Der Hochleistungssport ist unter vielen Gesichtspunkten ein riskantes Unternehmen. Fast alle Akteure im System des Hochleistungssports haben sich mit Risiken auseinander zu setzen, die oft nur schwer zu meistern sind und die manchmal auch kaum noch als verantwortbar bezeichnet werden können. Veranstalter von internationalen Sportwettkämpfen gehen nicht selten sehr hohe finanzielle Risiken ein, die manchmal bis zur Gefahr eines Konkurses reichen. Sponsoren aus dem Bereich der Wirtschaft müssen mit dem Risiko arbeiten, dass die von Ihnen getätigten Investitionen zu Gunsten ihrer Produkte sich auch in ihr Gegenteil verkehren können, wenn sich ihr Partner aus dem Sport z.B. durch einen Dopingskandal zur negativen Kehrseite ihres Sponsoring – Engagements entwickelt. Das Fernsehen muss bei seinem Engagement zu Gunsten des Sports bei seinem Sportübertragungen mit dem Risiko leben, dass das ihm zur Übertragung angebotene Sportereignis den Erwartungen der Zuschauer nicht entspricht und das Interesse an diesem Medium deshalb rückläufig ist. Funktionäre von Sportfachverbänden müssen akzeptieren, dass sie bei einer andauernden Rückentwicklung der sportlichen Erfolge ihrer Verbände mit dem Risiko einer Abwahl bei der nächsten Mitgliederversammlung zu rechnen haben. Trainer der Athleten müssen im Hochleistungssport von heute damit zurechtkommen, dass ihr Beruf äußerst riskant ist und bei Misserfolgen die Entlassung droht.
Die größten Risiken im System des Hochleistungssports haben jedoch die Athleten auf sich zu nehmen, wenn sie in diesem System erfolgreich sein wollen. Dabei sind die Risiken, die heute im Hochleistungssport zu beobachten sind, dieselben Risiken wie sie bereits vor Jahrzehnten in vielen Analysen und Studien zum Hochleistungssport beschrieben wurden. Auf Initiative der Stiftung Deutsche Sporthilfe wurden in jüngster Zeit weitere Studien durchgeführt und sie haben einmal mehr zum Ausdruck gebracht, dass nach wie vor sich in unserem Hochleistungssport ein Szenario unterschiedliche Risiken zeigt, das durchaus als dramatisch zu bezeichnen ist. Eine wiederholte genaue Beschreibung kann deshalb notwendig und hilfreich sein.
Da ist zunächst das Gesundheitsrisiko, das für sämtliche olympische Sportarten mittlerweile konstitutiv geworden ist, was dazu geführt hat, dass das Gesundheitsmotiv zur Legitimation des Hochleistungssports nur noch in ideologischen Proklamationen verwendet werden kann. Deshalb ist es auch äußerst fraglich, wenn die Verantwortlichen des internationalen Sports den Anti-Dopingkampf mit dem Schutz der Gesundheit der Athleten begründen. Die Gefahr, dass das Training im Hochleistungssport, die meist viel zu vielen Wettkämpfe und die ständig wachsende Belastung der Athleten die Gesundheit gefährden, hat sich in den vergangenen Jahren erheblich vergrößert. Die Verletzungsrisiken sind in fast allen olympischen Sportarten offensichtlich. Der Umgang mit den Verletzungen ist äußerst nachlässig. Von einem verantwortlichen „Gesundheitsmanagement“ kann nur in wenigen Fällen des Hochleistungssports gesprochen werden.
Neben der Gesundheit muss der Athlet sehr viel Geld und Zeit investieren, hat er eine erfolgreiche Leistungssportkarriere zum Ziel. Sein finanzielles Investitionsrisiko ist dabei außergewöhnlich hoch. Wer Leistungssport betreibt, der muss in vielen Sportarten sehr viel Eigenkapital einbringen, ohne dass absehbar ist, jeweils eine Rendite dafür zu erhalten. Bereits im Kindesalter müssen Eltern in die Karriere des zukünftigen Athleten investieren. Für die meisten Athleten reichen die Einnahmen aus Antritts – und Erfolgsprämien und aus Partnerschaften mit Sponsoren gerade aus, um das nahezu tägliche Training, die Wettkämpfe und die damit verbundenen Reisen zu finanzieren. Kommen überraschende Verletzungen hinzu, die möglicherweise ein abruptes Karriereende zur Folge haben, so können hohe Schulden die Folge sein. Eine finanzielle Absicherung für die Zeit nach der Karriere gelingt nur wenigen Hochleistungssportlern. Hochleistungssport ist in fast allen Sportarten ein „berufliches Handeln auf Zeit“, das auf das „Hier und Jetzt“ ausgerichtet ist, und bei dem die Zeit danach so gut wie nicht im Blick ist. Die Organisatoren des Hochleistungssports selbst fühlen sich für die „Zeit danach“ nicht verantwortlich. Deshalb kann es auch kaum überraschen, dass Athleten nach deren Karriereende nur im Ausnahmefall für die jeweiligen Sportverbände noch über eine relevante Bedeutung verfügen. Für die meisten Athleten folgt nach ihrer Verabschiedung aus einer Nationalmannschaft das allgemeine Vergessen. Sie sind mit ihren Nöten auf sich selbst gestellt. Von einer wirklichen sozialen Absicherung kann im derzeitigen System des deutschen Hochleistungssports nicht die Rede sein.
