Ist E-Sport gemeinnützig?

„Wir schaffen Rechtssicherheit für gemeinnützigen Journalismus und machen E- Sport gemeinnützig“, so haben es SPD, FDP und Grüne im Kapitel „Kulturförderung“ auf Seite 97 des gemeinsamen Koalitionsvertrags vereinbart, der vor zwei Jahren unter dem Motto „Mehr Fortschritt wagen“ veröffentlicht wurde. Wie es in der deutschen Politik leider schon seit langem üblich geworden ist, zeichnen sich viele Politiker¹ und deren Parteien durch Verlautbarungen aus, in denen sie politische Projekte ankündigen, ohne dabei zu klären, wie und was genau zu einem bestimmten Zeitpunkt passieren soll.
Genau dies zeichnet nun einmal mehr die aktuelle Bundesregierung aus, die weder in ihrem Vertrag geklärt hat, was sie unter E- Sport überhaupt versteht und warum ausgerechnet diese Art von Sport gemeinnützig sein soll. Sie folgt damit der vorherigen Regierung, in der sich bereits eine CSU- Staatsekretärin besonders dadurch einen Namen machte, dass sie die Sportverbände nötigen wollten, einen E- Sportverband als Mitgliedsorganisation des DOSB anzuerkennen. Dabei stellte sich bereits damals nicht nur für den DOSB die Frage, warum die Förderung der Gaming- Industrie für unsere Gesellschaft eine wünschenswerte Kulturförderung sein soll, so wie sich heute die Frage stellt, warum eine Lobbypolitik zu Gunsten des E-Sports für unser Gemeinwesen einen Fortschritt darstellen soll.

In der neuen Regierung – wie könnte es anders sein – ist das E-Sportthema zu einem weiteren Konfliktherd zwischen der FDP und der Partei der Grünen geworden. Der FDP-Bundestagsabgeordnete Höferlin pocht dabei auf die Einhaltung des Koalitionsvertrages und vertritt die Auffassung, dass dieser auch für die Familienministerin Paus Gültigkeit habe. Dort – so meint er – sei die Gemeinnützigkeit für den E-Sport fest vereinbart. „Deshalb gehe ich davon aus, dass die Grünen auch bei ihrer Zusage bleiben werden“. Familienministerin Paus (Bündnis 90-Die Grünen) vertritt hingegen die Auffassung, dass die Gemeinnützigkeit, die mit steuerlichen Vergünstigungen einhergeht, wenn überhaupt nur in sehr engen Grenzen für den ehrenamtlichen E-Sport gelten soll. Sie verweist auf die Abgabenordnung, in der für die Gemeinnützigkeitsanerkennung vorausgesetzt wird, dass dadurch die „Allgemeinheit“ gefördert wird. Beispiele hierfür sind u.a. die Förderung von Kunst und Kultur, die Förderung des Naturschutzes, des Katastrophenschutzes, die Verbraucherberatung, die Heimatpflege oder die Förderung von großmotorischem Spiel und Sport in Turn- und Sportvereinen. Diese Voraussetzung ist nicht gegeben, wenn der Kreis der Begünstigten dauerhaft begrenzt ist.

Nicht nur die Ministerin vertritt deshalb die Auffassung, dass E- Sportdisziplinen nicht gefördert werden dürfen, wenn in ihnen zum Beispiel das Töten von Menschen oder auch von Phantasie- bzw. Fabelwesen in menschenähnlicher Gestalt, wie z.B. in „League of Legends“, realitätsnah simuliert wird, wenn dem „online Glücksspiel“ gefrönt wird oder wenn sich über Geldeinsatz „wettbewerbsrelevante Vorteile“ erzielen lassen. Gemeint sind offenbar die umstrittenen „Lootboxen“, die auch bereits in einer Studie der Kommission für Jugendmedienschutz infrage gestellt werden. In dieser Studie wird darauf hingewiesen, dass große Spielehersteller manipulative Designs benutzen, um damit die Unerfahrenheit von Kindern gezielt auszunutzen.
Folgt man dieser Auffassung, so sind mehrere E- Sport Titel wie Counter-Strike, Valorant, Fortnite, Rainbow Six Siege, PUBG, Overwatch 2, Apex Legends oder Call of Duty sowie Lootbox- Spiele wie EA Sports FC 24 vermutlich nicht als gemeinnützig einzuordnen.

