Sport ist nicht gleich Sport. Deutlicher kann diese banale Aussage in ihrer Gültigkeit kaum aufgezeigt werden, wenn man Golf mit jener Sportart vergleicht, aus der ich herkomme, aus dem Handballspiel. Allein die schriftliche Einladung zu einer Golf-Veranstaltung, die mir zuteilwurde, ist bereits kennzeichnend für das, was das Golfspiel ausmacht. Papier, Druckbild und Aufmachung deuten auf Eleganz, vornehmes Leben, auf ein Bedürfnis des sich Unterscheidens hin. Damit ist wohl das wesentlichste Merkmal benannt, durch das sich der Golfsport in der Bundesrepublik auszeichnet. Kommt man dem Sportereignis näher, zu Fuß oder im eigenen Wagen, so wird dies immer deutlicher. Wegweiser führen den Besucher auf einen Parkplatz, der erfreulich weit – den politischen Repräsentanten der Umweltschützer wird das gefallen – vom eigentlichen Sportwettkampf entfernt ist. Doch auch Parkplatz ist nicht gleich Parkplatz in unserer Gesellschaft. Das, was sich auf einem Golf-Parkplatz ereignet, hat vielmehr Zeichen-Charakter für das Ereignis, das Anlass für das Parken ist. Allein die Autos machen deutlich, dass jene, die Golf spielen oder lediglich passiv daran teilhaben, kaum Sympathien für „Tempo 120“ haben können. Mein schwerer Volvo, den ich damals fuhr, ist im Kreis erlauchter Nobelmarken nahezu eine Billigkarosse; zumindest dürfte es das langsamste Fahrzeug sein, das in den gehobenen Golfkreisen üblich zu sein scheint. Standesgemäß scheint auch der Transport vom Parkplatz zur Golfanlage zu sein. Hauptsponsor Mercedes Benz stellt bestausgestattete Busse zur Verfügung; und ein erster Blick auf die mitfahrenden Fahrgäste macht dem Neuling klar: er bewegt sich ab sofort unter Bürgern, die nur wenig mit jenem Publikum gemein haben, das Handball-arenen besucht. Die Ankunft auf der Golfanlage hat nicht weniger wichtige Überra-schungen parat. Da ist zunächst eine Kartenverkaufsstelle mit weiblichem Personal, das Modebewusstsein signalisiert. Besonders ins Auge fällt eine große Anzeigetafel, die voll mit Namen und Zahlen den bereits zwei Tage andauernden Wettkampf dokumentiert. Dies tut sie freilich nur für jene, die in einer Geheimsprache über Löcher, Birdies, Par und Bogey kommunizieren können. „Veuve Cliquot“, die berühmte französische Cham-pagnermarke, tritt dann nicht weniger auffällig ins Blickfeld des Betrachters, wie der „gute Stern aus Stuttgart“. In weißen Zelten, wie man sie wohl auch auf Einladung eines Scheichs oder bei orientalischen Partys bei arabischen Prinzessinnen kennenlernen kann, wird „Haute Cuisine“ zelebriert.
Englische Schrift scheint jenes Kommunikationsmedium zu sein, das für das deutsche Publikum problemlos Verständigung ermöglicht. „Draw“, „round“, „competitor“, „source“, „hole“ sind zumindest Begriffe, deren deutsche Bedeutung für Golfbesucher vorausgesetzt werden kann. Kommunikation mittels Schrift und Zahlen ist angesagt. Grölende Musik aus Lautsprechern ist ebenso wenig gefragt wie aufpeitschende oder informative Ansagen des Sprechers. Fotografieren ist nicht gestattet. Im Umfeld von Champagner, Hummer und Lachs scheint der Verkauf von Golf-Immobilien naheliegend zu sein. Eine Traumwelt in Glanzbroschüre wird deshalb zentnerweise verteilt.
