Die XXXIII. Olympischen Spiele in Paris 2024 auf dem Prüfstand – wie erfolgreich ist die Reformpolitik des IOC-Präsidenten Dr. Thomas Bach?

Es besteht wohl kein Zweifel, dass zum Zeitpunkt der Wahl von Thomas Bach zum Präsidenten des IOC diese Organisation sich bereits seit mehreren Jahren in der größten Krise befunden hat wie es sie zuvor in ihrer krisengeschüttelten mehr als 100-jährigen Geschichte noch nie gegeben hat. Die Olympischen Winterspiele 2002 in Salt Lake City waren dabei eines der ersten aufschreckenden Signale.


Coubertins Ideen des „Modernen Olympismus“ wurden vor Bachs Wahl und auch nach seiner Wahl durch mehrere Korruptionsskandale erheblich beschädigt und nahezu zerstört. Mehrere IOC-Mitglieder¹ zeichneten sich durch kriminelle Machenschaften aus. Zur ethisch- moralischen Krise kam eine organisatorische Krise hinzu, die sich bereits zu Beginn der Amtszeit von IOC- Präsident Bach und auch während der Amtszeit von Präsident Rogge immer entschiedener abzeichnete. Die Spiele waren immer größer geworden und auch unter finanziellen Gesichtspunkten stellte sich immer entschiedener die Frage, ob Olympische Spiele unter den Vergabebedingungen des IOC auch zukünftig noch möglich sind. Die Anzahl der Bewerber für Olympische Spiele – insbesondere aus offenen Demokratien – ging immer weiter zurück. Die öffentliche Kritik am IOC hingegen nahm kontinuierlich zu. In westlichen Demokratien, allen voran auch in Deutschland, wurde der moderne Olympismus und mit ihm die Olympischen Spiele immer entschiedener infrage gestellt und Bewerbungen von Nationen, die sich als offene Demokratien auszeichnen, wurden immer seltener oder blieben völlig aus. Die Austragungsorte Peking, Sotschi, Rio de Janeiro und Tokio, die sich entweder durch ihre totalitären Regime oder durch ihre Korruptionsskandale bei der Bewerbung und Durchführung der Spiele ausgezeichnet haben, sprechen diesbezüglich ihre eigene Sprache.
Vor dem Hintergrund dieser durchaus als selbstzerstörerisch zu bezeichnenden Entwicklung des IOC und aus der Sicht von heute muss es wohl als ein Glücksfall bezeichnet werden, dass im Jahr 2013 mit Dr. Thomas Bach ein Präsident an die Spitze des IOC gewählt wurde, der das Wort „Reform“ in das Zentrum seiner Sportpolitik rückte und den Begriff einer „unabhängigen IOC- Politik“ in klarer Abgrenzung zur staatlichen Politik mit neuen Inhalten gefüllt hat. Bach hat sich während seiner nunmehr zehn Jahre andauernden Führungsarbeit zum Ziel gesetzt, die von ihm als ehemaligem Olympischen Athleten erlebten Olympischen Spiele zu bewahren und in eine bessere Zukunft zu führen.

Die Reformarbeit des IOC und seines Präsidenten stehen im nächsten Jahr  auf dem Prüfstand. Vorausgreifend kann gesagt werden, dass sich das IOC unter der Führung von Präsident Bach entscheidend verändert hat. Durch ihn wurden für die weitere Entwicklung des IOC und der Olympischen Spiele Möglichkeiten eröffnet, die in den kommenden Jahren und Jahrzehnten genutzt werden müssen, um damit eine weitere positive Entwicklung der Olympischen Spiele zu sichern.
Die „Olympische Agenda 2020“ und „Agenda 2020 +5“ lieferten dafür den programmatischen Rahmen. Entscheidender ist jedoch, dass alle von Bach angekündigten Reformen bereits heute nahezu vollständig umgesetzt wurden und entsprechende positive Veränderungen hervorgerufen haben. Besonders erwähnenswert sind für mich dabei folgende Initiativen:

