Die Integrität des Sports ist bedroht

Die nationalen und internationalen Sportsysteme befinden sich schon seit längerer Zeit in einer Krise, die sich in erster Linie als eine ethisch-moralische Krise darstellt. Der Sport mit seinen Athletinnen und Athleten, mit seinen Trainern und Trainerinnen, mit seinen Wettkämpfen und Meisterschaften und mit seiner ehrenamtlichen und hauptamtlichen Führung wird dabei immer intensiver bedroht. Die Bedrohung des Sportsystems kommt dabei ebenso von innen wie von außen. Fragwürdige Eigeninteressen wie Geltungssucht, Egoismus, Macht und Geldgier im System des Sports selbst und nicht weniger fragwürdige Fremdinteressen von Politik, Wirtschaft, Massenmedien und weiteren Institutionen zeigen sich uns in einer äußerst gefährlichen Symbiose.

Im Folgenden sollen die wichtigsten Erscheinungsformen der Bedrohung skizziert werden:

  • Finanzielle Unregelmäßigkeiten
    Die Ein- und Ausgaben der meisten internationalen Sportorganisationen werden nur unzureichend offengelegt. Als ehrenamtlich ausgewiesene Spitzenpositionen werden zur persönlichen Bereicherung ausgenutzt.
  • Aggression und Gewalt
    Das Ausmaß an Aggression und Gewalt während der Wettkämpfe hat sich in vielen Sportarten in bedrohlicher Weise erhöht. Zuschauermassen wer immer öfter zu Aggressionen animiert. Das Foulspiel der Athletinnen und Athleten untereinander ist immer mehr zur Normalität geworden. Schiedsrichter sind nicht selten Opfer der zunehmenden Gewaltbereitschaft.
  • Erpressung und Nötigung
    Das Wissen über Sachverhalte und Handlungen, deren Veröffentlichung nicht erwünscht ist, führt immer häufiger zu finanziellen Erpressungen und zu Nötigungen von Athletinnen und Athleten. Aber auch Trainer und Funktionäre sind davon betroffen.
  • Korruption
    Um bei Bewerbungen für internationale Sportereignisse erfolgreich zu sein, werden korrupte Beziehungen aufgebaut, um durch unerlaubte Bezahlung einen eigenen Vorteil zu erzielen. In die Korruptionsbeziehungen sind nicht selten auch Agenturen eingebunden, die sich auf dieses kriminelle Geschäftsmodell spezialisiert haben. Auch politische Gremien und Wirtschaftsunternehmen der bewerbenden Nationen sind an den korrupten Beziehungen beteiligt.
  • Unerlaubte Technologien
    In vielen Sportarten sind neue Technologien für die anzustrebenden Erfolge immer bedeutsamer geworden. Technologische Manipulationen sind deshalb in mehreren Sportarten längst auf der Tagesordnung. Man bedient sich dabei verschiedener wissenschaftlicher Experten um das Regelsystem zu unterlaufen.
  • Bestechung
    Bei wichtigen Entscheidungen des internationalen Sports, bei der Vergabe von internationalen Meisterschaften und bei den Wahlen zu den internationalen Gremien des Sports werden stimmberechtigte Mitglieder der Entscheidungsgremien mittels unerlaubter Geschenke und/ oder finanzieller Zuwendungen zu Gunsten der angestrebten Entscheidung bestochen.
  • Krimineller Transfer jugendlicher Athleten
    In einigen Profisportarten werden talentierte Kinder und Jugendliche auf einem unerlaubten Transfermarkt zum Verkauf angeboten. In gewisser Weise handelt es sich dabei um einen skandalösen Menschenhandel.
  • Sexueller Missbrauch
    Nicht nur die Kirchen sind vom Problem des sexuellen Missbrauchs betroffen. Schon sehr lange wird und wurde der sexuelle Missbrauch von Trainern an Athletinnen beklagt und nur ganz selten wurde dieser Missbrauch strafrechtlich verfolgt. In jüngster Zeit gab es immer häufiger Fälle von sexuellem Missbrauch von Kindern und Jugendlichen durch Trainer und Trainerinnen. In mehreren Sportarten, so z.B. in der Rhythmischen Sportgymnastik, im Kunstturnen, im Eiskunstlauf aber auch in Mannschaftssportarten kamen mehrere Fälle an die Öffentlichkeit. Über das genaue Ausmaß und die Reichweite des Problems gibt es allerdings nur ein sehr unzureichendes Wissen und der Prävention wird dabei nur eine geringe Aufmerksamkeit geschenkt.
  • Ungleiche Bezahlung
    Im internationalen Hochleistungssport ist es längst üblich geworden, dass sportliche Leistungen gegen finanzielle Leistungen eingetauscht werden. Von einer gerechten Bezahlung der sportlichen Leistungen kann dabei jedoch nicht gesprochen werden. Weibliche Leistungen werden in der Regel schlechter bezahlt als männliche Leistungen, medienattraktive Leistungen werden bevorzugt. Manche Athleten erbringen Höchstleistungen und können dabei keine finanzielle Gegenleistung erwarten.
  • Manipulation bei der Vergabe von Meisterschaften
    Internationale Meisterschaften werden nur ganz selten auf der Grundlage von fairen und demokratischen Entscheidungen vergeben. Die Vergabe von Olympischen Spielen steht und stand seit mehreren Jahrzehnten unter Verdacht. Gleiches gilt für die Vergabe wichtiger Weltmeisterschaften. Selbst bei der Vergabe nationaler Meisterschaften lassen sich Manipulationen beobachten.
