Bewerbungen um Olympische Spiele in Deutschland – eine beispiellose Selbstzerstörung

Alle hätten es wissen können. Doch keiner hat es ganz offensichtlich gewusst. Was ist geschehen?
Mit der Wahl des neuen IOC-Präsidenten Dr. Bach im Jahr 2013 wurde vom IOC ein umfassender Reformprozess auf den Weg gebracht. Dabei ging es vor allem darum, dass die Ausrichtung zukünftiger Olympischer Spiele keine „weißen Elefanten“ zurücklassen soll, dass die Bewerbungsverfahren für zukünftige Spielen vereinfacht, flexibler und kostengünstiger werden, und dass vor einer Entscheidung der IOC- Session über den Gastgeber der nächsten Olympischen Spiele ein kostengünstiger kontinuierlicher Dialog stattfindet, in den alle interessierten Bewerber einbezogen werden. Dieser ist für beide Seiten unverbindlich. Die Kommunikation über die Teilnahme am kontinuierlichen Dialog ob liegt allein den Interessenten. Das IOC selbst äußert sich öffentlich nicht über diesen Dialog, um den über viele Jahre kritisierten öffentlichen Wettbewerb zu vermeiden.

Das entscheidende Dokument die „Olympic Agenda 2020“ wurde 2014 von allen Mitgliedern des IOC einstimmig verabschiedet und alle Stakeholder, also auch der Deutschen Olympischen Sportbund, sind darüber umfangreich informiert worden. Im Rahmen dieser Agenda wurde 2018 als weiterer Schritt, die sogenannte „New Norm“ beschlossen. Mit ihr wurden zukünftigen Gastgebern von Olympischen Spielen völlig neue Möglichkeiten an die Hand gegeben, um kostengünstige und nachhaltige Spiele durchzuführen. Gleichzeitig wurde den Bewerbern ein Betreuungs- und Unterstützungsverfahren mit einer „Future Host Commission“ angeboten, in dem zwei Dialogverfahren vorgesehen sind. Allen interessierten Bewerbern für die Ausrichtung zukünftiger Spiele wird ein sog. „kontinuierlicher Dialog“ angeboten. Dieser Dialog wird zu einem nicht näher definierten Zeitpunkt in einen „zielgerichteten Dialog“ überführt, bei dem zunächst nur noch ein oder einige wenige „bevorzugte Gastgeber“/preferred host) Dialogpartner sein sollen. Die Zahl der „bevorzugten Gastgeber“ wurde vom IOC offengelassen. In dieser Phase wird es für Bewerber verbindlich, Garantien sind einzureichen und Verträge sind zu besprechen. Nach diesem „zielgerichteten Dialog“ wird von der Kommission der Exekutive des IOC vorgeschlagen, den gefundenen und geprüften Partner der IOC-Session zur Abstimmung vorzulegen oder den gezielten Dialog zu beenden und mit neuen Partnern aus dem kontinuierlichen Dialog in vergleichbare zielgerichtete Gespräche einzutreten.

Die „Future Host Commission“ setzt sich aus zehn Mitglieder zusammen. Ihr gehören IOC- Mitglieder, Mitglieder der Nationalen Olympischen Komitees, Repräsentanten der Internationalen Fachverbände und Vertreter der Athletenkommission an. Aber auch unabhängige Experten können Mitglied dieses Gremiums sein. Die „Future Host Summer Commission“ wird derzeit von der Norwegerin Kristin Kloster Aasen geleitet. Der Kommission gehören u.a.  Richard Pound (Canada), Francesco Ricci Bitti (Italien), Paul Tergat (Kenya) und Sara Walker aus Neuseeland an. Für die Arbeit der Kommission liegt eine detaillierte Aufgabenbeschreibung vor und sie wird bei ihrer Arbeit vom „IOC´s Chief Ethics and Compliance Officer“ begleitet, so dass die strengen Ethik-Regeln, die sog.  „Rules of Conduct“ bei der Arbeit dieser Kommission beachtet und überwacht werden.

Das Verfahren, mit dem das IOC seine Entscheidung über einen zukünftigen Gastgeber von Olympischen Spielen zu einem bestimmten Austragungsjahr vorbereitet ist ohne Zweifel äußerst komplex, ist aber vergleichbar mit bekannten Ausschreibungsverfahren in der Wirtschaft. Es ist jedoch in jeder Hinsicht transparent und die jeweils zu treffenden Entscheidungen unterliegen nachvollziehbaren demokratischen Regeln. Sämtliche Dokumente dieses Verfahrens sind für alle Interessenten einsehbar. Die entsprechenden PDF- Dateien können auf der Homepage des IOC gefunden werden.

