Der Sport ist besser als sein Ruf

Unser Alltag ist massenmedial ohne Wert. Nur wenn die Alltagsroutine durchbrochen wird, wenn unser Alltag gestört wird durch Unerwartetes, durch einen Unfall, einen Skandal, durch politische Konflikte, durch private oder öffentliche Kuriositäten – nur dann scheint das menschliche Zusammenleben resonanzfähig für die Massenmedien zu sein. Von den Kommunikationswissenschaften wurden diese Zusammenhänge längst aufgeklärt. In der Öffentlichkeit nehmen die Klagen über die einseitige Nachrichtenwelt kein Ende. Über Positives wird in den Medien nur selten berichtet. Vor allem sind es negative Vorgänge, die die Dokumentations- und Nachrichtenwelt der Medien prägen. Auf diese Weise wird ein übertrieben düsteres Bild der Gegenwart gezeichnet. Es darf nicht überraschen, dass angesichts einer derartigen medialen Dominanz und Einseitigkeit in den Köpfen vieler Menschen die Apokalypse unmittelbar bevorsteht. In den „Journalism Studies“ wird von einer Studie berichtet, in der die Berichterstattung über Flugzeugkatastrophen in niederländischen Tageszeitungen über einen Zeitraum von 15 Jahren untersucht wurde. Dabei stellten die Forscher zwei Dinge fest. Zum einen stürzten während dieses Untersuchungszeitraums weltweit immer weniger Flugzeuge ab. Gleichzeitig wurde aber über die einzelnen Unglücke zunehmend ausführlicher und emotionaler berichtet. Auf diese Weise entsteht ein verzerrtes Bild von den Gefahren der Luftfahrt. In einer Studie des Meinungsforschungsinstituts YouGov, die im Jahr 2015 veröffentlicht wurde, wird von einer Befragung von mehr als 8.000 Teilnehmern in neun Länder berichtet. Diese Befragung zeigte eine überaus pessimistische Vorstellung vom Zustand der Welt auf. Unter den Umfrageteilnehmern können allenfalls die Schweden die Optimisten gelten. Zehn Prozent glaubten, dass es in der Welt im Allgemeinen bergauf geht. In Deutschland vertraten diese Auffassung nur noch vier Prozent der Befragten und in Frankreich waren es lediglich drei Prozent. Angesichts der tatsächlichen Situation der Lebensverhältnisse in den befragten Nationen, angesichts der gesamten Entwicklungsindikatoren zum Entwicklungsstand unserer Weltgesellschaft können diese Befunde nur Verwunderung hervorrufen. Betrachtet man die harten Fakten zur gesellschaftlichen Entwicklung in den vergangenen 100 Jahren, so kann man erkennen, dass überwiegend positive Befunde zu diskutieren sind. Von Armut sind immer weniger Menschen betroffen. Die Lebenserwartung ist in allen Gesellschaften weltweit gestiegen, die Kindersterblichkeit ging weltweit zurück, immer weniger Menschen sind Analphabeten, das Gesundheitswesen hat sich weltweit verbessert, die Bildungs- und Ausbildungssituation ist ungleich besser als in früheren Jahrzehnten, die Emanzipation der Frauen hat enorme Fortschritte aufzuweisen. Wer weitere Beispiele hinzufügen möchte, sollte die Webseite ourworldindata.org aufschlagen. Die Fortschrittsgeschichte im positiven Sinne zugunsten unserer Menschheit ist nahezu unendlich.

