zu sein. (H.D.)

Nachfolgend das Interview, das Henner Misersky dem Nordkurier gegeben hat.

Kürzlich hat der „Spiegel“ ausführlich über Vorwürfe gegen  Ines Geipel  und ihren Umgang mit der  DDR-Doping-Geschichte berichtet, nachdem sich die großen Medienhäuser zuvor lange sehr zurückgehalten haben mit der Berichterstattung zu diesem Thema. Hat Sie der Artikel zu diesem Zeitpunkt überrascht? 

Ja, ich war ziemlich perplex, als ich kurz vor dem Erscheinen davon erfuhr. 

Sie selbst haben einen langjährigen Rechtsstreit gegen Ines Geipel gewonnen. Was hatte es damit auf sich? 

Sie ist seit 2018 gegen mich vorgegangen, weil sie mich zwingen wollte, Korrekturen zu ihrer veröffentlichten Biografie zu unterlassen – und zwar bei einer extremen Strafbewehrung von 250 000 Euro. Der Grund: Ich hatte mich sowohl an die damalige DOH-Vorsitzende Geipel selbst und natürlich an den DOH mit einer kritischen Mail gewandt.  

Worum ging es da? 

Ich hatte mich zu einem Interview “Der Fall Geipel“ in der Sächsischen Zeitung vom 4. Juni 2018 per Mail geäußert, das nach meinem Kenntnisstand in wesentlichen Aussagen realitätsfern-wahrheitswidrig, mit Falschbehauptungen ohne Faktencheck und Recherche zusammengeschrieben worden ist. Es ging um Geipels „Verbannung“, sie sei ehemalige Weltklassesprinterin, die Rede ist von 15 000 Zwangsgedopten. Doping im Fußball bis in die Kreisliegen hinein.  

Ines Geipel wollte Ihnen anschließend mehrere Aussagen über ihre Person verbieten lassen. Weshalb sind Sie dagegen durch zwei Instanzen gezogen? 

Nachdem ich ihr Unterlassungsbegehren nicht unterschrieben hatte, gab es vom Gericht einen Terminvorschlag zum 10. 9. 2019 für eine Güteverhandlung. Ich habe mich ganz bewusst nicht darauf eingelassen, obwohl die Klägerin dem bereits zugestimmt hatte. Warum? Ich hätte mir lebenslang strafbewehrt und risikobehaftet einen Maulkorb verpassen lassen und mich von meinem Recht auf freie und kritische Meinungsäußerung zur Biografie von Ines Geipel verabschiedet.
Ich wollte eine öffentliche juristische Auseinandersetzung, nach dem sie mich verklagt hatte. In erster Instanz vorm Landgericht Berlin gingen von sieben Unterlassungsklagen nur noch zwei angeblich ehrabschneidende unwahre Behauptungen an die Klägerin. Es sollte mit einem Vergleich enden. Das war mit mir nicht zu machen. Mit diesen zwei Punkten hätte sie einen Politstatus, wie ich meine, als aus dem DDR-Sport 1985 „Verbannte“ weiter beanspruchen können und mir wäre auch untersagt worden, mich nicht dahin gehend äußern zu dürfen, dass ich es unglaublich finde, dass sie als „politisch Verfolgte“ in der DDR einen hochbegehrten Studienplatz für Germanistik erhalten/behalten hat.
Ich ging als Berufungskläger vor das Kammergericht mit dem Ergebnis, dass Geipels Unterlassungsklage insgesamt abgewiesen wurde. Die Klägerin hatte nun auch keinen Anspruch mehr auf Unterlassung in den beiden streitgegenständlichen zwei Äußerungen von mir. 

Sie haben viele Jahre lang gemeinsam mit Ines Geipel gegen Dopingvergehen in der DDR gekämpft. Ines Geipel spielte auch eine große Rolle bei den Berliner Prozessen, bei denen das Doping in der DDR verhandelt wurde. Wann gab es damals den ersten Kontakt mit Ines Geipel? 

