Feigheit im Sport

– oder warum es nur selten zu echten Reformen kommt

Der Sport ist ohne Zweifel ein wichtiger Ort der Wertevermittlung. Werte wie Anstrengungsbereitschaft, Empathie, Frustrationstoleranz, langfristiges Üben und Lernen, Disziplin und Gemeinsinn können vor allem im Wettkampfsport erfahren und eingeübt werden. Seine gesellschaftspolitische Legitimation verdankt der Sport vor allem dieser besonderen Qualität, die ihm der Wettkampfsport mit seinem obersten Prinzip des Fair Play gewährt. Der Sport hat jedoch nicht nur seine positiven Seiten.  Im Sport können auch Handlungsmuster erfahren und eingeübt werden, die unter ethisch-moralischen Gesichtspunkten nicht wünschenswert sind. Es können Muster sein, die als „Unwerte“ zu bezeichnen sind. Betrug im Wettkampf, Doping, Manipulation von Spielergebnissen, Korruption und menschenverachtende Gewalt sind beispielhafte Unwerte, wie sie leider immer häufiger im Sport anzutreffen sind. Die damit einhergehenden Verfehlungen sind erkannt und die Verantwortlichen in den Organisationen des Sports sind zumindest bemüht die Schäden zu minimieren, die dadurch entstanden sind.

Immer häufiger ist jedoch in den Organisationen des Sports ein Unwert zu beobachten, der stetig wächst. Ein Teil der Verantwortlichen selbst ist durch diesen Unwert zu kennzeichnen, weswegen diesem nirgendwo entschieden entgegengetreten wird. Von Feigheit, Devotheit, Anpassertum und „schleimigem Verhalten“ muss dabei gesprochen werden. Man kann dies auch mit den Begriffen Unterwürfigkeit und „Fußleckerei“ umschreiben. Hört man den Reden von Sportfunktionären bei ihren Mitgliederversammlungen zu, so traut man oft seinen Ohren nicht. In devoter Unterwürfigkeit werden z.B. die Politiker begrüßt, die bei diesen Veranstaltungen aus politisch nachvollziehbaren Gründen anwesend sind. Bei der DOSB Mitgliederversammlung werden Prominenten Ehrenamtspreise verliehen, deren berufliches Handeln nicht im Entferntesten mit einem Ehrenamt des Sports zu tun hat. Ein Fernsehintendant wird mit einem der höchsten Auszeichnungen die der Sport zu vergeben hat geehrt, obgleich die große Mehrheit der Mitglieder die Auffassung vertritt, dass in den öffentlich-rechtlichen Sendern eine Berichterstattung, die die Vielfalt des Sports berücksichtigt, nicht zu erkennen ist, und deshalb Kritik eher angebracht wäre als Lob. Das Grußwort eines Bundespräsidenten, dessen Rhetorik als höchst bescheiden zu bezeichnen ist und der zum Sport genau jenes zu sagen hat, was schon hundert Mal gesagt wurde, wird überschwänglich gelobt und als einer der unseren gewürdigt. Wer Geld oder Macht hat wird vom Sport hofiert, verfügt er über beides, so ist er aus der Sicht der Sportfunktionäre ein Superstar, dem man die entsprechenden Huldigungen entgegenbringen muss.

Die offiziellen Versammlungen des Sports, die Verbandstage und die Präsidiumssitzungen, haben, wie es in deutschen Organisationen üblich ist, einen besonders offiziellen Charakter. Rhetorische Rituale sind angesagt, kritische Diskussionen sind unerwünscht und Abstimmungen sollten möglichst einstimmig sein. Die politische Unkultur der sozialistischen Einheitspartei der DDR scheint in der Bundesrepublik ihre Nachfolger gefunden zu haben. Dabei ist jedoch interessant, dass fast alle, die an solchen Ritualen beteiligt sind, an diesen Ritualen etwas auszusetzen haben. In der Lobby, am Vorabend, beim Stammtisch, in der Bar, da findet der eigentliche kritische Dialog über den Sport statt. Es wird gelästert, man äußert seinen Ärger, man übt Kritik. Hinter vorgehaltener Hand ist dies alles einfach. Bei den Sitzungen selbst hält eine weit verbreitete Feigheit die Beteiligten davon ab, all dies öffentlich zu äußern was zu äußern wäre und jene Anträge zu stellen, über die dringend zu diskutieren und abzustimmen wäre.

Die gescheiterten deutschen Bewerbungen um die Ausrichtung Olympischer Sommer- und Winterspiele sind eindrucksvolle Beispiele dafür, wie Sportfunktionäre ihre Feigheit gegenseitig zur Schau stellen. Es gab gute Gründe, auf langfristige Bewerbungsprozesse zu setzen. Deshalb wäre es naheliegend gewesen, dass man nach der Niederlage von Durban mit der Unterstützung der Bundesregierung, der Landesregierung und dem Deutschen Olympischen Sportbund sofort eine zweite Bewerbung für die Winterspiele 2022 auf den Weg gebracht hätte. Der damals amtierende DOSB-Präsident gab jedoch die Vertagung einer derartigen Entscheidung vor und alle Wintersportfachverbände hatten sich dieser Vorentscheidung anzuschließen, wohl wissend, dass auf diese Weise eine erneute deutsche Bewerbung höchst unwahrscheinlich geworden ist. Die Verärgerung einiger Verbände konnte man geradezu spüren, eine Artikulation des Ärgers bei den offiziellen Debatten war jedoch nur im Ausnahmefall zu beobachten.

