Zur Wirksamkeit wissenschaftsorientierter Gremien des deutschen Sports

Wissenschaftsorientierte Gremien des deutschen Sports, häufig „Wissenschaftlicher Beirat“ genannt, können unter prinzipiellen Gesichtspunkten in zweifacher Weise wirksam sein. Sie können zum einen dem Sport selbst dienen, d.h. den Athletinnen und den Athleten, den Sporttreibenden, den Trainerinnen und Trainern und den ehrenamtlichen Funktionärinnen und Funktionären. Daneben kann die Arbeit dieser Gremien auch Auswirkungen und Rückwirkungen auf den wissenschaftlichen Bereich haben, aus dem die wissenschaftlichen Experten¹ stammen. Dabei kommt ihre Arbeit nur in indirekter Weise dem Sport zugute. Die zweite Art von Auswirkungen lässt sich relativ einfach überprüfen und beschreiben. Die Arbeit der wissenschaftlichen Gremien dokumentiert sich dabei in Publikationen, deren Resonanz lässt sich über Zitate und Belege bewerten. Die erste Art von Wirksamkeit von wissenschaftlichen Gremien ist in Bezug auf den Erfolg dieser Arbeit sehr viel schwieriger zu beurteilen, da sowohl hierzu die Überprüfung der Beratungsresultate der wissenschaftlichen Gremien notwendig ist als auch das Problem der Übermittlung der Resultate besteht und die entsprechende Resonanz bis zur Basis des Sports beobachtet werden muss.

Problem der Relevanz

Neben der grundsätzlichen Beschreibung der möglichen Wirkweisen wissenschaftlicher Gremien ist zu beachten, dass wissenschaftliche Gremien im Sport daran zu messen sind, inwieweit die von Ihnen behandelten Themen eine Relevanz für jene Zielgruppen haben, auf die ihre Arbeit ausgerichtet sein sollte. Hierbei stellt sich das grundsätzliche Problem, dass die wissenschaftlichen Gremien meist in solchen Sportorganisationen eingerichtet sind, deren Steuerungskompetenz in Bezug auf die praktischen Belange der jeweiligen Sportarten meist als gering zu bezeichnen sind. Betrachtet man die Arbeit der verschiedenen wissenschaftlichen Gremien, die in der Vergangenheit für Organisation des Sports tätig waren, so war häufig festzustellen, dass sie in der Regel Probleme behandeln, deren Bewältigung oft nur indirekt zur therapeutischen Kompetenz jener Sportorganisation gehören, für die sie tätig sind. Wissenschaftliche Gremien arbeiten in vielen Fällen so, dass sie Probleme selbst definieren und dabei aber kaum die Handlungsmöglichkeiten der sie einsetzenden Institutionen beachten. So war beispielsweise die Orientierung des wissenschaftlichen Beirats des (damaligen)DSB in der Vergangenheit in erster Linie an Problemen orientiert, die diesem Beirat selbst als wichtig erschienen. Eine Orientierung an den Handlungsmöglichkeiten des DSB bzw. eine Orientierung an dessen Handlungsbefugnissen erfolgte meist jedoch nicht. Für diese unbefriedigende Situation gibt es meist mehrere Ursachen. Eine wichtige Ursache muss vor allem darin gesehen werden, dass in den meisten Sportorganisationen, die sich um eine wissenschaftliche Beratung bemühen, die notwendige Kompetenz zur Benennung jener Probleme, zu deren Lösung wissenschaftliche Hilfen erwartet werden, nicht anzutreffen ist. Werden die betroffenen Verantwortlichen in den Sportorganisationen von ihren wissenschaftlichen Beratungsgremien aufgefordert, jene Probleme schriftlich zu benennen, die von den wissenschaftlichen Gremien bearbeitet werden sollen, so liegen geeignete Antworten meist nur sehr unzureichend oder gar nicht vor.

Arbeitsstil und Kommunikation mit den Partnern

Ein weiteres Problem von Wissenschaftsgremien in Sportorganisationen ist, dass sie ihre Themen oft so bearbeiten wie es bei Lehrveranstaltungen an Universitäten üblich ist, d.h. ihre Sitzungen gleichen Seminaren und haben den Charakter von wissenschaftlichen Debatten. Von denen wird angenommen, dass sie Lösungsmöglichkeiten für die Probleme des Sports hervorbringen und bereitstellen. In der Praxis der Sportverbände hat es sich jedoch sehr schnell erwiesen, dass mit dieser Art von Reflexion und Präsentation einem Beratungsauftrag zugunsten der sportlichen Praxis in der Regel nicht entsprochen werden kann.
Ein schwieriges Problem wissenschaftlicher Gremien in Sportorganisationen ist dabei vor allem die Art der Präsentation der Erkenntnisse, die aus den Debatten der Gremien hervorgehen. Auch hier wurde und werden in der Regel jene Präsentationsweisen gewählt, wie sie für wissenschaftliche Debatten an Universitäten und Forschungseinrichtungen üblich sind. Das wissenschaftliche Referat, bzw. die wissenschaftliche Publikation dürfte jedoch kaum geeignet sein, die Zielgruppen, denen die Beratung eigentlich gelten sollte, auf diese Weise zu erreichen.