Der eben skizzierte Risikokomplex ist eng verbunden mit einem Dritten, der auf die Probleme verweist, die dadurch entstehen, dass Athleten heute in ihrer Leistungssport- Karriere Anforderungen gerecht werden müssen, durch die ihre gesamte Persönlichkeit gefordert ist. Hochleistungssport betreiben heißt dabei, sich einer Sache voll und ganz verpflichtet fühlen, sehr viel Zeit für dieses Handeln aufzubringen, sich in einem eng begrenzten Handlungsfeld zu bewegen und sich mit einem „Tunnelblick“ auf die höchsten Ziele auszurichten. Die soziale Integration der Athletinnen und Athleten in verschiedene Lebenswelten ist deshalb in der Regel sehr begrenzt. Hochleistungssport findet in der Lebenswelt des Hochleistungssports statt, und die soziale Bindung bezieht sich auf die Menschen, die sich in diesem Handlungsfeld bewegen. Fällt der Athlet aus diesem Feld heraus, so ist er mit Bindungslosigkeit konfrontiert. Er ist alleine auf sich gestellt, doch die auf den Sport ausgerichtete Handlungskompetenz reicht nicht aus, um Anschluss in anderen Handlungsfeldern zu finden.
Das Risiko der unzureichenden sozialen Bindung hängt mit den Ansprüchen zusammen, die heute das System des Hochleistungssports an die Athleten richtet. Der finnische Soziologe Heinilä hat in diesem Zusammenhang von einem „Totalisierungsprozess des Hochleistungssports“ gesprochen, in dem sich dieser seit längerer Zeit befindet, was soviel bedeutet, dass der Mensch in diesem System jeweils total in Anspruch genommen wird. D.h., andere Welten sind für ihn nicht mehr erschließbar. In diesem Zusammenhang muss deshalb auch von einem erhöhten Bildungsrisiko gesprochen werden, was mittlerweile im Hochleistungssport entstanden ist. Wenn Trainer, Funktionäre und die übrige Umwelt des Athleten diesem nahe legen, sich voll und ganz auf den Hochleistungssport zu konzentrieren, nichts anderes zu tun, als das anspruchsvolle Ziel des „olympischen Sieges“ zu verfolgen, so darf man sich nicht wundern, dass die Bildungs – und Erziehungskarrieren der Athleten immer kürzer werden, dass ihre Bildung einseitig ist. Von einer umfassenden Allgemeinbildung kann bei den meisten Athleten von heute wohl kaum noch gesprochen werden. Anderweitige kulturelle Interessen sind bei Hochleistungssportlern eher zur Ausnahme geworden, als dass sie regelmäßig angetroffen werden können. Wer täglich zu trainieren hat und dies mehrere Stunden am Tag, wer sich nur noch unter seinesgleichen bewegt und dessen Freundeskreis zwangsläufig begrenzt sein muss, wer seine Freizeitinteressen zu begrenzen hat und die Freizeit allenfalls zur Kompensation der Belastungen beitragen kann, dessen Persönlichkeitsentwicklung ist notwendigerweise problematisch und begrenzt, wenn ihm nicht außergewöhnliche Hilfen bereitgestellt werden.
Die Beschreibung von Risiken im Hochleistungssport könnte fortgeführt werden. Was diesen Risiken gemeinsam ist, muss in dem gefährlichen Sachverhalt gesehen werden, dass die Athleten heute mit Ihnen konfrontiert sind, ohne dabei eine angemessene Hilfe zu Bewältigung und zur Minderung dieser Risiken zu erhalten. Auf diese Weise ist der gesamte Hochleistungssport für die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen zum Risiko geworden. Es darf nicht überraschen, dass immer mehr Menschen sich gegen den Hochleistungssport aussprechen, immer mehr junge Athleten ihre Karrieren frühzeitig beenden und immer mehr Eltern bemüht sind, ihre Kinder von einer derartig gefährlichen Karriere fern zu halten. Die Risiken, die Kinder und Jugendliche im Hochleistungssport antreffen, gefährden die zukünftige Entwicklung des Hochleistungssports in grundsätzlicher Weise. Werden sich die Verantwortlichen des Hochleistungssports dieser Risiken nicht annehmen, so wird es auch zukünftig keine soziale Absicherung für die Athleten geben. Wird der völlig inakzeptable und auf unerträgliche Weise überfüllte nationale und internationale Wettkampfkalender durch die Funktionäre nicht endlich wieder bereinigt und reduziert, werden die Trainingsbelastungen der Athleten nicht zurückgenommen, wird nicht eine wirkliche, d.h. materiell tragfähige Doppelkarriere für die Athleten durch entsprechende Betreuungsmaßnahmen ermöglicht, werden die finanziellen Hilfen zu Gunsten aller Athleten, also nicht nur der erfolgreichen nicht in angemessener Weise ausgebaut, und wird den Athleten nicht geholfen, dass sie sich umfassend bilden können, so hat der Hochleistungssport keine verantwortbare Zukunft aufzuweisen. Seine kulturelle Bedeutung ist bereits heute in hohem Maße gefährdet und sie wird gewiss auch in der weiteren Zukunft noch mehr gefährdet sein.
Letzte Bearbeitung: 6.8.2022