Das IOC und der Weltsport zwischen Skylla und Charybdis

Der Sport hat in den vergangenen 200 Jahren ein Imperium in unserer Welt aufgebaut, das einen Vergleich mit jeder ehemaligen kolonialen Weltmacht und mit heutigen Weltmächten nicht zu scheuen braucht. Die imperialen Gelüste des Sports sind bis heute noch immer nicht zu einem Stillstand gekommen. Trotz aller Krisen in dieser Welt, trotz einer drohenden Klimakatastrophe, trotz Hungersnöten, Armut und einer ständig anwachsenden Zahl von Migranten1 und Flüchtlingsströmen ist der Sport als globales kulturelles Phänomen nach wie vor „gefräßig“ und in einer – von vielen Experten infrage gestellten – Wachstumsideologie verhaftet wie es sie zuvor noch nie gegeben hat, und wie sie auch in keinem anderen kulturellen Bereich unserer Weltgesellschaft angetroffen werden kann.  

Heute im Jahr 2023, ein Jahr nach der Corona- Pandemie, lassen sich in der Welt des Sports mehr als 105 Internationale Multi- Sport-Veranstaltungen unterscheiden, die oft jährlich, andere in einem zweijährigen oder in einem vierjährigen Rhythmus stattfinden.   

Geographisch ausgerichtete Multi- Sport-Events wie zum Beispiel die Afrika-, Asien-, Pan- Amerika-, Südamerika-, Europäischen-, Pazifischen-, Arabischen-, Mittelmeer-, Central Amerika und Karibik- Spiele und nicht zuletzt die Commonwealth Games sind feste Größen im internationalen Sportkalender geworden. Innerhalb der einzelnen Kontinente lassen sich noch viele kleinere geographische Einheiten unterscheiden, die ebenfalls bemüht sind, ihre eigenen „Games“ zu organisieren. 

Dann gibt es die Multi- Sport-Events, die sich über ihre teilnehmenden Athletinnen und Athleten definieren. Hierzu gehören z.B. die Universiade (studentische Weltspiele), die Schulweltmeisterschaft, die Militärweltspiele, World Police- and Fire- Games, „Medigames“ für Angehörige medizinischer Berufe, die europäischen Betriebssportspiele, die Weltreiterspiele, die World Skater Games, aber auch die von Prinz Harry 2014 gegründeten „Invictus Games“ für kriegsversehrte Soldaten, die vor wenigen Wochen auch zum ersten Mal in Deutschland stattgefunden haben.   

Es gibt Multi- Sport- Events, bei denen mehrere Sportarten über eine besondere gemeinsame Eigenschaft ihrer Sportstätte oder ihrer Wettkämpfe definiert werden. So zum Beispiel die „Beach Games“ oder die „Martial Art Games“. 

Es gibt auch Multi- Sport-Events, die nur in einer Nation ausgetragen werden, deren zeitlicher Umfang und deren Größe sich selbst mit den größten internationalen Multi- Sport-Events messen lassen können. Besonders erwähnenswert sind dabei die Chinesischen National Spiele.  

Einen spezifischeren Charakter haben die „X Games“ aufzuweisen. Es ist eine „Extremsport“- Veranstaltung. Sie wurde vom US- amerikanischen Network ESPN mit ausschließlich kommerziellen Motiven 1995 ins Leben gerufen. Unterschieden wurden zunächst „Summer X Games“ und „Winter X Games“, die jeweils in verschiedenen US- amerikanischen Städten ausgetragen wurden. 2010 wurden sie zu „Global X Games“ erweitert. Sie haben mittlerweile in China, Japan, Deutschland, Spanien und Brasilien stattgefunden. In diese Kategorie gehören noch eine ganze Reihe weiterer internationaler Multi-Sport-Events, die von privatwirtschaftlichen Unternehmen und Agenturen veranstaltet werden, so zum Beispiel auch die seit 2014 stattfindenden „Munich Mash“, bei denen ebenfalls verschiedene Extremsportarten ausgeübt werden. Auch die „European Championships“ wurden von einer Agentur ins Leben gerufen und sorgen für Verwirrung in Bezug auf die schon vorhandenen European Games, für die das Europäische Olympische Komitee verantwortlich zeichnet, und auch in Bezug zu den schon seit sehr viel längerer Zeit existierenden European Championships vieler Einzelsportarten. 

Beim Erzählen der „unendlichen Geschichte“ vom unendlichen Wachstum der Multi-Sport-Events dürfen auch die „Gay Games“ nicht vergessen werden, die seit 1992 alle vier Jahre stattfinden. Bei diesen Spielen gibt es keine Teilnahmebeschränkungen und keine Qualifikationen. Sie stehen damit in der Tradition der internationalen Arbeitersport- Veranstaltungen. Die „Gay Games“ wurden 2006 noch durch die „Out Games“ ergänzt, bei denen die gesamte LBGTQ- Community teilnehmen kann.   

