Hat der organisierte Sport eine Fernsehpolitik?

In einem Zeitgespräch, das vor vielen Jahren Giovanni Lorenzo mit Helmut Schmid führte, meinte der Altbundeskanzler, dass das Meiste was auf unseren Fernsehschirmen geboten wird so ist, dass er es nach wenigen Minuten abschalte. Unter Unterhaltungsgesichtspunkten sei das deutsche Fernsehen seichter als das „panem et circenses“ der Römer, dem sich Zehntausende im Kolosseum hingegeben haben. Nicht weniger emotional hatte sich der ebenfalls mittlerweile verstorbene Literaturkritiker Reich-Ranitzki über die Qualität des deutschen Fernsehens ausgelassen und Elke Heidenreich sekundierte ihn damals wie jämmerlich unser Fernsehen sei, wie arm und wie verblödet. Diese Kritik zielte nicht nur auf das private Fernsehen, sie hatte und hat bis heute vor allem immer häufiger auch das öffentlich-rechtliche Fernsehen im Blick.

Die Sportberichterstattung wird dabei oft nur am Rande erwähnt, doch auch in Bezug auf das öffentliche Sportfernsehen war die zunehmende Kritik nicht mehr zu überhören. ARD-Sportchefs wurden deren Nebenjobs vorgeworfen. Christian Eichler fragte in der FAZ, was das duale Fernsehen der Sportberichterstattung gebracht hat und er kam zu dem Ergebnis, dass das Fernsehen in Verbindung mit dem Sport nur dort etwas Innovatives hervorgebracht hat, wo es sich des Sports zugunsten einer Show bedienen konnte. Von einer qualitativen Weiterentwicklung des Sportfernsehens könne demnach im letzten Vierteljahrhundert nicht die Rede sein.

Ähnlich kritisch äußern sich Medienwissenschaftler und Publizisten, wenn sie sich dem Sportfernsehen zuwenden. Dass auch Sportfunktionäre mit der Sportberichterstattung im Fernsehen nicht zufrieden sind, kann angesichts der Verteilung und der Ausrichtung der Sportprogramme im öffentlich-rechtlichen Fernsehen nicht überraschen. Als neugewählter erster DOSB-Präsident forderte Thomas Bach in „Sportbild“ mehr Sendezeit für kleinere Sportarten und kritisierte die hohen Millionenausgaben für Profiboxübertragungen. Der Präsident des Landesportbundes Hessen Rolf Müller forderte Diskussionen in den Rundfunkräten über die einseitige Sportberichterstattung des öffentlich-rechtlichen Fernsehens und noch in seiner Eigenschaft als Ministerpräsident des Saarlandes stellte Peter Müller den Sendeauftrag des öffentlich-rechtlichen Fernsehens angesichts des andauernden Dopingbetruges, der ja nicht nur bei der Tour de France zu beklagen war, in Frage.

Für die Verantwortlichen des Sportfernsehens im öffentlich-rechtlichen Rundfunk scheint solche Kritik lediglich ein Ärgernis zu sein. Allenfalls reagieren einige verantwortliche Männer und Frauen auf solche Kritik mit Empörung. Anlass zur Selbstkritik, zur Reflexion und Revision des Sendeauftrages, Anlass zur Erprobung neuer Formate, insbesondere Anlass zu Innovationen scheint diese Kritik nicht zu sein. Sie wird mit einem „weiter so“ gekontert und hat ein „more of the same“ zur Folge. Der Fußball erhält noch immer die besten Sendeformate und die längsten Übertragungszeiten, und nur dem Fußball ist es erlaubt, Primetime-Übertragungszeiten für sich zu beanspruchen. Die ARD bezahlt für ihr Fußballprogramm in den nächsten Jahren mehr als eine Milliarde Euro. Die Bundesliga konnte in diesen Tagen trotz oder gerade wegen der Coronakrise ihre Einnahmen mit einem spektakulären TV-Deal noch ein weiteres Mal auf mehr als fünf Milliarden Euro steigern. ARD und ZDF haben dabei einen beträchtlichen Anteil aufzubringen um wenigstens einen kleinen Anteil für das „Free TV“ zu sichern. Angesichts solcher immensen Aufwendungen ist es naheliegend, dass die Frage gestellt wird, ob die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten ihren Auftrag, die Gesellschaft und damit auch den Sport in diesem Land angemessen abzubilden, ausreichend erfüllen.