Projekt 1: Vergabe von Olympischen Spielen

Ein neues Bewerbungs- und Entscheidungsverfahren über die Vergabe von Olympischen Spielen zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass die finanziellen Aufwendungen für eine zukünftige Bewerbung sehr viel geringer sein werden als dies früher der Fall gewesen ist und dass die Entscheidung über die Vergabe der Spiele fachlich sehr viel kompetenter und in mancher Hinsicht auch transparenter erfolgen wird. Potentiell interessierte Ausrichter zukünftiger Olympischer Spiele werden zunächst über einen „Dialogprozess“ beraten, um ihnen auf dieser Grundlage eine reflektierte endgültige Entscheidung über ihre Bewerbung zu ermöglichen. Nach dem Konsultationsprozess kommt es zu einer sorgfältigen Evaluierung jener Bewerber, die bereit sind, in den finalen Entscheidungsprozess einzutreten. Eine Schlüsselrolle spielt dabei die jeweils amtierende „Future Host Commission“. Die endgültige Entscheidung wird durch die Vollversammlung des IOC auf Vorschlag der IOC-Exekutive und seiner „Future Host Commission“ getroffen. Auf spektakuläre „Bewerber-Showwettkämpfe“ wird bewusst verzichtet und jeder Bewerber wird dahingehend beraten, dass er mit seinen vorhandenen Bedingungen kostengünstige Spiele durchführen kann. Als völlig transparent hat sich das neue Verfahren bis heute noch nicht erwiesen. Die jüngste Entscheidung zu Gunsten der Spiele im Jahr 2032 in Brisbane legt diesbezüglich noch Möglichkeiten zur Verbesserung nahe.

Projekt 2: Definition von Anforderungen und Voraussetzungen für die Durchführung von Olympischen Spielen

Als eines der wichtigsten Themen der „Agenda 2020“ muss die Klärung der Frage hervorgehoben werden, welche Anforderungen bei der Durchführung zukünftiger Olympischer Spiele zu beachten sind. Grundlegende Reformidee war dabei, dass sich die Spiele an die Ausrichterorte anpassen müssen und es nicht weiter umgekehrt sein darf, dass die Ausrichter sich an die Spiele anzupassen haben. Voraussetzung dafür ist eine hohe Flexibilität. Nach wie vor kann ein Nationales Olympisches Komitee die Spiele mit einer Stadt seines Landes ausrichten. Dies ist nach wie vor ausdrücklich erwünscht. Es können aber auch mehrere Städte oder auch ganze Regionen eines Landes die Spiele durchführen. Selbst länderübergreifende Konstruktionen, bei denen mehrere NOKs die Gastgeber wären, sind denkbar. Vor Ort sind temporäre Sportstätten willkommen und die Anforderungen an die bestehenden Sportstätten sind vor allem an den technischen Bedingungen der jeweiligen Sportarten angepasst. Selbst ein „Olympiastadion“ ist eine nicht notwendige Bedingung.

Projekt 3: IOC- „Compliance“ und „Good Governance“)

Nach den IOC- Skandalen, die vor allem vorangegangene Amtszeiten prägten, war es nahe liegend, dass die Frage nach der ethisch- moralischen Integrität des IOC höchste Priorität besitzen musste. Ausgerichtet an Modellen wie sie bereits im Bereich der Politik und der Wirtschaft anzutreffen waren, wurden deshalb in den vergangenen Jahren völlig neue „Good Governance“ und „Compliance“ Maßstäbe für das IOC definiert und auch die Frage der moralischen Integrität über neue Regeln festgelegt. Zur Überwachung der Regeltreue des IOC und der Einhaltung von Rechtsprinzipien und staatlichen Gesetzen durch die IOC-Mitglieder war bereits 1999 eine unabhängige und fachlich kompetente und glaubwürdige Ethikkommission eingerichtet worden, die nun erheblich an Bedeutung gewonnen, Verstöße mehrfach öffentlich geahndet hat und die IOC- Exekutive veranlassen konnte, die jeweils notwendigen Entscheidungen zu treffen. Den Vorsitz dieser Kommission hat der ehemalige UN-Generalsekretärs Ban Ki Moon.