Wenn ich mich recht erinnere, gab es den Erstkontakt zu Ines Geipel, die kein DOH-Gründungs- oder Beirats-Mitglied war, bei einer Veranstaltung etwa 2000 im MDR-Funkhaus in Leipzig. Da wurde der DOH den Medien vorgestellt. Zunächst beschränkten sich die Gemeinsamkeiten auf einige Veranstaltungen und einen vorausgehenden häuslichen Besuch.
Dabei ging es ihr offensichtlich darum, sich unseren Kenntnisstand als Zeitzeugen und meine Personalkenntnisse mit langjährigen Leistungssporterfahrungen zunutze zu machen. Es gab telefonische Anfragen, wenn es Kenntnislücken gab. Den Vorsitz des DOH übernahm sie erst 2013.
Als ich sie kennenlernte, wusste ich z. B nicht, dass Geipel eine durchgängige SED-Mitgliedschaft bis zum Verlassen der DDR im August 1989 hatte, -keine Ahnung, dass sie in der DDR staatliche Ausgleichszahlungen für eine extrem lange sportbedingte Studienverlängerung erhalten hat, zusätzlich zum Stipendium.
Ich hatte auch keine Ahnung von ihren sportlichen Ergebnissen, die später als „Weltklasse“, „Weltrekord“, „golddekorierte Leichtathletik-Spitzenfrau“ und sogar als „Olympiasiegerin“ hochgestapelt worden sind, -keine Ahnung, dass sie mit dem DDR-Vizemeister im Kugelstoßen und EM-Teilnehmer Matthias Schmidt bis 1984 verheiratet war. Bestleistung 20,92 Meter. 

Wie sehen Sie die Berliner Prozesse im Jahr 2000 heute? 

Die Dopingprozesse gegen die DDR-Sportführung und leitende Mediziner sind ausschließlich und allein auf die Privatklage des Heidelberger Molekularbiologen Professor Werner Franke zurückzuführen. Sie waren wichtig und richtig. Aus heutiger Sicht muss ich aber hinzufügen, dass erst kürzlich eine Publikation trotz erheblicher Behinderung und stark beschnittener Quellen über eine der größten Dopingzentralen Deutschlands erschienen ist:“ Doping für Deutschland“.
Es gab auch im Westen organisiertes Doping mit Wissen und Duldung staatlicher Institutionen, vorrangig in Freiburg, aber auch in Kooperation mit anderen Einrichtungen, wie der Sporthochschule Köln, um konkurrenzfähig zu sein im leistungssportlichen Systemvergleich. Der bundesdeutsche Leistungssport hatte durch Überläufer aus der DDR keinerlei Informationsdefizite bezüglich des DDR-Leistungssports.
Einer davon war Dr. Riedel, der auch die Jenenser Sprintgruppe unter Trainer Hille mit Ines Geipel sportmedizinisch mit anabolen Steroiden aufgerüstet hat und im Westen themengleich an der Uni Paderborn mit dem West-Doper Dr. Liesen praxisbezogen zusammengearbeitet hat. Das findet man in der Fachliteratur. Um ihr ehemaliges leistungssportliches Umfeld in Jena macht die Aufklärerin literarisch bis heute einen großen Bogen. Gefunden habe ich dazu nichts. 

Um Ines Geipel war es nach der politischen Wende viele Jahre ruhig. Erst ab 2000 trat sie als Kämpferin gegen das Doping in der DDR in Erscheinung. Wie erklären Sie sich das? 

Naja, das mit Anti-Dopingkämpferin relativiert sich. Zehn Jahre blieb sie in Deckung. Sie ist eher eine „Spätberufene“. Bis heute hat sie sich selbst nie ehrlich gemacht. Werner Franke stieß auf Ines Geipel als gedopte Läuferin – verheiratete Schmidt –, unter anderem in Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft Erfurt vom 23.7.1999 zu Trainer Horst-Dieter Hille.
Diese hat mit Sicherheit auch der jetzige DOH-Vorsitzende Michael Lehner eingesehen und dürfte als Geipels Nachfolger im Bilde sein, dass Ines Geipel weder unwissentlich noch unter Zwang, zumal in ehelicher Gemeinschaft, gedopt hat. Bereits 1991 wurde in „Dopingdokumenten“ der Tablettenkonsum Ines Schmidts veröffentlicht. 1984 zum Beispiel innerhalb 17 Wochen 258 Oral-Turinabol-Tabletten a 5mg, ein anaboles Steroid zum Muskelaufbau.
Die Autorin Brigitte Berendonk und ihr Ehemann, der Heidelberger Molekularbiologe Prof. Dr. Werner Franke, waren damals nicht im Bilde, dass Ines Schmidt und Ines Geipel die gleiche Person sind. Für ihren Drang nach Anabolika, auch zur eigenen selbstbestimmten Steuerung, gibt es Belege und Bestätigung von verschiedenen Zeitzeugen. Werner Franke hatte Ines Geipel 1999 gegen ihren anfänglichen Widerstand als Nebenklägerin bei den Berliner Prozessen aktiviert. 

Wann begann das Zerwürfnis mit Ines Geipel? 

