Zum Forschungsstand der Sportwissenschaft
Suchen wir nach Beiträgen in der Sportwissenschaft, die sich mit der sprachlichen Kommunikation zwischen Lehrer¹ und Schülern im Schulsport auseinandersetzen, so zeigt sich, dass wir es hier mit einem Thema zu tun haben, das als weitgehend unbearbeitet zu bezeichnen ist. Sprache im Sportunterricht wurde bislang in erster Linie als ein informationstheoretisches Problem behandelt. Im Mittelpunkt stand und steht die Frage, mittels welcher Medien motorische Lernprozesse am optimalsten zu beeinflussen sind. Die Diskussion gipfelte dabei in der wenig sinnvoll ausgetragenen Kontroverse über die Lehreignung von Verbalisierung und Eigenrealisierung. Aufgrund dieser begrenzten Fragestellung nimmt es kaum wunder, dass lediglich eine Auswahl spezieller Lehrhandlungen, nämlich die sprachlichen Äußerungen von Sportlehrern oder Trainern, die sich auf motorische Lernprozesse beziehen, untersucht worden sind. Lehrinstruktionen oder sog. Basaltexte werden dabei sog. motorischen Sequenzen zugeordnet und es wird gefragt, wann und wie ein Lehrsystem einen Bewegungsablauf über Sprache von außen steuert und damit am günstigsten optimiert. Begriffe wie Bewegungsanweisung, Bewegungskommentar und Bewegungskorrektur stehen im Zentrum solcher Erörterungen.
Der Sportunterricht als ein kommunikatives Ereignis wird somit nur in einem wichtigen Detail erfasst. Die kommunikativen Partner des Lehrers hingegen, die Schüler, werden bislang ebenso wenig berücksichtigt, wie das sprachliche Handeln des Lehrers in jenen Situationen, in denen es um anderes als um motorisches Lernen geht. Allenfalls auf Knut DIETRICH kann in diesem Zusammenhang hingewiesen werden, der bereits 1974 auf die ritualistisch beschränkten Kommunikationsformen im Sportunterricht aufmerksam machte und einen reflexiven Sprachgebrauch forderte. Etwas später wurde ein erster, wenn auch kaum überzeugender empirischer Zugang zu einigen Sprachproblemen des Sportunterrichts gesucht. In diesen Untersuchungen wird erfreulicherweise die bisherige Beschränkung auf das Motorische überwunden. Es geht um eine Erfassung des gesamten Sprachverhaltens des Sportlehrers. Die Erfassung selbst bleibt methodisch und theoretisch allerdings noch höchst bescheiden.
Versuchen wir den aktuellen Forschungsstand zusammenfassend zu bewerten, so kann behauptet werden, dass von der Sportwissenschaft entscheidende Fragen, die sich über den Sprachgebrauch im Schulsport stellen, bislang nur sehr unvollständig oder gar nicht behandelt worden sind. Wenn Sprache lediglich im Zusammenhang mit der Optimierung motorischer Lernprozesse betrachtet wird, so ist sie allenfalls aus einer technischen Perspektive hinreichend untersucht worden. Dass Sprache ein menschliches Produkt ist und damit höchst unmittelbar die Menschen betrifft, die mittels Sprache zueinander in Beziehung treten, ist aufgrund dieser Zielsetzung weitgehend ausgeklammert worden. Der Sportunterricht als kommunikatives Ereignis, an dem Lehrer und Schüler als Interaktionspartner teilnehmen, muss – das darf zu Recht angenommen werden – noch sehr viel genauer in den Blick genommen werden.
Inwiefern lässt sich aber der Sportunterricht als ein kommunikatives Ereignis charakterisieren? Welche Rolle spielt dabei der Lehrer, welche spielen die Schüler? Wodurch zeichnet sich das sprachliche Handeln des Lehrers aus? Wann, wie oft und worüber sprechen Schüler im Sportunterricht? Unterscheidet sich der Sportunterricht in dieser Hinsicht von anderen schulischen Fächern? Worin liegen dabei die besonderen kommunikativen Probleme des Sportunterrichts? Zur Beantwortung dieser Fragen müssen repräsentative empirische Untersuchungen zu Rate gezogen werden. Die folgende Merkmalsbeschreibung stützt sich auf mehrere hypothesenbildende Pilotstudien, deren Grundlage videoaufgezeichnete Unterrichtsstunden, teilnehmende Unterrichtsbeobachtung und eine Lehrerbefragung ist. Der hohe Grad an Übereinstimmung, der sich in diesen Studien im Vergleich zu einigen früheren Studien zur Sprache im Sportunterricht gezeigt hat, scheint Gewähr dafür zu bieten, dass die folgende Merkmalsbeschreibung nicht willkürlichen Charakter besitzt. Gleichwohl sollte aber deren hypothetischer Charakter nicht übersehen werden.