Die „Arbeiterolympiade“ wurde lediglich dreimal (in Frankfurt 1925, in Wien 1931, in Antwerpen 1937) durchgeführt. Sie wurde mittlerweile abgelöst durch die „CSIT World Sports Games“, die erstmals 2008 in Rimini stattfanden und mittlerweile alle zwei Jahre ausgetragen werden. 

Parallel zum Wachstum der Multi- Sportevents wachsen auch viele der Einzelsportarten durch eine Ergänzung ihrer bestehenden internationalen und nationalen Wettkämpfe. Die Gründe hierfür können durchaus sinnvoll sein, so wenn die Sportarten, die einstmals nur von Männern ausgeübte Sportarten waren, sich nun für alle Menschen in unserer Gesellschaft öffnen. Auf diese Weise sind z.B. viele neue internationale Sportarten- Events für Frauen entstanden. 

Ein erstaunliches Wachstum haben auch die internationalen Multi-Sport-Veranstaltungen aufzuweisen, an denen Menschen mit den unterschiedlichsten Behinderungen teilnehmen können. Es gibt die „Paralympics“, die „Special Olympics“, die „Deaflympics“ und mit den „IBSA- Weltmeisterschaften für Blinde“ auch ein Multi- Sport- Event, das sich nur auf eine einzige Behinderung ausrichtet. 

Ein ähnliches schnelles Wachstum verzeichnen die sog. „Masters Games“ und „Masters Weltmeisterschaften“. Die Senioren- Altersklassen reichen dabei mittlerweile weit über das 80. Lebensjahr hinaus und die Anzahl der Teilnehmer bei solchen Sportveranstaltungen ist ständig angewachsen. 

Wachstum können auch die internationalen Sportevents für Jugendliche und teilweise sogar für Kinder in den entsprechenden Statistiken belegen.
Die Vielfalt der internationalen Sportveranstaltungen kommt auch dadurch zum Ausdruck, dass es Multi- Sportevents für die unterschiedlichsten Religionsgemeinschaften gibt, so zum Beispiel die „Makkabiade“ für Angehörige der jüdischen Religionsgemeinschaft, die „Islamic Solidarität Games“ für Moslems oder die „YMCA- Sportwettbewerbe für Protestanten“, bzw. die „Wettbewerbe von FISEC“, der internationalen Organisation der Katholische Sportverbände. 

Zu dieser Vielfalt gehören auch Multi- Sportevents, die sich durch das Sprechen einer gemeinsamen Sprache definieren, so zum Beispiel die „Spiele der Frankophonie“ und die „Jugos da Lusofonia“, bei denen portugiesisch sprechende Athletinnen und Athleten zusammengeführt werden. 

Manche dieser „Spiele“ und „Multi-Sportevents“ wurden durch berechtigte Bedürfnisse von Menschen begründet, die nachvollziehbar und verständlich sind. Die Entstehung von Regionalspielen im 20. Jahrhundert hatten eine wichtige Bedeutung für die weltweite Popularisierung des Wettkampfsports, so zum Beispiel verdankt der Olympische Wintersport seine Popularität den „Nordischen Spielen“ (1901-1926) und in der Karibik und in Mittelamerika wurde der Olympische Sommersport durch die „Central American and Caribbean Games“ (seit 1926) bekannt gemacht. Geldgier spielt dabei noch keine Rolle und viele der Veranstalter von Regionalspielen hatten oft erhebliche Sorgen, die Wettkämpfe auszurichten. Diese Spiele wurden ausnahmslos vom IOC durch die Übernahme eines Patronats gefördert. In jüngerer Zeit ist jedoch der weitaus größte Anteil des Wachstums internationaler Multi- Sport-Events und internationaler Events innerhalb mehrerer Olympischer Sportarten vor allem auf eine zunehmende Geldgier zurückzuführen, die auch der Grund ist, warum das fortschreitende Wachstum wohl auch zukünftig kaum eingedämmt werden kann. 

Ein vorrangig ökonomisch orientiertes Wachstum lässt sich selbst beim ersten internationalen Multi-Sport-Event der Neuzeit, bei den Modernen Olympischen Spielen beobachten und beschreiben.  