  • Stimmenkauf
    Nahezu vor jedem Wahlverfahren eines internationalen Sportverbandes gibt es Hinweise auf einen Stimmenkauf einzelner Delegierter. Durch das Wahlrecht „one vote-one country“ wurde der Stimmenkauf in den letzten Jahrzehnten immer mehr begünstigt. Vor allem die Delegierten kleiner Nationen sind dabei der Versuchung ausgesetzt, ihre Stimmabgabe gegen eine finanzielle Leistung einzutauschen, wenn ihnen entsprechende Angebote unterbreitet werden.
  • Wettbetrug
    Immer mehr Sportarten sind heute vom Problem des Wettbetrugs betroffen. Waren es zunächst nur wenige Profisportarten wie z.B. Boxen und Wrestling, so sind heute selbst Sportarten wie Leichtathletik, Fußball und Tennis davon betroffen.
  • Spielmanipulationen
    Eng einher mit dem Wettbetrug geht die Manipulation von Spielergebnissen. Das so genannte Bavetta-Phänomen findet sich in immer mehr Sportarten. Dabei werden nach dem kriminellen Vorbild des Amerikaners Nick Bavetta spannende Spiele künstlich erzeugt. Zur Erhöhung der Spannung wird ein Rückstand im Spiel gezielt herbeigeführt und der Einsatz der Stars und deren Verweilzeit auf dem Spielfeld wird dramaturgisch gesteuert. Spielergebnisse werden abhängig vom Tabellenstand vorab festgelegt.
  • Geldwäsche
    Sportevents und einzelne Mannschaften in mehreren Profisportarten werden von kriminellen Investoren zur Geldwäsche benutzt.
  • Geschlechtermanipulation
    Mehrere Staaten waren und sind an der Manipulation von Pässen und Personalausweisen beteiligt, bei denen eine männliche Geschlechtsangabe zu Gunsten einer weiblichen verändert wurde bzw. wird. Auf diese Weise soll ein Erfolg eines männlichen Athleten in einer weiblichen Leistungsklasse angestrebt werden.
  • Altersmanipulation
    In vergleichbarer Weise wie im Punkt „Geschlechtermanipulation“ wurden und werden auch Pässe mit falschen Altersangaben von staatlichen Behörden manipuliert, um bei internationalen Jugend- und Juniorenmeisterschaften Erfolge zu erzielen.
  • Beschädigung der Ideale des olympischen Waffenstillstands (Olympic Truce)
    Bei Olympischen Spielen kommt es immer häufiger zu Verstößen gegen die Olympische Charta. Die Idee des olympischen Friedens wird dabei nicht respektiert. Olympische Spiele werden vielmehr als Bühne für politische Auseinandersetzungen ausgenutzt.
  • Schrankenlose Kommerzialisierung
    Die Kommerzialisierung hat mittlerweile alle Bereiche des Sports erreicht. Im Hochleistungssport ist sie schrankenlos. In einigen Profisportarten werden Transfersummen aufgebracht und Gehälter bezahlt, deren Höhe in keiner gerechten und sinnvollen Beziehung zu den sportlichen Leistungen stehen. Auf dem Rücken der großen Mehrheit der Athletinnen und Athleten bereichert sich im System des Sports eine kleine Elite auf eine äußerst unanständige Weise.
  • Wachsender Nationalismus
    Anstelle eines verständlichen Patriotismus ist bei vielen Sportveranstaltungen immer häufiger ein gefährlicher Nationalismus zu beobachten. Das Bedürfnis nach nationaler Repräsentation wird immer öfter zur Demonstration nationaler Überlegenheit ausgenutzt. Eine medial begünstigte Medaillenzählerei begünstigt diese fragwürdige Entwicklung.
  • Siege um jeden Preis
    Ein Prozess der Totalisierung des Hochleistungssports hat dazu geführt, dass nur noch der Sieg zählt. Selbst Finalplätze werden als Scheitern bewertet und Spitzenathleten, die in Vorläufen scheitern werden als „Touristen“ diskriminiert. Für einen Sieg gehen die Athleten häufig viel zu große Risiken ein. Selbst langfristige Schäden werden für einen Sieg in Kauf genommen. Immer mehr und schwerere Verletzungen werden für einen Sieg geopfert.
  • Wachsende Ungleichheit zwischen den teilnehmenden Nationen
    In Sportarten in denen der Sieg der Athleten von modernen Technologien, Geräten und Tieren abhängig ist, kommt es zu einer wachsenden Ungleichheit der teilnehmenden Nationen. Der Sieg wird immer stärker von den finanziellen Möglichkeiten der Teilnehmer abhängig gemacht.
  • Dopingbetrug
    Die ohne Zweifel größte Gefahr für die Integrität des Sports muss in dem noch immer weiterwachsenden Ausmaß des Dopingbetrugs gesehen werden. Sämtliche olympische Sportarten sind davon betroffen. Mittels unerlaubter Medikamente und Methoden betrügen Athleten ihre Gegner im Seniorensport ebenso, wie im Behindertensport und selbst der Kinder-und Jugendsport ist davon betroffen. Der Schutz der sauberen Athleten vor den Betrügern ist dabei völlig unzureichend und längst stehen nahezu sämtliche sportlichen Höchstleistungen unter einem Generalverdacht.