Schon länger als eine halbe Stunde habe ich Zutritt zu den „German Open“ gefunden. Die eigentliche Arena des Wettkampfsports Golf habe ich jedoch noch nicht entdecken können. Hatte ich bislang geglaubt, dass jene Frauen und Männer, die man in „Elle“ und „Lui“, in „Petra“ und „Brigitte“ betrachten kann, lediglich Bilder einer Scheinwelt seien, so muss ich schnell erkennen, dass es diese Menschen leibhaftig gibt. Englische Lambswool prägt die Männerkörper, nicht weniger gediegen tragen sich Frauen zu Markte. Gold und Silber liegen nicht nur in den Auslagen der Juweliere, werden nicht nur bei Oper und Gala-Empfängen getragen; auf der grünen Wiese des Golfs sollen Rolex, Cartier und Dupont von Geschmack, Stil und Reichtum zeugen. Aufrechter Gang ist angesagt; nicht zu hastig bewegt man sich. Sehen und gesehen werden ist angesagt. Der wirkliche Golfexperte¹ zeichnet sich dabei dadurch aus, dass er bestgekleidet echte Golfschuhe trägt, ohne selbst Golf zu spielen. Endlich ist nun die Golfarena erreicht. Ruhe ist angesagt, auch dies nicht über Lautsprecher, sondern dezent signalisiert durch in die Luft gestreckte Tafeln, getragen von ehrenamtlichen Helfern. Das ehrenamtliche Personal ist vornehm, nicht zu vergleichen mit jenem beim Fußball oder Handball, ist wohl Teil der Inszenierung selbst. Mittels einer großen Videowand nehme ich nun teil an den Problemen berühmter Golfer am Loch 18, werde in eine Zahlendramaturgie hineingeführt, die es möglich macht, dass im Halbton Chancen und Unmöglichkeiten der einzelnen Wettkämpfer von einem kundigen Publikum diskutiert werden können. Fahnen wehen im Wind. Sie weisen auf die wichtigsten Sponsoren des Ereignisses hin. Die Fahne des Deutschen Golf Verbandes hat sich dabei bescheiden eingereiht.
Nun plötzlich ist es so weit: Ein leibhaftiger Golfer kommt mit seinem Caddy zum letzten Loch. Dem Athleten gilt meine besondere Aufmerksamkeit, vor allem aber meine unmittelbare Sympathie. Er scheint zu einer anderen Welt zu gehören. Er ist leibhaftiger Sportler, durch und durch, ruhig, gelassen, angespannt, zeigt aber auch Emotionen, wenn ein Schlag nicht gelingt. Der ruhige Gang über die Wiese bis zu jener ominösen Stelle, die man als „Green“ bezeichnet, wirkt auf mich überzeugend, nicht weniger überzeugend seine Geste, nachdem es ihm gelungen ist, den weißen Ball in das letzte Loch zu stoßen, pardon zu „putten“. Applaus ertönt, der Spieler verneigt sich vor dem Publikum und zieht sich zurück in den Kreis jener, die den eigentlichen Golfsport ausmachen.
Meine Beobachtungen werden zu einer inneren Herausforderung. Distanz und Nähe konkurrieren miteinander. „Probieren müsste man diesen Sport zumindest einmal“. „Dieser Sport ist arrogant und elitär zugleich; zumindest ist er mir fremd; jener Sport, dem ich mich zugehörig fühle, ist der eigentliche Sport“. Meine Faszination von der sportlichen Leistung, die von Golf-Professionals erbracht wird, ist unverkennbar. Könnte ich Golfspielen, ohne dass ich von jenen gesehen würde, denen ich glaube zuzugehören, ich würde meinen ersten Schlag versuchen. Neugier und Schamgefühl, Golfspiel und sozialer Aufstieg auf der einen, Golfspiel und sozialer Verlust auf der anderen Seite. Welch eine Nachdenklichkeit ein deutscher Golfprofi, der einst Caddy und Sohn unterprivilegierter Eltern war, beim sich annähernden Beobachter des Golfspiels hervorrufen kann!
Ich gehe zurück in die kleine Zeltstadt, in die Clublounge, in den Presseclub, in das Gourmet-Dorf, in die künstliche Immobilienwelt, lese Tabellen vom Rydercup, von den Team Championships in St. Andreas und von den Ladies Classics, werde mit Prospekten überhäuft, bin mit der Hintergrundindustrie des Golfs konfrontiert, vom T-Shirt bis zum Schläger. Deutlich wird dabei aber auch, in welch spannendem Gefüge zwischen „ökologischer Kritik“ und „ökonomischer Begünstigung“ sich der deutsche Golfsport befindet. Die Unternehmensgruppe Tengelmann sponsert die Umweltrechtfertigungs-anzeige auf der einen Seite des offiziellen Meisterschaftsprogramms, auf der anderen Seite bieten Mercedes-Benz, Boss, Dominion Management, Johnnie Walker, Laurent Perrier, Etienne Aigner und die Deutsche Bank Assoziationen, die wohl irgend etwas mit jener Welt des Golfs zu tun haben, wie sie sich tatsächlich ereignet. Dabei scheint das Ganze glanzvoll in ein schwarz-weiß abgebildetes historisches Bewusstsein von der Frage, „wie alles anfing“, eingebunden zu sein. Tradition und Moderne scheinen beim Golf eine glückliche Ehe zu führen, wobei das Geld das tragfähige Medium der gegenseitigen Liebe ist.