Merkmale der sprachlichen Kommunikation im Sportunterricht
Sportunterricht ist in erster Linie Unterricht und so überrascht es kaum, dass viele Kommunikationsstrukturen, die für organisiertes Unterrichten gelten, auch im Sportunterricht anzutreffen sind. Ein Vergleich mit Untersuchungen über andere Unterrichtsfächer zeigt, dass auch Sportlehrer beim Unterrichten ein fest gefügtes Muster unterrichtlicher Kommunikation einhalten. Die in die Untersuchung einbezogenen Lehrer haben zwar ihre persönlichen Unterrichtsstile, diese sind aber im Grundsatz an einer allgemeinen Struktur schulischer Kommunikation orientiert. Diese Aussage konnte auch nicht durch Vergleiche zwischen älteren und jüngeren Lehrern, zwischen Lehrern mit langer Berufserfahrung und solchen, die nur kurze Erfahrung im Beruf haben, erschüttert werden. Wodurch zeichnen sich nun diese allgemeinen Kommunikationsmerkmale aus?
Allgemeine Merkmale der Kommunikation
- Wie in den übrigen Schulfächern, so ist auch im Schulsport die Sprache der zentrale Vermittler der sog. Bildungsinhalte. Sprache ist das Hauptinstrument des organisierten Unterrichtens; Sprache macht organisiertes Unterrichten erst möglich. Über Sprache wird der Lehrer zur prägenden Instanz für die beabsichtigte Erziehung der Schüler. Auch der Sportunterricht kann somit als ein sprachliches Ereignis betrachtet werden, er ist eine spezifische Form kultureller und gesellschaftlicher Kommunikation.
- Die Kommunikation im Sportunterricht ist wie in den übrigen Schulfächern in hohem Maße durch institutionelle Vorbedingungen geregelt. Lernziele und von den Schülern zu erwerbende Kompetenzen, durch Lehrpläne vorgegeben, Schulgesetze, Hausordnungen, gesellschaftliche Normen und die verschiedenartigsten Rollenerwartungen, die an das Schulleben herangetragen werden, haben den Sport in der Schule zu einem verwalteten und unter kommunikativen Gesichtspunkten zu einem ritualisierten Sport gemacht.
- Lehren und Lernen im Sportunterricht ist durch eine für Lehr- und Lernprozesse typische und vermutlich auch notwendige Asymmetrie gekennzeichnet. Auf ca. vier Lehreräußerungen kommt eine Schüleräußerung.
- Im Sportunterricht wird – wie in den übrigen Schulfächern – meist nur nach einem bevorzugten Lehrverfahren gelehrt. Der Lehrer kennt die Lehrziele und initiiert die Lernprozesse, die zum erreichen dieser Ziele erforderlich sind. Er strukturiert deshalb den Inhalt der Stunde, regt Schülerhandlungen an, fasst Gelerntes zusammen, äußert Lob oder steuert die Disziplin und Ordnung während der Lehr-Lern-Prozesse.
- Das häufigste Gesprächsmuster im Sportunterricht ist demgemäß die Aufforderungshandlung des Lehrers. Nicht ganz so häufig kommen Lehrerfragen vor, die oft nur einen rhetorischen Charakter haben und die nur selten zu „echten“ Schülerantworten führen. Das den Intellekt (heraus)fordernde Niveau der Lehrerfragen ist meist sehr niedrig. Der Lehrer fordert konvergierendes Denken bzw. die Reproduktion eigene Gedächtnisleistungen.
- Die meisten Lehreräußerungen beziehen sich auf organisatorische und fachliche Aspekte des Unterrichts. Äußerungen, die sich auf die Schüler und deren Gedanken beziehen, sind selten, ebenso selten sind solche, die sich mit emotionalen Problemen der Schüler auseinandersetzen. Auffällig dominant sind disziplinierende und zu Ordnung führende Äußerungen, hingegen sind motivierende Sprechhandlungen eher selten.
