Zur gesellschaftspolitischen Bedeutung des Wettkampfsports

Moderne demokratische Gesellschaften zeichnen sich dadurch aus, dass dem Leistungsprinzip eine besondere Wertschätzung entgegengebracht wird. Das Individuum mit seinen verschiedenen Leistungsmöglichkeiten wird dabei als besonders förderungswürdig betrachtet. Nicht Herkunft, Vermögen, Religionszugehörigkeit, Rasse, Beziehungen oder Protektion sollen die zu erreichenden Positionen in einer modernen Gesellschaft determinieren. Die von Individuen erbrachten Leistungen sollen viel mehr dessen gesellschaftliche Position bestimmen. Vor dem Hintergrund anthropologisch bestimmter Ungleichheit bedarf diese Positionierung der sozialen Absicherung, was zwingend bedeutet, dass eine moderne Gesellschaft das Prinzip der Leistungspositionierung über ein am Prinzip der Solidarität ausgerichtetes Sozialsystem abzusichern hat. Nicht zuletzt aus diesem Grund sind für moderne Gesellschaften Orte notwendig, an denen sowohl das Leistungsprinzip als auch das Prinzip der Solidarität eingeübt und erprobt werden kann. Der Sport hat seine Bedeutung als wichtiges Kulturgut unserer Gesellschaft vor allem diesem Sachverhalt zu verdanken. Vor allem im Wettkampfsport ist das pädagogische Exemplum des Sports zu finden, welches ihn zu einem besonderen Kulturgut unserer Gesellschaft macht.

Das gesellschaftspolitisch erwünschte Leistungsprinzip kommt in ihm in seiner ganzen Vielfalt zum Tragen. In keinem anderen kulturellen Bereich unserer Gesellschaft wird das Leistungsprinzip so klar verständlich und nachvollziehbar zur Darstellung gebracht wie dies im Wettkampfsport der Fall ist. Gleichzeitig sind hier bestimmte Werte wirksam, die für das Gelingen von modernen Gesellschaften wichtig sind. Sportliche Wettkämpfe unterliegen einer Regelvereinbarung durch die alle Beteiligten, die von den Maximen des Fair Play, des gegenseitigen Respekts, der Beachtung der Würde des Menschen und dessen Unversehrtheit geprägt sein müssen. Der Wettkampfsport ist somit in gleicher Weise durch Kooperation und Konkurrenz definiert.

Der Gegner ist immer auch der Partner. Beide gemeinsam konstituieren die Idee des Wettbewerbs. Das Ziel des Wettkampfes ist der Sieg über den Gegner. Sieger gibt es nur, wenn es auch Verlierer gibt. Doch ohne einen verlierenden Gegner kann niemand siegen. Die reziproke Beziehung der Wettkämpfer kennzeichnet somit ein weiteres wichtiges Merkmal des Wettkampfsports. Der Sieg ist möglich, eine Niederlage ist jedoch nicht weniger wahrscheinlich.

Diese offene Situation wird dadurch möglich, dass sich Wettkämpfer das gegenseitige Versprechen abgeben das Beste zu geben, um den Sieg zu erreichen. Wohl wissend, dass immer nur einer der Sieger sein kann.

Will man das Beste erreichen, strebt man das individuell höchstmögliche Ziel an, so ist Ernsthaftigkeit, Anstrengungsbereitschaft, Disziplin, Bedürfnisaufschub, langfristiges Üben und Trainieren, Eigenverantwortung und Lernbereitschaft vonnöten, um nur einige der besonders bedeutsamen pädagogischen Merkmale des Leistungssports zu benennen. Ebenso ist aber auch Demut, Hilfsbereitschaft, Frustrationstoleranz, Empathie und Bescheidenheit notwendig, will man mit Sieg und Niederlage kompetent umgehen.

Der Leistungssport ist somit ein Ort der Wertevermittlung. Wichtige Werte können erfahren werden, sie zeigen sich aber auch in ihrer Gefährdung und Bedrohung, Gelingen und Scheitern sind gleichermaßen präsent. Unter pädagogischen Gesichtspunkten liegen darin der besondere Reiz und die besondere Bedeutung des Leistungssports.