Das war ein Prozess, der sich beschleunigte durch unrealistische Beschreibungen und doktrinäre Verallgemeinerungen zur Dopingproblematik. Für eine Goldmedaille seien 192 Athleten chemisch verbrannt worden, von Todeslisten war die Rede. Bei über 200 Goldmedaillen für die DDR wären das etwa 100000 Verbrannte. Logisch, bei dieser Schadenslage entschädigungsreif?
Anderen Orts: Ihr sei zum Zweck einer Fluchtverhinderung im Stasi-Auftrag im Olympiajahr 1984 die Bauchdecke durchtrennt worden. Sie hätte sofort ihre leistungssportliche Laufbahn abbrechen müssen. Es hätte Zersetzungsmaßnahmen gegeben. Eine nichtindizierte Blinddarm-OP gab es aber nachweislich erst ein Jahr später. 

Sie wollten da nicht mitmachen? 

Nicht nur ich. Abgänge aus dem Vorstand wie des Stellvertreters Uwe Trömer und Marie Kanitz lagen vor meinem Austritt. Ich erhielt telefonisch eine Aufforderung, mich nicht zu Sachverhalten zu äußern, die der „Doktrin“ vom unwissentlichen flächendeckenden Zwangsdoping nicht entsprachen, speziell zu den Absetzfristen dopingrelevanter Medikamente und Vorab-Ausreisekontrollen, den Geheimhaltungsverpflichtungen von Volljährigen.
Die Situation eskalierte 2018, als Geipel mir die Auskunft zu einer Langläuferin aus datenschutzrechtlichen Gründen verweigerte, die ich vom Jahrgang her trainiert haben müsste. Der Langläuferin ginge es sehr schlecht, sie läge im Sterben. Darauf trat ich unter Protest aus dem DOH aus. Datenschutz spielte keine Rolle, wie ich beweisen kann. Kurz darauf folgte die Klage.
Vor dem ersten Prozess am 6. Februar 2020 im Landgericht Berlin suchte ich die entschädigte Sportlerin im Januar 2020 auf. Ich wusste inzwischen, wer das „Opfer“ ist. Mit mir reden wollte sie nicht. Ich habe mit ihrem ehemaligen Trainer gesprochen. Er bestätigte mir: Der Jahrgang war gefälscht. Sie war keine Kadersportlerin, hat nie Dopingmittel bekommen, war eine perspektivlose Rückdelegierung nach Klasse Zehn.
Trotzdem erhielt sie die Entschädigung von 10.500 Euro. Man findet sie auf Seite 30 der Schweriner Publikation: “Staatsdoping in der DDR“, Herausgeberin ist die Landesbeauftragte Anne Drescher, Mitautoren sind Ines Geipel, sowie der damalige Sportchef des NDR in Schwerin, Andre Keil: Skilangläuferin, geb.1968, staatlich verordnetes Dopingprogramm, schleimbildende Tumore im Bauchraum, metastasiert. 

Welche Schlüsse ziehen Sie daraus? 

Für mich hat sich der Verdacht erhärtet, dass es bei der Dopingopfer-Entschädigung Trittbrettfahrer auf Kosten des Steuerzahlers gibt. Dem Olympiasieger Schenk hatte man bereits weit die Tür geöffnet. Zurückgerudert wurde erst nach einem Protest an die Bundesregierung. Ich war daran beteiligt, ebenso wie am Dossier Blackbox-DOH, Dopingopfer- „Hilfe“ Meine ernsthaften Bedenken wurden dahin gehend diskreditiert, ich wolle mich zum obersten Opferzähler der Trainer machen. Die Prüfverfahren für Zuwendungen vom Steuerzahler halte ich für äußerst lückenhaft. 

Ines Geipel hat für ihre Verdienste im Kampf gegen das DDR-Doping das Bundesverdienstkreuz erhalten. Wie sehen Sie das? 

Kritisch, Recherche null, was sonst? Mich interessiert eher, wer diese Auszeichnung angekurbelt hat und mit welcher Begründung. Es gibt ja auch eine Laudatio auf Ines Geipel von Joachim Gauck, ohne Faktencheck. Da ergeben sich für mich dieselben Fragen. 

Was bei der Aufarbeitung des Dopings in der DDR auffällt: Das Ganze scheint sich auf Mecklenburg-Vorpommern zu konzentrieren. Wie erklären Sie sich das? 

