Einstmals hat Fliegen noch Spaß gemacht. Vom Parkplatz bis zum Schalter der Airline waren es nur wenige Meter zu Fuß, das Einchecken wurde in wenigen Minuten erledigt und ohne Gepäck- und Körperkontrollen konnte man bequem sein Gate erreichen, um bei Langstreckenflügen selbst in der Economy-Class so viel Platz zu haben, dass man noch eine Schlafstellung einnehmen konnte. Heute ist hingegen nicht selten schon das Parken ein Problem. Wenn es schiefläuft, kann die Gepäck- und Körperkontrolle nahezu die Dauer von einer Stunde erreichen und fast alle Flüge sind überbucht. Die Handgepäck- und die Körperkontrolle sind längst zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung geworden. Dank US-amerikanischer Forderungen sind diese Kontrollen immer schwieriger geworden und in mancher Hinsicht haben sie einen Grad an Absurdität erreicht, die nur noch Kopfschütteln zur Folge haben kann. Ganze Bataillone von Kontrolleuren haben dabei neue Arbeitsplätze bei den Security-Companies gefunden, die in der ganzen Welt an jedem Flughafen für diese Kontrollen zuständig sind. Jährlich kommen dabei neue Technologien zum Tragen: in Käfigen wird man gescannt, im Separee wird man auf unangenehme Weise abgetastet, die Schuhe sind auszuziehen und die Gürtel sind abzunehmen. Ist eine Rasierschaumdose zu groß wird sie beschlagnahmt. Tonnen von Mineralwasser werden jährlich ausgeschüttet, weil die Mitnahme von Flüssigkeiten in größerem Umfang verboten ist. Die Kontrollen haben ein Ausmaß an Müllproduktion erreicht, die ganz gewiss nicht als nachhaltig bezeichnet werden kann.
Dies alles wurde durch Flugzeugentführungen und Terrorismus-Aktionen ausgelöst, die ihren Anfang in den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts hatten. Ist eine Struktur einmal etabliert, hat sie bereits den Charakter einer Institution., ist sie längst auch von einer eigenen Ökonomie geprägt, so ist es höchst unwahrscheinlich, dass man sie wieder einmal abschaffen könnte. Wäre unsere Welt friedlich, gäbe es keine Flugzeugentführungen und Terrorakte, so darf nicht angenommen werden, dass diese Kontrollsysteme wieder abgebaut werden. Zum Überleben werden sie eigene wichtige Gründe finden, die Möglichkeit von Gefahren und Risiken ist auch in einer heilen Welt gegeben. Arbeitnehmer werden Versuchen ihre Arbeitsplätze zu schützen und Unternehmer sind weiter am ökonomischen Erfolg interessiert.
Eine ähnliche Entwicklung wie bei den Flughafenkontrollen lässt sich im Anti-Doping-Kampf beobachten. Hier hat es wohl im Hochleistungssport auch in früheren Zeiten keine heile Welt gegeben, doch das Ausmaß des Dopingbetruges wächst beständig und die existenzielle Selbstgefährdung des Systems Sport ist potentiell überproportional angewachsen. Die Etablierung von Kontrollstrukturen war deshalb ein notwendiger Schritt. Die Einrichtung von Institutionen wie die nationalen Anti-Doping-Agenturen und die WADA waren eine notwendige Konsequenz. Doch schon seit längerer Zeit lassen sich nun Entwicklungen beobachten, die vorrangig dem Selbsterhalt dieser Institutionen dienen, die Lösung des eigentlichen Problems schreitet damit aber nicht voran. Die Kampfmaßnahmen werden immer komplexer. Nachdem zunächst nur Urin kontrolliert wurde, folgten die Blutkontrollen und die langfristige Konservierung der Proben. Für die Spiele von Tokio werden bereits Gen-Kontrollen geplant. War zunächst der Anti-Doping-Kampf eine Sache der Sportorganisation selbst, wurden anfangs in jedem Verband Anti-Doping-Kommissionen eingerichtet, rechtliche Gremien etabliert und über Sportgerichte die Täter ihrer Strafe zugeführt, so sind mittlerweile immer weitere Einrichtungen hinzugekommen, die den Anti-Doping-Kampf angeblich oder tatsächlich optimieren können.
