Wo immer man heute Sport in dieser Welt als Wettkampfsport betreibt, da kann man auch einer besonderen Spezies Mensch begegnen, den so genannten Glücksrittern. Der moderne Sport hat seinen Ursprung in der Wettleidenschaft der englischen Adeligen und diese Wettleidenschaft ist nach wie vor überall in der Welt anzutreffen. So wird auf den Einlauf bei Pferderennen gewettet, bei Leichtathletikweltmeisterschaften wird auf Sieger im 100 m Finale gesetzt und vor allem das Fußballspiel ist ein begehrter Wettanlass. Es gibt wohl keine Sportart, die sich diesem besonderen Bedürfnis entziehen könnte.
Dies wird von den Verantwortlichen des Sports nicht nur gerne gesehen, denn man weiß, welche Gefahren damit verbunden sind. Wettbetrug, Korruption, Spielbeeinflussung, Spielerbeeinflussung, Bestechung, all diese möglichen Gefährdungen, die im so genannten Wettkampfsport als alltäglich zu bezeichnen sind, drohen schon seit langem in der Welt des Wettkampfsports. Paradoxerweise ist trotz dieser Bedenken der Sport auf die Wettleidenschaft angewiesen. Denn nahezu in allen nationalen Sportsystemen der Welt finanziert sich die tägliche Arbeit in den Vereinen, in den Verbänden über die Einnahmen aus dem Wett- und Lotteriegeschäft. Der Sport ist einer der wichtigsten Destinäre wenn es um die Verteilung der Erlöse geht, die z. B. über staatliche Lotterien erzielt werden. Immer häufiger sind Sportverbände aber auch Partnerschaften mit Wettgesellschaften eingegangen. Es werden dabei Sponsoringeinnahmen in Millionenhöhe erzielt.
Das IOC hat sich bis heute gegenüber dieser Verführung abstinent erwiesen. Man möchte die Wettleidenschaft möglichst von den Olympischen Spielen fernhalten. So wie man sich nach wie vor für ein werbefreies Stadion bei den Olympischen Spielen einsetzt und damit eine gewisse Einzigartigkeit aufweist im Vergleich zu anderen sportlichen Großereignissen, so möchte man auch auf eine Partnerschaft mit Wettsponsoren verzichten. Dies soll auch dann gelten, wenn Einnahmen in Millionenhöhe zu erwarten wären.
Doch auch das IOC ist Veranstalter eines Glücksspiels. Dies sieht man wohl nicht auf den ersten Blick. Doch betrachten wir das Spiel, das gespielt wird, wenn die vom IOC erworbenen Fernseheinnahmen zu verteilen sind, so kann man die Qualität dieses Spiels sehr schnell erkennen. Es wird dabei offensichtlich, dass für viele Verbände die Rolle des Glücks eine entscheidende Rolle spielt, wenn über deren finanzielle Zukunft entschieden wird. Durch den Verkauf seiner Fernsehrechte kann das IOC außergewöhnlich hohe Erlöse erzielen. Die dabei erzielten Gewinne werden zu Gunsten jener Organisationen ausgeschüttet, die im Wesentlichen die Olympischen Spiele tragen. Das sind die 206 Nationalen Olympischen Komitees auf der einen und die olympischen Fachverbände auf der anderen Seite. Bei den Sommerspielen konkurrieren dabei ca. 28 olympische Fachverbände bei der Verteilung von einer Summe von ca. 540 Millionen US $ (in Tokio werden es 33 Sportarten sein). Tradition, Erfahrung und einige empirische Fakten haben die Führung des IOC bewegt, die Verteilung dieser Mittel in vier Gruppen vorzunehmen. Den höchsten Anteil erhielt die Leichtathletik, die allein die erste Gruppe repräsentierte. In einer zweiten Gruppe folgten sieben Sportarten. Der dritten Gruppe gehören drei an. Die vierte Gruppe setzt sich aus den Neuankömmlingen und jenen Sportarten zusammen, die in der Vergangenheit nicht ganz so erfolgreich gewesen waren. Alle vier Jahre hatte sich dabei die Verteilung dieser Fernsehgewinne für fast alle internationalen Verbände als ein willkommenes Labsal erwiesen. Für die reichen Verbände war es eine Möglichkeit ihren Reichtum zu erhöhen. Für die ärmeren Verbände war es die Absicherung ihrer Existenzgrundlage, die durch die Ausschüttung dieser Mittel möglich wurde. Da die Mittel ständig wuchsen, waren die meisten Verbände zufrieden, wenngleich ein Rumoren hinter dem Rücken und hinter vorgehaltener Hand auch schon vor zehn Jahren zu spüren war. Mancher Verband sah sich ungerecht behandelt, so z.B. der internationale Handballverband, sah sich selbst erfolgreicher als andere, die der derselben Gruppe angehörten. Es gab auch Verbände, die die gesamte Gruppeneinteilung in Frage gestellt haben.