Nahmen 1896 in Athen nur 14 nationale Teams (NOKs gab es zu diesem Zeitpunkt noch nicht) an den ersten Spielen teil, so waren es im Jahr 2022 bei den Spielen in Tokio 207 Nationale Olympische Komitees. In Athen waren es lediglich 241 männliche Athleten, die an diesen Spielen teilgenommen haben. In Paris werden es im nächsten Jahr mehr als 13.000 Athletinnen und Athleten sein. 
Waren es bei den ersten Spielen neun Sportarten mit 42 Wettbewerben, so werden es in Paris 32 Olympische Sommersportarten sein. Waren die ersten Spiele ausschließlich männliche olympische Sommerspiele, so wurden bereits 1900 erstmals Frauen zugelassen und seit 2012 sind in allen Olympischen Sportarten auch weibliche Wettbewerbe ausgeschrieben. Seit den Spielen im Jahr 1984 sind auch Profi- Athleten zu den Spielen zugelassen. Gab es zunächst nur Sommerspiele, so kamen im Jahr 1924 die Winterspiele hinzu. Bei den ersten Winterspielen in Chamonix wurden 16 Entscheidungen in sechs Wintersportarten ausgetragen und es haben 285 Sportler aus 16 Ländern teilgenommen. 10.004 Zuschauer besuchten die Spiele vor Ort. Bei den Olympischen Winterspielen in Pyeongchang 2018 nahmen 2925 Athleten aus 93 Ländern teil und sie verglichen sich in 102 Wettbewerben; vier Jahre später bei den Spielen in Peking waren es bereits 109 Wettbewerbe in insgesamt 15 verschiedenen Disziplinen. 
Seit dem Jahr 2010 gibt es nun auch noch Olympische Jugendspiele. Die ersten fanden in Singapur statt.
„Olympische E-Sportspiele“ werden vermutlich die nächste Variante eines internationalen Multi-Sport-Events unter der Schirmherrschaft der Olympischen Bewegung sein. Die erste „Olympic – E – Sport – Week“ fand bereits unter der Schirmherrschaft des IOC vom 22. bis 25. Juni 2023 in Singapur statt.
Wurden im Radio erstmals die Spiele von Paris 1924 übertragen, so werden 2024 die Olympischen Spiele in derselben Stadt in allen derzeit denkbaren medialen Systemen, die zu diesem Zeitpunkt zur Verfügung stehen – im Radio, im Fernsehen, im Internet, im Videokanälen und Streamingdiensten und in allen Sozialen Medien – weltweit und rund um die Uhr präsent sein. Die Zahl der Journalisten und Medienvertreter, die die Olympischen Spiele mit Wort und Bild non-linear und linear, analog und digital begleiten, ist ständig angewachsen. Gleiches gilt für die Zuschauer, die weltweit die Spiele verfolgen. Die Einnahmen, die durch die Spiele erwirtschaftet werden, sind in das Unermessliche gestiegen und Wirtschaftsunternehmen sind bereit, von einer Olympiade zur Nächsten, immer höhere Preise für Sponsorenpakete zu bezahlen, um ihre Werbeinteressen vor, während und nach den Spielen zu realisieren. 

Die Sportart, die wohl am trefflichsten die unersättliche Gier des Weltsports verdeutlichen kann, ist der Fußballsport. Die FIFA wurde 1904 von acht Mitgliedern gegründet, die ausschließlich aus Europa kamen. Bei der ersten Weltmeisterschaft, die 1930 stattfand, nahmen 13 Länder teil, die insgesamt 18 Spiele austrugen. Heute weist die FIFA 211 Mitgliedsverbände auf. Zu ihrem Portfolio gehören 14 unterschiedliche Fußball thematische Weltmeisterschaften. An der nächsten Fußball Weltmeisterschaft der Männer 2026 in USA, Kanada und Mexiko werden 48 Mannschaften teilnehmen und 104 Spiele werden über einen Zeitraum von mehr als sechs Wochen gespielt. Die seit ihrer Gründung meist von älteren Männern dominierte FIFA musste lernen, bzw. wurde von couragierten und engagierten Frauen überzeugt, dass Frauen und Mädchen ebenfalls ein Recht auf die Ausübung dieser Sportart haben. Eine Fußball Frauen WM gibt es deshalb seit 1991 und die neunte WM wurde in diesem Jahr in Australien ausgetragen. Eine vergleichbare Kommerzialisierung des Fußballs wie bei den Männern wird nun auch beim Frauenfußball stattfinden und die Palette der WM- Veranstaltungen mit einer ganzen Reihe weiterer ausschließlich weiblicher Events ist schon absehbar. Die Frauen WM in Australien hat einen Zeitraum von vier Wochen in Anspruch genommen und es nahmen 32 Nationalmannschaften an ihr teil.  