Das kann ich aus dem Thüringer Wald nicht überblicken. Es hat sich offensichtlich ein selbstorganisierendes Netzwerk entwickelt. Die Landesbeauftragten für die ehemaligen Stasi-Unterlagen sind da mit einbezogen. Ich halte diese für wenig kompetent in Sachfragen. Eine parlamentarische Kontrollinstanz fehlt vermutlich.
In MV ist es offenbar relativ leicht, Summen von über 176.000 Euro für politisch gewollte fragwürdige Projekte und ein Promotionsstipendium an Ines Geipel ab dem Jahr 2017 von 39.600 Euro auszureichen. Bedürftigkeit kann ich nicht erkennen und eine Dissertation liegt bis heute nach Auskunft nicht vor.
Sie wird vom Wissenschaftsministerium verweigert. Ich frage mich, wie ein Landesrechnungshof oder eine Opposition im Landtag so etwas durchgehen lassen können. 

Athleten, Trainer und Funktionäre im DDR-Sport können mit dem Ende der Berliner Prozesse nicht mehr für mögliche Dopingvergehen belangt werden. Trotzdem wird weiter Geld in die Aufarbeitung gesteckt. Macht das Sinn? 

Diverse Auftragsarbeiten zum Thema habe ich aufmerksam gelesen, griffbereit im Regal, mit kompetenten Zeitzeugen Ost-West besprochen und bin durchaus in der Lage, einzuordnen, was Dichtung und Wahrheit ist. Für die ehemalige DDR, deren völlige Delegitimierung politisch gewollt war und fortgeschrieben wird, macht das keinen Sinn mehr.
Für mich hat sich das erledigt. Aber für die alte Bundesrepublik eher ja. Darum will ich betonen: Der Abschlussbericht der Freiburger Untersuchungskommission zur Dopingzentrale West ist unvollständig geblieben. Die Ausrichtung auf die DDR ist scheinheilig, aber gewollt. 

Früher galten Sie als einer der größten Kritiker des DDR-Sportsystems. Heute scheinen Sie es differenzierter zu sehen. Wie kommt das? 

Es gab bei mir blinde Flecken. Mit dem leider im März verstorbenen Anti-Dopingexperten Prof. Dr. Treutlein, Mitautor “Doping für Deutschland“ aus Heidelberg, hatte ich später intensiven Austausch. Er war mit mir im Beirat Ethik des DOH. Wir traten zeitgleich aus diesem Verein Anfang Mai 2018 aus. Meine Defizite zum West-Doping baute er ab. Die Sichtweise änderte sich. Das DDR-Sportsystem war umfassend.
Mir ging es nach dem Mauerfall um einen Teilbereich. Ich bin generell gegen den Einsatz unerlaubter Mittel, das hat mit Ost oder West nichts zu tun. Die Diskussionen, an denen ich beteiligt war, betrafen im Wesentlichen dieses spezielle Thema einige Jahre nach dem Mauerfall. Ich habe mich für den Erhalt von Trainingszentren engagiert, erlebte den Verfall des Schulsports und einer Sportkultur, die eben nicht ausschließlich auf die „DDR-Diplomaten im Trainingsanzug“ ausgerichtet war.
Als verantwortlicher Spezial-Sportlehrer an einer Elite-Schule des Sports, der auch an einer Kinder -und Jugendsportschule als Trainer mit Jugendlichen in der DDR dopingfrei erfolgreich gearbeitet hat, auch als Hochschulsportlehrer, habe ich wie wenige ganz konkrete Vergleichsmöglichkeiten. Ich kann durchaus beurteilen, was im Schulsport, im Schwimmunterricht, im Studentensport und anderen Bereichen besser war als das, was uns mit dem kommerzialisierten übergestülpten Föderalismuskonzept nicht nur im Sport passiert ist. Mit Ostalgie hat das nichts zu tun. 

Kritiker werfen Ihnen vor, heute mit DDR-Trainern wie dem Neubrandenburger Leichtathletik-Coach Dieter Kollark zusammenzuarbeiten, mit dem Sie früher nichts zu tun haben wollten. Was entgegnen Sie diesen Kritikern? 

Die Kritik ist dahin gehend berechtigt, dass es besser gewesen wäre, viel früher vorurteilsfrei zu in die Kritik geratenen Trainern wie Dieter Kollark Kontakt gesucht zu haben. Das betraf aber immer beide Seiten. Wir wussten zu wenig voneinander über unsere Biografien. Fest steht für mich, dass Dieter Kollark auf keiner Täterliste zu finden ist, kein Athlet ihn bei staatsanwaltschaftlichen Vernehmungen als Dopingtäter belastet hat.
Der Kontakt kam zustande, weil es für mich unerträglich war, was da in Schwerin/Neubrandenburg inszeniert wurde mit Hilfe des DOH, im Fernsehen und einigen Zeitungen, um einen hochkompetenten Trainer kampagnenhaft als Doper Minderjähriger zu brandmarken. Diese bösartigen Unterstellungen, ein Lügenkonstrukt, sind längst ausgeräumt, auch auf juristischem Wege, wie bei mir. 

