Weltleichtathletik in der Krise

Die modernen Olympischen Spiele sind ohne die Leichtathletik nicht denkbar. Seit 1896 prägen die Wettkämpfe der Leichtathletik, die Würfe, die Läufe, die Sprünge, das Bild der olympischen Sportarten und die Leichtathletik hat sich dabei selbst als die Königin der Olympischen Spiele definiert. Seit einiger Zeit zeichnet sich das öffentliche Bild dieser Sportart durch völlig andere Merkmale aus. Die französische Staatsanwaltschaft ermittelt gegen den ehemaligen Präsidenten der Weltorganisation der Leichtathletik wegen eines weitrechenden Korruptionsverdachtes. Ehemalige und aktive Mitglieder des IAAF-Council wurden ebenfalls wegen Korruptionsverdachts suspendiert. Der ehemalige Schatzmeister der IAAF musste von allen seinen Ämtern, sowohl in der IAAF als auch im russischen Verband zurücktreten. Gegen einen Verbandsjuristen läuft ein Ermittlungsverfahren und auch der ehemalige Direktor der Anti-Dopingabteilung steht unter Korruptionsverdacht. Die Ethikkommission der IAAF hat weitere Untersuchungen angekündigt. Die Enthüllung von weiteren Verfehlungen ist wahrscheinlich. Die WADA hat nach intensiven Untersuchungen die sogenannten McLaren-Berichte vorgelegt. Sie sind ein Sittenbild der internationalen Leichtathletik, was skandalöser nicht sein kann. Stimmen die Anschuldigungen, so hat der Präsident der IAAF mit mehreren führenden Verantwortlichen das internationale Anti-Dopingsystem ad absurdum geführt. Diejenigen, die es sich angeblich zur Aufgabe gemacht haben den saubereren Athleten zu beschützen und über ein Anti-Dopingsystem Betrüger aufzudecken, haben das System in sein Gegenteil verkehrt. Die Kontrolleure beschützen die Betrüger und bereichern sich am Dopingbetrug der gedopten Athleten. Können sich Betrüger gegenüber den Kontrolleuren freikaufen, ist der saubere Athlet ohne jeglichen Schutz. Die finanziellen Investitionen in einen sauberen Hochleistungssport werden zu einer Farce. Betrogen werden dabei nicht nur die Athleten, die sich für einen sauberen Hochleistungssport entschieden haben und das Prinzip des Fair Play zu schätzen wissen, betrogen werden auch all jene, die sich in den vergangenen Jahrzehnten im Anti-Doping-Kampf engagiert haben: die Mitarbeiter in den Laboren und in den Nationalen Anti-Doping-Agenturen, nicht zuletzt vor allem aber auch die Steuerzahler, die den Anti-Doping-Kampf im Wesentlichen finanziert haben. Sie alle müssen sich die Frage stellen, ob es angesichts dieses Skandals in der Zukunft sinnvoll sein kann, sich für einen sauberen Hochleistungssport zu engagieren.

Gewiss gab es seit Beginn der modernen Olympischen Spiele immer wieder Betrüger im Hochleistungssport, die mittels unerlaubter Substanzen ihre Leistungen gesteigert haben und damit ihre Konkurrenten im unfairen Wettbewerb besiegten. Der Dopingbetrug bei Olympischen Spielen hat den Charakter einer unendlichen Geschichte. Dies kann kaum überraschen, denn Regeln können befolgt werden, doch gegen Regeln kann auch verstoßen werden. Mit dem Regelbetrug hat der Sport somit zu leben. Entscheidend ist jedoch die Frage, was seine Verantwortlichen tun, um den sauberen Athleten gegenüber jenen Athleten zu beschützen, die willentlich bereit sind die Regeln zu unterlaufen. Noch unter Präsident Nebiolo und nicht zuletzt unter der Führung von Vizepräsident Prof. Ljungqvist hat die IAAF vor zwei Jahrzehnten noch eine Vorreiterrolle im internationalen Anti-Doping-Kampf gehabt. Wie kein anderer olympischer Verband hat sich die IAAF um ein eigenes Doping-Kontrollsystem bemüht, hat selbst jährlich hohe finanzielle Investitionen getätigt, um ein unabhängiges Kontrollsystem aufzubauen. Die ersten Athletenpässe wurden von der IAAF eingeführt, Blutkontrollen wurden neben den Urinkontrollen umfassend ausgebaut und ein Aufklärungsprogramm wurde versucht, um den neuen Athletengenerationen einen Weg in eine faire Leichtathletik zu eröffnen. Die IAAF hat sich um die Gründung der WADA bemüht und sie war mit ihren Experten bei allen internationalen Anti-Doping-Kongressen präsent. Ich selbst hatte dabei die Möglichkeit, mich mit meinen Erfahrungen im Anti-Doping-Kampf in Deutschland mit vielen Vorschlägen einzubringen.

Von heute auf morgen wurde nun dieses Bild in Frage gestellt und in sein Gegenteil verkehrt. In vielen Mitgliedsverbänden, die durchaus eine wichtige Rolle in der internationalen Konkurrenz bei Leichtathletikwettkämpfen spielen, existiert so gut wie kein tragfähiges Anti-Doping-Konzept. Weißrussland, Türkei, Kenia, Jamaika sind dabei ebenso zu erwähnen, wie auch China, Russland, Brasilien und weitere Ostblockländer. Ein weltweit tragfähiges Anti-Dopingsystem ist nicht in Sicht. Korruption ist viel mehr das kennzeichnende Merkmal für das Anti-Dopingsystem Russlands und Kenias, zwei der führenden Leichtathletik-Nationen.

Es bleibt nun abzuwarten, welche Entscheidungen in den anstehenden Gerichtsverfahren getroffen werden. Zu hoffen ist, dass bei nachgewiesener Schuld die Sanktionen eine abschreckende Wirkung haben. Unabhängig von diesen Verfahren bedarf es einer grundlegenden Reform des Anti-Doping-Kampfes. Die IAAF könnte dabei eine Stellvertreterrolle innerhalb des IOC einnehmen. Transparenz, Kompetenz und Unabhängigkeit sind die Qualitätskriterien für ein besseres und tragfähigeres Anti-Dopingsystem. Dazu ist die Mitarbeit aller Athletinnen und Athleten erforderlich. Deren Transparenz wird ein Fundament eines glaubwürdigen Anti-Doping-Kampfes sein. Transparent müssen auch die Einnahmen und Ausgaben der Verbände sein und transparent muss auch die Biografie der Verantwortlichen in den Spitzenorganisationen des internationalen Sports sein. Kompetenz muss das besondere Merkmal für die Arbeit der Aufsichtsgremien und für die Arbeit der Exekutivinstanzen der Sportorganisationen sein. Definierte Qualifikationen für das Ausüben von diesen Positionen im internationalen Sport müssen dabei zu einer Selbstverständlichkeit werden. Unabhängigkeit bedeutet vor allem, dass die Kontrollen, der Nachweis eines Dopingverstoßes und die dafür notwendige Bestrafung in die Verantwortung von Institutionen übertragen werden, in denen der Sport mit seinen Interessen keinen Einfluss nehmen kann. Angesichts der zwingend notwendigen und auch zu fordernden finanziellen Beteiligung der Sportverbände an der Finanzierung der unabhängigen Anti-Doping-Institutionen wird es keine völlige Unabhängigkeit geben können. Entscheidend wird aber sein, dass eine Mehrheit der Nichtbetroffenen gegenüber den Betroffenen des Sports gesichert ist.

Letzte Überarbeitung: 12.02.2017