- Die Lernergebnisse sind von besonderer Wichtigkeit für die Lehrer. Hast und Ungeduld sind auffallende Merkmale des Sprechens; sie sollen das zielstrebige Erreichen des einmal ins Auge gefassten Lernzieles ermöglichen. Eile, Hast und Ungeduld verhindern jedoch, dass berücksichtigt wird, welche Rolle die Schüler in diesem Zusammenhang zu spielen haben. Der Zeitdruck äußert sich u. a. auch dadurch, dass Lehrer häufig auf ihre Uhr schauen, auf die Uhrzeit Bezug nehmen und Schülerinitiativen aus Zeitgründen unterbinden. Kollektive Anredeformen überwiegen gegenüber individueller Ansprache. Individuelles Loben, Aufmuntern, Anspornen ist unter Zeitdruck offensichtlich nur selten möglich.
- In den „offiziellen Lehr-Lern-Situationen“ kommen Schülersprechhandlungen nur selten vor. Die Hauptaufgabe der Schüler in den offiziellen Bereichen des Sportunterrichts, also dort, wo die Schüler in direkter Beziehung zum Lehrer stehen, besteht in der Reaktion auf die Aufforderungshandlungen des Lehrers. Aussagen des Lehrers werden offen nur selten beurteilt. Offener Widerstand kommt fast nie vor. Vorschläge zum Unterrichtsablauf sind selten. Aussagen der Mitschüler werden nur dann beurteilt, wenn der Lehrer dazu auffordert. Gelegentlich wird denunziert oder demonstriert, dass man besser ist als die Mitschüler. Doch auch diesbezügliche Äußerungen sind eher selten. Unangenehm fällt dabei vor allem auf, dass Schüler im Sportunterricht besonders häufig Maßnahmen zur Disziplin und Bewertung ergreifen. Schülerfragen sind im Sportunterricht sehr selten. Probleme von Mitschülern werden kaum besprochen.
Finden sich viele dieser Merkmale im Schulsport in gleicher Weise wie in vielen anderen Unterrichtsfächern, so zeichnet sich der Sportunterricht dennoch auch durch eine gewisse kommunikative Eigenständigkeit aus. Ein genauer Vergleich des Schulsports mit anderen Schulfächern zeigt, dass die in der allgemeinen Pädagogik noch immer verbreitete Annahme, dass alles Unterrichten einer grundsätzlichen kommunikativen Gemeinsamkeit unterliegt, zumindest für den Schulsport nur teilweise zutrifft. Sowohl der Sportlehrer als auch die Schüler handeln im Sportunterricht anders als in ihren übrigen Fächern, und mehrere Vergleichsbeobachtungen deuten darauf hin, dass es neben einer allgemeinen Unterrichtsstruktur eine sportspezifische Kommunikationsstruktur gibt.
Das herausragende Merkmal des Sportunterrichts im Vergleich zu anderen Fächern ist die Tatsache, dass es in ihm in erster Linie um den Erwerb bestimmter Bewegungsfähigkeiten und -fertigkeiten geht, dass man sich im Sportunterricht aktiv und großmotorisch bewegt. Das Bewegungslernen bringt es mit sich, dass Sport nicht im Klassenzimmer sondern in eigens dafür gebauten Räumen, auf speziellen Anlagen, an eigens dafür konstruierten Geräten und in eigens dafür hergestellter Kleidung betrieben wird. Diese Rahmenbedingungen führen dazu, dass Merkmale, die für sonstige unterrichtliche Kommunikation in der Schule gelten, im Schulsport in vieler Hinsicht außer Kraft gesetzt sind.
