Wenn wir über Sport schreiben oder über den Sport sprechen, so geht es in erster Linie um jene Menschen die den Sport betreiben – um Sportler und Athleten der verschiedensten Sportarten. Die Ausübung von Sportarten ist regelgebunden und hat in gewissem Sinne immer auch einen institutionellen Charakter. Für das Handballspiel benötigt man eine andere Ausrüstung und ein anderes Spielfeld als für das Basketballspiel. Sportgeräte und Sportausrüstungen können für den sportlichen Erfolg entscheidend sein, so z.B. beim Rudern, Radfahren, Schießen, Skeleton oder bei Ski Alpin. Ein ganz besonderes Sportgerät in der Welt des Sports ist dabei die Pfeife. Sie kann aus Holz, Metall oder Plastik gebaut sein. Es kann aber auch die natürlichste Pfeife dabei eine Rolle spielen, die grell durch zwei Finger ertönt. Für manche Sportarten sind Pfeifen konstitutiv. Der moderne Fußball ist ohne die Trillerpfeife nicht denkbar. Gleiches gilt für alle übrigen Mannschaftsspiele. Anpfiff und Schlusspfiff sind für Sportspiele konstitutiv. Manchmal pfeift nur einer wie im Fußball, im Basketball können es zwei pfeifende Schiedsrichter sein. Die Pfeife gehört auch zur Ausrüstung von Kampfrichtern. Ist der Einsatz einer Pfeife regelgebunden, wie dies in vielen Sportarten der Fall ist, so scheint dies eine ganz normale Sache zu sein.
Pfeifen und Pfiffe gehören zur Welt des Sports aber auch auf eine etwas ganz andere Weise, die ich als weniger sympathisch empfinde. Erinnert man sich an die Leibesübungen und an den Schulsport des vergangenen Jahrhunderts, so spielte die Pfeife im Mund des Leibeserziehers oder Sportlehrers eine ganz zentrale Rolle. Erinnere ich mich an meinen Sportunterricht, so höre ich die Pfiffe meiner Sportlehrer. Der Sportunterricht war dabei das einzige Schulfach, in dem dieses Gerät zur Anwendung kam. Mit dem Pfiff des Lehrers wurden Schüler zur Ordnung gerufen – Pfiffe dienten zur Beschleunigung von Übungen, signalisierten Stoppregeln und sie waren im weitesten Sinne ein Instrument zur Aufrechterhaltung von Disziplin und Ordnung. Bei Polizisten oder beim Militär kann man in vergleichbarer Weise den Einsatz von Pfeifen beobachten. Das Pfeifen des Sportlehrers galt als ökonomisch, ersetzte aufwendigere Formen der Kommunikation, sollte zur Effizienz des Unterrichts beitragen. So zumindest lautete die offizielle Rechtfertigung. Der Sportunterricht wurde dabei ganz gewiss nicht von sympathischen Geräuschen begleitet. Als geradezu emanzipatorisch musste man es empfinden, wenn Sportlehrer anstelle der Pfeife sich des Tamburins bedienten oder durch bloßes Händeklatschen die gewünschte Kommunikation ermöglichten. Die Pfeife war und ist im Schulsport ohne Zweifel ein Instrument der Autorität und das markante Kennzeichen eines autoritären Sportunterrichts. Sie ist dabei genau so umstritten, wie dies grundsätzlich für eine autoritäre Erziehung ohne wirkliche Autoritäten der Fall ist.