Was ist nun passiert?

Am 24. Februar 2021 entschied das Executive Board des IOC, einer Empfehlung der „Future Host Commission for the Games of the Olympiad“ zu folgen und in einen zielorientierten Dialog für die Spiele der XXXI. Olympiade im Jahr 2032 mit der Stadt Brisbane und dem Australischen Olympischen Komitee einzutreten. Die Gründe für die Empfehlung der Kommission wurden dabei vor der Entscheidung offengelegt. Das sogenannte „IOC Feasibility Assessment for Brisbane 2032“ kann öffentlich eingesehen werden.

Genau wie es das neue Verfahren vorgesehen hat verbleiben mit dieser Entscheidung alle übrigen Interessenten für die Spiele im Jahr 2032 zunächst im kontinuierlichen Dialog, können zugleich aber nicht mehr aus eigener Kraft gewinnen.  Sie könne nur dann eine Chance bekommen, wenn der zielorientierte Dialog mit Brisbane scheitert, was allerdings nicht zu erwarten ist.

Es liegt in der Natur des Verfahrens, das von allen im Sinne einer dringend notwendigen Reform gewollt und teilweise auch mitbeschlossen wurde, dass bei diesem Verfahren all jene Bewerber enttäuscht sind, die nicht für einen zielgerichteten Dialog ausgewählt wurden. Dazu gehört neben Korea, Ungarn und Indonesien auch das durchaus beachtenswerte Bewerbungsinteresse mehrerer Städte Nordrhein-Westfalens. Dank eines außergewöhnlichen Engagements von Michael Mronz und seiner Agentur war in den letzten Jahren ein durchaus gekonntes Konzept für die Durchführung zukünftiger Olympischer Spiele in Deutschland erarbeitet worden.

Nach der Entscheidung des IOC zugunsten von Brisbane reagierte Mronz als Initiator der Rhein- Ruhr -Initiative in gewohnt professioneller Weise: „Wir nehmen den überraschenden Schritt des IOC zur Kenntnis, kurzfristig mit den offiziellen Verhandlungen mit einem von mehreren potentiellen Bewerbern für die Vergabe der Spiele 2032 zu beginnen… Wie das IOC bekannt gegeben hat ist die Entscheidung auch auf die starke Unterstützung von Brisbane durch das australische Nationale Olympische Komitee zurückzuführen, die im Falle Deutschlands leider nicht gegeben gewesen sei“.

Die weiteren Reaktionen aus Deutschland in Bezug auf die Entscheidung des IOC sind weit weniger sachlich und werfen die Frage auf, ob die derzeit Verantwortlichen des deutschen Sports über eine ausreichende Kompetenz und über ein notwendiges Verantwortungsbewusstsein verfügen, um sich im Namen Deutschlands für zukünftige Olympische Spiele bewerben zu können.

Der Ministerpräsident Nordrhein-Westfalens wird mit der Aussage zitiert, dass die Entscheidung des IOC „nicht die Transparenz aufweist, die das IOC nach eigener Selbstbekundung wünscht“. Laschets Kritik zielt aber auch auf den DOSB, der sich überlegen müsse ob man, statt selbst zuzugreifen, „lieber auf die dritte, vierte und fünfte australische Stadt oder die dritte und vierte aus Frankreich wartet“. Nach Meinung von Laschet hat „der DOSB kein Gespür dafür was sich im IOC tut.“

Es meldete sich auch die Vorsitzende des Sportausschusses des Deutschen Bundestages, Frau Freitag zu Wort. Ohne einen Beleg für ihre Aussage zu erbringen, meint sie: „Das Auswahlsystem von IOC-Präsident Thomas Bach als „kostengünstiger und unpolitischer, zudem jegliche unzulässige Einflussnahme verhindernd“ gepriesen, ist aus meiner Sicht an Intransparenz kaum noch zu überbieten. Damit werden die anderen Interessenten nun zu Statisten, darunter die Region Rhein- Ruhr, die lange darauf vertraut hat, dass das in der IOC- Agenda 2020 beschriebene Primat der Nachhaltigkeit tatsächlich eine Rolle für die Entscheidung spielen würde“.

