Braucht Deutschland ein Sportfördergesetz?

Am 1. März war es endlich soweit: Das Bundesministerium des Innern und für Heimat veröffentlichte einen Referentenentwurf für ein „Sportfördergesetz“(1), das möglichst noch in diesem Jahr in Kraft treten soll. Folgt man den Veröffentlichungen des DOSB, so liegen diesem Entwurf eine Vorbereitungszeit von zwei Jahren zu Grunde.
Aus einer sporthistorischen Perspektive betrachtet ist dieser Entwurf etwas Einmaliges, denn es handelt sich dabei um die Grundlage für das erste Sportfördergesetz der Bundesrepublik Deutschland, nachdem man den Hochleistungssport in Deutschland über mehr als 70 Jahre lediglich auf der Grundlage des Grundgesetzes durch den jeweiligen Bundesminister des Innern gefördert hat, ohne dass dieser Förderung ein Spezialgesetz zu Grunde gelegen hat.

Die Reaktionen auf diesen Gesetzesentwurf müssen überraschen. Der DOSB sieht in dem Entwurf eine Infragestellung der bisherigen vertrauensvollen Zusammenarbeit und reagierte bereits einen Tag nach der Veröffentlichung mit ablehnenden Wortmeldungen und scharfen Presseerklärungen. Mit „FAQS zum Entwurf für ein Sportfördergesetz“(2) bemüht er sich, seine Mitglieder über das fragwürdige Gesetz aufzuklären.
Ammon, der Sprecher der Landessportbünde und Präsident des Bayerischen Landessportbundes, sieht in dem Gesetz „das Heizungsgesetz für den Sport“ und meldet sich mit folgender Äußerung auf Instagram zu Wort: „Nichts wird besser – alles nur bürokratischer – von Unabhängigkeit keine Spur“. Das Gesetz führt seiner Meinung nach direkt in den „bürokratischen Staatssport“. „Daher sagen wir Nein zu diesem Entwurf“.

Die CDU meldete sich mit ihrem sportpolitischen Sprecher Mayer zu Wort und hält mit ihrer Total- Kritik nicht hinter dem Berg: „Wie die Agentur bei einer solch unklaren Beschreibung ihrer Aufgaben erfolgreich tätig sein soll, bleibt rätselhaft“. Für Jens Lehmann „soll der Spitzensport zum Bürokratiemonster werden statt wie angekündigt Bürokratie abbauen“, wobei das CDU- Mitglied im Sportausschuss des Deutschen Bundestages konstatiert, dass er den Entwurf noch nicht gelesen habe. Bei Mayers Stellungnahme ist dies offensichtlich der Fall. Doch er kritisiert genau das Gegenteil von dem was durch den DOSB infrage gestellt wird: Der Zuständigkeitsbereich der geplanten Sportagentur sei nicht klar geregelt und der Bund erhalte zu wenig Einfluss. Er sei laut Grundgesetz für die Spitzensport- Förderung zuständig; dem Entwurf zufolge würde sein Einfluss aber auf die Beteiligung in einem Fachbeirat reduziert. Er hoffe, dass die groben Schnitzer im Entwurf nun in der Ressort- Abstimmung unter den Ministerien beseitigt würden, so Meyer im Interview mit dem Deutschlandfunk.

Nimmt man sich die Zeit, den Entwurf des Gesetzes mit seiner Begründung vollständig zu lesen und die einzelnen Paragraphen etwas genauer zu analysieren und zu überprüfen, so muss man zunächst feststellen, dass die vorschnellen Wortmeldungen des DOSB und seiner Landessportbünde ebenso wie jene aus Kreisen  der CDU zu diesem Gesetzesentwurf weder einer notwendigen Aufklärung dienen, noch dass sie als ein konstruktiver Beitrag zur Lösung  der allseits beklagten Probleme innerhalb der deutschen Leistungssportförderung beitragen. Gleiches gilt für die vielen vorschnellen Kommentare und Berichte in den deutschen Medien, die allerdings vermutlich zu Recht den 2016 gestarteten Versuch einer Reform des Fördersystems des deutschen Spitzensports als „grandios gescheitert“ bezeichnen.