Zweifel an der pauschalen Gemeinnützigkeitsforderung der FDP werden auch dahingehend geäußert, dass Spiele, die Kinder und Jugendliche einem Nutzungsrisiko aussetzen – etwa durch Chats und Messenger, Kauffunktionen, glücksspielähnlichen Mechanismen und „Methoden zur Förderung eines exzessiven Mediennutzungsverhaltens“ – nicht dem Gütekriterium der Gemeinnützigkeit entsprechen.

Im Gegensatz zu seinem Parteifreund Höferlin, der den Parlamentskreis „E-Sports und Gaming“ leitet, vertritt selbst Finanzminister Lindner die Auffassung, dass dann, wenn E-Sport als neuer gemeinnütziger Zweck aufgenommen werden soll, der „Grundsatz der Förderung der Allgemeinheit“ zu beachten sei und dieser eine einschränkende Wirkung habe.
Eine Körperschaft, d.h. ein E- Sportverein oder eine E- Sportabteilung in einem Sportclub müsste deshalb darauf ausgerichtet sein, die Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet selbstlos zu fördern.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes wird der Rechtsbegriff der Gemeinnützigkeit wesentlich durch die objektive Werteordnung geprägt wie sie insbesondere im Grundrechtekatalog der Art. 1-19 des Grundgesetzes zum Ausdruck kommt. Eine Tätigkeit, die mit diesen Wertevorstellungen nicht vereinbar ist, fördert nicht die Allgemeinheit. Für sog. Ego- bzw. First-Person-Shooter und ggf. Für Phantasiespiele, wie League of Legends, in denen simulierte Tötungshandlungen von Fabelwesen in Menschen ähnlicher Gestalt eine zentrale Bedeutung haben, wäre demnach die Argumentation des BFH heranzuziehen, wie sie bei der IPSC-Entscheidung angewandt wurde: BFH, Urteil vom 27.09.2018 – V R 48/16 Rn. 40ff. zum IPSC-Schießen (https://openjur.de/u/2260957.html)

Selbst nach Einschätzung des FDP-Finanzministeriums können online- Glücksspiele wie Roulette oder Blackjack und Computerspiele, die auf dem Index stehen, sowie jugendgefährdende Medien nach §§ 15 und 18 des Jugendschutzgesetzes auf keinen Fall gemeinnützig sein. Mit der Förderung solcher Spiele würde vielmehr gegen das Prinzip der „Förderung der Allgemeinheit“ nicht zuletzt dadurch verstoßen, weil damit gegen die objektive Werteordnung, wie sie im bereits erwähnten Grundrechtekatalog in den  Art. 1 bis 19 des Grundgesetzes (GG) zum Ausdruck kommt (vgl. BFH, Urteil vom 27.09.2018 – V R 48/16 Rn. 40ff. zum IPSC-Schießen (https://openjur.de/u/2260957.html)

Meines Erachtens fasst das Familienministerium, das nicht zuletzt auch eine pädagogische und sozialpolitische Verantwortung für Kinder und Jugendliche zu übernehmen hat, zu Recht die Risiken und Nebenwirkungen von Games und E- Sportwettbewerben weiter und allgemeiner. Das Kriterium der Gemeinnützigkeit würde demnach nur für unproblematische E-Sportspiele gelten.

Würde E-Sport pauschal als gemeinnützig anerkannt, so würde dies bedeuten, dass Vereine und Einrichtungen, in denen Computerspiele als Wettbewerb praktiziert werden, von steuerlichen Vorteilen profitieren könnten – etwa durch die Befreiung von Körperschafts- und Gewerbesteuer, durch Freibeträge, durch Pauschalen und Aufwandsentschädigungen für Ehrenamtliche, durch Zugang zu öffentlichen „Fördertöpfen“ und durch steuerlich abzugsfähige Quittungen, wenn zum Beispiel ein regionales Autohaus mehrere Gaming PCs stiftet.