Noch sehr viel weniger sympathisch ist das Pfeifen, wie es leider immer häufiger bei sportlichen Wettkämpfen zu beobachten ist. Auch dabei scheinen Menschen unfähig zur sprachlichen Kommunikation in bestimmten Situationen zu sein. Lautstarkes Pfeifen in der Masse dient alleine dazu, eine feindliche Haltung zum Ausdruck zu bringen, ohne seine feindliche Haltung rechtfertigen zu müssen. In den Bundesligaspielen des Eishockeys, des Basketballs, des Handballs oder des Fußballs sind Pfeifkonzerte an der Tagesordnung, ganz gleich wie anspruchsvoll sich der sportliche Wettkampf dem Zuschauer darstellt. Mit Pfiffen soll der Gegner beim Freiwurf gestört werden. Mit Pfiffen wird der gegnerische Angriff begleitet, um ihn zu verunsichern. Mit Pfiffen werden Spieler in die Kabine verabschiedet. Eigentlich gibt es keinen Anlass vor, während und nach einem Spiel, der nicht mit Pfiffen zu begleiten ist. In unserer Alltagssprache sprechen wir dabei von ganzen Pfeifkonzerten, die den Sport begleiten. Erinnern wir uns an die schönen Pfeifkonzerte, die frühmorgens in unseren Gärten von den verschiedensten Vögeln aufgeführt werden und die sich uns dabei als Künstler beim Erzeugen von Tönen zeigen, bei denen die Luft über eine Kante geblasen wird, so erweist sich der Begriff „Konzert“ für das, was in den Arenen des Sports anzutreffen ist, als völlig unpassend. Schon gar nicht können sich die Stadionpfiffe mit den Pfeiftönen einer Orgel, mit einer Friedenspfeife oder mit den Pfiffen von Kindern vergleichen lassen, die sich auf Fingern oder fingerlos gegenseitig beim Pfeifen von Melodien überbieten möchten. Eigentlich gab es nur eine Ausnahme für den Bereich des Sports, bei der das Pfeifen nicht als unhöflich wahrgenommen wurde. Es sind die Pfiffe zum „Sportpalastwalzer“ beim Berliner Sechstagerennen, die in den 1920er Jahren von einem Berliner Original erfunden wurde. Der vierfache Pfiff an einer bestimmten Stelle der Sporthymne wurde dabei zu einem Markenzeichen dieser Sportveranstaltung.
Grundsätzlich ist im Vergleich zur sprachlichen Kommunikation das Pfeifen der Zuschauer, wie es sich im Stadion ereignet, eher als primitiv zu bezeichnen. Es kommt einer evolutionären Regression gleich, ähnlich dem Kampfgeschrei primitiver Naturvölker, ohne sich allerdings mit deren ethischer Qualität messen zu können. Die Pfeifkonzerte im Sport sind vielmehr Ausdruck eines ethischen Verfalls, eine grundlegende Verletzung des Fair Play-Prinzips und eine Infragestellung jener Werte, auf die sich der Sport selbst zu verpflichten hat. Besonders ärgerlich ist dabei, dass bei vielen sportlichen Veranstaltungen von den Veranstaltern selbst diese Verstöße gegen das Prinzip des Fair Play bewusst inszeniert werden. Stadionsprecher sind meist zu Einpeitschern mutiert und veranlassen mit ihrer einseitigen Hetze und mit ihrem Gegröle Formen der menschlichen Artikulation, die sich mehr als unwürdig für unsere Zivilisation darstellen.
Der Pfiff und die Pfeife sind ohne Zweifel ein konstitutives Element vieler Sportarten und der Sportausübung. Gelangen sie jedoch in falsche Hände, so sind sie genau das Gegenteil. Sie gefährden die konstitutiven Werte des modernen Sports.
Bei der Suche nach den etymologischen Hintergründen des Pfeifens und der Pfeife taucht schließlich noch eine ganz andere Semantik auf. Das Wort „Pfeife“ ist demnach auch ein Schimpfwort und umgangssprachlich werden damit „Versager“ gemeint. Solche lassen sich aus naheliegenden Gründen auch in der Welt des Sports beobachten. Unter den Sportfunktionären, so die öffentliche Meinung, soll es davon einige geben. Dies näher auszuführen verbietet sich für einen ehemaligen Sportfunktionär, da er möglicherweise aus der Sicht einer bestimmten Öffentlichkeit ja selbst davon betroffen sein könnte.
Verfasst: 06.06.2017