Die deutsche Medienlandschaft hat sich in den vergangenen Jahrzehnten entscheidend verändert. Nicht zuletzt ist davon auch die Sportberichterstattung abhängig gewesen. Mit der Einstellung ganzer Zeitungen mussten mehrere Sportredaktionen ihre Arbeit beenden. Viele Redaktionen mussten mit anderen fusionieren. Redaktionen auflagenstärkerer Tageszeitungen, die noch weiter bestehen konnten, wurden personell verkleinert und die Arbeitsbedingungen der dort arbeitenden Sportjournalisten wurden erschwert. Reisekostenetats wurden teilweise drastisch reduziert und der Anteil der Agenturberichterstattungen im täglichen Sportteil erhöhte sich ganz wesentlich. Eine Berichterstattung mittels eigenständiger Redakteure auf der Grundlage unabhängiger Recherchen ist in vieler Hinsicht ein Luxusgut geworden. Lediglich die überregionalen Tageszeitungen können heute trotz der auch dort zu beobachtenden Einschränkungen noch ihrem eigentlichen journalistischen Auftrag gerecht werden. In gewisser Weise hat diese Elite der Tageszeitungen mittlerweile ein Monopol bei der Sportberichterstattung, über all jene Hintergrundthemen aus der Welt des globalen und nationalen Sports, bei denen die Anwesenheit von Journalisten vor Ort dringend notwendig ist.
Besonders deutlich wird dies am Beispiel der Hintergrundberichterstattung zur Olympischen Bewegung, zu den Olympischen Spielen, zum IOC und bei der Berichterstattung über Bewerbungsprozesse für Olympische Spiele. Heute sind es lediglich die FAZ, die Süddeutsche Zeitung, dpa und sid und teilweise der Berliner Tagesspiegel, die sich unter finanziellen Gesichtspunkten in der Lage befinden, authentisch über die Ereignisse in der olympischen Hauptstadt Lausanne zu berichten. Das Monopol, das diese Medien in Bezug auf die olympische Berichterstattung besitzen, setzt Verantwortungsbewusstsein voraus. Ihr Einfluss auf die öffentliche Meinung ist umfassend. Wird von den wenigen Journalisten, die für dieses Monopol verantwortlich zeichnen, eine Feindbildberichterstattung durchgeführt, so ist ihr Feindbild das Feindbild der öffentlichen Meinung, das Feindbild aller übrigen Medien und nicht zuletzt auch das Feindbild des öffentlich-rechtlichen Fernsehens.
Analysiert man die Produkte dieses Medienmonopols über einen längeren Zeitraum, betrachtet man zum Beispiel deren Berichterstattung über das IOC, dessen Präsidenten und über die Funktionärswelt des IOC, so muss ohne Zweifel von einer Feindbildberichterstattung gesprochen werden. Jüngstes Beispiel hierfür ist die Darstellung und Kommentierung der Volksabstimmung in der Schweiz über die Ausrichtung zukünftiger Olympischer Spiele. Die betroffene Schweizer Bevölkerung hatte sich mehrheitlich gegen die Durchführung Olympischer Spiele ausgesprochen, womit sich für das IOC ohne Zweifel eine äußerst schwierige Situation verschärft hat, die schon seit längerer Zeit absehbar gewesen ist. Das IOC hat schon seit mehreren Jahrzehnten einen erheblichen Imageverlust zu beklagen, der im Wesentlichen selbst verschuldet wurde. Korrupte Funktionäre und das nach wie vor ungelöste Dopingproblem haben die Glaubwürdigkeit der Entscheidungsgremien beschädigt. Die Durchführung von Olympischen Spielen ist angesichts eines ständigen Größenwachstums immer schwieriger und teurer geworden. Mehrere Ausrichterstädte hatten nach der Ausrichtung große Verluste zu beklagen. Die Chance, dass mit der Ausrichtung Olympischer Spiele eine Nation oder eine Region oder eine Stadt verlustfrei auf eine positive Entwicklung blicken kann, hatte sich erheblich verringert.