Nationale und internationale Schiedsgerichte und nationale und global zuständige Agenturen wurden gegründet. In den Labors werden die Nachweismethoden optimiert, in teilweise finanziell sehr aufwendigen Projekten wird die Forschungssituation über den Dopingbetrug verbessert. Die insgesamt dabei entstehenden Kosten im Anti-Doping-Kampf wachsen nahezu jährlich. Das Ganze geht einher mit ständigen neuen Forderungen, die von einer massenmedialen Kritik an angeblich oder tatsächlich unfähigen oder unwissenden Sportorganisationen und deren Funktionäre begleitet wird. Dabei wird unterstellt, dass sie an einem erfolgreichen Anti-Doping-Kampf kein Interesse haben, was zumindest für einen Teil der Funktionäre vermutlich auch zutrifft. Skandale und weiterführende Verfehlungen haben diese Annahme nahegelegt. Im Zentrum aller Forderungen steht dabei nun seit mehreren Jahren die Forderung nach Unabhängigkeit. Unabhängigkeit von wem und wer soll dabei unabhängig sein, ist dabei allerdings die ungeklärte Frage. Ähnlich wie die Funktionärsschelte hat diese Forderung längst populistischen Charakter. Sie wird wohl kontinuierlich wiederholt, erhoben wird sie von Repräsentanten der WADA, der nationalen Agenturen, der Massenmedien, nicht zuletzt auch von den Athleten. Doch die Frage, wie man sich unabhängige Strukturen in einem Anti-Doping-Kampf, der immer höhere Kosten erzeugt, vorzustellen hat, wird bis heute nicht beantwortet.
Der Haushalt der WADA wird zur Hälfte vom IOC finanziert. Diesbezüglich stellt sich die Frage, ob es tatsächlich wünschenswert wäre, dass das IOC seine Einnahmen der WADA zur Verfügung stellt, ohne über eine Kontrollmöglichkeit der bereitgestellten Mittel zu verfügen. Wie hat man sich eine unabhängige nationale Anti-Doping-Agentur vorzustellen? Welche Gremien entscheiden über die Auswahl deren Mitarbeiter? Wer entscheidet über die Aufsichtsgremien? Ist eine Integrity-Unit eines internationalen Verbandes tatsächlich unabhängig, wenn deren Arbeitsplätze sich im selben Gebäude befinden, wie die der übrigen Mitarbeiter des Internationalen Verbandes, wenn ihre Gehälter vom internationalen Verband zu finanzieren sind? „Wer anschafft, der hat das sagen“, so lautet eine ökonomische Maxime. Über ihre moralische Qualität lässt sich streiten. In fast allen anzutreffenden Gesellschaften ist sie jedoch eine Realität. Wäre der Anti-Doping-Kampf eine reine staatspolitische Angelegenheit, so muss auch dabei bezweifelt werden, dass dieser Anti-Doping-Kampf sich durch Unabhängigkeit auszeichnet. Staatlich organisierter Dopingbetrug war und ist nicht nur eine Angelegenheit von Russland oder der ehemaligen DDR, selbst in demokratisch verfassten Staaten gab es und gibt es Interessenkonflikte im Anti-Doping-Kampf. Das Postulat nach Unabhängigkeit ist aber auch aus ganz grundsätzlichen Erwägungen heraus auf den Prüfstand zu stellen.