Die Liste der Faktoren, die die Integrität des Sports bedrohen, scheint nahezu unendlich zu sein. Der Betrug hat längst den Charakter einer unendlichen Geschichte. Fast sämtliche Profisportarten sind vom Wettkampfbetrug betroffen, ob NBA oder NFL, ob Fußball, Football, Baseball, Basketball oder Handball. Schiedsrichtermanipulationen, Spiel absprachen, die künstliche Inszenierung von spannenden Spielen, Fanausschreitungen, Stadiongewalt und Infragestellung der Meinungsfreiheit sind längst zu selbstverständlichen und nahezu täglichen Schlagzeilen geworden, mit denen sich die Verantwortlichen im System des Sports arrangiert haben. Längst sind dabei auch nicht nur die Profisportarten von all diesen Problemen betroffen. Im Seniorensport, im Jugendsport, im Sport der Behinderten und im sogenannten Amateursport der verschiedensten Mannschaftssportarten ist mittlerweile das Prinzip des Fair Play, das den Sport als ein kulturell außergewöhnlich bedeutsames Phänomen zu kennzeichnen hat, kaum weniger bedroht als im offiziellen Kommerzsport.

Wer ist für diese bedrohliche Situation verantwortlich? Wie lässt sich diese Bedrohung bekämpfen? Welchen Beitrag haben die Athleten, welchen die Trainer zu leisten? Was muss von den Funktionären unternommen werden? Welche Verantwortung müssen die Politik, die Wirtschaft und die Massenmedien übernehmen? All diese Fragen stellen sich uns ganz dringend und werden doch meist nicht oder nur völlig unzureichend beantwortet.

Ein Gipfeltreffen zur Integrität des internationalen Sports wäre deshalb dringend vonnöten. Transparent und schonungslos müssten dabei die Probleme ebenso wie die Verantwortlichen benannt und analysiert werden. Ziel müsste es sein, dass alle Beteiligten zu konkreten Veränderungen verpflichtet werden und jeder Betroffene in materieller und immaterieller Hinsicht den ihm zugewiesenen Beitrag leistet. Als Gastgeber dieses Gipfels könnte sich Transparency International und die Ethikorganisationen des Sports bewähren.

Verfasst: 28.01.2020