Angesichts des Ungleichgewichts der Sportberichterstattung im Fernsehen wurde des Öfteren die Etablierung eines eigenen Sportfernsehkanals gefordert. Diese Forderung ist gewiss naheliegend. Sie ist allerdings keineswegs originell und sie ist vor allem aber wohl kaum erfolgsversprechend. Angesichts von DSF und Eurosport wäre ein weiterer nachgeordneter Spartenkanal weder sinnvoll noch zielführend. Die Kostenfrage wäre möglicherweise auch zu beachten. Die Daten zu dem seit 2014 eingeführten Online-Kanal „Sport Deutschland TV“ sprechen hierzu ihre eigene Sprache. Die Bandbreite der Sportarten, über die in diesem Sender berichtet wird, ist durchaus beachtenswert. Auf eine werbewirksame Publikation der Reichweiten dieser Sendungen wird hingegen aus gutem Grund verzichtet.

Die Forderung, dass die ARD-Sportschau wieder ihrem Namen gerecht wird und nicht nur über Fußball berichtet, sondern auch die Vielfalt des Hochleistungssports beachtet, ist ebenso naheliegend wie einleuchtend. Als Forderung hat sie jedoch den Charakter einer unendlichen Geschichte und ARD und ZDF haben bis heute nicht zu erkennen gegeben, dass sie den Wünschen des DOSB und seiner Mitgliederorganisationen entsprechen möchten.

Die Frage nach einer DOSB Sportfernsehpolitik ist somit in erster Linie eine Frage nach der Macht und Kompetenz, die der DOSB als die größte Mitgliederorganisation Deutschlands in Bezug auf gesellschaftliche Entwicklungen ausüben kann und darf. Die Frage zielt auch auf das konkrete politische Handeln der Akteure des Sports in Bezug auf die zu lösenden Probleme. Welche Rolle spielen die Rundfunkräte, die der Sport in die Aufsichtsgremien von ARD und ZDF entsandt hat? Welcher Verantwortliche übernimmt bei diesen ::: Inwiefern wurden in den letzten Jahren in den Mitbestimmungs-Gremien der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten die notwendigen Anträge gestellt, wie wurde um Mehrheiten gerungen, wo wird auf diesem Gebiet Überzeugungsarbeit geleistet? Welche Lobby-Arbeit ist zu Gunsten der Interessen des Sports zu erkennen? Was haben die Verantwortlichen des Sports in den letzten Jahren auf diesem Gebiet erreicht?

Die sportpolitische Realität zeichnet sich dadurch aus, dass jede Sportart aus naheliegenden Gründen an eigenen Interessen orientiert ist. Auf diese Weise ist es für ARD und ZDF ein leichtes in den bilateralen Verhandlungen mit den Sportarten ihre Ziele und Interessen durchzusetzen. Im Sinne eines Sendemonopols können sie den Preis definieren, Sendezeiten und Sendeumfang unterliegen meist ebenfalls ihrem Diktat. Da eine DOSB-Fernsehpolitik nicht zu erkennen ist, die diesen Namen verdient, muss die große Mehrheit der Olympischen Sportarten zufrieden sein, wenn in den Nachrichtensendungen von ihren sportlichen Highlights äußerst knapp berichtet wird, wenn in Dritten Programmen zusammenfassende Berichte gesendet werden und wenn im Vormittagsprogramm und im frühen Nachmittagsprogramm von jenen Weltmeisterschaften Live-Übertragungen möglich sind, bei denen es deutsche Sieger geben kann. Eine Sportart wie Handball kann dabei nur dann Berücksichtigung finden, wenn die deutsche Mannschaft erfolgreich spielt. Scheidet sie aus, so wird dem Handballinteressierten selbst das Endspiel einer Weltmeisterschaft vorenthalten.

Dieser Art von Programmpolitik steht der organisierte Sport ohnmächtig gegenüber. Die Sender argumentieren, dass die Einschaltquoten bei den meisten Olympischen Sportarten außerhalb der Olympischen Spiele ungenügend sind und sie deshalb beim Zuschauer kaum auf Interesse stoßen. Diese Art zu argumentieren hat sich in der Vergangenheit als Totschlagargument gegenüber den Olympischen Sportarten erwiesen. Dabei wäre es durchaus angebracht die Fakten, d.h. die jeweils erreichten Quoten, einer genaueren Prüfung zu unterziehen. Zuschauerforschung, die wissenschaftlichen Ansprüchen genügen kann, zeigt auf, dass die Zuschauerinteressen keineswegs mit der bestehenden Sportartenprogrammstruktur korrelieren. Die Olympischen Spiele von London und Rio de Janeiro haben dies einmal mehr eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Hinzu kommt, dass die Quote ein völlig untaugliches Instrument zu einer sinnvollen Programmplanung ist, da sie entscheidend abhängig ist von den jeweiligen Programmplätzen, die miteinander verglichen werden. An schlechten Programmplätzen lassen sich nur schlechte Quoten erzielen, an guten Programmplätzen hingegen ist man erfolgreich. Auf diese Weise wird die Programmplanung zur selbsterfüllenden Prophezeiung. Fußball erhält die besten Programmplätze, hat daher die besten Quoten. Alle übrigen olympischen Sportarten müssen mit nachgeordneten Programmplätzen zufrieden sein und haben auch deshalb sehr viel schlechtere Quoten aufzuweisen.