Auch der Vorsitzende des Vereins „Athleten Deutschland“ äußerte sich zu den Vorgängen: „Was war nun elf Jahre zuvor ausschlaggebend für die Präferenz für Brisbane? … Wenn der Prozess nicht nachvollziehbar ist, entsteht Misstrauen und der Verdacht auf willkürliche Entscheidungen“.

Reaktionen des DOSB ließen ebenso nicht lange auf sich warten und wurden sehr schnell zum Zentrum eines „Schwarze Peter Spiels“. DOSB Präsident Hörmann zeigte zunächst Verständnis für die Entscheidung des IOC, wies aber gleichzeitig alle Aussagen zurück, in denen dem DOSB Versäumnisse vorgeworfen wurden. Er bezichtigte vielmehr in einer späteren Stellungnahme das IOC der Lüge und dem Geschäftsführer der Rhein-Ruhr-Initiative warf er Kommunikationsfehler vor.

Das massenmediale Rauschen auf diese Bewerbungsniederlage war entsprechend: „Ahnungslos an Rhein und Ruhr“, „Die Möchtegern- Gastgeber“, „Rhein und Ruhr ausgebremst“, „Abfuhr aus Lausanne“, „Aus der Traum von Olympia in Rhein- Ruhr“, „Attacken aus Frankfurt“, „Die anderen sind schuld“ und Olympia 2032: DOSB erhebt schwere Vorwürfe gegen IOC“ waren u.a. die Schlagzeilen in der deutschen Presse.

Der Zeitpunkt der Entscheidung des IOC hat nicht nur die Verantwortlichen der Rhein- Ruhr- Initiative und den DOSB überrascht. Auch andere Interessenten für die Spiele im Jahr 2032 waren mit dieser überraschenden Entscheidung nicht zufrieden. Das IOC musste auch gegenüber dem DOSB einen Fehler eingestehen, der sich auf den zeitlichen Ablauf bezogen hat. Ein Treffen, dass im Januar stattfand wurde fälschlicherweise mit dem Monat Februar datiert. Als Fehler muss auch bezeichnet werden, dass das IOC die Zeiträume für das Anhörungsverfahren und für die Dialoge nicht genauer bei seinen Entscheidungen definiert hat. Dies sollte dringend nachgeholt werden.

Die Enttäuschung in Nordrhein-Westfalen und beim DOSB kann man somit durchaus verstehen. Doch ebenso muss darauf hingewiesen werden, dass diese Versäumnisse auch Versäumnisse der Bewerber selbst sind. Der DOSB hat selbst in seiner Kommunikation darauf hingewiesen, dass eine Entscheidung des IOC schon im Jahr 2022 fallen könnte. Damit hätte man auf eine noch frühere vor Entscheidung vorbereitet sein müssen. Längst hätte man auch erwarten müssen, dass der DOSB als möglicher offizieller Bewerber die Frage nach den Zeitpunkten der jeweiligen Entscheidungen gegenüber dem IOC stellt, wenn sie im „Contractual Framework for Hosting the Olympic and Paralympic Games“ und in den „Terms of Reference“ der „Future Host Commissions“ nicht ausgewiesen sind.

Bei all diesen Diskussionen muss man jedoch vor allem beachten, dass das Rhein-Ruhr Projekt bis heute noch nicht den Status eines offiziellen Interessenten für die Spiele 2032 im Sinne des IOC erreicht hat. Nur der DOSB als das Nationale Olympische Komitee für Deutschland kann gegenüber dem IOC sein Interesse an der Durchführung von Olympischen Spielen bekunden. Hierzu bedarf es eines Beschlusses der Mitgliederversammlung des DOSB, den es bis heute noch nicht gegeben hat. Ob die Ursache dabei darin zu sehen ist, dass der DOSB vor seiner eigenen Entscheidung eine positive Volksabstimmung zugunsten der Spiele zur Voraussetzung macht oder ob er auf eine neue politische Führung der Bundesregierung nach den nächsten Bundestagswahlen wartet (was sich eigentlich für autonome und parteiunabhängige Nationale Sportverbände und vor allem auch für den DOSB verbietet), sei dahingestellt. Sicher ist hingegen, dass es bis heute keine erkennbare Begeisterung zugunsten der deutschen Sportorganisationen und des DOSB gegeben hat, auf deren Grundlage eine erfolgreiche Kampagne für zukünftige Olympische Sommerspiele in Deutschland entstehen könnte.