Erst mit der Wahl des IOC-Präsidenten Thomas Bach konnte man erkennen, dass das IOC bereit war, eigene Fehler einzugestehen und trotz innerer Widerstände eine Reform anzustreben. Mit der „Agenda 2020“ wurde hierzu das entsprechende Instrument verabschiedet, das durchaus erfolgsversprechend sein kann. Das neue Regelkonzept für die Ausrichtung Olympischer Spiele macht es möglich, dass machbare und finanziell tragbare Spiele durchgeführt werden. Die Möglichkeit, dass es zu einer „win-win-Situation“ zwischen IOC und Ausrichterstadt kommt, hat sich durch die neuen Reformen des IOC-Präsidenten ganz wesentlich erhöht. Die Konzeptionen von Paris 2024 und Los Angeles 2028 sind dabei äußerst vielversprechend.
Die Abstimmung von Sion hat jedoch gezeigt, dass diese Veränderungen bei den Menschen nicht angekommen sind, die mit ihrer Stimmabgabe über die Möglichkeit Olympischer Spiele in der Schweiz zu entscheiden hatten. Fragt man nach den Gründen für das negative Urteil, so bietet das Meinungsmonopol der deutschen Medien eine ganze Reihe von Gründen an.
Die IOC-Expertin der Frankfurter Allgemeinen Zeitung kommentiert die Abstimmungspleite von Sion mit der Überschrift „Verblüffende Arroganz“ und benennt die ihrer Meinung nach ursächlichen Gründe, warum diese Abstimmung nicht zu gewinnen war. Gemäß diesem Kommentar sind die Schweizer Bürger, die mit ihrer Abstimmung Olympische Spiele in der Schweiz verhindert haben, mündige Bürger, die sich vom IOC nicht hinter das Licht führen lassen. Die Funktionäre des IOC sind hingegen arrogant und überheblich, sie legen Modellrechnungen vor, die sich als nicht verlässlich erweisen. Die vom IOC angestrebte Trennung der Veranstaltungskosten von den Investitionskosten ist nach Auffassung der Kommentatorin nicht sinnvoll sondern irreführend. Olympische Spiele hinterlassen ihrer Meinung nach nicht selten verrottete Sportstätten, die nach dem Spektakel keiner mehr braucht und durch die Spiele wird die regionale Korruption befeuert. Olympische Spiele sind demnach ein fremdbestimmtes Spektakel, in dem der Gastgeber nichts zu sagen hat. Durch die Olympischen Spiele wird die fragile Umwelt geschädigt und beobachtet man die IOC-Politik der letzten Jahre mit den Augen der deutschen Journalistin, so muss man zu der Erkenntnis gelangen, dass die IOC Funktionäre ihre eigenen Kernaussagen nicht ernst nehmen. So wurde Golf als olympische Sportart hinzugefügt. Auf diese Weise wurde demnach der Gigantismus einmal mehr gesteigert und die Kommentatorin glaubt auch zu wissen, dass das IOC bereits mit der Aufnahme des Motorsports liebäugelt. Das russische Staatsdoping wurde und wird durch das IOC zu milde behandelt und korrupte Funktionäre sind auch heute noch ein IOC Phänomen. All dies lässt sich zusammen auf den Punkt bringen, dass das IOC mit seinem Präsidenten Bach nicht bereit sei, sich selbst zu hinterfragen. Aus der Sicht des IOC sind Abstimmungsniederlagen lediglich ein Kommunikationsproblem und so muss das IOC zukünftig damit leben, dass sich überwiegend Bewerber aus autokratisch geführten Nationen für Olympische Spiele interessieren, während sich die klassischen Demokratien vom IOC abwenden.
