Das öffentlich-rechtliche Fernsehen und die Sportverbände: Anmerkungen zu einem zerrütteten Verhältnis

„Es war einmal“: Nicht nur Kinder wissen, dass mit diesen Worten Märchen eingeleitet werden. Es kommt einem Märchen gleich, wenn man sich an die Zeit erinnert, als es in Deutschland lediglich zwei Fernsehkanäle gab, jeder Athlet und jede Mannschaft sich glücklich schätzte, einmal in einer der wenigen Sportsendungen des Fernsehens in Bild und Ton zu erscheinen und als sich der organisierte Sport und das öffentlich-rechtliche Fernsehen einig waren, ihre Partnerschaft mit einem einzigen Vertrag zu besiegeln. Mit der politischen Entscheidung zu Gunsten des dualen Fernsehsystems hat man sich in der Bundesrepublik von diesen märchenhaften Zeiten für immer verabschiedet. Seit dem ist Kampf angesagt. Es kämpfen die privaten gegen die öffentlich-rechtlichen und die öffentlich-rechtlichen Sender befinden sich untereinander in einer Konkurrenzsituation. Längst sind die Organisationen des Sports nicht mehr von jenem Gemeinsinn geprägt, der sie auszeichnen könnte, wenn es um Fragen des Fernsehens geht. Als erster hatte sich der Deutsche Fußballbund von der Solidargemeinschaft verabschiedet. Weitere Verbände sind diesem Modell der Eigenvermarktung gefolgt und übrig geblieben ist ein Fernsehvertrag der Armen, der weder Sendezeit noch tragfähige Einnahmen garantiert.

Die Debatten und Diskussionen der vielen Sportverbände mit den Fernsehsendern kommen seit diesem Zeitpunkt einer unendlichen Geschichte gleich. Klagelieder werden dabei gleichermaßen von den Repräsentanten des Fernsehens, wie von den Funktionären der Sportverbände gesungen. Es kommt nahezu einem Balzritual gleich, wie sich die Beteiligten in ihrer Hassliebe dabei begegnen. Da sind die vielen Sportarten die beklagen, dass sie im Fernsehen keinen Sendeplatz finden. Ihre Funktionäre fordern die Vielfalt in der Fernsehberichterstattung: Das Fernsehen soll vom Schulsport berichten. Natürlich sollte auch der Freizeit-, Breiten- und Gesundheitssport angemessen widergespiegelt werden. Selbst die Sportwissenschaft erwartet, dass das Fernsehen von deren Arbeit und den Forschungsergebnissen Notiz nehmen sollte. Auf der anderen Seite sind die Balkauskys und die Fuhrmanns, die den Funktionären des Sports erklären, dass sie sich mit ihrem Programmauftrag nur daran orientieren, was die Zuschauer wünschen und dies seien nun einmal jene Sportarten, die heute im Fernsehen zur Darstellung kommen. Fußball, Fußball über alles, lautet dabei die Maxime und je nach wechselnder nationaler Interessenlage kann Formel I, Skispringen, Boxen oder Biathlon in diese Interessenlogik passen. Der unsägliche Begriff der „Randsportarten“ wurde geboren, ohne dabei den Mut zu haben, jene Sportarten zu definieren, die den Kern des Systems des Sports ausmachen. Die Repräsentanten des Fernsehens übertreffen sich dabei in ihren altklugen Empfehlungen gegenüber den Repräsentanten der sogenannten Randsportarten. Sie sollen endlich die Zeichen der Zeit begreifen, sie sollen sich verändern. Sie sollen moderner werden, ohne allerdings hinzuzufügen, dass dann, wenn alle den Empfehlungen der Fernsehmacher folgen würden, sich an der Situation in Bezug auf die Auswahl der Fernsehinhalte aus naheliegenden Gründen nichts verändern könnte. Die Diskussion wird durch Attacken belebt, wie sie aus der Ecke der privaten Rundfunk- und Fernsehanstalten kommen. Sie ergreifen je nach Bedarf Partei zu Gunsten der Sportverbände oder zu Gunsten ihrer öffentlich-rechtlichen Konkurrenten. Meist verweisen sie auf den Auftrag des öffentlich-rechtlichen Fernsehens. Sie weisen darauf hin, dass das öffentlich-rechtliche Fernsehen sich nicht an Quoten zu orientieren habe, dass nur sie alleine sich auf dem Markt im harten Wettbewerb zu bewähren haben, dass es ungerechtfertigt sei, dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen Werbeeinnahmen zuzugestehen, und dass es ärgerlich sei, dass das öffentlich-rechtliche Fernsehen die Beiträge der Gebührenzahler für derart hohe Lizenzkosten ausgeben, wie sie heute beim Kauf von Sportfernsehrechten üblich geworden sind. Meist wird von den privaten Diskutanten dabei unterschlagen, dass sie selbst an den so genannten Randsportarten kein Interesse haben und dass sie auch nicht bereit sind, die notwendigen Investitionen zu tätigen, um die Spiele einer Badminton-Bundesliga oder Spiele einer Hockey-Nationalmannschaft im Fernsehen zu übertragen.

