Sport für alle – ein Protestruf gegen das aktuelle Sportverbot

„Schluss mit der Sitzschule“ (Deutschlandfunk), „Die Lebensschule schließt man nicht“ (SZ), „Mehr Sport wagen“ (FAZ), „Ohne Breitensport kommt es zu einer Vereinsamung“ (FAZ), „Alarmierender Bewegungsmangel bei Kindern“ (Tagesspiegel).

So und ähnlich lauten in diesen Tagen Überschriften in deutschen Tageszeitungen. Journalisten bringen dabei ihren Protest gegenüber einem Bewegungsverbot der Bundesregierung und der Regierungen aller Bundesländer zum Ausdruck, das wohl nur mit dem Begriff „Skandal“ gekennzeichnet werden kann.

Nach dem zweiten Weltkrieg ist es dem Deutschen Sportbund mit seinem Aufruf „Sport für alle“ und seinen vielfältigen und sehr erfolgreichen Kampagnen und weiteren Maßnahmen zur Aktivierung der deutschen Bevölkerung gelungen, dass mehr als ein Drittel der Bevölkerung Mitglieder in Sportvereinen wurden und dass das aktive Sporttreiben zu dem bedeutsamsten Faktor unserer Alltagskultur geworden ist. Seitdem leistet der organisierte Sport mit seiner außergewöhnlichen Angebotsvielfalt einen entscheidenden Beitrag zur Volksgesundheit Deutschlands.

Unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten kann kein anderer Sachverhalt vergleichsweise als gesichert gelten wie dies für die gesundheitliche Wirkung des aktiven Sporttreibens der Fall ist. Sport ist weltweit und vor allem auch in Deutschland in jedem Rehabilitationskrankenhaus ein wichtiges Medium der Heilung und der Rehabilitation. Das aktive Sporttreiben zeichnet sich vor allem aber auch durch seinen präventiven Charakter aus. Will man das Immunsystem eines Menschen stärken so dürfte es wohl kein besseres und wirkungsvolleres „Medikament“ geben als ihn zum regelmäßigen Sport treiben in der freien Natur zu motivieren.

Es kommt nicht von ungefähr, dass die Weltgesundheitsorganisation(WHO), jene Organisation also, die für den Anti-Corona-Kampf von grundlegender Bedeutung ist, in einer Vereinbarung mit dem IOC festgehalten hat, dass das aktive Sporttreiben das Beste gegen die Pandemie ist, denn die körperlichen Widerstandskräfte des Menschen werden durch Sport gestärkt. Nach Auffassung der WHO wäre es ein Fehler, den Amateur und Breitensport herunter zu fahren.

Spricht man von der gesundheitlichen Bedeutung des aktiven Sports so ist gewiss ein Passivsport vom aktiven Sporttreiben zu unterscheiden. Ein Verbot des Zuschauersports ist gewiss zu verkraften und man kann vermutlich nicht von einer Systemrelevanz des Profisports sprechen. Dennoch sind auch hier die negativen wirtschaftlichen und sozialen Folgen beachtlich. Und selbst auch hier gibt es eine Bedeutung, die der Zuschauersport unter gesundheitlichen und psychologischen Gesichtspunkten für die Menschen ohne Zweifel besitzt.

Wenn ich hier von einem Skandal spreche, so meine ich jedoch in erster Linie das Sportverbot, das den Breitensport in den Vereinen betrifft. Es betrifft aber auch informelle Sportangebote und selbst die individuelle Sportausübung ist davon betroffen. Bei dieser Form des Sportbetriebs kann man durchaus von einer Systemrelevanz sprechen, wenn man diesen fragwürdigen Begriff, der in der Corona-Debatte   mittlerweile eine entscheidende Rolle spielt, auf den Sport anwenden möchte.

Die Entscheidung der Bundesregierung und der Landesregierungen, die zu dem Sportverbot geführt hat, kann einer kritischen Überprüfung nicht Stand halten. Die medizinischen Erkenntnisse über die Bedeutung des Gesundheitssports wurden dabei nicht oder nur unzureichend zur Kenntnis genommen. Eine differenzierte Betrachtung des Sports ist dabei nicht zu erkennen. Soziologische und psychologische Expertisen zur Bedeutung des Sports wurden dabei nicht in die Beratungen einbezogen. Die von den Sportorganisationen erbrachten Hygienekonzepte der vergangenen Monate wurden weder evaluiert noch in angemessener Weise gewürdigt.