Projekt 4: Fair Play, Olympic Truce, Olympische Werte

Die Exekutive des IOC sieht sich nach wie vor den Ideen des modernen Olympismus und der damit verbundenen Wertekonzeption verpflichtet, die von Pierre de Coubertin für die modernen Olympischen Spiele vorgegeben wurden. Die „Olympische Charta“ ist Ausdruck dieser Ideen. Das Problem „ideeller Gebote“ besteht jedoch darin, dass gegen sie häufig auch von jenen verstoßen wird, die sie vereinbart haben. Dies gilt auch für das IOC und für dessen „Olympische Charta“. Die mehr als 100-jährige Geschichte des IOC wurde leider von zahlreichen und auch äußerst gravierenden Regelverstößen gegen die eigene Charta begleitet. Die in der „Olympischen Charta“ niedergelegten Ideen von der „politischen Neutralität“ der olympischen Bewegung und der „sportpolitischen Autonomie“ der Sportorganisationen sind jedoch nach wie vor ebenso relevant wie die Idee des Olympischen Friedens („Olympic Truce“) und die Ideen des „Fair Play und des Solidaritätsprinzips“.
Das IOC versucht mit gezielten Maßnahmen einer Bedrohung dieser Prinzipien entgegenzutreten. Dies gilt für seinen engagierten Anti-Dopingkampf gleichermaßen wie für seine Schutzmaßnahmen zum Erhalt des Olympischen Friedens. Der von ihm neu definierte Begriff von einer „unabhängigen Sportpolitik“ gegenüber der staatlichen Politik ist für das IOC überlebensnotwendig. Bemühungen für die Teilnahme „neutraler Athletinnen und Athleten“ unter Beachtung der Menschenrechtskonvention der UN und die Gründung eines Flüchtlingsteams, das nach den Spielen in Rio de Janeiro und Tokio auch an den Spielen in Paris teilnehmen kann, die Einrichtung mehrerer Hilfefonds, z.B. zur solidarischen Unterstützung von ausgewählten Projekten und Maßnahmen, insbesondere des Sports in der Ukraine und zahlreicher Projekte  in Entwicklungsländern, durch das IOC, sind Ausdruck dieser  Sportpolitik.

Projekt 5: Athletenmitbestimmung

Eines der wichtigsten Anliegen der zurückliegenden Jahre war es für das IOC, den Dialog mit der Olympischen Athletenschaft zu suchen und den gewählten Repräsentanten der Athletinnen und Athleten neue Möglichkeiten der Mitbestimmung zu eröffnen. Zu allen wichtigen und relevanten Fragen wurden deshalb in der vergangenen Dekade gemeinsam mit der gewählten Athletenvertretung Anhörungen durchgeführt. Besonders bedeutsam war dabei das jüngste dreitägige „Internationale Athleten Forum“ das zur Vorbereitung der Olympischen Spiele in Paris im Oktober 2023 in Lausanne stattgefunden hat. Die Repräsentanten der Athletenschaft sind mittlerweile in allen IOC- Kommissionen vertreten und die Vorsitzende der IOC- Athletenkommission hat Sitz und Stimme in der IOC- Exekutive.

Projekt 6: Geschlechterparität

Die Pariser Spiele werden darüber hinaus die ersten Olympischen Spiele mit Geschlechterparität sein, d.h. es werden gleichviel Quotenplätze für weibliche und männliche Athleten vergeben. Insgesamt werden 10.500 Athletinnen und Athleten am Start sein.
Bei der 141. IOC- Session in Mumbai wird der Anteil von Frauen innerhalb des IOC erneut erhöht werden. 44 weibliche Mitglieder, was einem Anteil von 41 % ausmacht, werden dem IOC- Parlament ein neues Gesicht geben. Nachdem im Jahr 2022 zum ersten Mal in allen IOC- Kommissionen eine Geschlechterparität erreicht werden konnte, wurde dies auch bei der Berufung der Kommissionen im Jahr 2023 beachtet. Zu den künftigen Aufgaben des IOC zählt, der Situation der Trainerinnen wesentlich mehr Aufmerksamkeit zu schenken. In den vergangenen zehn Jahren waren nur zehn Prozent der Trainerinnen und Trainer bei Olympischen Spielen Frauen. Diese Zahl hat sich kaum verändert. Dabei sind Trainerinnen und Trainer sichtbare und einflussreiche Entscheidungsträger. Der Weltsport braucht insbesondere Frauen und junge Mädchen, die belegen, dass auch Trainerinnen verantwortungsvolle und einflussreiche Positionen erreichen können. Die Herausforderungen stellen sich dabei an der Basis, und es wird Zeit brauchen, die Dinge zu korrigieren, denn eine Trainerkarriere dauert in der Regel zehn bis zwölf Jahre mit Wettkämpfen auf nationaler Ebene, bevor eine Nachwuchstrainerin die olympische Wettkampfebene erreicht.