Am Beispiel der Leichtathletik lässt sich zeigen, wie eine olympische Sportart, die ganz offensichtlich weit weniger ökonomisch attraktiv ist wie der Fußballsport, dennoch derselben Wachstumsideologie wie der Fußballsport unterliegt und sich die FIFA zum Vorbild gemacht hat. Fand zunächst die Internationale Leichtathletik nur alle vier Jahre bei Olympischen Sommerspielen statt und war sie dabei deren „Königsdisziplin“, so wurde 1983 die erste Leichtathletik Weltmeisterschaft in Helsinki ausgetragen, die danach zunächst in einem vierjährigen Rhythmus durchgeführt werden sollte. Die Geldgier ihres damaligen Präsidenten und dessen Gefolgschaft führte dazu, dass der Rhythmus ab 1991 auf zwei Jahre verkürzt wurde, nachdem dessen Präsident gerade rechtzeitig noch schnell das neue Abstimmungsprinzip „One Vote- One Country“ für die internationalen Weltleichtathletikkongresse eingeführt hatte. Danach wurde nahezu Jahr für Jahr eine neue Weltmeisterschaft für jede denkbare Einzeldisziplin (Straßenlauf, Gehen, Staffel, Mehrkampf, etc.) und für jede Altersklasse (U23, U 18, etc.) eingeführt. Ergänzt wurde dies noch durch Meetingserien, die mit den „Golden Four“ begannen, der „Golden League“ fortgeführt“ wurde und heute neben einer globalen „Diamond League“ noch weitere nachgeordnete globale Einzelmeetings-Serien aufweist. In jüngster Zeit wurde es sogar als eine Errungenschaft von „World Athletics“ gefeiert – wie nunmehr der Leichtathletik Weltverband heißt, nachdem er kostenintensiv seinen Namen und sein „Branding“ geändert hat –, dass er die Anzahl der möglichen Leichtathletik- Weltrekorde, die ohnehin nicht nur für Laien völlig unübersichtlich ist, noch um weitere 16 Möglichkeiten erhöht hat, indem nun auch Weltrekorde für Disziplinen wie den 100m-Lauf, den 400m- Lauf etc. auch  außerhalb von Stadien möglich sein werden. Die Gier von „World Athletics“- Präsident Coe ist damit allerdings noch nicht gestillt. Denn bei der jüngsten Leichtathletik- Weltmeisterschaft in Budapest in diesem Jahr gab er bekannt, dass noch genügend Raum für weitere Wettkämpfe bestehe und für das Jahr 2026 kündigte er bereits ein neues „Best oft the Best Event“ an und behauptete dabei, dass die Athleten dies sich wünschen. Er vertrat auch die Auffassung, dass die Athleten öfter im Jahr bei Wettkämpfen anzutreten haben und dass die Leichtathletiksaison verlängert werden muss. Ziel ist eine ganzjährige Wettkampfsaison. Die erst jüngst einmal mehr beklagte Zunahme von Verletzungen unter den besten Athletinnen und Athleten der Leichtathletik haben dabei für den Präsidenten, der sich öffentlich immer als der beste Freund der Athletinnen und Athleten präsentiert, haben dabei ganz offensichtlich keine Rolle gespielt.  

Einen vergleichbaren Weg haben nahezu alle internationalen Sportorganisationen eingeschlagen und deshalb können auch jährlich neue internationale Sportevents beobachtet werden, die aus keinem anderen Grund als dem der finanziellen Gier der verantwortlichen Sportfunktionäre eingeführt werden. Einige olympische Fachverbände zeichnen sich dabei durch völlig unüberlegte Wachstumsexzesse aus, die vor allem auf dem Rücken der Athletinnen und Athleten ausgetragen werden, so z.B. der Internationale Handballverband (IHF), World Athletics, der Internationale Skiverband (FIS), der Internationale Biathlonverband (IBU) und der internationale Radsportverband (UCI). In mehreren weiteren Ballspielsportarten, wie zum Beispiel beim Tischtennis und beim Basketball, können bereits vergleichbare bedenkliche Tendenzen beobachtet werden. Dabei ist längst offensichtlich das mit der Masse der Wettkämpfe deren Wert sinkt. In der Leichtathletik ist dies schon seit längerer Zeit zu beobachten und den wohl größten Bedeutungsverlust hat das Boxen erlitten, bei dem es mittlerweile elf „Weltmeisterschaftstitel“ gibt, die von unzähligen unbedeutendem „Verbänden“ veranstaltet werden, die jedoch niemand mehr zu Kenntnis nimmt. 