Die genannten Gründe zugunsten des Wettkampfsports legen in jeder Gesellschaft eine gezielte politische Förderung nahe, um möglichst vielen jungen Menschen die als bedeutsam erachtete Wertevermittlung zu ermöglichen und um jenen Menschen, die den Weg in den Leistungssport gefunden haben, eine verantwortbare Karriere im System des Leistungssports zu ermöglichen.

Im Mittelpunkt einer gezielten politischen Förderung hat die Unterstützung der Athleten und Trainer zu stehen. Ausgangspunkt einer wünschenswerten Athletenförderung muss dabei eine verlässliche Talentfindung sein. Eine allgemeine und sportartspezifische Talentfindung ist erforderlich und Verfahren zur Talentbestätigung in angemessenen zeitlichen Abständen müssen berücksichtigt werden. Für die Förderung der Talente müssen vor allem während deren Schulzeit zugunsten des notwendigen Trainings und der ebenso wichtigen Wettkämpfe sämtliche Dienstleistungen bereitgestellt werden, die sich in diesem Zusammenhang im internationalen Hochleistungssport bewährt haben. Dabei benötigt man vor allem ein System von Partnerschulen des Leistungssports. In diesen Schulen wird in besonderer Weise auf die Belange der sportlichen Talente Rücksicht genommen, die Koordination zwischen Unterricht und Training wird athletenspezifisch gewährleistet und das pädagogische Personal ist auf die Belange des Leistungssports ausgerichtet. Wünschenswert ist, wenn Rahmenbedingungen für sogenannte Lehrertrainer geschaffen werden, so dass das pädagogische Personal in den Partnerschulen spezifische Trainerkompetenz in den einzelnen Sportarten aufweist. Will man dies gewährleisten, bedarf es auch einer umfassenden Berücksichtigung des Leistungssports in der Sportlehrerausbildung. In den modularisierten Studiengängen zugunsten der verschiedenen Lehrämter ist deshalb mindestens ein besonderes Modul Leistungssport einzufügen.

Neben der besonderen Unterstützung, die den Athleten in ihrer schulischen Ausbildung zu gewähren ist, bedarf es auch einer gezielten finanziellen Förderung der Athletinnen und Athleten, wenn sie ihre Doppelkarriere erfolgreich bewältigen wollen. Für das Gelingen einer Doppelkarriere ist neben der schulischen auch die berufliche Ausbildung zu berücksichtigen. Dazu sind besondere Maßnahmen im universitären Sektor ebenso erforderlich wie im Ausbildungs- und Arbeitssektor der Wirtschaft. Die in manchen Bundesländern eingeführten Maßnahmen von Kooperation mit Partnerbetrieben des Hochleistungssports sind auszuweiten, gleiches gilt für die Partneruniversitäten des Spitzensports.

Nicht weniger wichtig sind Unterstützungsmaßnahmen zugunsten der Trainer. Die Trainerrekrutierung muss ebenso optimiert werden, wie deren Aus- und Weiterbildung. Akademische Studiengänge für Trainer an deutschen Universitäten müssen zu einer Selbstverständlichkeit werden und ihre Besoldung muss auf ein Niveau angehoben werden, wie es für akademische Berufe üblich geworden ist. Eine Standesorganisation der Trainer ist dabei ebenso wünschenswert, wie eine Definition von Mindeststandards, die bei der Ausübung des Trainerberufes einzuhalten sind.

Neben der Athleten- und Trainerförderung hat sich eine verantwortungsvolle Sportpolitik auf zahlreiche weitere Strukturen des Sportsystems zu beziehen. Sportstätten, Sportveranstaltungen, Organisation der Sportverwaltung und nicht zuletzt auch die Berichterstattung über den Sport sind dabei weitere politikrelevante Themen, die den Wettkampfsport direkt oder indirekt betreffen. Die gesellschaftspolitische Bedeutung kann jedoch durch niemanden in vergleichbarer Weise zum Ausdruck gebracht werden wie durch die Athleten und Trainer selbst. Sie haben im Zentrum der politischen Sportförderung zu stehen.

Erstveröffentlichung in: Digel, H. (2014). Gefährdeter Sport. Schorndorf: Hofmann.