Begünstigt wird die massenmediale Beeinflussung zugunsten einer negativen Welt durch die Konsumenten der Medien, deren Psyche ganz offensichtlich auf negative Informationen eher reagiert als auf positive. Medien geben somit im Sinne einer selbsterfüllenden Prophezeiung ihren Konsumenten das was diese erwarten und sie verstärken deren Bedürfnis durch ihre Berichterstattung. Gute Nachrichten interessieren den Rezipienten weniger, auch wenn die meisten Menschen das Gegenteil behaupten. Negative Informationen werden von Menschen intensiver verarbeitet und beeinflussen ein abschließendes Urteil stärker als positive Nachrichten und statt darüber nachzudenken was alles gut laufen könnte neigen Menschen dazu, lieber potenzielle Gefahren durchzuspielen. Schlechte Charaktermerkmale anderer Menschen bleiben einem länger in Erinnerung als gute. Es scheint offensichtlich so zu sein, dass Menschen stärker auf schlechte als auf gute Nachrichten reagieren. Eine ähnliche Auffassung vertritt in diesem Zusammenhang der amerikanische Linguist Steven Pinker. In seinen Studien beschreibt er, warum es der Menschheit so gut wie nie geht, auch wenn gleichzeitig die Stimmung schlecht ist. In seinem 2018 erschienen Buch  „Aufklärung jetzt. Für Vernunft, Wissenschaft, Humanismus und Fortschritt“ zeigt er auf, wie die Werte der Aufklärung in den Hintergrund getreten sind und wie immer häufiger Werte wie Vernunft, wissenschaftliche Erkenntnis oder ausgleichende Gerechtigkeit bekämpft werden und gleichzeitig kaum jemand bereit ist, diese Werte zu verteidigen. Populismus, Nationalismus und die verschiedenen Religionen mit ihren teilweise reaktionären Ideologien lassen es zu, dass man sich in vermeintlich goldene Zeiten zurücksehnen kann, ohne die Realität in ihren tatsächlichen Merkmalen wahrzunehmen. Viele Menschen leben mit einem Krisengefühl und hoffen auf radikale Lösungen. Dabei trügt das Gefühl dieser Menschen, wenn man den Verlauf der Geschichte etwas genauer betrachtet. Der Fortschritt der Menschheit ist mehr als offensichtlich und dieser ist das Resultat der Aufklärung und ihrer Institutionen. Dazu gehören vor allem die Demokratie, der freie Handel und die Zusammenarbeit internationaler Organisationen. Dennoch hält sich hartnäckig das Gefühl von Krise und Niedergang.

Dies hat mit der Berichterstattung der Medien zu tun. Wenn etwas schief geht, dann geschieht das meistens sehr schnell. Ein Terroranschlag ist sehr schnell zu erfassen. Wenn etwas gut läuft, gehört dazu in der Regel ein sehr viel langsamerer Prozess. Die wachsende Allgemeinbildung, die Abnahme der Säuglingssterblichkeit und der Gewalt lassen sich nur über mehrere Jahrzehnte wahrnehmen. Aber damit kann man keine Schlagzeilen machen. Also erfahren die Menschen sehr viel mehr über Schießereien, Aufstände, Bürgerkriege, aber sehr wenig über Fortschritt. Allerdings liegt die Schuld nicht einseitig nur bei der Presse, betroffen sind davon auch Wissenschaften und insbesondere die Intellektuelle. Unter Journalisten und Intellektuellen gibt es die trügerische Annahme, dass es ein Zeichen von moralfundiertem Argumentieren und Ernsthaftigkeit ist, wenn man die Menschen andauernd vor Gefahren warnt. Die große Ironie des Intellektualismus ist dabei, dass ausgerechnet die Intellektuellen, die sich selbst als progressiv fortschrittlich sehen, Fortschritt verleugnen. Das ist die Nische, die sie sich geschaffen haben um zu kritisieren, wie sich die Gesellschaft angeblich entwickelt.

Folgt man Pinker, so leben wir in einer Phase eines enormen wirtschaftlichen Aufschwungs. Es gibt überhaupt eine ganze Reihe Anzeichen dafür, dass unsere Zeit großartig ist. Trotzdem sind wir unglücklicher als andere Generationen, haben höhere Depressions- und höhere Selbstmordraten.