Alleine der durch internationale Sportveranstaltungen verursachte Flugverkehr ist in den vergangenen Jahrzehnten ständig und sehr schnell angestiegen. Der CO2- Fußabdruck des internationalen Weltsports wird dabei ins Unermessliche gesteigert. Das ungezügelte Wachstum der Multi- Sport- Events hat auch dazu geführt, dass weltweit immer mehr Menschen über immer mehr Tage, Wochen und Monate in ihrem Zuschauerinteresse auf sportliche Wettbewerbe fokussiert sind, was nicht nur zu Lasten anderer kultureller Veranstaltungen geht, sondern durchaus auch den Bereich der Arbeit erheblich tangieren kann. Erschwerend hinzukommt, dass jedes neue internationale Multi- Sport- Event immer auch den Steuerzahler belastet.
Niemand ist von den Verantwortlichen des Weltsports bislang in der Lage gewesen, dieser „geistlosen Wachstumspolitik“ von eigennützigen Sportfunktionären entgegenzutreten oder gar nachweisbare Fehlentwicklungen durch Sanktionen zu verhindern.
„Sport Accord“, jene Organisation des Weltsports, der man einen Koordinierungsauftrag übertragen hat, hat bis heute auf ganzer Linie diesbezüglich versagt. Auch das IOC hat bis heute keine wirksamen Maßnahmen ergriffen, um diesem selbstzerstörerischen und gefährlichen Prozess Einhalt zu gebieten, obgleich es über die möglichen finanziellen Sanktionen verfügen könnte, von denen zumindest ein Großteil der internationalen Sportorganisationen betroffen wäre. Das gefährliche an dieser Entwicklung ist vor allem darin zu sehen, dass diese Entwicklung unbeobachtet und gleichsam schleichend voranschreitet und in ihrer Komplexität und Quantität von niemand vollständig erfasst wird. 

Mit den Problemen, die mit diesem fragwürdigen Wachstum des Weltsports verbunden sind, habe ich mich in einer ganzen Reihe von Publikationen in der Vergangenheit auseinandergesetzt. Der vorliegende Essay hat jedoch einen aktuellen Anlass, der auf Gefahren verweist, die alles übertreffen, was das bisherige geldgierige und unüberlegte Wachstum des Weltsports hervorgerufen hat und auch noch immer hervorruft. 

Ich spreche von zwei neuen Multi- Sportevents, vor deren Realisierung nur gewarnt werden kann und deren Umsetzung mit allen möglichen Mitteln der internationalen Sportpolitik und der internationalen staatlichen Politik verhindert werden muss. Zu reden ist über die von Diktator Putin angekündigten „BRICS Games“ und die von einem pseudowissenschaftlichen Egoisten namens D´Souza angekündigten „Enhanced Games“. 

Das russische Sportministerium hat in diesen Tagen angekündigt, dass im nächsten Jahr wenige Wochen vor den Olympischen Spielen in Paris die „BRICS Games“ in Kazan in Russland stattfinden werden. Die teilnehmenden Nationen sind dabei jene Länder, die mit ihrem ersten Buchstaben im Namen dieser Spiele auftauchen: Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika. Vorgesehen sind 22 Sportarten, die an fünf Sportstätten in Kazan ausgetragen werden. Kazan hat in der Vergangenheit bereits mehrere Multi- Sportevents wie z.B. eine Universiade sehr erfolgreich veranstaltet und ist somit bestens auf ein derartiges Multi- Sportevent vorbereitet. Sportminister Matytsin hat diese Ankündigung mit einer für totalitäre politische Systeme