Mittlerweile wurde das System um wichtige Nuancen verändert. Die Leichtathletik hat bei den Sommersportarten ihr Alleinstellungsmerkmal verloren. In der ersten Gruppe befinden sich nun auch Schwimmen und Turnen, was bei der IAAF zu erheblichen finanziellen Einbußen führte.
In diesen Tagen ist nun absehbar, dass die Einnahmen aus dem Verkauf der Fernsehrechte einen gewissen Zenit erreicht haben. Eine gravierende Steigerung ist in den nächsten Jahren nicht zu erwarten, der Verteilungskampf hat sich deshalb notwendigerweise verschärft. Die Unzufriedenen fragen nun vermehrt nach, nach welchen objektiven Kriterien denn nun eigentlich diese Mittel verteilt werden. Sie fordern unabhängige Gutachter und eine wissenschaftlich fundierte Expertise. Ohne es klar zum Ausdruck zu bringen stellen sie die Solidarität der olympischen Fachverbände in Frage. Vorrangig geht es dabei um die Präsenz der unterschiedlichen Sportarten im Fernsehen, um ihre Zuschauerzahlen, die sie bei ihren Wettkämpfen während der Olympischen Spiele aufweisen und um die Qualität ihrer sportlichen Veranstaltungen. Will man diesen Forderungen gerecht werden und betrachtet man das damit aufgeworfene Problem etwas genauer, so wird sehr schnell zu erkennen sein, dass eine objektive an harten Kriterien orientierte Verteilung der wirtschaftlichen Gewinne erhebliche Schwierigkeiten bereitet. Hat eine Sportart neun Veranstaltungstage im Vergleich zu einer anderen, die sich mit drei Tagen beschränken muss, hat eine Sportart viele spannende Einzelentscheidungen im Vergleich zu einer anderen, die nur zwei Einzelentscheidungen aufweist, hat eine Sportart eine Sportstätte mit einer Kapazität von wenigen tausend Zuschauern im Vergleich zum Olympiastadion in dem 90 000 Zuschauer anwesend sein können: Der Erfolg einer Sportart wird ganz offensichtlich von vielen Faktoren bedingt. Sie alle haben Folgen in Bezug auf die möglichen Eintrittskarten, die verkauft werden können, und in Bezug auf die mediale Resonanz, die eine Sportart erreichen kann. Das wichtigste Kriterium scheint dabei die Fernsehreichweite und die Einschaltquote zu sein, die eine Sportart erzielt. Doch auch hier liegt dies nicht, wie es auf den ersten Blick anzunehmen ist, in der Hand der Sportarten. Das IOC hat längst die Produktion der Olympischen Spiele einem eigenen Unternehmen übertragen, dessen Chef über die Präsenz der olympischen Sportarten im Fernsehen entscheidet. Am Regiepult wird entschieden, ob eine Sportart live übertragen wird, lediglich eine Zusammenfassung wert ist, überall in der Welt zu sehen ist oder nur in begrenzten Märkten. Live-Streaming ist mittlerweile eine weitere Option. Gewiss hängt es von der Qualität der sportlichen Spitzenleistungen ab, welche der Welt live gezeigt wird und auf welche man eher verzichten kann, wenn bei Olympischen Spielen mehrere Entscheidungen gleichzeitig stattfinden. Eine Selektion aus der Flut der Bilder ist ohnehin aus prinzipiellen Gründen notwendig. Deshalb braucht man keineswegs Manipulation unterstellen, wenn es zur Prioritätensetzung zu Gunsten einiger Sportarten kommt und andere Sportarten nur geringe Sendezeit und nur wenige Liveauftritte erreichen können. Aus der Sicht der Sportarten ist dies jedoch eine Frage des Glücks. In gewissem Sinne können sie ihre Rolle in der Familie der olympischen Mediensportarten nicht selbst beeinflussen. Deshalb wird es auch zukünftig darauf ankommen, dass das IOC auf glaubwürdige Weise mit guten Argumenten eine Gruppierung der Sportarten vornimmt. Jenen Sportarten die neu hinzukommen muss dabei eine faire Chance gegeben werden und Sportarten, die sich qualitativ steigern und sich auch unter medialen Gesichtspunkten verbessern, haben zu Recht einen Anspruch auf ein Bonussystem. Es muss auch akzeptiert sein, dass Sportarten zwischen den Gruppen auf- und absteigen können. Stellt das IOC sich nicht dieser Herausforderung, so wird sich der Verteilungskampf unter den olympischen Sportarten verschärfen und für manche olympische Sportart wird sich dabei die Frage nach dem Überleben stellen.