Eine Situation, die durch Tische, Stühle, Tafel, feste Sitzordnung, feste Sitznachbarn, Hefte, Kugelschreiber und immer häufiger auch durch Notebooks und vor allem durch Sitzen geprägt ist, löst ein völlig anderes Sprachverhalten auf Seiten der Lehrer und Schüler aus als eine Situation, in der es Bälle, Seile, Auf- und Abbau von Geräten und vor allem viel Bewegung gibt, die alle zusammen eine Geräuschkulisse bilden, die in keinem anderen Unterrichtsfach denkbar ist. Der Beginn einer Sportstunde wird z. B. anders und weit vielfältiger markiert als der einer Deutschstunde. Die Entfernung zwischen den Kommunikationspartnern macht manchmal eine Lautstärke erforderlich, die im Klassenzimmer als ungewöhnlich empfunden würde. Im Sportunterricht verändert sich in der Regel das unterrichtliche, räumliche und apparative Arrangement in einer Stunde mehrfach. Können sich im Mathematikunterricht die Kommunikationspartner aufgrund der Sitzordnung üblicherweise ohne Mühe sehen, so kann die Sichtbarkeit der Partner im Schulsport, wo die Lernenden sich möglichst viel bewegen sollen, zu einem Kommunikationsproblem werden. Im Sportunterricht sind eher solche Situationen an der Tagesordnung, in denen jeweils nur eine begrenzte Anzahl von Schülern gleichzeitig lernt, übt oder handelt. Relativ häufig wird auch die Personengruppierung gewechselt. Es wird allein geübt, man spielt als Mannschaft, turnt als Riege und man versammelt sich als Klasse zur Besprechung von Lernergebnissen, zur Klärung von Fragen oder Erläuterung weiterer Aufgaben.
Vor dem Hintergrund solch gravierender Unterschiede kann es kaum überraschen, dass die sprachliche Kommunikation zwischen Lehrer und Schülern ihre eigenen, spezifischen Merkmale aufweist.
In Studien identifizierte spezifische Merkmale der Kommunikation
- Sportlehrer definieren Lehr-Lern-Situationen im Sportunterricht anders als in den übrigen Schulfächern, die sie neben Sport noch unterrichten. Unterrichten Lehrer neben Sport noch ein weiteres Fach, so schätzen sie meist das andere Fach als wichtiger, seriöser und ernster ein. Ebenso betrachten sie ihre eigene Rolle in solchen Fächern als wichtiger. Sie selbst geben sich dort deshalb „seriöser“, tendieren zur Hochsprache bzw. zu einem wissenschaftlichen Fachjargon, verwenden selten Vulgarismen. Im Sportunterricht hingegen sind sie eher lässig, neigen zu ironisch humorvollem Sprechen und bevorzugen Dialekt. Nur im Zusammenhang mit Bewegungsaufgaben und Bewegungskorrekturen macht sich die Tendenz zur Hochsprache bemerkbar. Einige Lehrer tendieren bei Zurechtweisungen zur Hochsprache, andere verwenden gerade in diesem Zusammenhang Dialekt, manche vulgären Jargon. Insgesamt weist aber das Sprechen im Sportunterricht einen höheren Grad an Metaphorik auf; der Lehrer nähert sich in einem höheren Ausmaß dem Sprachgebrauch der Schüler.
- Die Sprache hat im Sportunterricht weit weniger Rollenzuweisungsfunktion als in den übrigen Schulfächern. Der Lehrer darf, folgt man der Meinung von Schülern, spontan, nachlässig und fehlerhaft sprechen. „Gutes“ Sprechen wird von den Lehrern nicht erwartet. Dies liegt vermutlich in erster Linie daran, dass sich auch der Lehrer – im Gegensatz zu seiner „Situation“ in den anderen Fächern – ständig bewegt. Im Sportunterricht liegt der Lehrer gemeinsam mit den Schülern auf dem Boden, erklärt im Sitzen die nächste Bewegungsaufgabe, übt und trainiert mit, ist Spieler einer Mannschaft. Das heißt aber auch, dass der Lehrer im Sportunterricht zu einem kommunikativen Partner wird, wie er in anderen Fächern unbekannt ist. Die nonverbale Offenheit des Lehrers hat offensichtlich auch sprachliche Offenheit zur Folge.
- In gleicher Weise wie vom Lehrer „seriöses“ Sprechen nicht durchgehend erwartet wird, gilt dies auch für die Schüler. Das sprachliche Verhalten der Schüler wird im Sportunterricht nur selten sanktioniert. Schülerjargon, der sonst nur außerhalb der Schule üblich ist, findet sich im Sportunterricht häufig. Der Sprachgebrauch der Schüler ist. lässiger, ungezwungener und emotionaler als in den übrigen Schulfächern. Auch auf Seiten der Schüler finden sich Ironie und Humor.