Der Ärger bei den Sportverbänden kann sich dabei in periodischer Regelmäßigkeit bis hin zu Wutausfällen steigern. Wagte ein Präsident eines Fachverbandes, so zum Beispiel der Präsident des Deutschen Hockeybundes eine öffentliche Fernsehschelte, so konnte er der Konter der Fernsehrepräsentanten sicher sein, wobei allenfalls irritieren musste, wie eitel die Repräsentanten des Fernsehens waren und wie selbstgefällig sie auf solche Attacken reagierten. Findet heute eine Diskussion über diese Sachverhalte statt, so verweist das Fernsehen meist auf   Statistiken. ARD und ZDF legitimieren sich dabei über eine Sportartenvielfalt, die eine parteiische Fernsehforschung offenlegt, die jedoch einer soliden sozialwissenschaftlichen Prüfung nicht standhält. Dabei ist es ohne Zweifel richtig, dass im öffentlich-rechtlichen Fernsehen nach wie vor sehr viel mehr Sportarten zur Darstellung kommen als bei den Privaten. Doch die Quantitäten sind nicht weniger eindeutig. Die öffentlich-rechtlichen Repräsentanten verweisen in diesen Diskussionen auch darauf, dass sie an einem Leistungsprinzip in ihrer Arbeit zu messen sind und dass es keine Alternative zur Quote gibt und die Quote letztendlich auch das Interessenspektrum der deutschen Bevölkerung widerspiegelt. Die Repräsentanten der Sportverbände befinden sich in dieser Art von Diskussionen meist in der Rolle des Bittstellers. Devot werden Verbeugungen vor den Balkauskys und Feldmanns gemacht. Längst hat man auch Zugeständnisse offeriert. Einige Sportverbände sind bereit, sich an den Produktionskosten zu beteiligen, sollte ihre Sportart im Fernsehen zur Darstellung kommen und nach vielen Jahren der Frustrationen sind manche an einem Punkt angelangt, wo sie sich bereits glücklich schätzen würden, wenn ihre Bundesligaergebnisse auf den Videotextseiten des öffentlich-rechtlichen Fernsehens erscheinen könnten. Dabei sind die Argumente der klagenden Sportverbände keineswegs so schwach, wie dies von den Repräsentanten des Fernsehens sehr vorschnell und oft auch ohne jegliche Fachkenntnis gesehen wird. Eine Hockey-Weltmeisterschaft hat unter sportlichen Gesichtspunkten durchaus einen vergleichbaren Stellenwert wie eine Weltmeisterschaft des Handballs und Spitzenspiele der Badminton-Bundesliga zeichnen sich durch sportliche Leistungen aus, die es durchaus wert sind, dass sie öffentlich zur Darstellung gebracht werden. Und wenn bei einer Weltmeisterschaft der Schützen im Kleinkaliberschießen ein Weltrekord erzielt wird, so müsste der mindestens in gleicher Weise in der Nachrichtenberichterstattung eine Erwähnung finden, wie das Fußballergebnis einer zweiten Bundesliga im Fußball. Auch die Kritik der Verbände am „more of the same“ ist durchaus berechtigt. Wenn die Fußballbundesliga zu Recht die Sportsendungen des Samstags dominieren, so braucht dies noch lange nicht für die Regionalsendungen am Sonntag und am Montag und für alle Sportbeiträge unter der Woche der Fall sein. Bei den Fernsehmachern können solche Äußerungen nicht einmal ein Rauschen hervorrufen. Monoton wird mit den schwachen Quoten gekontert, es wird darauf hingewiesen, dass eine Sendung wie „Sport unter der Lupe“ nicht mehr zu halten war, weil zu wenige Zuschauer diese Sendung eingeschaltet hatten. Es wird den Sportverbänden gar vorgeworfen, dass sie nicht einmal in der Lage seien, ihre eigene Klientel zu bewegen, dann wenn ihre Sportarten übertragen würden, diese sich auch anzuschauen. Allein dieses Argument macht deutlich, dass von einer intelligenten Diskussion hier nicht gesprochen werden kann und dass Stil, Inhalt und Form der Diskussion die Beteiligten in der Sache auch zukünftig nicht weiterbringen kann.