Obwohl das IOC keinen direkten Einfluss auf die Auswahl von Trainerinnen und Trainern für die Olympischen Spiele hat, nimmt es die Herausforderung an und unterstützt die Beteiligten bei der Suche nach Wegen, die es mehr Frauen ermöglichen, Trainerinnen auf hohem internationalem Niveau zu werden. Das “Women in Sport High-Performance Pathway Programme” (WISH) ist dabei zuletzt  zu einem  Schlüsselelement geworden.

Projekt 7: Aktive Kooperation mit den Vereinten Nationen, staatlichen Zusammenschlüssen und NGOs

Die Arbeit des IOC ist darüber hinaus auch durch das erfolgreiche Bemühen gekennzeichnet, das IOC zu einem wichtigen Partner von vielen internationalen NGOs und staatlichen Organisationen zu profilieren. Besonders wichtig ist dabei die Kooperation mit den Vereinten Nationen und die dabei vereinbarten Abkommen zwischen dem IOC und der UN. Die Anwesenheit des IOC bei den großen politischen Gipfeltreffen der G 20- Staaten, sind ein besonderer Ausdruck diese Anstrengungen. Dabei war das IOC bei all diesen Veranstaltungen bemüht, seine politische Neutralität und seine politische Unabhängigkeit mit Nachdruck zum Ausdruck zu bringen. In Bezug auf die Teilnahme neutraler Athleten an den Olympischen Spielen in Paris hat auch die „Bewegung der blockfreien Staaten“ dem IOC die volle Unterstützung bei der Durchsetzung ihrer einigenden Mission bei den Olympischen Spielen von Paris zugesagt. Dieser Bewegung gehören 120 der 193 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen an. Deren Empfehlung steht in vollem Einklang mit den Empfehlungen des IOC an die internationalen Sportfachverbände und die Organisatoren internationaler Sportveranstaltungen zur Teilnahme von Athleten mit russischem oder belarussischem Pass. Die Erklärung der blockfreien Staaten folgte auf eine Erklärung der G-7 Staaten, in der diese die Autonomie der Sportorganisationen ebenfalls in vollem Umfang respektiert haben.

Projekt 8: Menschenrechtsverpflichtung

Nach einer eher zurückhaltenden Auseinandersetzung mit Fragen der Menschenrechte wie sie in  früheren Jahrzehnten für das IOC kennzeichnend war, ist die Einhaltung der Menschenrechte  in den vergangenen zehn Jahren zunehmend zu einer besonderen Verpflichtung für das IOC geworden. Sie muss auch bei der künftigen Vergabe und Durchführung von Olympischen Spielen eine zentrale Bedeutung haben. Deshalb hat das IOC die Kooperation mit den Menschenrechtsexperten der UN ebenso intensiviert wie die Kooperation mit den verschiedensten Menschenrechtsorganisationen. Dazu wurde ferner ein IOC-Menschenrechtsbeirat eingerichtet, und die Charta wird in diesen Tagen diesbezüglich verändert.