- Die Kommunikationen der Schüler untereinander finden meist in den inoffiziellen Situationen des Sportunterrichts statt, in denen Schiller nicht direkt mit dem Lehrer in Beziehung stehen. Dominiert in der Verteilung der offiziellen Sprechhandlung eindeutig der Lehrer, so haben im inoffiziellen Bereich die Schüler relativ häufig Gelegenheit auch untereinander zu sprechen. Der häufige Wechsel der Organisationsformen, wie z. B. die Arbeit in Kleingruppen ohne ständige Anwesenheit des Lehrers, und der größere und unübersichtlichere Raum begünstigen die inoffiziellen Sprechmöglichkeiten.
- Das Sprechen der Schüler zeichnet sich durch den Gebrauch der Alltagssprechweise aus. Begünstigt durch die zwangsläufige organisatorische Offenheit eines jeden Sportunterrichts lassen sich überraschend häufig aggressive und vulgäre Schüleräußerungen beobachten. Offensichtlich können im Sportunterricht aggressive Wortgefechte eher als in den übrigen Schulfächern ausgetragen werden, weil Sanktionen durch den Lehrer weniger wahrscheinlich sind. Die Sprachduelle finden also in erster Linie dann statt, wenn der Lehrer nicht die Aufmerksamkeit fordert. Sie ereignen sich aber auch während eines Wettspiels, während der Spiele anderer Mannschaften und beim Geräteauf- und abbau oder in Belastungspausen.
- Entgegen der vermuteten Annahme zeigt es sich, dass sich die Schüler in den meisten inoffiziellen Kommunikationssituationen sehr häufig sportthematisch unterhalten. Gerade in jenen Situationen, wo kein Einfluss des Lehrers zu beobachten ist, zeigen die Schüler, dass sie über wichtige kommunikative Fähigkeiten verfügen. So sprechen die Schüler häufig ihre Mitschüler an, wenn sie Fragen zu unterrichtlichen Problemen haben. Schüler helfen und korrigieren sich gegenseitig, machen sich Mut vor dem nächsten Übungsversuch, lösen auftretende Widersprüche selbst. Bemerkenswert ist dabei, dass die Schüler Bewegungsanweisungen, die vom Lehrer in detaillierter und damit mitunter in unverständlicher Weise an die Schüler weitergegeben werden, in eine einfache und oft verständlichere Sprache transformieren können. Auffallend oft übernehmen also die Schüler im Sportunterricht die Funktion des Lehrers und der Lehrer tritt weit häufiger in den Hintergrund als in den anderen Schulfächern. Die Sprechhandlungen der Schüler lassen in diesem Zusammenhang auf eine hohe Motivation im Hinblick auf die Inhalte des Sportunterrichts schließen. Ebenso gescheites gelegentlich auch, dass man über schlechte Leistungen der Mitschüler Witze macht. Wenn der Lehrer außer Hörweite ist, können derartige Äußerungen durchaus auch einmal sehr sarkastisch sein.
Fassen wir die allgemeinen sprachlichen Merkmale des Unterrichtens und die spezifischen Merkmale des Sportunterrichts zusammen, so sehen wir, dass einerseits die übergeordnete Kommunikationsstruktur, die das sonstige Lehr-Lerngeschäft kennzeichnet, auch im Sport anzutreffen ist. Andererseits zeigt sich, dass gerade im Sport der situative Aspekt der Kommunikation von besonderer Bedeutung ist und so darf hinzugefügt werden, dass Sportunterricht sich dadurch von anderen Schulfächern durchaus noch wohltuend unterscheidet.
Asymmetrischer Sprachgebrauch als .kommunikatives Problem
Die genannten Merkmale qualifizieren die unterrichtliche Kommunikation im Schulsport in vielfältiger Weise. Ihre Auswahl und Gewichtung stellt eine Einschätzung der Kommunikationssituation im Sportunterricht mit dem Ziel dar, einige aktuelle Sprachgebrauchsprobleme herauszustellen. Worin liegen nun aber derartige Probleme? Was verhindert eine stärkere sprachliche Beteiligung der Schüler? Welche sprachlichen Schwierigkeiten haben Lehrer beim Unterrichten?