Endlich habe ich es geschafft, habe den Ausgang erreicht und werde per Chauffeur zu meinem Ausgangspunkt zurückgefahren. Bei den German Open bin ich gewesen! Welch ein Unterschied, wenn ich mein Erlebnis an diesem Ort vergleiche mit jenen vielen Erlebnissen, die ich hatte, wenn ich zu einem Handballspiel der Bundesliga gefahren bin, wenn ich selbst gespielt habe, eine Mannschaft betreut habe oder lediglich als Zuschauer bei einem Handballspiel dabei gewesen bin. Proletengeschrei, Saufgelage, obszöne Witze, Schlägereien, Siegestaumel, überfüllte Busse, Bratwurst und Bier, Fan-block, billige Fanutensilien, in Schweiß gebadete Körper, Schnulzen und Schlager, Verletzungen, Fair Play, Finten und Tricks, taktische Spielzüge und Manipulation, Schiedsrichter und Proteste – Merkmale einer Sportart, die kaum etwas gemeinsam hat mit jenem Sport, den ich zum ersten Mal beobachten konnte.
Sport ist nicht gleich Sport. Deutlicher habe ich dies selten begriffen als an jenem Nachmittag, an dem ich eine erste Ahnung davon bekam, warum für immer mehr Menschen der Golfsport eine Faszination bedeutet und mich selbst in seinen Bann gezogen hat.
Seit meinem ersten Besuch der „German Open“ sind mittlerweile viele Jahre vergangen. Der Golfsport hat sich seitdem ganz wesentlich verändert. Er wurde mittlerweile wieder in den Kreis der olympischen Sportarten aufgenommen. Viele neue Sportgolfanlagen sind entstanden und die Mitgliederstruktur des Deutschen Golfverband hat sich ganz wesentlich verändert. Im Jahr 2021 konnte er 651.417 Mitglieder aufweisen. Der Golfsport hat im Schulsport Einzug gehalten. Seit September 2008 ist Golf die 16. Sportart bei „Jugend trainiert für Olympia“. Heute zählt der DGV zu den mitgliederstärksten Verbänden in DOSB. Ich selbst habe mittlerweile die sogenannte „Platzreife“ des Deutschen Golfverbands erworben und bemühe mich in einer etwas eigenwilligen Weise ohne ein Handikap zu spielen und die Schönheiten des aktiven Golf Sports zu erleben. Einer Bitte des Deutschen Golfverbands folgend bemühe ich mich, dessen Verbandsführung bei dessen neuer Rolle als olympische Fachverband zu beraten. Der Verband selbst widmet sich wichtigen sozialpolitischen Aufgaben in unserer Gesellschaft und ist mit Problemen konfrontiert, wie sie sich auch vielen anderen deutschen Sportorganisationen in diesen Tagen stellen. Auch der Handballsport hat sich ganz wesentlich verändert. Die Bundesliga ist längst im wahrsten Sinne des Wortes eine internationale Liga geworden, bei der die meisten Spiele von herausragenden ausländischen Spielerinnen und Spieler geprägt werden. Der weibliche Handballsport gewinnt an Bedeutung und auch Beach Handball kann mit einer internationalen Zukunft rechnen. Die Professionalisierung des Handballsports konnte weiter beschleunigt werden.
Der Golfsport ebenso wie der Handballsport, das können diese Beobachtungen deutlich machen, haben sich in den vergangenen Jahrzehnten ganz wesentlich gewandelt. Sie verändert sich auch in diesen Tagen, und auch die zukünftige Entwicklung wird für beide Sportarten durch Herausforderungen geprägt sein, von denen viele heute noch nicht zu erkennen sind.
Letzte Bearbeitung: 28. März 2022
¹ Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf „gendergerechte“ Sprachformen – männlich weiblich, divers – verzichtet. Bei allen Bezeichnungen, die personenbezogen sind, meint die gewählte Formulierung i.d.R. alle Geschlechter, auch wenn überwiegend die männliche Form steht.