Der DOSB weist in seiner Stellungnahme daraufhin, dass angesichts der Tatsache, dass alle vergangenen Reformvorhaben bislang nicht erfolgreich gewesen sind, er grundsätzlich ein Sportfördergesetz befürwortet, weil dadurch seiner Meinung nach Planungssicherheit entsteht, Bürokratie abgebaut werden kann und die Leistungsfähigkeit der Spitzensportförderung dadurch gesteigert wird.
Die Frage warum alle bisherigen Reformvorhaben gescheitert sind, wurde jedoch vom DOSB nach meiner Kenntnis bis heute noch immer nicht beantwortet, beziehungsweise liegen bis heute keine entsprechenden nachlesbaren Evaluationsberichte vor.
Der DOSB behauptet vielmehr, dass viele Dinge, die in den gemeinsamen Arbeitsgruppen von Sport und Politik besprochen wurden, in dem Referentenentwurf nicht berücksichtigt oder sogar ignoriert und übergangen wurden. Den DOSB muss man dabei allerdings darauf hinweisen, dass Dinge, wenn sie besprochen werden, noch lange nicht abgesprochen sind und in den vorbereitenden Arbeitsgruppen vermutlich auch nicht entschieden werden dürfen. Für die Mitglieder des DOSB und für eine interessierte Öffentlichkeit wäre es dennoch wichtig, dass der DOSB jene Sachverhalte offenlegt, über die angeblich ein Konsens erzielt wurde und die nun jedoch im Gesetz nicht mehr auftauchen.

Die sachlichen Einwände des DOSB beziehen sich fast ausschließlich auf eine „Sportagentur“, die als Innovation in dem neuen Gesetz festgelegt werden soll. Liest man hierzu die Ausführungen im Gesetzesentwurf, so wird einmal mehr deutlich, dass eigentlich weder von einem „Sportfördergesetz“ gesprochen werden darf noch von einer „Sportagentur“. Es geht vielmehr allenfalls um ein „Fördergesetz für den Spitzensport“ und um eine unabhängige „Spitzensport- Agentur“. Diese wichtige – nicht nur semantische Differenz – wird weder vom BMI noch vom DOSB beachtet, was angesichts der föderalen Arbeitsteilung zwischen dem Bund und den Ländern in Bezug auf die Sportförderung in Deutschland verwundern muss. Bei der DOSB- Forderung nach einer „unabhängigen Sportagentur“ stellt sich die Frage, was mit dem Wort „unabhängig“ gemeint sein kann. Wer soll von wem unabhängig sein? Welche Abhängigkeit hat bislang bestanden? Warum war diese Abhängigkeit falsch ist? Ist eine „unabhängige Agentur“, die zunächst ausschließlich aus Bundesmitteln zu finanzieren ist, als eine echte unabhängige Institution überhaupt denkbar und juristisch möglich?
Dem DOSB gefällt es nicht, dass in dem Entwurf die Sportagentur in eine Stiftung eingebunden ist, in deren Stiftungsstruktur das BMI den Vorsitz im Stiftungsrat haben soll und über ein Vetorecht verfügt. Eine alternative Stiftungsstruktur wird jedoch vom DOSB nicht vorgeschlagen, wie man sich überhaupt einen eigenen Gesetzesentwurf des DOSB wünschen würde, wenn transparent über eine Verbesserung des vorgelegten Entwurfs zu Gunsten eines tragfähigen neuen Sportfördergesetzes verhandelt werden soll. Immerhin hätten die Verantwortlichen im DOSB bereits acht Jahre Zeit dafür gehabt.
In Bezug auf die Ziele des Sportfördergesetzes wird der DOSB in seiner Kritik sehr konkret, indem drei Ziele vorgegeben werden. Bei den Olympischen Sommerspielen soll die Bundesrepublik zukünftig einen Platz unter den „Top fünf“ erreichen, bei den Olympischen Winterspielen wird „Top drei“ angestrebt und bei World Games und nichtolympischen Sportarten wird ebenfalls ein dritter Ranglistenplatz als Ziel vorgegeben. Zum Glück lassen sich solch imperialen und unrealistischen Ziele im Referentenentwurf der Regierung nicht finden. Dort wird nur sehr allgemein von einer Steigerung der Medaillengewinne und Finalplatzierungen bei Olympischen Spielen, Paralympischen Spielen, World Games, Special Olympics und Weltmeisterschaften gesprochen. Vielleicht sollten die Leistungsexperten im DOSB zur Kenntnis nehmen, dass es in der Welt allein 18 Staaten gibt, die über eine größere Bevölkerungszahl verfügen als die Bundesrepublik Deutschland und die ebenfalls sehr anspruchsvolle Ziele bei Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften verfolgen.