Stellvertretend für eine Vielzahl von Problemen kann hier lediglich auf die asymmetrische Beziehung zwischen Lehrer und Schülern eingegangen werden. Problematisch ist daran zum einen, dass Lehrer durch ihr häufiges Reden (sie reden in der Regel viermal mehr als Schüler) einem nicht zu unterschätzenden Energieverbrauch unterliegen. Die Energie wird jedoch nur dazu verbraucht, um Unterricht am Laufen zu halten, d. h. um die Bedingungen für das Lehren zu schaffen. Das Lehren selbst bleibt dabei viel zu oft auf der Strecke. Zum anderen ist die Asymmetrie auch aus der Sicht des Schülers bedenklich. Die prinzipielle Asymmetrie, die
In Lehr-Lern-Prozessen üblich ist, scheint im Sport die Frage zu verdecken, wo gerade aus Lehr-Lerngründen eine sprachliche Beteiligung der Schüler sinnvoll wäre. In welchen Situationen wäre eine sprachliche Beteiligung der Schüler wünschenswert? Die Antwort auf diese Frage wird von didaktisch methodischen Entscheidungen bedingt. Soll z. B. direkt gelehrt werden, soll also möglichst gradlinig motorisches Können durch den Lehrer vermittelt werden, so steht der Lehrende auch in sprachlicher Hinsicht im Mittelpunkt des Unterrichts. Anders stellt sich die Frage der Schülerbeteiligung, wenn hingegen operational gelehrt wird. Dabei bringt der Lehrer sein Wissen und Können vor allem auf dem Weg planvoller Lernsituationen in den Unterricht ein. Die Absicht ist dabei, die Schüler durch ein Angebot geeigneter Lernsituationen in die Lage zu versetzen, Aufgabenstellungen in eigener Regie zu bewältigen. Dieser Anspruch bringt es mit sich, dass die Arbeit der Lerngruppe und damit auch die sprachliche Auseinandersetzung im Mittelpunkt des Unterrichts stehen. Beide Lehrverfahren, das direkte und das operationale, dienen der Verwirklichung vorgegebener Lernziele. Das operationale Verfahren ist aber, was die Lernziele angeht, offener als das direkte Lehrkonzept. Das Lehren ist nicht ausschließlich am Lernstoff orientiert, denn neben motorischen Fähigkeiten werden immer auch soziale Fähigkeiten beim Lernen entwickelt. Das Beispiel zeigt, dass das Problem der Schülersprachbeteiligung immer erst vor dem Hintergrund einer didaktischen Entscheidung zu einem Problem wird.
Sollen Schüler ihre Interessen äußern, so müssen im Sportunterricht Situationen arrangiert werden, wo Schüler sagen können was sie wollen. Sollen Schüler beim Lernen der Mitschüler helfen können, so muss man ihnen Gelegenheit geben, Bewegungsabläufe zu erläutern und Bewegungskorrekturen an Mitschüler weiterzugeben. Sollen Schüler in die Lage versetzt werden, die Regeln für ihr sportliches Tun selbst auszuhandeln, so müssen Regeldiskussionen zu einem festen Bestandteil des Unterrichts werden. Will man, dass Schüler in die Lage versetzt werden, Streit und Konflikte selbst zu klären, so muss man den streitenden Parteien im Unterricht die Möglichkeit eröffnen, die unterschiedlichen Meinungen vorzutragen und eine Lösung des Konflikts zu suchen. Die Entscheidung, welches Ausmaß an Asymmetrie die Kommunikation zwischen Sportlehrer und Schülern annimmt, trifft demnach in erster Linie der Sportlehrer selbst. Wer als Sportlehrer die ungleiche Verteilung der Sprechhandlungen bemängelt, kann diesen Mangel nur dadurch beheben, dass er für Schüler jene sprachlichen
Beteiligungssituationen in seinem Sportunterricht schafft, die aufgrund seiner jeweiligen didaktischen Absichten erforderlich geworden sind.
¹ Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf „gendergerechte“ Sprachformen – männlich weiblich, divers – verzichtet. Bei allen Bezeichnungen, die personenbezogen sind, meint die gewählte Formulierung i.d.R. alle Geschlechter, auch wenn überwiegend die männliche Form steht.
Letzte Bearbeitung: 18.4.2023