Soll das etablierte oder noch zu etablierende Anti-Doping-System erfolgreiche sein, so benötigt es ganz grundsätzlich eine Nähe zum System des Sports. Kompetentes handeln im Anti-Doping-Kampf ist an kompetentes Wissen und kompetente Erfahrungen im System des Sports gebunden. Jede Nähe bürgt jedoch die Gefahr des Interessenkonflikts und so muss man davon ausgehen, dass auch zukünftig der internationale Anti-Doping-Kampf von einem übergeordneten Dilemma und vielen zwiespältigen Interessen geprägt sein wird. In jedem wie auch immer gearteten Aufsichtsgremium im Anti-Doping-Kampf werden auch zukünftig Menschen sitzen, die gleichzeitig mehreren Herren dienen. Von Athleten gewählte Repräsentanten sind gewiss kein unabhängiges Aufsichtspersonal, gleiches würde für Trainer gelten. Funktionäre aus den Führungsgremien der Sportorganisationen sind ohne Zweifel nicht unabhängig, dies gilt aber gleichermaßen für Politiker. Wer glaubt, dass Juristen unabhängig sind, der hat sich vermutlich noch nie mit den unterschiedlichen staatlichen Rechtsstrukturen beschäftigt. Den höchsten Grad an Unabhängigkeit könnte man vermutlich dadurch erreichen, dass der Steuerzahler selbst seine Aufwendungen im Anti-Doping-Kampf kontrollieren kann. Doch auch diese Idee ist utopisch angesichts der ganz unterschiedlichen staatlichen Strukturen, aus denen der internationale Sport stammt.
Es ist ganz offensichtlich, dass es doch erheblich größerer gedanklicher Bemühungen bedarf, als lediglich populistische Forderungen in den Raum zu stellen und sie ständig zu wiederholen um das Problem zu lösen, das hinter der Forderung nach Unabhängigkeit ohne Zweifel besteht. Ein Anti-Doping-Kampf muss sich weltweit durch gleiche Qualitätsmassstäbe auszeichnen. Alle olympischen Sportarten müssen dabei eingebunden sein und er muss sich durch Fairness und Gerechtigkeit auszeichnen. Fair Play ist dabei nicht nur die geforderte Maxime, durch die sich der Hochleistungssport, seine Athleten und seine Wettkämpfe auszuzeichnen haben. Diese Maxime muss auch für den Anti-Doping-Kampf selbst gelten. Besonders gefordert sind dabei vor allem die Athleten und Athletinnen, die das Zentrum des olympischen Sports bilden. Auch sie müssen gefragt werden, welchen finanziellen Beitrag sie zum Anti-Doping-Kampf erbringen. Wenn sie Menschenrechte einklagen muss man fragen, was die Athleten selbst für den Erhalt der Menschenrechte in den vergangenen Jahrzehnten getan und geleistet haben. Wenn sie einen höheren Anteil an den Einnahmen der olympischen Bewegung fordern, so müssen sich die Athleten fragen lassen, ob sie überhaupt wissen, wer die Nachwuchsarbeit ihrer Sportart, die Vorbereitung auf Wettkämpfe, die Durchführung von Wettkämpfen, die Internationalität der Athleten schafft finanziert und welcher Anteil dabei von den Athleten selbst aufgebracht wird. Auch ist die Frage nach der gerechten Verteilung der Athletengehälter zu stellen. Was tut die organisierte Athletenschaft selbst dagegen, dass sich die Schere zwischen superreichen Topathleten und jenen Athleten, die durchaus Spitzenleistungen bringen, jedoch nicht einmal ausreichende Aufwandsentschädigungen erhalten nicht weiter vergrößert. Bei der Finanzierung des Anti-Doping-Kampfes wäre mindestens zu erwarten, dass die Großverdiener der Athletenschaft sich in angemessener Weise beteiligen. Die immer wieder lauthals vorgetragenen populistischen Forderungen im Anti-Doping-Kampf gehen deshalb nicht selten mit Heuchelei und Selbstherrlichkeit einher. Glaubwürdig werden sie dadurch nicht.