üblichen Friedensrhetorik versehen: „Die BRICS Organisation steht für ihren Multilateralismus und für gegenseitigen Respekt, basierend auf den Prinzipien von Gleichheit, Verzicht auf Diskriminierung und freiem Zugang aller Athleten zu den Wettkämpfen. Dadurch werden die freundlichen Sportbande zwischen den BRICS- Ländern gefestigt und gestärkt“. Er kündigte ferner an, dass die BRICS-Staaten eine BRICS- Sports- Charta verabschieden werden und weitere sportliche Wettkämpfe und Sportligen für die BRICS Länder planen.
Für das IOC und die internationalen Sportfachverbände rächen sich dabei Fehler, die sie in der Vergangenheit in Bezug auf die Durchsetzung der Olympischen Charta und der konstitutiven Regeln der einzelnen Olympischen Fachverbände gemacht haben. So wie das IOC bei der schon seit langer Zeit zu beobachtenden nationalistischen Einmischung von Nationalstaaten in die Belange der Olympischen Spiele, z.B. durch Nationalhymnen, Nationalflaggen, Nationenwertung und Medaillenspiegel etc. nicht einmal den Versuch unternommen hat, dies zu unterbinden. So hat man sich auch in der Vergangenheit nicht gegen die Durchführung von Internationalen Sportevents gewehrt, die zwischen Staaten und Regierungen vereinbart und durchgeführt wurden. Die Jahrzehnte lange Akzeptanz und Unterstützung der Spartakiaden und der Commonwealth Games sind dabei nur zwei Beispiele unter mehreren. Auf letztere kann sich Putin bei der Legitimation der BRICS- Games berufen. Es kann deshalb auch kaum überraschen, dass bereits die nächste „Intergovernmental Sports Organisation“, die „SCO“ des Chinesischen Diktatur Xi Jingping ihre eigenen Spiele plant. Zur „SCO“ gehören Russland, China, Indien, Pakistan, Kasachstan, Kirgisistan, Tadschikistan und Usbekistan. Die Federführung bei den „Shanghai Cooperation Organisation“ Games hat somit das nächste totalitäre System, nämlich China.
Wenn gleich zwei globale Supermächte gleich zwei sog. „Rebel Events“ gegen die Olympischen Spiele planen und organisieren, so können das IOC und die internationalen Sportfachverbände ganz gewiss nicht zur Tagesordnung übergehen. Der von China und Russland eingeschlagene Weg bedeutet eine existenzielle Bedrohung der Olympischen Spiele. Erschwerend kommt hinzu, dass Russland bei der Organisation von „Gegenspielen“ nicht ganz unerfahren ist. 1984 hatte die Sowjetunion die sogenannten „Friendship Games“ organisiert, an denen acht ihrer Alliierten teilgenommen haben und auch anstelle der Paralympics in Peking 2022, bei denen russische Athletinnen und Athleten ausgeschlossen gewesen sind, hat Russland ein Ersatzevent organisiert, an dem fünf befreundete Nationen teilgenommen haben.
Zum Glück sind bislang alle Versuche zur Ausrichtung „Olympischer“ Gegenspiele gescheitert. Dies gilt für Diems „Rumpf-Olympiade“ 1922 gleichermaßen wie für die geplante „Olympiada-Popular“ in Barcelona 1936. Die Hoffnung, dass die Olympische Bewegung auch zukünftig ihre Bedeutung erhalten kann, ist durchaus berechtigt, doch setzt dies voraus, dass ihre prägende Idee, die Völkerverständigung, als das sie konstituierende Merkmal erhalten bleibt und die Regeln der Olympischen Charta in glaubwürdiger Weise gelebt und beachtet werden. 