Projekt 9: „Verjüngung“ des Sportprogramms bei den Olympischen Spielen

Das schon in Tokio 2020 begonnene „Verjüngungsprojekte“ Sportprogramms der Olympischen Spiele wird in Paris fortgesetzt und soll auch bei den Spielen vier Jahre später in Los Angeles fortgeschrieben werden. Bereits für Paris wurden auf Wunsch des Gastgebers die Olympischen Sportarten Breaking, Skateboarding, Sportklettern und Surfen in das Programm aufgenommen. Für Breaking ist dies eine Premiere. Die Ermöglichung dieses neuen olympischen Programmangebots und auch des Skateboarding werden vom IOC mit einer speziellen Initiative zur Rekrutierung von Athletinnen und Athleten für das „Breaking“, für den BMX-Sport und das „Skateboarding“ unterstützt. Hierzu werden weltweit „Let’s Move Challenges“ angeboten, bei denen sich junge Breakerinnen und Breaker ebenso wie junge Skater und Skaterinnen präsentieren, um neue virtuelle Präsentationen und Inhalte für die sozialen Medien zu ermöglichen.

Projekt 10: Annahme der E- Sport Herausforderung

Angesichts der offensichtlichen Gefahren, die das E-Gaming mit sich bringt, ist das IOC nicht umhingekommen, sich auch mit der Frage des E- Sports und dessen Integration in die olympische Bewegung auseinanderzusetzen. Hierzu wurden bereits im Vorfeld der Olympischen Sommerspiele von Tokio 2020 die sog.  „ersten Virtuellen Olympischen Series“ angeboten. Die Serie zog über 250.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus über 100 Ländern an.
Die „Olympic E-Sports Series 2023“ sind ein weiterer Schritt zur Entwicklung virtueller Sportarten innerhalb der Olympischen Bewegung, wie in der Olympischen Agenda 2020+5 beschrieben. Damit setzt das IOC auch seine Zusammenarbeit mit der Gaming- und E-Sports- Gemeinschaft fort, um neue Möglichkeiten für Spieler und Fans gleichermaßen zu schaffen. Bei den „Olympic eSports Series“ handelt es sich um einen globalen Wettbewerb für virtuelle und simulierte Sportarten, der vom IOC in Zusammenarbeit mit den Internationalen Sportfachverbänden und Spieleherstellern entwickelt wurde.
Die Olympic E- Sports Series 2023 begannen am 1. März 2023. Profi- und Amateurspielerinnen und -spieler aus der ganzen Welt waren dabei eingeladen, an den Qualifikationsrunden in den vorgestellten Spielen teilzunehmen. Die Series endeten mit einem Live-Finale, den Olympic E-Sports Finals 2023. Diese fanden vom 22. bis 25. Juni im Suntec Centre in Singapur statt und bildeten den Höhepunkt der diesjährigen E-Sport Saison. Alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer der zuvor durchgeführten Vorrunden konnten sich für die Finals qualifizieren. Mehr als 130 Spieler aus allen Teilen der Welt hatten sich dafür qualifiziert, nachdem seit März 500.000 Spieler an den Qualifikations-Wettbewerben teilgenommen hatten. Diese fanden online statt. Die Finalisten kämpften nun in Singapur in zehn gemischt-geschlechtlichen Kategorien um die Gold-, Silber- und Bronzetrophäen der „Olympic Esports Series 2023“.
Die Finals 2023 wurden auf olympics.com und in den sozialen Netzwerken gestreamt.
Im September 2023 wurde nunmehr auch eine E-Sport-Kommission des IOC ernannt. Sie soll helfen, die Entwicklung virtuellen Sports in der Olympischen Bewegung voranzutreiben und neue Zielgruppen anzusprechen.
Der vom IOC eingeschlagene Weg in Bezug auf den E-Sport führt ohne Zweifel zu einer Aufnahme des E- Sports in das offizielle Olympische Programm und damit zu einer Erweiterung des Sportprogramms sowohl bei Sommer- als auch bei Winterspielen. Er führt möglicherweise auch zu eigenständigen „Olympischen E-Sportspielen“, die nicht nur ökonomisch zu einer Konkurrenz der üblichen Spiele werden könnten.
Mit einer solchen Entscheidung würde sich das IOC allerdings von den Ideen Pierre de Coubertins entfernen. Dieser hätte ganz gewiss einem Arzt sein Lob ausgesprochen, wenn dieser in seiner Sprechstunde einem adipösen Jugendlichen angesichts seines täglichen mehrstündigen Konsums sozialer Medien und seiner Gaming- Leidenschaft den Rat gegeben hätte, zukünftig aktiv Sport zu treiben und sich dabei auch möglichst einem Turn- und Sportverein anzuschließen. An E-Sport als therapeutisches Mittel hätte dabei dieser Arzt ganz gewiss nicht gedacht.