Eine Suche nach den Gründen des Scheiterns ist notwendig

Für das Desaster, das man seit dem Beginn der Amtszeit des ehemaligen NOK-Präsidenten Tröger im Jahr 1992 bis heute bei dem Versuch der Bewerbung um zukünftige Olympische Spiele in Deutschland erlebt hat und derzeit erneut erleben muss, gibt es viele Gründe und es gibt dabei gewiss nicht nur einen Schuldigen. Mittlerweile versuchte sich die für eine olympische Bewerbung zuständige Sportorganisation bereits siebenmal um die Durchführung Olympischer Spiele in Deutschland zu bewerben. Nach Berchtesgaden 1992, Berlin 2000, Leipzig 2012 München 2018, München 2022 und Hamburg 2024 ist nun auch die Bewerbung um die Spiele im Jahr 2032 vermutlich bereits jetzt gescheitert. Für jede gescheiterte Bewerbung wäre ganz gewiss eine sorgfältige unabhängige Analyse notwendig gewesen. Eine sorgfältige sporthistorische Aufarbeitung und Analyse der Bemühungen um eine deutsche Bewerbung ist ganz gewiss ein relevantes Forschungsprojekt für die nur noch wenigen aktiven Sporthistoriker in Deutschland.

Die größte Schuld liegt jedoch bei der Bundesregierung und der Kanzlerin Merkel, die sich während ihrer gesamten Amtszeit zu keinem Zeitpunkt für das Gelingen einer deutschen Bewerbung institutionell und persönlich eingesetzt hat. Von einer dezidierten Sportpolitik der Kanzlerin, die diesen Namen verdient, kann ganz gewiss nicht gesprochen werden. Während der Corona- Pandemie ist dies einmal mehr besonders deutlich geworden. Allenfalls benutzt sie den Profi- Fußball zur eigenen Profilierung, wenn sie sich bei erfolgreichen Spielen der deutschen Fußballnationalmannschaft als Fußballfan in der Umkleidekabine oder auf der Ehrentribüne abbilden lässt.

Ohne eine dezidierte Unterstützung der gesamten Bundesregierung, mit einer Kanzlerin oder einem Kanzler an deren Spitze, und ohne eine Mehrheitsentscheidung des Deutschen Bundestages zugunsten einer deutschen Bewerbung und einer damit einhergehenden Finanzierungszusage wird Deutschland auch zukünftig mit einer noch so guten olympischen Bewerbung nicht erfolgreich sein. Die Vorleistungen, die Australien, sein Bundesland Queensland, dessen Hauptstadt Brisbane und das Australische Olympische Komitee im bisherigen Bewerbungsverfahren erbracht haben, und die Brisbane einen „zielgerichteten Dialog“ mit dem IOC geführt hat, könnten und sollten dabei durchaus als nachahmenswertes Beispiel für eine deutsche Bewerbung um die Olympischen Spiele im Jahr 2036 dienen.

Spiele im Jahr 2036 können eine Chance sein

Für eine Ausrichtung Olympischer Spiele im Jahr 2036, 100 Jahre nach den Spielen in Berlin 1936, gibt es genügend gute Gründe. 2036 muss für Deutschland ein ganz besonderes Erinnerungsjahr werden. Die nationalsozialistischen Verbrechen an der Menschheit, der von den Nationalsozialisten ausgeübte Völkermord kann in keinem anderen Jahr besser in Erinnerung gerufen werden als im Jahr 2036. In keinem anderen Jahr hat Deutschland eine bessere Gelegenheit, an die Nationen dieser Welt eine Friedensbotschaft zu übermitteln, die mit einer wiederholten Bitte um Verzeihung einhergehen müsste. Die Ausrichtung Olympischer Spiele in diesem besonderen Jahr hätten nicht nur eine symbolische Bedeutung, sie könnten der Welt auch zeigen, dass die Ideen des modernen Olympismus und das Ereignis der Olympischen Spiele auch zukünftig eine wichtige friedenspolitische Bedeutung haben können. In Deutschland könnte dies sich an jedem Ort ereignen. Das Rhein- Ruhr- Projekt käme dabei ebenso infrage wie Berlin als Hauptstadt Deutschlands, die  mit dem Olympiastadion, dem Reichstag und der Gedächtniskirche besonders geeignete Erinnerungssymbole aufweist.

Verfasst 07.03.2021