Unsere Wettkampfkultur hat Mängel

Befragt man ältere Athleten, die Olympiasieger, Weltmeister oder Europameister geworden sind, was wesentlich ihren Erfolg bedingt hat, so sind die Antworten nahezu einheitlich. Wer im Wettkampf bei herausragenden internationalen Wettbewerben siegen möchte benötigt Wettkampfhärte und Wettkampferfahrung. Beides erwirbt man im Wettkampf. Je häufiger man an Wettkämpfen beteiligt ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass man am Ende auch bei den wichtigsten Wettkämpfen erfolgreich sein kann. Erfolgreiche Athleten wie Germar, Fütterer, Lauer oder Hary starteten oft dreimal in der Woche, bestritten auch Mehrkämpfe,  wie selbstverständlich starteten sie für ihre Mannschaftsstaffeln und die Wettkampfsaison begann im April und endete im Oktober.

Fragt man Kinder und Jugendliche, was für sie das Attraktivste beim Sporttreiben ist, so ist die Antwort ebenfalls nahezu einheitlich. Die Wettkämpfe sind es die den Anreiz geben, dass man unter der Woche hart trainiert, um am Wochenende mit einer Mannschaft gegen eine andere Mannschaft um den Sieg zu kämpfen. Wettkämpfe bieten beispiellose Erfahrungen und Erlebnisse, Wettkämpfe sind es, die den Sport der Kinder auszeichnen müssen.

Betrachten wir in diesem Zusammenhang die aktuelle Wettkampfsituation in Deutschland so scheint diesbezüglich manches im Argen zu liegen. Im Jahr 2016 wurde Golf wieder olympisch und in Rio de Janeiro wurde erstmals seit 1904 wieder ein olympisches Golfturnier ausgetragen. Fragt man welche Wettkampfstruktur den jungen Golfspielern zur Verfügung steht, die sich das anspruchsvolle Ziel setzen bei Olympischen Spielen dabei sein zu können, so muss man sehr schnell erkennen, dass die Wettkampfstruktur des deutschen Golfsports im Vergleich zur Wettkampfstruktur in England, USA oder Australien völlig unzureichend ist. In England wird man ein guter Golfspieler, indem man ständig an Golfwettbewerben teilnimmt. Schüler und Jugendliche weisen oft mehr als zweihundert Wettkampftage pro Jahr auf. Woche für Woche können Wettkämpfe aufgesucht werden, in denen man sich bewähren kann. Kinder und Jugendliche im vergleichbaren Alter erreichen hingegen in Deutschland meist nicht mehr als zwanzig Wettkampfmöglichkeiten pro Jahr.

Fragt man wie viel Wettkämpfe Kinder und Jugendliche, die Leichtathletik betreiben möchten, pro Jahr zur Verfügung stehen, so ist die Antwort ebenfalls kaum befriedigend. Gehört ein Kind oder ein Jugendlicher nicht zu den Spitzenathleten seiner Altersgruppe, so hat er wohl viele Trainingseinheiten aufzuweisen, Wettkämpfe gibt es jedoch für das mittlere Leistungsniveau nur in den seltensten Fällen. Meist ist die Saison bereits nach der Bezirksmeisterschaft beendet. Nur jene Athleten die zur deutschen Spitzenklasse zählen, können über eine Wettkampfsaison verfügen, die über mehrere Monate reicht. Angesichts dieser unbefriedigenden Situation darf es nicht verwundern, dass viele Kinder und Jugendliche die Leichtathletikübungsgruppen verlassen und Mannschaftssportarten aufsuchen, in denen Samstag für Samstag Wettkämpfe stattfinden. Dort finden sie jene Belohnung für ihr Training die ihnen in der Leichtathletik vorenthalten wird.

Nicht nur in der Leichtathletik und beim Golf mangelt es an Wettkämpfen. Im Grunde genommen gilt dies für alle olympischen Einzelsportarten. Schwimmen ist davon ebenso betroffen wie Fechten, Bogenschießen oder Rudern.

Noch gravierender sind die Mängel im Bereich des Schulsports. So gab es früher in den Schulen eine äußerst aktive Wettkampfkultur, wo Klassenmannschaften sich informell den ganzen Sommer über zu Wettkämpfen trafen, wo Schulen ihre eigenen Schulmeisterschaften aufwiesen, wo Schulen gegen Schulen Wettkämpfe bestritten und wo die Bundesjugendspiele das herausragende Wettkampffest jeder Schule waren. In der ehemaligen DDR spielten die Spartakiaden von der Kreisebene bis zur DDR-Spartakiade eine nicht weniger bedeutsame Rolle.

Heute kann man sich nur noch freuen, dass dank der deutschen Schulsportstiftung und dank der Initiativen der Kultusminister, der Wettbewerb „Jugend trainiert für Olympia“ vom Kreis über das Landesfinale bis zum Bundesfinale immerhin mehr als 850.000 Schülerinnen und Schüler an sich bindet. Mittlerweile ist dieser Wettbewerb für das Leistungssportsystem Deutschland unverzichtbar geworden. Gewiss werden bei diesem Wettbewerb keine Talente gefunden, wie es ursprünglich intendiert war. Doch das Mannschaftserlebnis bei diesem Wettkampf spielt für die Kinder und Jugendlichen, die an diesen Wettkämpfen teilnehmen, eine bedeutsame Rolle. Der Wettbewerb vermittelt Erfahrungen und Erlebnisse, die für die Entwicklung einer Leistungsportart, vor allem aber für die Stabilisierung von jungen Karrieren äußerst wichtig sind. Die Wettkämpfe ermöglichen Identifikation mit den  Leistungen junger Schülerinnen und Schüler und erbringen damit einen wichtigen Beitrag für die Identität öffentlicher Schulen. „Jugend trainiert für Olympia“ ist ein Motivator für jene, die sich auf dem Weg zu einer olympischen Karriere befinden. Dieser Wettbewerb ist aber auch Ansporn für die Athletinnen und Athleten, denen bislang sportliche Erfolge vorenthalten wurden.

Will Deutschland auch zukünftig international Erfolg haben, so wird es deshalb vor allem darauf ankommen, dass die Wettkampfstruktur in den einzelnen Sportarten auf den Prüfstand gestellt wird. Wettkämpfe sind das Elixier für sportliche Höchstleistungen. Wettkämpfe können oft viel wichtiger sein als manche überflüssige Trainingseinheit. Wettkämpfe können vielmehr selbst den Charakter von Training haben.

In vielen Sportarten könnte man heute auf sehr viel mehr Talente zurückgreifen, wenn ihnen ein ganzjähriges Wettkampssystem geboten würde, über das die Motivation für sportliche Höchstleistungen gefördert und erhalten wird. Die Wettkämpfe müssen dabei keineswegs spektakulär sein. Nicht jeder Wettkampf benötigt Zuschauer, nicht jeder Wettkampf muss im Fernsehen übertragen werden. Entscheidend ist, dass Kinder und Jugendliche sich mit gleichstarken Gegnern bei fairen Wettkämpfen messen können. Wird eine derartige aktive Wettkampfkultur gefördert und gesichert, so wird man sich um die zukünftige Generation der Hochleistungssportler gewiss weniger Sorgen machen müssen, als dies heute der Fall ist.

Verfasst: 08.10.2018