Projekt 11: Ökologisch verantwortbare und nachhaltige Olympische Spiele

Das Organisationskomitee für Paris 2024 plant eine Halbierung der CO2-Emissionen im Vergleich zum Durchschnitt von London 2012 und Rio 2016. Dieses Ziel spiegelt sowohl die Reformen der Olympischen Agenda 2020+5 des IOC als auch das Pariser Klimaabkommen wider, das die Regierungen der Welt im Jahr 2015 unterzeichnet haben.
In Zukunft wird dieser Fokus auf Verringerung des CO2-Ausstoßes zu einer vertraglichen Verpflichtung für alle Olympia-Gastgeber werden. Ab 2030 enthält der IOC-Gastgebervertrag verbindliche Vorgaben zur Minimierung der direkten und indirekten CO2-Emissionen. Derselbe Vertrag verpflichtet die Organisatoren der Spiele auch dazu, die Beteiligten zu ermutigen, Maßnahmen gegen den Klimawandel zu ergreifen.
Die Olympischen und Paralympischen Spiele werden zu 100 Prozent mit erneuerbaren Energien versorgt – hauptsächlich mit sauberem Strom, aber auch mit Biogas. Alle Standorte werden vom Netzbetreiber Enedis an das Stromnetz angeschlossen und von EDF mit erneuerbarem Strom aus Wind- und Solarparks versorgt. Durch den Verzicht auf den Einsatz von Dieselgeneratoren können 13.000 Tonnen CO2-Emissionen eingespart werden. Diese Lösungen werden auch nach den Spielen beibehalten, sodass auch andere Events im Sport und darüber hinaus ihre Emissionen reduzieren können.

Die Organisatoren haben zudem die Art und Weise, wie die Verpflegung bei Sportevents erfolgt, neu definiert und verpflichten sich, 13 Millionen Mahlzeiten und Snacks auf nachhaltigere Weise anzubieten. Angestrebt wird ein Durchschnittswert von 1kg CO2 pro Mahlzeit, verglichen mit dem französischen Durchschnitt von 2,3 kg. Etwa 80 % der Zutaten werden aus Frankreich stammen, und mindestens 30 % sind biologisch. Die Menge an pflanzlichen Produkten wird verdoppelt, während die Menge an Einwegplastik um die Hälfte reduziert wird.

Projekt 12: Finanziell attraktive und finanzierbare Spiele – Vermächtnis (Legacy), Nachhaltigkeit (Sustainability)

Paris 2024 werden die ersten olympischen Spiele sein, die sich im vollen Einklang mit der „Agenda 2020“ und „Agenda 2020 +5“ befinden. Dies ermöglicht dem Gastgeber 95 % der 329 Olympischen Wettbewerbe der 32 Olympischen Sportarten in bestehenden oder temporären Sportstädten auszutragen.
Das Olympische Dorf in Saint Denis umfasst 2000 neue Wohneinheiten, in denen nach den Spielen 6000 Bewohner eine neue Heimat finden werden. Hierzu gehören auch zwei neue Schulen und mehrere Grünflächen.
Für die Spiele in Paris werden 10 Millionen Eintrittskarten verkauft. Damit wird ein Drittel der Kosten der Spiele durch den französischen Veranstalter finanziert. Bereits ein Jahr vor den Spielen konnten 7 Millionen Eintrittskarten im Preis zwischen 24 und 980 € verkauft werden.
Es muss auch erwähnt werden, dass bereits im Jahr 2019 die französischen Organisatoren mit allen französischen Gewerkschaften eine Sozialcharta vereinbart haben, um menschenwürdige Arbeitsbedingungen zu fördern, kleinen Unternehmen den Zugang zu Projektverträgen zu ermöglichen sowie hochwertige Arbeitsplätze und neue Karrieremöglichkeiten für die lokale Bevölkerung und benachteiligte Gruppen zu schaffen
In Saint Denis, einem Stadtteil von Paris, in dem noch die Hälfte aller Kinder nicht schwimmen kann, entstand zudem ein neues olympisches Schwimmzentrum.