Was wünschen Sie sich für die Zukunft im Umgang mit dem Erbe des DDR-Leistungssports? 

Dass der DDR-Sport in all seinen Facetten, vom Kinder- und Jugendsport, vom Schulsport, Breitensport, Hochschulsport, Betriebssport ideologiefrei und objektiver beurteilt wird. Dazu gehört, dass sich Zeitzeugen mehr einbringen und gehört werden, nicht undifferenziert von selbst ernannten inkompetenten „Experten“ zur DDR-Sporthistorie mit vorgestanzten Erklärungsmustern agiert wird, die uns unser Sportlerleben und DDR-Sportgeschichte erklären wollen.
Es dürfte ja bekannt sein, dass ich Probleme in der DDR hatte und mein Lebensweg als Sportler und Trainer zeitweise behindert wurde.1992 wurde ich von der Landesregierung Thüringen rehabilitiert. Heute vermutlich nicht mehr. Trotz alledem: Aus meiner Sicht ist viel wertvolles Erbe unwiederbringlich verloren gegangen. Der Grundtenor meiner Erinnerungen an unsere Sportzeit, die ich gemeinsam mit vielen Sportkameraden teile, bleibt bei aller Kritik aber positiv. 

  

Der ehemalige Leistungssportler Henner Misersky gehörte 1999 zu den Gründungsmitgliedern der Doping-Opfer-Hilfe (DOH). Der Verein hat sich zur Aufgabe gemacht, Doping-Opfer, vor allem aus der DDR, zu unterstützen. 2013 übernahm die ehemalige Sprinterin Ines Geipel den Vorsitz.
Mit ihr, so heißt es, veränderte sich in den Jahren auch die DOH – ehemalige Mitstreiter sagen heute: nicht zum Guten. Zwischen Henner Misersky und Ines Geipel stimmte die „Chemie“ schon länger nicht mehr, der Streit eskalierte schließlich 2018, auch im Zuge der Recherchen des Nordkurier im „Fall Dieter Kollark“. Der Leichtathletiktrainer soll Kinder gedopt haben, zwei große Tageszeitungen schrieben darüber und mussten später Gegendarstellungen drucken: Der Nordkurier hatte aufgedeckt, dass die Geschichte nicht stimmte. Eines der „Kollark-Opfer“, ein ehemaliger Kugelstoßer aus Neustrelitz, erhielt damals als DDR-Doping-Opfer eine Entschädigung über 10 500 Euro. Für die staatliche Entschädigung hatten sich Ines Geipel und die DOH jahrelang eingesetzt. Der Nordkurier und die Tageszeitung (TAZ) gehörten damals zu den wenigen Medien, die sich anschließend mit dem Thema Doping-Opfer in der DDR intensiver beschäftigten.
Die Kritik an den Opferzahlen des DDR-Leistungssports wurde immer lauter. Henner Misersky, der renommierte Doping-Experte Werner Franke, Doping-Experte Gerhard Treutlein und die ehemalige BRD-Sprinterin und Anti-Doping-Kämpferin Claudia Lepping veröffentlichten Ende 2018 ein 50-seitiges Papier, in dem die Gruppe schwere Vorwürfe gegen die DOH erhob. Der größte Vorwurf: Geipel blase die Zahl vermeintlicher Doping-Opfer künstlich auf, um ihrem Verein mehr politisches Gewicht zu verleihen.
Weil der Druck immer größer wurde, trat Ines Geipel schließlich im Dezember 2018 vom DOH-Vorsitz zurück. In Zeitungen oder in TV-Talkshows trat sie aber weiter als „Weltklasse-Sprinterin“ und Kämpferin gegen das DDR-Unrecht auf. Henner Misersky kämpfte dagegen weiter an, schickte Rundmails an Tageszeitungen in ganz Deutschland.
Ines Geipel klagte schließlich gegen das „Stalking-Programm des Herrn Misersky“. Vor dem Berliner Landgericht Anfang 2020 einigten sich beide Parteien zunächst auf einen Vergleich, Misersky durfte einige Dinge über Geipel nicht mehr öffentlich behaupten. Doch der Thüringer widerrief den Vergleich, er wollte sich nicht den Mund verbieten lassen.
Und so landete der Fall im Oktober 2021 vor dem Kammergericht in Berlin, das Misersky in allen Punkten recht gab. Er darf unter anderem weiter behaupten, Ines Geipel sei nicht aus politischen Gründen aus dem DDR-Leistungssport verbannt worden, sondern, dass sie wegen schlechter Leistungen gehen musste.