In diesem Kommentar wird eine Unterstellung und Verallgemeinerung an die andere gereiht, ohne dass auch nur eine einzige der Behauptungen ausreichend empirisch belegt wird. Fragt man derzeit sportökonomische Experten, so werden die Modellrechnungen des IOC für die Durchführung zukünftiger Olympischer Winter- und Sommerspiele durchaus als realistisch bezeichnet. Die Trennung von Veranstaltungskosten und Investitionskosten ist ohne Zweifel sinnvoll und notwendig, zumal jede Gesellschaft auch ohne Olympische Spiele Investitionen für die eigene Zukunft zu tätigen hat. Sind solche Investitionen in Verbindung mit Olympischen Spielen möglich, so sind diese gerade unter wirtschaftspolitischen Gesichtspunkten mehr als sinnvoll. Gewiss haben Olympische Spiele verrottete Sportstätten zurückgelassen, doch genau aus diesem Fehler wurde in den letzten Jahren gelernt und die Agenda 2020 zielt darauf ab, temporäre Sportstätten vermehrt zu unterstützen, um diesem Problem entschieden entgegentreten zu können. Ob die regionale Korruption durch Olympische Spiele angefeuert wird bedarf einer Überprüfung. Sie existiert auch in jenen Ländern, in denen keine Olympischen Spiele stattfinden. Die Behauptung einer Fremdbestimmung der Olympischen Spiele kann allein durch eine genauere Lektüre der Olympischen Charta widerlegt werden und die Agenda 2020 ist glaubwürdig bemüht, das Problem der fragilen Umwelt bei Olympischen Spiele gezielt zu lösen. Die Hinzunahme einer neuen Sportart als Merkmal des Gigantismus zu behaupten, ohne dabei zu berücksichtigen, dass gleichzeitig auch andere Sportarten verkürzt und verkleinert wurden oder aus dem Programm genommen werden können, verkennt ebenfalls die derzeit praktizierten Entscheidungswege über das zukünftige olympische Programm. Dem IOC Milde mit dem russischen Staatsdoping zu unterstellen ist nur dann möglich, wenn man nachvollziehbare Anklagen mit endgültigen Urteilen ordentlicher Gerichte verwechselt. Nichts ist weniger wünschenswert als ein IOC, das international anerkannten juristischen Prinzipien folgt. Genau dies war im Umgang mit dem russischen Staatsdoping bislang der Fall. Es war gerade Präsident Bach, der sich konsequent vor die unschuldigen Athleten gestellt hat und sich für scharfe Strafen einsetzte, wenn die Schuld eindeutig vor einem Gericht bewiesen wurde.
Wer die Agenda 2020 vor Augen hat der weiß, dass sich für Bach und seine Exekutive die Abstimmungsniederlagen ganz gewiss nicht nur als ein Kommunikationsproblem darstellen. Doch angesichts eines Kommentars wie jener der FAZ ist es durchaus berechtigt, die Frage nach dem Kommunikationsproblem des IOC zu stellen. Wird der Olympismus mit einer derartigen Befangenheit kommentiert, wie dies am Beispiel des hier ausgewählten Kommentars gezeigt wird, so muss die Frage diskutiert werden, ob nicht eine Abstimmungsniederlage wie jene in Sion einer selbsterfüllenden Prophezeiung gleichkommt. Es muss also gefragt werden, ob nicht tatsächlich solche Abstimmungsniederlagen auch als ein besonderes Kommunikationsproblem überprüft werden müssen. Genau hierzu ist das derzeit existierende Meinungsmonopol jedoch nicht bereit – es müsste sich ja selbst infrage stellen. Auch die Frage, ob Volksabstimmungen angesichts der fragilen Beeinflussbarkeit solcher Abstimmungen ein geeignetes Instrument für die Entscheidung zur Durchführung Olympischer Spiele darstellen, wird nicht einmal aufgeworfen. Immerhin muss doch auch in parlamentarischen Demokratien davon ausgegangen werden, dass für die Durchführung Olympischer Spiele eine Abstimmung im Parlament durchaus angemessener sein kann. Wer weiß, mit welchen Interventionen kurzfristig Meinungsbilder beeinflusst werden können, wie schnell es zu einem Meinungsumschwung kommen kann und welche fachliche Kompetenz wünschenswert wäre, wenn über Projekte in der Größenordnung von Olympischen Spielen zu entscheiden ist, der kann durchaus die Frage nach dem Sinn zukünftiger Volksabstimmungen bei der Vergabe Olympischer Spiele kritisch beleuchten, oder sie gar infrage stellen. Wenigstens ein faires pro und contra müsste von einer offenen Berichterstattung erwartet werden. Doch das derzeit existierende Meinungsmonopol lässt dies gar nicht oder nur noch am Rande zu.
Verfasst: 27.06.2018