Die Verantwortlichen des Sportfernsehens behaupten in der Öffentlichkeit, dass sie ihrem öffentlich-rechtlichen Auftrag insofern entsprechen, dass sie die Vielfalt des Sports wiedergeben. Hierbei listen sie die Sportarten auf, die in ihrem Jahresprogramm Sendeminuten erhalten haben. In Bezug auf das eigentliche Programmbild ist diese Argumentation völlig unzureichend. Unter quantitativen Gesichtspunkten erreichen 27 olympische Sommersportarten zusammen kaum mehr Sendeminuten als eine einzige olympische Sportart, nämlich Fußball. Hinzu kommt, dass teilweise die Sendeminuten der Sportarten auf Programmplätzen gewährt wurden, die völlig irrelevant sind. Einer qualitativen Analyse in Bezug auf die Vielfalt hält somit die Argumentation von ARD und ZDF nicht stand.

Es stellt sich aber auch sehr viel grundsätzlicher die Frage, ob der organisierte Sport diese Art der Argumentation akzeptieren darf. Bringt der Sport selbst Verständnis dafür auf, dass z.B. ein Finale der Tischtennismannschafts-WM in Dortmund im Westdeutschen Rundfunk nur einhundertzwanzigtausend Zuschauer verfolgt haben und dies für zukünftige Übertragungen nicht ausreichend sei, so darf man sich nicht wundern, dass auch zukünftig die Einschaltquote als alleinige Währung den Dialog zwischen dem organisierten Sport und den öffentlich-rechtlichen Sendern prägen wird.

Angesichts der Struktur des dualen Fernsehens in der Bundesrepublik gibt es keinen echten freien Fernsehmarkt vor dem Hintergrund, dass private Anbieter sich in der Wettbewerbskonkurrenz zu bewähren haben, öffentlich-rechtliches Fernsehen hingegen durch den Steuerzahler finanziert wird. Diese Marktsituation hat zur Folge, dass für die meisten im DOSB organisierten Sportarten ein privater Fernsehmarkt nicht existent ist. Die privaten Anbieter können nur an wenigen für sie marktfähigen Sportarten interessiert sein. Dies sind jene, die sich angesichts der Entwicklung des Sportfernsehens in den vergangenen 50 Jahren als besonders spektakulär erwiesen haben. Für alle anderen Sportarten erübrigt es sich, in einen Dialog mit dem privaten Fernsehen einzutreten. Auf diese Weise ist ein Monopol des öffentlich-rechtlichen Fernsehens in Bezug auf die große Mehrheit der olympischen Sportarten entstanden. ARD und ZDF können daher gegenüber diesen Sportarten als Monopolist antreten und ihnen die Preise diktieren, die sie für den Kauf der Sportrechte bereit sind zu bezahlen. Die Realität zeichnet sich heute bereits dadurch aus, dass die Verbände froh sind, wenn sie ihre Sportwettkämpfe dem Fernsehen kostenlos zur Verfügung stellen dürfen. Manche wären sogar zum Kauf von Sendezeiten bereit. Einen erkennbaren Marktpreis für die einzelnen Sportarten gibt es nicht. Wenn ARD und ZDF über ihre Agentur SportA behaupten, dass es einen Marktwert für jede olympische Sportart gebe, so ist diese Behauptung völlig aus der Luft gegriffen. Jede Summe, die dabei genannt wird, könnte durch einen beliebigen Betrag ersetzt werden, da es keinen Wettbewerb um die Rechte fast aller olympischen Sportarten gibt. Vor diesem Hintergrund wäre es zwingend angebracht, dass man in einen Dialog über vertretbare Preise für die olympischen Sportarten im Interesse der Verbände eintritt, dessen Ziel sein müsste, dass am Ende eine gerechtere Verteilung der Einnahmen aus der Übertragung von Sportveranstaltungen für die Sportverbände möglich wird. Will man solches erreichen und will man diesen Zustand ändern, so ist eine neue Sportmedienpolitik dringend vonnöten Die Spitzenverbände sind ebenso gefordert wie der Deutsche Olympische Sportbund. Die Mitgliedsverbände des DOSB wären gut beraten, wenn sie von ihren Repräsentanten beim nächsten Bundestag eine schriftlich formulierte Programmatik ihrer Fernsehpolitik abverlangen würden.

Letzte Überarbeitung: 29.06.2020