Dafür mangelt es aber im BMI- Gesetzesentwurf an einer nachvollziehbaren Problemanalyse und einer daraus abgeleiteten Zieldefinition. Vielmehr werden in schwer verständlichen Sätzen Absichten und Forderungen artikuliert, die dringend einer Aufklärung bedürfen: „Ziel dieses Gesetzes ist es daher, in einem gesamtteiligen Ansatz den Spitzensport unter Wahrung seiner grundlegenden Werte erfolgreicher zu machen. Zu diesem Zweck soll die Förderung potenzial- und erfolgsorientiert ausgerichtet und die Strukturen so gestaltet werden, dass Spitzenathletinnen und Spitzenathleten bestmögliche Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche Karriere zur Verfügung stehen“. Was versteht man unter einem gesamtteiligen Ansatz? Was bedeutet eine potenzialorientierte Förderung, was eine erfolgsorientierte Förderung? War die bisherige Förderung nicht am Erfolg orientiert, war sie nicht am Potenzial der Fachverbände orientiert, war sie nicht gesamtteilig?
In § 1 wird die „Gesellschaftliche Bedeutung des Spitzensports“- wie es in politische Reden üblich ist – mit blumigen Worten herausgestellt und die Vorbildfunktion der Athletinnen und Athleten als Begründung für das Sportfördergesetz strapaziert: „Spitzenathletinnen und Spitzenathleten motivieren Menschen aller Altersklassen und Herkunft sowie mit und ohne Einschränkungen(3), ihnen nachzueifern und sich ehrenamtlich zu engagieren. Sie tragen dazu bei, dass der Sport seine soziale und integrative Kraft entfalten kann sowohl in Vereinen als auch außerhalb des organisierten Vereinssports“. Hierzu sei lediglich angemerkt, dass den meisten Menschen nicht zu empfehlen ist, die Spitzenleistungen der Athletinnen und Athleten, die durch dieses Gesetz gefördert werden sollen, nachzuahmen und als Vorbild zu betrachten.
Als weitere Ziele werden die Stärkung der Athletenrechte und eine stärkere Berücksichtigung der Athletenbedürfnisse genannt und vor allem soll auch ein effizienter Einsatz der Bundesmittel ermöglicht werden. Ansonsten werden noch die üblichen Förderbereiche wie sportwissenschaftliche Förderung, Förderung der Stützpunkte, der Baumaßnahmen im Spitzensport, die Förderung von Großveranstaltungen und internationalen Sportbeziehungen in gleicher Weise erwähnt wie dies auch in früheren Sportberichten aller Bundesregierungen der Fall war.
Bemerkenswert ist auch der Hinweis, dass der zu gründenden Sportagentur die Einwerbung von finanziellen Mitteln ermöglicht wird, um die Ökonomisierung des Hochleistungssports für die Förderung der Athletinnen und Athleten nutzbar zu machen.

Für ein Sportfördergesetz eines Staates wie der Bundesrepublik Deutschland mögen solche oberflächlichen und teilweise auch kaum verständliche Zielformulierungen normal und üblich sein und auch die Einschätzung der gesellschaftlichen Bedeutung des Spitzensports in (§ 1) mag für einen Gesetzestext angemessen und in dieser Form auch notwendig sein. Den Gesetzgebungsexperten im deutschen Bundestag sei hier das letzte bewertende Urteil überlassen.