Das zweite alarmierende Ereignis in diesen Tagen ist die Bekanntgabe eines internationalen Sportevents, das mit den dabei verfolgten Absichten den gesamten Weltsport infrage stellt. Geplant ist, dass diese Spiele zum ersten Mal im Dezember 2024 stattfinden sollen, wobei sich allerdings bis heute noch keine Stadt dafür beworben hat. Bei den Spielen sollen Wettkämpfe im Schwimmen, Gewichtheben, Turnen, Leichtathletik und Kampfsport ausgetragen werden Die sog. „Enhanced Games“, gegründet von einem australischen „Freischaffenden“ namens D‘ Souza, sehen sich dezidiert als eine Alternative zu den „korrupten Olympischen Spielen“. Diese „Enhanced Games“ werden von ihrer Begründung als „wissenschaftliche Spiele“ verstanden, weil D´Souza die Auffassung vertritt, dass die Wissenschaften Humanität erzeugen und sie deshalb auch dazu beitragen können, dass der Sport fairer und besser wird. Wer bei diesen Spielen mitmacht, bekämpft seiner Meinung nach die Korruption und unterstützt die Wissenschaft. Durch diese Spiele soll auch die olympische Ausbeutung der Athleten überwunden werden. Die Neugründung dieser Spiele wird damit begründet, dass man sich derzeit an einem Scheitelpunkt der geschichtlichen Menschheitsentwicklung befindet und der Sport deshalb dringend Hilfe benötigt. Jeder wird deshalb aufgefordert sich der „Enhanced Revolution“ anzuschließen.
Aron D´Souza ist ein an der Universität Oxford ausgebildeter australischer Rechtsanwalt, Unternehmer und Publizist und der „Guardian“ meint, dass er sich nunmehr beworben hat um „Victor Frankenstein des Weltsports“ zu werden. D´Souza plant in der Tat mit seinen „Enhanced Games“ einen sportlichen Wettbewerb ohne Dopingkontrollen, bei dem die Athletinnen und Athleten aufgefordert sind, sich aller nur denkbaren wissenschaftlichen Hilfe zu bedienen, die von Wissenschaftlern bereitgestellt werden können. Er meint, dass seine Aversion gegen die bestehenden Olympischen Spiele bereits im Kindesalter bei ihm begonnen habe und er dabei erkannte, dass das System, das den Spielen zu Grunde liegt „ever-broken“, d.h. völlig untauglich sei.
Auf der Website der „Enhanced Games“ ist deshalb D´Souzas Polemik vor allem auf die Olympischen Spiele ausgerichtet. Es gibt eine „Hall of Shame“, angeführt von IOC Präsident Thomas Bach, gefolgt vom Präsidenten der WADA. Außerdem wird bereits eine Weltrekord Liste von „Enhanced World Records“ geführt. Sie enthält sämtliche des Dopings überführte und deshalb annullierte Weltrekorde in den verschiedensten Disziplinen und Lance Armstrong wird dabei als ein großer Held gefeiert.
Seine „Enhanced Games“ sieht er wie ein „traditionelles Silicon Valley start- up Projekt“, in das er zunächst sein eigenes Geld investierte und nun finanzstarke Investoren sucht.
Es kann wohl kaum überraschen, dass dieses Vorhaben zunächst vor allem Skepsis und vielerorts auch Ablehnung hervorruft. Man kann sich kaum vorstellen, dass eine Doping- befürwortende Sportorganisation ausreichende Unterstützung durch die Vertreter der internationalen Athleten und Athletinnen erhalten wird. Doch immerhin hat er bereits drei ehemalige Olympiateilnehmer von seinem Vorhaben überzeugen können. Der südafrikanische Goldmedaillen Schwimmer Roland Schoemann, der olympische Halbfinalteilnehmer im Schwimmen Brett Fraser von den Cayman Islands und Christina Smith, die kanadische olympische Bobsport- Athletin unterstützen das Projekt. Smith sagte bei einer Pressekonferenz, dass es für sie „ein Glücksfall sei, einer Organisation anzugehören, die nicht die Athleten ausbeutet“.
In derselben Pressekonferenz wies D´Souza daraufhin, dass er selbst weder Alkohol noch Kaffee trinkt und dass sein Körper sein Tempel sei („my body is my temple“). Die „Enhanced Games“ werden nach seiner Meinung völlig neue „Science-enhanced Heroes“ hervorbringen. Die Einnahme von Medikamenten und Drogen sollten seiner Meinung nach die individuelle Entscheidung eines jeden Menschen sein: „My Body, my Choice, your Body, your Choice. Individuals who are adults, with free and informed consent, should be able to do to their bodies what they wish“. Keine Regierung, kein paternalistischer Sportverband soll die Entscheidung für die sporttreibenden Individuen treffen, was bei deren Sporttreiben erlaubt und was verboten ist.
D´Souza ist zuversichtlich, dass er seine Ziele erreichen wird. Er ist selbst schwul und erinnert sich deshalb an die Anfänge der LGBGT- Bewegung und deren mittlerweile nachweisbaren weltweiten Erfolge. Vor 50 Jahren war diese Bewegung noch stigmatisiert, marginalisiert und illegal. Heute stellt sie eine „Revolution für die Menschheit“ dar.
Werden die wohl eloquent vorgetragenen, aber dennoch äußerst abstrusen und irrsinnigen Ideen von D´Souza in die Tat umgesetzt, so schließt das „Selbstbestimmungsrecht des Athleten“ das Recht mit ein, sich selbst zu Tode zu spritzen. Der Hochleistungssport wird eine Angelegenheit von Monstern und Zwergen, von „Hybriden zwischen Mensch und Maschine“sein. Wir haben von „sportlichen Cyborgs“ zu sprechen. Der „Sportkörper“ wird dabei das Bild sein, dass sich moderne Wissenschaft und Technologie von ihm machen: „Eine Experimentieranstalt auf zwei Beinen“, so der Schweizer Philosoph Eduard Kaeser. Die Grenze zwischen „Eigenleistung“ und „Fremdleistung“ wird dabei aufgehoben. 

