Integration durch Sport

Wollen wir eine Antwort auf die Frage finden, inwiefern dem Sport eine integrative Funktion in unserer Gesellschaft zukommt, so ist es zunächst wichtig, dass wir uns des Phänomens versichern, das diese Integrationsleistung hervorbringen soll. Der Sport, das wohl bedeutsamste Phänomen unserer Massenkultur, zeichnet sich durch vielfältige Merkmale aus. Angesichts mehrerer organisatorischer Varianten, die mitt­lerweile zu unterscheiden sind, ist es nicht mehr so einfach den Wesenskern des Phänomens selbst zu bestimmen. Die ursprünglichste und bedeutendste Form inner­halb des Phänomens des modernen Sports ist dabei ohne Zweifel der Wettkampfsport. Daneben gibt es Bewegung, Spiel und Sportmuster in denen das Merkmal des Wettkampfes nicht vorkommt, die sich selbst jedoch als Teil des modernen Sports definieren. Auch diese Formen können unter dem Aspekt der Integrations­funktion auf den Prüfstand gestellt werden. Wenn gleich es offensichtlich ist, dass bei diesen Formen andere Funktionen sehr viel zentraler sind. In den folgenden Ausfüh­rungen möchte ich mich lediglich mit der bedeutsamen Variante, mit dem Zentrum des modernen Sports, dem Wettkampfsport beschäftigen. Betrachten wir das Phänomen des Wettkampfsports, so erkennen wir, dass dabei die sportliche Leistung das Orientierungszentrum des Handelns bildet und in der Konfiguration des Wettkampfs sich zwei Kontrahenten als die besonderen Wesensmerkmale auszeichnen. Es geht um Konkurrenz, es gibt den oder die Gegner, den oder die es zu besiegen gilt, beim Fußball, beim 100m-Finale, beim Tischtennisspiel, beim Hochspringen, beim Eiskunstlauf, beim Ruderwettbewerb. Gleichzeitig geht es immer auch um Kooperation, um das gegenseitige aufeinander angewiesen sein, um Abhängigkeit, um Assoziierung. Kon­kurrenz und Assoziierung sind die Pfeiler auf denen der Wettkampfsport ruht. Im Fußball benötigt man Mitspieler, die Vorlage macht den Torschuss möglich, ohne Gegner macht mein Spiel keinen Sinn, so wie ich gewinnen möchte, muss auch mein Gegner dies zum Ziel haben. Gerade dadurch entsteht der Witz des Spiels. Die Prinzipien der Konkurrenz und Assoziierung sind in die Regeln eingebunden, die sich die Beteiligten am sportlichen Wettkampf selbst gegeben haben. Sie prägen die thematische Struktur der jeweiligen Sportart.

Wird diese Beschreibung akzeptiert, so ist der Blick auf die integrative Wirkung des Wettkampfsports naheliegend. Wird über das Prinzip der Konkurrenz getrennt, so wird über das Prinzip der Assoziierung zusammengeführt, integriert. Integration ist auf diese Weise in phänomenaler Hinsicht konstitutiv für die Ausübung des Sports und so darf auch berechtigt angenommen werden, dass der Wettkampfsport gegenüber den Menschen, die ihn betreiben, eine herausragende integrative Wirkung besitzt. Betrachten wir nun in einem nächsten Schritt die verschiedensten Ausformungen des Wettkampfsports, die Sportarten in ihren unterschiedlichen Organisationen, so wird genau diese integrative Kraft des Wett­kampfsports sichtbar. Im Wettkampf werden Menschen zusammengeführt. Dies er­eignet sich täglich und unter quantitativen Gesichtspunkten werden dabei von Jahr zu Jahr neue Maximen erreicht. Die Mitgliederentwicklung des Weltsports, ebenso wie des nationalen Sports sprechen dabei eine eindeutige Sprache. Immer mehr Menschen treiben gemeinsam Sport und werden durch das Sportreiben in eine Gemeinschaft eingebunden, werden integriert, werden in einer gemeinsam verbrachten Zeit in ihrem Interessensaustausch miteinander verbunden. Samstag für Samstag fin­det dies bei den Spielen von Kinder und Jugendlichen, bei den Wettkämpfen, bei Meisterschaften und bei Turnieren der Erwachsenen und der Junioren statt.