Dies gilt auch für die Drohgesten populistischer Politiker und Sportfunktionäre, wenn diese in regelmäßigen Abstand von einem öffentlich-rechtlichen Sportkanal träumen, wohl wissend, dass solch ein Kanal nicht zu finanzieren ist und vermutlich auf noch weniger Interesse stoßen würde als dies bei den bereits existierenden Sportkanälen der Fall ist.

Was ist zu tun, was wäre zu wünschen? Will man zu einer ernsthaften Kommunikation zurückfinden, will man in eine professionelle Kooperation zwischen Sportverbänden und den Verantwortlichen des Fernsehens eintreten, so müssten sich beide Seiten auf ganz neue Verhandlungspositionen einlassen. Die Lektion, die die Sportverbände dabei zu lernen haben, dürfte nicht einfach sein; denn es ist in der Tat richtig, dass sich unsere Bürgerinnen und Bürger dann, wenn sie ihr Fernsehgerät einschalten, sich nicht mit Sendungen über Freizeit- und Breitensport langweilen wollen und dass es keinen Anspruch geben kann für eine Abbildung des Sports, so wie er außerhalb des Fernsehens existiert. Weder ist ein langweiliges Interview mit einem Sportwissenschaftler von Interesse, der über die neuesten Erkenntnisse seiner Kniewinckel-Forschung berichtet, noch bedarf eine 100-Jahr-Feier eines Turnvereins einer fernsehöffentlichen Würdigung. Ja selbst die Spitzenleistungen von Athleten in den Sportarten können nicht per se für sich einen Anspruch auf öffentliche Berichterstattung erheben. Sport im Fernsehen hat der Maxime einer guten Unterhaltung zu entsprechen und über das, was gute Unterhaltung ist, entscheidet der Zuschauer, ganz gleich, ob seine Bedürfnisse manipuliert, authentisch oder angeboren sind. Der Sport im Fernsehen hat Qualitätskriterien zu genügen und es ist den Machern des Fernsehens nicht zu verübeln, dass sie sich dabei auf das Kriterium der Quote verlassen, solange andere Qualitätskriterien nur bedingt zur Verfügung stehen. Sport, ganz gleich, ob es sich um die Einzelaktion eines Athleten oder um ein Mannschaftsspiel handelt, Sport, der im Fernsehen zur Darstellung kommt, muss sich durch eine interessante sportliche Aktion, durch interessante Athletinnen und Athleten, die mehr sind als nur Vollzugsakteure niedergelegter Regeln, durch Ästhetik und Spannung und nicht zuletzt auch durch eine faszinierte Zuschauerschaft auszeichnen. Dabei muss sich eine Sportart über einen längeren Zeitraum durch diese Qualität auszeichnen. Es kann nicht erwartet werden, dass das Fernsehen bereits dann reagiert, wenn zufällig eine Sportart sich durch einen plötzlichen Erfolg auszeichnet. Die Sportverbände müssen dabei auch akzeptieren, dass dann, wenn ihre Attraktivität nachlässt, ihre Athletinnen und Athleten nicht ausreichende Leistungen erbringen, die Zuschauer von den Veranstaltungen fernbleiben, deren Präsenz im Fernsehen zu Recht in Frage zu stellen ist.