Alle diese Erkenntnisse lassen sich auch bei den Produzenten und Rezipienten der Sportberichterstattung beobachten. In den führenden Tageszeitungen Deutschlands entsprechen die Darstellungen zu den Organisationen des Fußballsports einem unendlichen Fortsetzungsroman in dessen Zentrum korrupte Sportfunktionäre handeln. Redundant wird dabei immer wieder die gleiche Geschichte erzählt. Auf Havelange folgte Blatter, in Blatters Spuren handelte Platini nun spielt Infantino die Hauptrolle. Gleiches gilt für die Darstellung der Präsidenten des Deutschen Fußballbundes. Nahezu wortgleich wiederholt sich dabei ein und dieselbe  Form von Berichterstattung .Über einzelne durchaus relevante Sachverhalte und Themen wird dabei eine Weltkrise des Fußballs fortgeschrieben ohne dass man dabei Licht am Ende des Tunnels erkennen könnte. Nahezu identische Züge weist die Berichterstattung über das Internationale Olympische Komitee auf. Wurde über mehr als ein Jahrzehnt Samaranch als geheimnisvolle Eminenz präsentiert die mehr oder weniger diktatorisch die olympische Bewegung steuert, so wird nun seit längerer Zeit ein Bild von dessen angeblichem Ziehsohn, vom aktuell amtierenden Präsidenten Bach gezeichnet, das an Klischeehaftigkeit und teilweise auch an Boshaftigkeit nicht zu übertreffen ist .Insgesamt werden die Funktionäre des Sports als das eigentliche Übel des nationalen und internationalen Sports ausgemacht unter denen die moderne Sportentwicklung leidet .Die Opfer sind dabei die armen Athleten, die von Macht besessenen Funktionären ausgebeutet werden. Der Stereotyp des etwas dümmlich anmutenden, egoistischen und auf Eigennutz ausgerichteten Menschentyps wird in nahezu sämtlichen Massenmedien dauerhaft fortgeschrieben. Der Diskurs über die Dopingproblematik wird davon ebenso bestimmt wie die Behandlung der Frage nach der finanziellen Beteiligung der Athleten und Athletinnen an den Einnahmen der Sportorganisationen.

Arbeiten Funktionäre nicht im Rampenlicht der Öffentlichkeit, ist ihr Handeln im wahrsten Sinne des Wortes ehrenamtlich, so findet dies keine massenmediale Resonanz. Die millionenfachen, weltweit stattfindenden Wettkämpfe bei denen sich Athletinnen und Athleten in fairer Weise und ohne jegliche kommerzielle Orientierung um sportliche Erfolge und Leistungen bemühen finden ebenso wenig das Interesse der Medien.

Kommt es zu Verfehlungen von Sportfunktionären so dürfen diese nicht schön geredet werden. Betrug und Korruption im Sport bedürfen einer kritischen Sportberichterstattung. Sie bedürfen auch einer entschiedenen juristischen Verfolgung und Bestrafung. Die derzeit häufig zu beobachtende Einseitigkeit der Berichterstattung hat jedoch zur Folge, dass von den Rezipienten dieser Berichterstattung ein Bild des Sports wahrgenommen wird, das nur bedingt der Realität entspricht. Auch in der Entwicklung des modernen Sports lassen sich immer häufiger positive Erscheinungen und Ereignisse beobachten. Der Beitrag den dieser zur Lösung bestimmter Probleme in den modernen Gesellschaften erbringt, konnte in den vergangenen Jahrzehnten eher gesteigert werden. Dies gilt in sozial- und gesundheitspolitischer Sicht ebenso wie aus einer integrations- und erziehungspolitischen Perspektive.

Doch die verzerrte und oft auch einseitige Darstellung des Sports in den Massenmedien hat eine kritische Wahrnehmung der Rezipienten zur Folge die gewiss nicht folgenlos ist. Ihr mit einem besseren Bild des Sports entgegenzutreten ist nicht zuletzt eine Aufgabe der Organisation der Sport selbst. Aber auch eine Korrektur der massenmedialen Berichterstattung über den Sport wäre wünschenswert.