Will man dieses höchst fragwürdige Doppel-Ereignis – die Ankündigung der BRICS- Games und der Enhanced Games – richtig einordnen, so kann einem die griechische Mythologie eine wichtige metaphorische Hilfe sein. 

In Homers Odyssee wird eine Meeresenge beschrieben, in der „Skylla und Charybdis“ das Sagen haben. Die beiden Meeresungeheuer beherrschen die Straße von Messina. Skylla beherrschte die linke Seite der Meeresenge und hatte sechs Köpfe und fraß jeden, der ihr in die Nähe kam. Charybdis dominierte die rechte Seite der Enge und saugte dreimal am Tag das Meer aus, um es dann wieder brüllend auszustoßen. Jedes Schiff, das in ihren Sog geriet, war verloren. Selbst der Meeresgott Poseidon konnte die Schiffe nicht retten. Folgt man der griechischen Mythologie, so ist Charybdis die Tochter des Poseidons und der Gaia. Gaia war jedoch ein gefräßiges Weib, die die Rinder des Herakles geraubt hatte und deshalb von einem Blitz, dem Bannstrahl von Zeus, in das Meer verbannt wurde, ihre Gefräßigkeit jedoch beibehielt.
Betrachtet man „Skylla“ und „Charibdys“ als Metaphern und erinnert man sich noch an ein weiteres griechisches Wort, an das Wort „Dilemma“. So haben wir eine Begrifflichkeit, mit der die Dramatik der aktuellen Situation des Weltsports äußerst genau beschrieben werden kann. Auf der einen Seite stehen die BRICS Games, die von Charybdis „Putin“ beherrscht werden, auf der anderen Seite stehen die „Enhanced Games“, in denen Skyla „D`Souza“ das Sagen hat. Das Dilemma für jene, die bereit sind wirklich und ernsthaft Verantwortung im Sport zu tragen und zu übernehmen, ist darin zu sehen, dass hier eine Wahl zwischen zwei Übeln bevorsteht, bei der es nicht möglich ist, ohne Schaden aus diesem Dilemma heraus zu kommen. Es handelt sich um zwei Möglichkeiten, bei denen gleichermaßen keine wünschenswerten Resultate erzielt werden können. Die dadurch hervorgerufene Ausweglosigkeit wird in der griechischen Mythologie als „paradox“ empfunden.
IOC Präsident Bach hat dieses Dilemma erkannt und in aller Entschiedenheit sich gegen die Realisierung der „BRICS Games“ ausgesprochen. Er hat dabei die durchaus bestehende Gefahr erwähnt, dass es damit zukünftig „Block- Spiele“ geben könnte, bei denen die Staaten jeweils nur eines politischen Blocks teilnehmen. Es sind deutliche Anzeichen zu beobachten, dass eine starre politische Blockbildung wie zur Zeit des Eisernen Vorhangs zwischen West und Ost wieder möglich erscheint. Solche „politischen Block-Spiele“ könnten das Ende der Olympischen Spiele bedeuten. Doch wenn wir die hier zitierte griechische Mythologie auch auf das IOC anwenden, so ist IOC Präsident Bach in der Rolle von Meeresgott Poseidon, der – wie dieser – in dieser Angelegenheit eigentlich machtlos ist. Solange es Politiker, Staaten, Sportverbände, Kampfrichter, Technische Delegierte, Trainer und Athleten und Athletinnen gibt, die bereit sind, bei derartigen menschenverachtenden Sportveranstaltungen teilzunehmen, wird es vermutlich noch weitere internationale Sport Events geben, die der Propaganda von totalitären Ideologien dienen oder über politische Interessen begründet werden, die den Werten und der ethischen Fundierung des modernen Olympismus, wie er von Pierre de Coubertin begründet wurde, in jeder Hinsicht entgegenstehen. 

Erschwerend kommt hinzu, dass es neben den Verstaatlichungstendenzen des Weltsports und der aktuell zunehmenden Einmischung von Staaten in die Belange des autonomen Sports, auch noch kaum übersehbare Tendenzen zur Privatisierung desselben gibt. Die Zahl der Unternehmen, die Welt- Sport- Events als ein eigenes Geschäftsmodell entdeckt haben, nimmt kontinuierlich zu und die dabei zu beobachtende Kommerzialisierung des Weltsports wird dadurch noch mehr beschleunigt als sie ohnehin in einer Weise stattfindet, die sich durch viel zu viele Auswüchse auszeichnet. 

Bach und jenen Mitgliedern im IOC, die seine Auffassung über die absehbaren Gefahren teilen, bleibt in dieser Situation nur eines übrig: jedes NOK und jeder olympische Fachverband, die mit ihren Athletinnen und Athleten an derartigen sportlichen Wettkämpfen teilnehmen, muss von den bevorstehenden Spielen in Paris und von allen weiteren Spielen ausgeschlossen werden und das IOC muss seinen Mitgliedsverbänden mitteilen, dass sie dasselbe von den internationalen Fachverbänden und den Nationalen Olympischen Komitees erwarten und dass diese dafür Sorge tragen, dass ihre Athletinnen und Athleten an derartigen Sportevents nicht teilnehmen.
Gleichzeitig muss sich das IOC sehr viel entschiedener seiner Werte versichern und auf seine Regeln besinnen, wie sie in der Olympischen Charta vorgeschrieben werden. Wird weiter immer wieder – ob aus Nachlässigkeit, Nachgiebigkeit, aus kommerziellen Interessen oder aus Interessen einzelner Mitglieder des IOC – gegen die eigenen vereinbarten Regeln verstoßen, wie dies in der Vergangenheit viel zu häufig der Fall war, so bleibt das IOC unglaubwürdig und gefährdet dadurch vor allem den eigenen Einfluss und die eigene Macht in Bezug auf die Gestaltung des Weltsports.
IOC- Präsident Bach und den Mitgliedern der IOC- Exekutive kann in diesen Tagen mit Nachdruck empfohlen werden, die von Pierre de Coubertin am 13. September 1930 in Genf bei der Sitzung des damaligen „Völkerbunds“ vorgetragene „Sportreform“ noch einmal zu lesen. In kluger Voraussicht machte er damals Vorschläge, von denen einige auch in der heutigen Zeit dringend zu beachten sind. 

Letzte Bearbeitung: 20.9.2023