Problem der Unabhängigkeit

Für wissenschaftliche Gremien in den Organisationen des Sports stellt sich grundlegend die Frage, inwieweit sie als unabhängige Gremien Partner sind, die die sie einsetzende Institution beratend unterstützen oder inwieweit sie ihre Rolle als ideologische Kontrollinstanz betrachten, d.h., inwieweit sie sich selbst als eine Institution sehen, die unerwünschte Prozesse zu entlarven hat und somit die Rolle eines kritischen Beobachters oder gar eines Schiedsrichters spielen soll. Wissenschaftliche Beratung zugunsten der Sportorganisationen kann in der Regel kaum eine Beratung im strengen Sinne des Wortes sein. Die Beratungsergebnisse, vor allem der Weg wie sie entwickelt wurden und bzw. noch immer werden, weisen darauf hin, dass wissenschaftliche Beratung allenfalls im Sinne einer gesteigerten Form von „Common Sense“ in der Lage sein wird, pragmatische Empfehlungen weiterzugeben. Wissenschaft im Sinne reiner Wissenschaft hingegen könnte allenfalls in Form von eingeholten Gutachten zum Ausdruck kommen.

Gebot der Bescheidenheit

Wissenschaftliche Beratung – will sie erfolgreich sein – muss sich in erster Linie durch Bescheidenheit auszeichnen. Sie hat sich gerade vor dem Hintergrund des vorläufigen Charakters von wissenschaftlichen Erkenntnissen durch eine besondere Empathie für die praktischen Probleme der Funktionärinnen und der Funktionäre, der Trainerinnen und Trainer, aber vor allem auch der Athletinnen und Athleten auszuzeichnen. Sie muss selbstlos bleiben. Nur so kann sie ihren Anspruch auf Einfluss und Veränderung erhalten. Erhebt sie einen Machtanspruch als Selbstwert, so hat sie keine Funktion im Sinne einer wissenschaftlichen Beratung. Gerade deshalb ist auch der gruppendynamische Aspekt in der Begegnung zwischen Wissenschaftlern und jenen Personen, die sie im Sport zu beraten haben, besonders wichtig aber auch delikat.

Fähigkeit zur Selbsteinschätzung

Jedes wissenschaftliche Beratungsgremium in einer Sportorganisation sollte sich ein Sensorium für die besondere Relevanz von verschiedenen Problemen innerhalb der jeweiligen Organisation entwickeln. Dazu ist notwendig, dass man sich in enger Kommunikation mit allen Organisationen des deutschen Sports befindet. Nur so ist es möglich, die eigene Kompetenz selbstkritisch zu bewerten und die realen Möglichkeiten zur Beratung zu erkennen. Die eigene Handlungsfähigkeit gilt es somit zu bestimmen. Dann erkennt man auch sein eigenes Selbstverständnis in der komplexen Sportorganisation, in der man tätig ist. Ein wissenschaftlicher Beirat einer Sportorganisation muss sich deshalb immer wieder darum bemühen, unnötige Formen der Konfrontation zu meiden. Es ist zu empfehlen, dass sich die wissenschaftlichen Beratungsgremien in regelmäßigen zeitlichen Abständen in eine selbstkritische Diskussion mit den Fragen begeben, ob sie die richtigen Themen bearbeiten, ob die Themen richtig aufbereitet werden, ob sie den richtigen Verhandlungsmodus gefunden haben und ob der eingeschlagene Beratungsweg erfolgreich ist.

Angemessene Institutionalisierung der Beratungsleistungen

Wissenschaftliche Beratungsgremien in Sportorganisationen sollten bei ihrer Arbeit darauf Wert legen, dass sie im ständigen Kontakt mit dem Präsidium ihrer Sportorganisation sind, und dass die Berichterstattung über ihre Arbeit ein fest vereinbarter Tagesordnungspunkt von Präsidiumssitzungen ihrer Sportorganisation ist. Ein Einblick in sämtliche Protokolle der Gremien des jeweiligen Sportverbandes muss dabei ebenfalls eine Selbstverständlichkeit sein, will das Beratungsgremium seine Arbeit auf die Problemlagen des Verbandes ausrichten, dem seine Beratung gelten soll.

Neue Wege der Kommunikation finden und nutzen

Wissenschaftliche Beiräte müssen sich darauf gefasst machen, dass sich die Auseinandersetzungen mit Intellektualität bzw. mit Intellektuellen im Sport in der weiteren Zukunft intensivieren und teilweise auch verschärfen werden. Umso wichtiger wird es sein, dass neue Wege der Kommunikation gefunden werden. Die weitere Entwicklung der Digitalisierung der Kommunikation muss dabei im Blick behalten werden. Dennoch wird es in der näheren Zukunft notwendiger denn je sein, dass die Orte und Zeitpunkte festgelegt werden, in denen das wissenschaftliche Gremium des zu beratenden Verbandes in Ruhe reflektieren kann und dabei auch jene Themen ansprechen darf, die in der Hektik des Alltags in den Verbänden problematisch geworden sind.
Ein wissenschaftliches Beratungsgremium eines Sportverbandes sollte schließlich beachten, dass die Sportorganisationen in der weiteren Zukunft nicht nur unter dem Aspekt der Rationalität, aber auch nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Effektivität bewertet und betrachtet werden dürfen. Auch in Organisationen von der Größenordnung eines Deutschen Olympischen Sportbundes oder eines Deutschen Fußballbundes geht es zukünftig zentral um die Frage der Bindung der Mitglieder und um die Kommunikation der Mitglieder untereinander. In neuen Formen der Besinnung muss es deshalb darum gehen, die Mitglieder der Führungsstäbe der Sportorganisationen zum Mitdenken zu bewegen. Sind sie dazu in der Lage, so entsteht auch neues Denken, das dann hoffentlich auch zu neuem Handeln in den Organisationen des Sports führen kann.

¹ Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf „gendergerechte“ Sprachformen – männlich weiblich, divers – verzichtet. Bei allen Bezeichnungen, die personenbezogen sind, meint die gewählte Formulierung i.d.R. alle Geschlechter, auch wenn überwiegend die männliche Form steht.

Letzte Bearbeitung: 6.November 2021