Feigheit gegenüber amtierenden Präsidenten scheint geradezu typisch zu sein. Landesverbandspräsidenten üben nahezu regelmäßig Kritik an ihrem nationalen Präsidenten, doch wird solche Kritik nicht beim Verbandstag vorgetragen. Sie ist vielmehr Teil einer Telefondiplomatie und des Kleingruppengesprächs. Will der amtierende Präsident seine Präsidentschaft fortsetzen, so gelingt dies dem Präsidenten fast ausnahmslos, da die über ihn geäußerte Kritik lediglich unter dem Deckmantel der Feigheit erfolgte.

Kritik, das zeigen diese Beispiele, scheint in den deutschen Sportorganisationen eher unerwünscht zu sein, als dass sie gefordert würde. Nachdem die deutsche Handball-Nationalmannschaft bei den Europameisterschaften 2012 in Serbien ausgeschieden war, war es der Nationaltorhüter, der die Verbandsführung in Frage stellte. Hinter vorgehaltener Hand wurden der Präsident des Deutschen Handballbundes und seine Vizepräsidenten bereits seit mehreren Jahren in Frage gestellt. Ihre Rollen in den Führungsgremien des deutschen Sports waren eher nachgeordnet und auch in der Weltorganisation des Handballs hatten sie nur einen geringen Einfluss. Als nun eine Person das sagte, was viele dachten, hat die weit verbreitete Feigheit bewirkt, dass devot dem Präsidenten zur Seite gesprungen wurde und dem Kritiker Unerfahrenheit unterstellt wurde. Die Frage, ob seine sachliche Kritik berechtigt war, ob es stimmte, dass der Präsident in den letzten Jahren nie oder nur ganz selten bei der Mannschaft war, und ob die Arbeitsweise des Präsidiums der Sache gerecht wird – dies alles wurde nicht überprüft. Hingegen wurde dem Kritiker Unreife und mangelnde Kompetenz vorgeworfen, obgleich die gemachten Äußerungen über solche Vorwürfe nicht aus der Welt zu schaffen waren.

Angesichts solcher Feigheit ist es auch möglich, dass in einem Bundesland drei Landessportbünde über mehrere Jahrzehnte ihre Entwicklung gegenseitig blockieren. Als Alibi haben sie eine Dachorganisation gegründet, die sich als ein zahnloser Tiger erweist. Sie wählen einen Landessportverbandspräsidenten nur deshalb, weil er nicht stört. Die Kritik an diesem Zustand hat den Charakter einer unendlichen Geschichte. Alle Beteiligten beklagen außerhalb von Sitzungen den unsäglichen Zustand, in dem sich der Sport in diesem Bundesland befindet. Es wird durchaus erkannt, dass auf diese Weise, insbesondere eine erfolgreiche Entwicklung des Hochleistungssports nicht möglich ist, dass die vierfachen Verwaltungsstrukturen Kosten erzeugen, die man zu Gunsten einer positiven Sportentwicklung einsparen könnte. Die Feigheit aller Beteiligten macht es jedoch möglich, dass auch bei den nächsten Verbandstagen die traditionelle Struktur fortgesetzt wird und die dringend notwendigen Innovationen einmal mehr verhindert werden. Die politisch Verantwortlichen im Parlament dieses Bundeslandes sind dabei ebenso feige wie die Sportfunktionäre der einzelnen Fachverbände. Sie lassen es zu, dass sich einzelne Männer (Frauen scheinen dabei nur eine nachgeordnete Rolle zu spielen) eigennützig des Sports bedienen können.

Dabei wären die Lösungen so einfach. Würde die Landesregierung ihre Zuschüsse an den Sport an effiziente Organisationsstrukturen binden, die dieser zu gewährleisten hat, so wäre von heute auf morgen das Problem gelöst. Würden die Funktionäre bei den Sitzungen sich zu Wort melden, Anträge stellen, Mehrheiten suchen zu Gunsten einer Veränderung, so wäre die dringend erforderliche Fusion der drei Landessportbünde schon längst in die Tat umgesetzt. Würden die Verbände ihr Personal auf der Grundlage einer Überprüfung der fachlichen Kompetenz rekrutieren, so wäre das überall in den Sportverbänden zu beobachtende „Peterprinzip“ außer Kraft gesetzt. Nicht Langweiler und bescheidene Geister hätten das Sagen sondern Führungskräfte könnten sich durchsetzen, die der Politik auf Augenhöhe begegnen. Nicht unterwürfig und angepasst würden sich diese verhalten, sondern die Sache in den Mittelpunkt stellen und sich an den Interessen der Mitglieder orientieren.

Die in allen Gremien des Sports zu beobachtende Feigheit hat längst den Charakter eines Flächenbrandes. Für jüngere Funktionäre ist dieses Verhalten abschreckend und es hat zur Folge, dass sich im Sport nur noch jene durchsetzen, die sich durch angepasstes Verhalten auszeichnen. Angesichts solcher Entwicklung scheint es mehr als angebracht zu sein, dass man zukünftig die Werteerziehung im Sport an ganz neuen Inhalten ausrichtet. Die Verhinderung von Unwerten muss eine besondere Aufgabe dieser Umerziehung sein, nur dann kommen die erwünschten Werte des Sports zum Tragen.

Letzte Überarebitung: 09.11.2018