Folgt man hingegen den Bedenken des Familienministeriums, so müssten große Teile des E-Sportmarktes aus einer möglichen gemeinnützigen Förderung ausgeschlossen werden. Wer beobachtet wie und mit welchem Tempo sich die Games Industrie weltweit verändert, kann sich den Bedenken der Familienministerin nur anschließen und vor allem kann es nicht akzeptiert werden, wenn man dem E- Sport einen „staatlichen Blankoscheck“ ausstellen würde, wie dies von einigen Lobbyisten des E-Sports im deutschen Bundestag gefordert wird.
Vielmehr muss man den Eindruck gewinnen, dass viele dieser politischen Lobbyisten gar nicht wissen, was sich mit dem Thema E- Sport alles verbindet und wer dabei die Entwicklung dieses „Sports“ in diesen Tagen ganz wesentlich beeinflusst:

  • Da ist vor allem Saudi-Arabien zu beachten, das mit der „ELS Faceit Group“ den Weltmarktführer unter den Ausrichtern kontrolliert und demnächst gemeinsam mit einer äußerst fragwürdigen Institution wie der FIFA eine E- Sport- WM veranstaltet.
  • Die Kölner ESL Gaming GmbH wurde vor kurzem für 1 Milliarde $ von Saudi-Arabiens Staatsfonds „Savvy Games Group“ übernommen. Sie organisiert seit über 20 Jahren E-Sport Turniere und Ligen in der ganzen Welt. Zu ihren Sponsoren zählen DHL, Acer, Intel, Mercedes-Benz, McDonald’s, Bitburger, Müllermilch.
  • Da ist die nicht weg zu diskutierende maximale Abhängigkeit jedes einzelnen E-Sport Games und damit jeder E-Sportorganisation von überwiegend börsennotierten, in jedem Fall gewinnorientierten Unternehmen zu berücksichtigen, die nach eigenem Ermessen über Regelwerk, Geschäftsmodelle, Vertriebswege, Lizenzen, Plattformen, Zulassung, Ligen und Turniere entscheiden. Das Mitspracherecht von Teams und Spielern ist minimal, wenn es überhaupt eine Mitsprache gibt. So sieht es selbst Petra Fröhlich in ihrer Eigenschaft als Chefredakteurin von „Games Wirtschaft“.
  • Ferner stellt sich die Frage wie mit „Pay 2 WIN“ oder glücksspielähnlichen Mechanismen in den E-Sportspielen umzugehen ist. So z.B. mit den Lootboxen im Ultimate-Team-Modus von EA Sports FC 24, dem meistverkauften Videospiel des Landes.

Gesucht ist somit nach wie vor eine praxistaugliche E- Sport- Definition mit klaren Ausschlusskriterien und einer objektiven Bewertung von Risiken und Nebenwirkungen.

Wenn man die Frage über die Gemeinnützigkeit von E- Sport ohne die Interessen einer Lobby zu Gunsten der Spiele- Wirtschaft in Deutschland diskutieren möchte, so sollte man auch die Verkaufszahlen der Spiele und die hohen Kosten für die sog. E-Sportler bzw. E-Games im Blick haben. So wurden vom neuen Spiel „Hell Divers 2“ innerhalb kürzester Zeit 200.000 Stück abgesetzt. Dieser Online-Koop-Shooter von Arrowhead Game Studios und Sony Interactive ist zum Preis von 39,99 € für PC und PlayStation 5 erhältlich.

Die meistverkauften Spiele, die in den Jahren 2023/2024 veröffentlicht wurden und bereits mehr als 600.000 mal verkauft wurden und durchschnittlich zwischen 30 und 50 Euro pro Spiel kosten, sind die folgenden:

  • Call of duty: Modern Warefare 3
  • Diablo 4
  • EA Sports FC 24
  • Hogwarts Legacy
  • Super Mario Bros. Wonder
  • Der Legend of Zelda: Tears of the Kingdom

Mehr als 200.000 mal wurden verkauft:

  • Assassin’s Creed Mirage
  • F1 23
  • Helldivers 2
  • Resident Evil 4 Remake
  • Marvel’s Spider-Man 2
  • Star Wars Jedi: Survivor

Es ist auch wichtig, einen etwas genaueren und kritischen Blick auf die E Sport- Initiativen des FIFA Präsidenten Infantino und des saudi-arabischen Kronprinz Mohammed bin Salman zu werfen. Saudi-Arabien organisiert gemeinsam mit der FIFA den „E- Sport Welt Cup 2024“. Er umfasst 18 Spiele gemäß dem aktuellen „line up“. Zu den Neuzugängen gehören auch Produkte von Spieleherstellern, an denen der Gastgeber Saudi-Arabien beteiligt ist, so u.a. bei den Spielen EA Sports FC 24 und Street Fighter 6. Gemäß der aktuellen Planung werden beim E-Sports World Cup folgende Disziplinen praktiziert:

Counterstrike 2, Dota 2, EA Sports FC 24, Fortnite, Garena Free Fire, Honor of Kings,
League of Legends, Mobile legends: Bang Bang, Overwatch 2, PUBG Battlegrounds,
PUBG Mobile. Rennsport, Rocket League, Starcraft 2, Street Fighter 6, Tekken 8,
Teamfight Tactics, Tom Glancy`s Rainbow Six Siege.²

Der Kronprinz und Premierminister von Saudi-Arabien will alljährlich in der Hauptstadt Riad diesen Welt Cup ausrichten. Der dazugehörige Pokal wurde bereits im Beisein von FIFA Präsident Infantino und Superstar Cristiano Ronaldo präsentiert. Nach Vorstellung des Monarchen soll Saudi-Arabien ein „Gaming Hotspot“ mit Events, Studios und Turnieren werden. Das Land winkt mit den höchsten Preisgeldern der E-Sport-Geschichte. Die staatliche Savvy Games Group hat bereits Milliarden an US $ in Embracer, Take Two, Activision Blizzard, Nintendo und Capcom investiert. Zuletzt wurde das Unternehmen des Mobile-Games Entwicklers „Scopely“ übernommen.

Der berechtigte Vorwurf, dass Saudi-Arabien sich auf diese Weise des sog „Sports Washing“ schuldig macht, wird von den Befürwortern der E Sport- Gemeinnützigkeit ganz offensichtlich nicht beachtet. Nahezu unbeachtet bleibt auch der Sachverhalt, dass sich ganze E-Sportturniere noch immer im Besitz großer russischer Konzerne befinden. Teams aus Russland dürfen derzeit wohl an E-Sport Events nicht teilnehmen. Doch unter Menschenrechtsgesichtspunkten sind jene, die in die Lücke der russischen Konzerne gesprungen sind, wohl kaum wesentlich besser einzuschätzen.

Wer sich angesichts der hier aufgezeigten Zusammenhänge trotzdem für eine pauschale Gemeinnützigkeitsanerkennung des E-Sports in Deutschland einsetzt – so wie dies derzeit bei der FDP und bei der CDU/CSU zu beobachten ist – dem möchte man zumindest empfehlen, dass er all die hier erwähnten Spiele-Titel und die organisierten Gaming- Ereignisse einmal etwas genauer betrachtet, vielleicht sie sogar einmal selbst spielt bzw. besucht. Er wird dann wohl erkennen müssen, dass viele dieser Spiele mit den Spiel- und Wettkampfideen des Olympischen Sports nur ganz wenig oder gar nichts gemein haben und dass die Wettkämpfe selbst einer großangelegten Verkaufsshow gleichen.
Zu empfehlen wäre den Befürwortern auch, sich der Frage zu stellen, warum nicht nur verantwortungsvolle Pädagogen, Psychologen, Mediziner und Neurowissenschaftler vor einer Suchtgefahr beim „Gaming“ warnen.
Sie sollten sich auch fragen, warum der niedergelassene Arzt erst noch zu finden ist, der einem adipösen Jugendlichen, der ihn in seiner Sprechstunde aufsucht, Gaming und E-Sport als Therapie verschreibt. Dem von ihm geleisteten Gelöbnis des Hippokrates folgend wird er vielmehr dem Jugendlichen empfehlen, sich vermehrt aktiv selbst zu bewegen, Sport zu treiben, Mitglied in einem Sportverein zu werden und weniger Zeit vor seiner Spiele-Konsole zu verbringen.
Schließlich müssten auch die Befürworter einer pauschalen Gemeinnützigkeitsanerkennung des E- Sports die Frage beantworten, ob sie wollen, dass E-Sport – mit welcher Zielsetzung und didaktischen Ausformung auch immer – Inhalt zukünftigen Schulsports werden soll, oder ob es nicht besser wäre, wenn sich die Abgeordneten des Deutschen Bundestages für die tägliche Sportstunde in unserem öffentlichen Schulwesen einsetzen würden.

Letzte Bearbeitung: 27. 4. 2024

  • ¹ Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf „gendergerechte“ Sprachformen – männlich, weiblich, divers – verzichtet. Bei allen Bezeichnungen, die personenbezogen sind, meint die gewählte Formulierung i.d.R. alle Geschlechter, auch wenn überwiegend die männliche Form steht.
  • ² Siehe: https://www.gameswirtschaft.de/sport/esports-world-cup-saudi-arabien-2024-0304/