Betrachten wir den Menschen in seiner sozialen Beziehung zu anderen, betrachten wir soziale Prozesse in unserer Gesellschaft etwas genauer, so müssen wir aller­dings erkennen, dass der Integration immer auch das Gegenteil gegenübersteht. Wer integriert, segregiert, Integration führt immer auch zu Segregation. Dieses Phänomens muss man sich bewusst sein, will man die Integrationskraft des Sports zur Verfolgung politischer Ziele nützen, will man Integration kultivieren, will man naturwüchsige soziale Prozesse zu Gunsten einer zivilisierten Gesellschaft weiterentwickeln. In Bezug auf die politische Integration, für den Erhalt unserer Gesellschaft und unseres politischen Systems, hat der Sport ohne Zweifel bedeutsame Beiträge geleistet. Denken wir nur an die Integrationskraft der Vereine nach dem Zweiten Weltkrieg. Millionen von Flüchtlingen wurde der Zugang zum Sport ermöglicht und auf eine nahezu konfliktlose Weise wurden diese neuen Bürger und Bürgerinnen in die Vereine integriert. Dies führte zum entscheidenden Vereinswachstum in den fünfziger und sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts und ermöglichte den Sportorganisationen eine gesellschafts- und sozialpolitische Aufwertung, wie sie vergleichbar zuvor noch nie beobachtet werden konnte. Die Integrationskraft des Sports lässt sich auch in vielen jungen Nationen beobachten, so zum Beispiel in Afrika, wenn mittels Sport segregierende Stammesstrukturen zu überwinden sind und zumindest aus Anlass sportlicher Erfolge eine neue nationale Identität gelebt wird. Die Fußballweltmeisterschaft 2006 zeigte uns schöne Beispiele nationaler Integration, die sich nicht selten sogar als transinternationale Integration auswies. Türken identifizierten sich in gleicher Weise wie Deutsche mit den Erfolgen der deutschen Nationalmannschaft. Das Tragen von nationalen Emblemen und der Erwerb von entsprechenden Memorabilien zeigte sich uns in einer noch nie dagewesenen multikulturellen Vielfalt. Doch auch im Sport ist immer neben der Integration auch die Segregation anzutreffen. Migranten und Ausländer werden oft nicht integriert in jener Weise, dass sie in jenen Sport eingebunden werden der vorrangig von Deutschen betrieben wird. Sie bilden ihre eigenen Organisationen, ihre eigenen Mannschaften, teilweise sogar ihre eigenen Ligen. Gerade im Fußball ist dies immer häufiger zu beobachten. Die integrative Kraft des Spiels beschränkt sich allenfalls auf das Gegeneinander und so spielt eine türkische, eine italienische und eine griechische Mannschaft in den unteren Klassen der Fußballliga gegen eine große Mehrheit von deutschen Mannschaften. Wird ein ausländischer Spieler in eine Fußballmannschaft integriert, so zum Beispiel in der Fußballbundesliga, so heißt das noch lange nicht, dass er nicht gleichzeitig in vieler Hinsicht diskriminiert wird. Schwarze Spieler sind immer wieder von rassistischen Anfeindungen und Beleidigungen betroffen. Stars scheinen dabei leichter integrierbar zu sein als unbekannte Spieler. Sportlicher Erfolg führt zur oberflächlicher Integration, die jedoch immer dann zusammenbricht, wenn der Erfolg ausbleibt.

Will man politische Integration, vermittelt über das Medium des Sports bewusst gestalten, das zeigen diese Beispiele, so reicht es ganz offensichtlich nicht aus, dass man sich dabei nur auf den Sport selbst verlässt. Ergänzende strukturelle Maßnahmen sind erforderlich, soll der Sport diese sozial-integrative Kraft für unsere Gesellschaft besitzen. Dabei muss es vor allem um eine Bewusstmachung der nach wie vor bestehenden segregativen Strukturen in unserer Gesellschaft gehen. Die Feinde einer dringend erwünschten Integration müssen beim Namen genannt werden. Aber auch Prozesse der Kommunikation zur Integrationsthematik sind vorzugeben, aktiv zu steuern und kreativ zu gestalten, will man die Integrationskraft des Sports zur Wirkung kommen lassen.

Letzte Überarbeitung: 03.07.2020