Schon seit dem Beginn der Pandemie war das aktive Sporttreiben durch eine ganze Reihe von Verboten infrage gestellt. Besonders ärgerlich und verantwortungslos war dabei das Verbot des Sportunterrichts in nahezu allen öffentlichen Schulen. Die älteren Menschen unter uns können sich daran erinnern, dass in früheren Zeiten als es nur wenige Sporthallen gab, der Turn- und Sportunterricht bzw. die Leibeserziehung wie selbstverständlich im Freien stattgefunden hat. Zu jeder Jahreszeit und bei jedem Wetter wurde im Freien geübt, gespielt, gestaltet, gewetteifert und in all dem sah man einen bedeutsamen pädagogischen Inhalt, der vor allem auch beim Aufbau eines intakten Immunsystems einen wichtigen Beitrag leisten sollte.

Als es in den letzten Monaten um die Frage der Schließung und der Öffnung der Schulen ging, wurde jedoch die Bedeutung des Sportunterrichts nur im Ausnahmefall diskutiert. Von den Eltern gab es gegen den Ausfall der Sportstunden so gut wie keine Proteste, da viele von ihnen von der Annahme infiziert sind, dass auf die musischen Fächer am ehesten zu verzichten ist. Dabei sind es genau jene Fächer, die in einer gesellschaftlichen Krise wie der Coronapandemie für die Kinder und Jugendlichen eine außergewöhnlich hohe pädagogische Bedeutung haben müssen.

Unverständnis muss auch die Schließung aller sportwissenschaftlichen Institute in deutschen Universitäten und Hochschulen hervorrufen. Die Außensportanlagen durften über Monate nicht betreten werden, das Lauftraining auf den 400 m Bahnen war nicht erlaubt, die Tennisfreiplätze waren wie leergefegt. Von einer besonderen Infektionsgefahr kann dabei gewiss nicht gesprochen werden. Der Schaden, der durch ein ganzes Semester, das dabei meist verloren gegangen ist, hervorgerufen wird, kann aus der Sicht von heute gar nicht bemessen werden. Das viel gepriesene Home-Office und die angeblich neuen digitalen Lehrkonzepte können eine sportpraktische Ausbildung nicht ersetzen. Angesichts der verkürzten Studiengänge kann der Ausfall eines ganzen Semesters für die Ausbildung in den verschiedenen Sportarten ganz erheblich sein.

Die Beispiele für die Auswirkungen des Sportverbots auf die aktuelle Sportentwicklung können hier nur unvollständig dargestellt werden. Das Sportverbot hat viele beabsichtigte aber auch sehr viele unbeabsichtigte Folgen, die im Moment noch gar nicht zu erkennen sind. Entscheidend wird deshalb sein, was die für den Sport in Deutschland Verantwortlichen in den nächsten Tagen und Wochen tun werden, damit das Sportverbot möglichst schnell aufgehoben wird und dass es auch in der näheren Zukunft nicht zu Wiederholungen kommen kann, die erneut einen unwiderruflichen Schaden zur Folge hätten. Blickt man auf die vergangenen Monate zurück, so muss es Verwunderung hervorrufen, welche devote Obrigkeitshörigkeit in Reihen des Sports zu beobachten war. Wo bleibt der Aufschrei des deutschen Sportlehrerverbandes gegen die Benachteiligung des Sportunterrichts und gegen die unsinnigen Unterrichtsverbote? Wo und wann hat die deutsche Vereinigung für Sportwissenschaft auf die gesundheitliche und sozialpolitische Bedeutung des Sports hingewiesen und mit welchen Mitteln hat sie sich gewehrt, als ihre Institute für Sportwissenschaft geschlossen wurden? Wann und wie hat die Dachorganisation der deutschen Sportmedizin reagiert, als ein Verbot zur aktiven Sportausübung ausgesprochen wurde? Warum haben die Landessportbünde und der DOSB das Sportverbot nahezu kritiklos hingenommen? Warum beschränkte man sich bei kritischen Stellungnahmen auf die Äußerungen einzelner Präsidenten der Landessportbünde und des DOSB-Präsidenten gegenüber der Presse, die im allgemeinen Rauschen der Massenmedien untergehen? Warum sind es nur wenige Sportjournalisten, die mit deutlichen Worten ihr Unverständnis und ihren Protest geäußert haben? Warum bedient sich der organisierte Sport nicht des Mediums der politischen Demonstration, um seine Interessen gegenüber der Politik zu äußern? Warum wird der Sportausschuss nicht an seine Aufgaben und Pflichten gegenüber dem Sport erinnert? Fragen über Fragen.

Eines scheint dabei sicher zu sein. Der organisierte Sport darf kein devoter Untertan einer fragwürdigen Sportpolitik sein. Mit allen in einer Demokratie zur Verfügung stehenden Mitteln hat der organisierte Sport sich gegen das aktuelle Sportverbot zu wehren und zukünftige Verbote zu verhindern. Die vielen Sporttreibenden in unserer Gesellschaft sind es wert, dass man sich für ihre Interessen einsetzt.

Verfasst: 02.11.2020