Ganz anders verhält es sich jedoch mit der Frage, ob ein derartiges Gesetz überhaupt notwendig ist, was bei der Verabschiedung eines derartigen Gesetzes durch den Deutschen Bundestag für die Entwicklung des deutschen Hochleistungssports gewonnen würde und was der Fall wäre, wenn alles beim Alten bliebe?
Die bislang vorgetragene Kritik an dem Referentenentwurf eines Sportfördergesetzes verfehlt in jeder Hinsicht eine dringend notwendige und grundsätzliche Diskussion über die wirklich relevanten Probleme des deutschen Hochleistungssports. Der Bürokratievorwurf wie er bislang von Vertretern des Sports vorgetragen wurde, ist so albern und unpräzise wie die nahezu täglich stattfindende Diskussion über die angeblich so ausufernde Bürokratie in Deutschland. Dabei scheint vielen in unserer Gesellschaft nicht klar zu sein, warum eine Bürokratie unverzichtbar ist, warum sie eine geradezu ideale Basis für ein demokratisches Staatswesen bedeutet und warum wir von vielen Entwicklungsländern gerade deshalb beneidet werden, weil wir uns auf einen verlässlichen bürokratischen Staat verlassen können. Wer den Bürokratievorwurf erhebt, der muss die Vorschriften oder gar die Gesetze benennen, die dem angeblich unnötigen bürokratischen Sachverhalt zu Grunde liegen und die man geändert haben möchte. Bürokratische Regelungen sind die Folge von parlamentarischen Entscheidungen über Gesetze, Verordnungen und Ausführungsbestimmungen. Gesetze und Verordnungen lassen sich ebenso ändern wie deren Ausführungsbestimmungen. Will man das, so müssen Ross und Reiter genannt werden. Ein allgemeiner pauschaler Bürokratievorwurf führt uns hier nicht weiter. Meist verstecken sich dahinter nur egoistische Eigeninteressen so wie jüngst bei den Traktor- Demonstration der Bauern.
Was die Planungssicherheit betrifft, so muss der DOSB akzeptieren, dass diese angesichts der begrenzten zeitlichen Zuständigkeiten der jeweils für vier Jahre gewählten Bundesregierung immer nur eine „zeitlich begrenzte Planungssicherheit“ sein kann und Haushaltszusagen von der einen Regierung nicht notwendigerweise von der folgenden Regierung einzuhalten sind. Vielleicht muss der DOSB auch begreifen, dass die Bereitstellung einer Fördersumme von 300.000.000 € pro Jahr zu Gunsten der Bewirtschaftung des Hochleistungssports in Deutschland nicht ohne eine Kontrollinstanz stattfinden kann, die der Steuerzahler mit seiner Stimmabgabe bei Wahlen mit dieser Aufgabe betraut hat.
Eine Kritik an der Zusammensetzung der Organe der Stiftung, an der Größe des Stiftungsrats, des Vorstands und des Sportfachbeirats kann durchaus angemessen sein. Warum zwei, warum nicht einer oder warum nicht drei Vorstände die Sportagentur leiten, kann berechtigt gefragt werden. Auch der Vorstand des Stiftungsrates kann in seiner personellen und quantitativen Zusammensetzung zur Disposition gestellt werden. Bei all dieser Diskussion ist jedoch zu berücksichtigen, dass auch eine angeblich unabhängige Sportagentur, die in eine Stiftung eingebettet ist, dann der Kontrolle des Bundesverwaltungsamtes unterliegt, wenn ihr Bundesmittel zweckgebunden zufließen. Die Effektivität des Mitteleinsatzes kann darüber hinaus –  wie bisher –  auch durch den Bundesrechnungshof bewertet werden. Deshalb kann nur empfohlen werden, dass der Begriff der Unabhängigkeit in der weiteren Diskussion nicht allzu sehr strapaziert werden sollte.

Als jemand, der die Entwicklung des deutschen Hochleistungssports nach dem Zweiten Weltkrieg und nach der Gründung des Deutschen Sportbunds im Jahr 1950 mehr als 60 Jahre mitverfolgt hat, dem stellt sich allerdings auch die Frage, was mit der Einrichtung einer „Sportagentur“ tatsächlich gewonnen wird. Das System des deutschen Hochleistungssports benötigt ohne Zweifel eine Instanz zur zentralen Steuerung seiner Belange. Ob man diese „Agentur“, „Büro“, „Headquarter“ oder etwas altmodisch „BAL“(4) benennt, scheint mir ein äußerst irrelevantes Problem zu sein. Relevant ist vielmehr, dass man sich über die Befugnisse dieser Zentrale, über deren Arbeitsweise und über deren Personal verständigt und sich auf eine von allen beteiligten Stakeholdern akzeptierte Satzung einigt. Besonders wichtig ist dabei, dass diese Zentrale auf Basis einer garantierten Finanzzuwendung in ausreichender Höhe für mindestens vier Jahre ihre Arbeit erledigen kann. Dabei wäre es vielleicht auch hilfreich, dass man sich an die Jahrzehnte erinnert, in denen der deutsche Hochleistungssport von einer vom Staat relativ unabhängigen Abteilung „Hochleistungssport“ innerhalb der Verwaltung des DSB relativ erfolgreich gesteuert wurde. In diesem Zusammenhang müsste man sich vielleicht auch fragen, warum dies in den vergangenen 20 Jahren und nach Eingliederung des NOKs in den damaligen DSB nicht mehr der Fall war und welche strukturellen und personalpolitischen Fehler hierfür vermutlich verantwortlich sein könnten.
Ob für die dringend notwendige Reform ein Sportfördergesetz benötigt wird, mag bezweifelt werden. Wenn das geplante Gesetz nach einer Überarbeitung verabschiedet wird, wird es vermutlich aber auch kein Hindernis sein, um die dringend anstehenden Reformmaßnahmen in der Zentrale des deutschen Sports auf dem Weg zu bringen.

Letzte Bearbeitung: 6.März 2024