Projekt 13: Absicherung der ökonomischen Interessen des IOC

Neben seiner juristischen Kompetenz zeichnete sich das IOC vor allem auch durch seine ökonomische Kompetenz in Bezug auf die dringend erforderlichen Medienkooperationen des IOC aus. Seine „Agenda 2020“ konnte und kann nur dann erfolgreich umgesetzt werden, wenn gleichzeitig die finanzielle Zukunft des IOC gesichert ist. Hierzu gehört die erfolgreiche Fortführung des sog. TOP-Programms und damit der Vermarktung der Olympischen Spiele und vor allem auch der erfolgreiche Verkauf jener medialen Rechte, die das IOC besaß, bzw. die es sich neu zu eigen machen konnte. Diesbezüglich sind die zurückliegenden  zehn Jahre des IOC vor allem auch dadurch gekennzeichnet, dass es dem IOC auch mittel- und langfristig noch möglich sein wird, dank seiner gesicherten Einnahmen auch weiterhin 90 Prozent seiner Einnahmen an zukünftige Ausrichter von Olympischen Spielen, an mehr als 200 NOKs und an mehr als 30 Olympische Sportfachverbände auszuschütten.

Projekt 14: „Die Spiele kommen zu den Menschen“

Die Pariser Spiele werden nicht nur jünger und nachhaltiger sein. Sie sind auch in ihrer Konzeption urbaner und inklusiver als frühere Spiele. Dies kommt allein schon dadurch zum Ausdruck, dass die Eröffnungsfeier im Herzen der Stadt an den Ufern der Seine stattfindet, dass die Spiele auch bei den Wettbewerben den „Olympischen Hain“ verlassen, so finden zum Beispiel Wettkämpfe am Eiffelturm und am Place de la Concorde statt. Der Marathonlauf wird ein „offener Lauf“ sein, um zu zeigen, dass die Spiele für alle offen sind. 40.000 Läufer haben dabei die Möglichkeit, sich auf der Strecke des Olympischen Marathons in einer friedlichen Weise mit Amateurläufern aus aller Welt zu treffen. Ein weiterer Aspekt der Nachhaltigkeit muss ebenfalls erwähnt werden: Die Organisatoren von Paris 2024 setzten es durch, dass die Regierung eine tägliche 30-minütige Bewegungszeit in den Lehrplan der französischen Grundschulen aufgenommen hat. 17.000 Grundschulen haben ein Ausrüstungspaket für die sportlichen Aktivitäten erhalten, um die Umsetzung des Programms zu ermöglichen. Im Rahmen eines Sommerprogramms „1, 2, 3 Nagez“ haben im Sommer 2022 6000 Kinder das Schwimmen erlernt und weitere 20.000 werden im Sommer 2023 dazu kommen.

Projekt 15: Olympic Channel

Zu den ökonomischen Erfolgen muss auch die Gründung eines eigenen Olympischen Fernsehkanals gezählt werden. Er hat seinen Sitz in Madrid und wurde am 21. August 2016 zusammen mit dem Abschluss der Olympischen Sommerspiele in Rio de Janeiro gestartet. Damit wurde eine von Bach  bereits 1994 erarbeitete und vorgestellte Idee, erfolgreich umgesetzt und es wurde möglich gemacht, dass die olympische Bewegung auch zwischen den jeweiligen Spielen in der massenmedialen Welt präsent ist. Bereits im Jahr 2001 hat Bach den für die Ökonomie des IOC wohl entscheidenden Schritt gemeinsam mit dem Spanier Manolo Romero vollzogen, in dem vom IOC die „OBS“ (Olympic Broadcasting Services“ Gesellschaft gegründet wurde. OBS tritt seitdem als permanenter „Host Broadcaster“ auf, sichert damit für jede Edition Olympischer Spiele eine hohe Qualität der Fernsehübertragungen in alle Welt und hat dadurch auch die immer sehr schwierige und aufwändige Suche nach geeigneten Host Broadcastern überflüssig gemacht.