Doch auch auf der Seite der Fernsehmacher sind nicht weniger dringende Lernprozesse erforderlich. Der Sport im Fernsehen muss sich keineswegs durch jene fragwürdige Qualität auszeichnen, wie dies heute der Fall ist und der Sport im Fernsehen von morgen kann sich durchaus ganz wesentlich vom Sport von heute unterscheiden. So wie dies auch im Vergleich zum Sportfernsehen in der Vergangenheit der Fall war.  Die meisten Sportsendungen des Fernsehens können heute keineswegs jene guten Quoten aufweisen, mit denen die Verantwortlichen des Fernsehens zufrieden sein können. Schon allein deshalb stellt sich die Frage nach einer qualitativ anspruchsvolleren Programmstruktur und auch die Frage der Programminhalte muss auf den Prüfstand gestellt werden. Gewiss könnte auch die Frage nach dem geeigneten Sportfernsehjournalisten bzw. der geeigneten Sportfernsehjournalistin gestellt werden. Viele Angehörige dieser Berufsgruppe zeichnen sich in ihrer sportfachlichen Kompetenz durch höchste Bescheidenheit aus, die sie auch nicht mit einer besonderen rhetorischen Kompetenz zu kompensieren vermögen. Die Kritik an mancher Selbstdarstellung von Sportfernsehjournalisten-und Journalistinnen ist durchaus berechtigt und die Frage, was man unter einem guten Sportfernsehjournalismus versteht, sollte durchaus die Fernsehschaffenden selbst beschäftigen. Selbstbeweihräucherung und die üblichen Rechtfertigungsstrategien helfen in dieser Frage gewiss nicht weiter. Kritik von außen ist mehr als notwendig und müsste erwünscht sein. Dabei sollte es in der Tat um konstruktive Kritik gehen, um Modelle, über die aufgezeigt wird, dass ein besserer Sportfernsehjournalismus machbar ist.

Wenn man mit Sportsendungen in den dritten Programmen von ARD und wenn man in den nachgeordneten Sportsendungen des ZDF nur bescheidene Marktanteile erreicht, oft äußerst niedrige Quoten zu Buche stehen, so kann man durchaus als Zuschauer, aber auch als Vertreter der Sportverbände von den Verantwortlichen des Fernsehens fordern, dass sie sich selbst Steigerungsziele setzen, dass sie selbst Wege erproben, wie es zu einer Quotensteigerung kommen kann. Will das Fernsehen sich durch eine derartige Professionalität auszeichnen, so benötigt es neue Formen der Partnerschaft mit den Sportverbänden; denn mit der Steigerung der Qualität der Sportarten lässt sich auch die Qualität des Sportfernsehens steigern.  Deshalb können die Sportverbände zu Recht von den Fernsehverantwortlichen erwarten, dass sie ihre Qualitätskriterien offenlegen, die entscheidend sind, ob eine Sportart mit ihren Spitzenereignissen im Fernsehen zur Darstellung kommt. Ja sie können auch Beratungsleistungen des öffentlich-rechtlichen Fernsehens erwarten, um sich selbst in einen Reformprozess zu begeben, damit sie diesen Qualitätsanforderungen genügen. Gewiss kann es dabei keine Garantien geben und gewiss wird auch zukünftig die große Mehrheit der Sportverbände damit zu leben haben, dass die Berichterstattung lediglich in der Presse erfolgt und dass es auf diese Weise äußerst schwierig wird, die notwendigen Finanzleistungen zu erbringen, um einen Reformprozess zu Gunsten einer fernsehwirksamen Sportart einzuleiten. Dennoch: Für eine Professionalität auf beiden Seiten gibt es keine Alternative. Wird die unendliche Geschichte zwischen Fernsehen und Sportverbänden weitererzählt, werden monoton die gleichen Klage- und Vorwurfslieder gesungen, so wird der Schaden fortgeschrieben, der längst auf beiden Seiten entstanden ist.

Letzte Überarbeitung 12.06.2021