Die Olympischen Sommerspiele 2024 in Paris, das zeigt die lediglich sehr skizzenhafte Darstellung der Erfolge der „Agenda 2020“und der „Agenda 2020+5“, können ohne Zweifel zu einem besonderen Nachweis für die erfolgreiche Reformarbeit des IOC-Präsidenten Thomas Bach werden. Bei aller Anerkennung sind jedoch einige Mängel zu beklagen, die die Entwicklung der Olympischen Bewegung und des IOC behindern.
Für Olympische Spiele, die im Heimatland von Pierre de Coubertin, nach mehr als 100 Jahren wieder stattfinden, hätte ich mir gewünscht, dass Coubertins Idee der „kulturellen Olympiade“, die zu Unrecht in Vergessenheit geraten ist, wieder ins Leben gerufen wird und diese mit neuen Konzepten und Ideen bereichert wird. Das bislang von den Gastgebern der Pariser Spiele bekannt gegebene Kulturprogramm kann diesbezüglich kaum zufrieden stellen und wird dem Anspruch einer international geprägten „Kulturolympiade“ nicht gerecht.
Auch für das nach wie vor bestehende Demokratiedefizit in Bezug auf die Mitgliedschaft im IOC hätte ich mir gerade auch mit Blick auf die Ideen der französischen Aufklärung eine konsequentere Bearbeitung gewünscht. Ein zu weitreichendes Proporzdenken, Berufung von Personen mit angeblichem „Renommee“, aber ohne eine wirkliche fachliche Kompetenz und ein nach wie vor eher intransparentes Berufungsverfahren, sind in Bezug auf deren Reform längst überfällig.
Meines Erachtens konnten auch einige offensichtliche Mängel in der Kommunikationspolitik und Außendarstellung des IOC in den vergangenen zehn Jahren nur teilweise gelöst werden. Die Kommunikation im Zusammenhang mit der Frage der Teilnahme neutraler Athleten mit russischem bzw. belarussischem Pass bei den bevorstehenden Spielen in Paris kann meines Erachtens auch nur bedingt als erfolgreich und glücklich bezeichnet werden.
Auch die Einbindung von nachweislich herausragenden Wissenschaftlern bei der Suche nach Problemlösungen und eine Kooperation mit führenden Persönlichkeiten aus den unterschiedlichen für die Olympischen Spiele relevanten Wissenschaften gelingt nur mit mäßigem Erfolg.
Ein gewisser Reformbedarf ist somit nach wie vor gegeben. Doch von einem Reformstau kann ganz gewiss nicht gesprochen werden. Auf die Spiele von Paris – so darf vermutet werden – können sich nicht nur das IOC und seine Mitglieder freuen.  Teilnehmer und Besucher aus aller Welt werden sicher mit großer Anerkennung und Wertschätzung durch die französische Bevölkerung willkommen geheißen.
Abschließend muss zu den in diesem Essay wiedergegebenen Fakten und Daten, die sich einer unabhängigen Überprüfung gerne stellen, eine Anmerkung erlaubt sein. Es ist mehr als irritierend, dass die Reformen des IOC unter der Führung von IOC- Präsident Bach nahezu in allen Ländern der Welt anerkannt und beachtet werden. In Deutschland, in seiner Heimat hingegen wurde von den Leitmedien der Presse und vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk während seiner gesamten bisherigen Amtszeit eine öffentliche Meinung über das IOC und den Olympismus erzeugt und ein Bild von dessen Präsidenten gezeichnet, das den hier dargestellten Fakten nicht entspricht. Diese vorurteilsbefangene massenmediale Kommunikation über das IOC und dessen Präsidenten kann ganz gewiss nicht den Ansprüchen eines kompetenten und unabhängigen Journalismus in unserer Demokratie genügen. Für den DOSB hätte dies schon längst Anlass zu einer Beschwerde beim Deutschen Presserat sein müssen.

 

¹ Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf „gendergerechte“ Sprachformen – männlich weiblich, divers – verzichtet. Bei allen Bezeichnungen, die personenbezogen sind, meint die gewählte Formulierung i.d.R. alle Geschlechter, auch wenn überwiegend die männliche Form steht.

Letzte Bearbeitung: 6. 10. 2023