Je anmaßender Politiker sich verhalten, desto mehr gilt ihnen unsere Aufmerksamkeit. „E-Sport ist Sport, so einfach ist das“, twitterte Staatsministerin Bär am 24.10. nach einem Treffen mit Vertretern des E-Sports im Kanzleramt. SPD-Bundestagsabgeordneter Pilger propagiert den E-Sport, in dem er dem DOSB vorwirft, er sei altbacken und rückwärtsgewandt, da er sich einer neuen Jugendkulturbewegung verschließe. Auch der CDU-Parlamentarier Steinecke glaubt ultimativ feststellen zu müssen „E-Sport ist Sport“. Selbst im Koalitionsvertrag wurde diesen anmaßenden Forderungen Platz gegeben, in dem verlangt wird, dass E-Sport vollständig als eigene Sportart mit Vereins- und Verbandsrecht anzuerkennen sei, um auf diese Weise dem E-Sport eine olympische Perspektive zu verschaffen. In diesen Tagen wurde dieser anmaßenden Haltung noch eine Krone aufgesetzt. „Wir Grüne im Bundestag fordern: E-Sport soll auch in Deutschland eine Heimat haben“. So wird der Antrag der Fraktion Bündnis 90 die Grünen an die Bundesregierung eingeleitet und die Begründung ist dabei höchst einleuchtend: „E-Sport ist modern, international und findet eine immer größere Fan- und Nutzergemeinde.“ Folgt man den Grünen, so soll E-Sport gemeinnützig und in die Abgabenordnung aufgenommen werden. E-Sport-Vereine sollen den traditionellen Sportvereinen gleichgestellt werden.
In der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland ist diese Anmaßung im Umgang mit dem autonomen Sport in jeder Hinsicht einmalig. Nie zuvor wurde die Autonomie des Sports organisiert in freiwilligen Vereinigungen, wie sie im Grundgesetz zum Ausdruck gebracht wird, vom Deutschen Parlament und dessen Parteien infrage gestellt. In gewisser Weise wird durch die Eingriffe der Parlamentarier das bewährte Prinzip der Subsidiarität zwischen Staat und Sport in grundsätzlicher Weise infrage gestellt. Dabei ist es genau dieses Prinzip, das bislang der Entwicklung des Sports in Vereinen und Verbänden in hohem Maße genutzt und zu einer flächendeckenden Sportversorgung in allen Gemeinden Deutschlands geführt hat. Kennzeichnendes Merkmal dieses Prinzips ist es, dass der Staat in die Belange des Sports nur dann eingreift, wenn dieser aus eigenen Kräften heraus gesellschaftlich relevante Probleme nicht lösen kann. Diese Situation ist jedoch nirgendwo in Deutschland zu erkennen. Vielmehr ist ganz offensichtlich, dass der DOSB mit seinen Mitgliedern und auf der Grundlage demokratisch vereinbarter Statuten sehr wohl in der Lage ist, die Belange des organisierten Sports in Deutschland zu regeln. Zur Regelung dieser Belange gehören vor allem die Regeln zur Mitgliedschaft im DOSB: Diese Regeln sollen nicht fremdbestimmt sein, sie sollen vielmehr aus der Gemeinschaft der Mitglieder hervorgehen. Die Frage welcher Sport unter dem Dach des Deutschen Olympischen Sportbundes organisiert sein soll, ist dabei ebenso über eine Mehrheitsentscheidung der Mitglieder zu klären, wie auch über die Mitgliedschaft selbst eine Mehrheit der Stimmen bei einer Mitgliederversammlung des DOSB zu entscheiden haben. Die Frage ob ein neuer Verband Mitglied im DOSB werden kann, ist somit auf einer Mitgliederversammlung in einer geheimen Abstimmung zu klären. Die Kriterien für die Neuaufnahme einer Organisation können dabei in der Satzung festgelegt sein. Dies muss jedoch nicht notwendiger Weise der Fall sein. Beim DOSB regelt dies eine Aufnahmeordnung aus dem Jahr 2006, über die zuletzt im Jahr 2014 befunden wurde. Dort sind in Paragraf 3 die sportlichen Voraussetzungen benannt, die ein Bewerber zu erfüllen hat, wenn er Mitglied im DOSB werden möchte. Die wichtigste Voraussetzung lautet dabei folgendermaßen: „Die Ausübung der Sportart muss eine eigene sportartbestimmende, motorische Aktivität eines jeden zum Ziel haben, der sie betreibt.“ E-Sport kann allein dieser Voraussetzung in jeder Hinsicht nicht entsprechen. Letztendlich entscheidet die DOSB-Mitgliederversammlung autonom über eine neue Mitgliedschaft. Mit einer Entscheidung des DOSB für und gegen die Aufnahme eines neuen Verbandes, entscheidet der DOSB keineswegs über die Frage, was in unserer Gesellschaft mit dem Begriff des Sports definiert wird.
Wenn Staatsministerin Bär behauptet: „Wer E-Sport aus der heutigen Definition des Sports ausklammert, der erfasst nicht, was auf dieser Welt gerade passiert. In einer digitalen Welt muss es auch digitale Wettkämpfe geben“, so spricht sie über ein Problem, das es ganz offensichtlich nicht gibt. Der Gebrauch des Wortes „Sport“ ist mittlerweile äußerst vielfältig geworden und wer glaubt, man könne dabei nach richtigem und falschem Sport unterscheiden, dem ist etwas wohlwollend ausgedrückt eine Nachlässigkeit im Denkvermögen zu bescheinigen. E-Sport ist Sport, auch wenn er im Sprachgebrauch von manchem DOSB-Mitglied nicht akzeptiert wird. „Hundesport“ ist ebenso Sport wie „Briefmarkensammeln“ als Sport gedeutet werden kann. Wollen die parlamentarischen Propagandisten des E-Sports in Berlin einen Verband des Sackhüpfens begründen, so steht ihnen dies frei. Selbst dessen Anerkennung als gemeinnützig sollte möglich sein.
Die Versportlichung unserer Gesellschaft hat uns eine semantische Vielfalt hervorgebracht, die eine verbindliche Definition des Begriffs „Sport“ unmöglich gemacht hat. Im Hintergrund der aktuellen Diskussion steckt die vielfach gemachte Annahme, dass es das sogenannte „Authentische des Sports“ gibt. Die Suche nach der Authentizität des Sports ist bislang jedoch erfolglos gewesen. Es wurde etwas gesucht, das es gar nicht geben kann. Es wird meist nur das gefunden, was bestimmte Institutionen als „ihren Sport“ bezeichnen. Die Annahme von der Uneigentlichkeit des Sports liegt somit nahe. Der Gebrauch des Begriffes „Sport“ hat sich in dessen Geschichte herausgeprägt. Die Regeln des Gebrauchs lassen sich jedoch ändern. Solche Veränderungen erfolgen auch dann, wenn dies bestimmten Gruppen nicht gefällt oder wenn bestimmte Organisationen sich auf einen anderen Gebrauch festgelegt haben. Der DOSB hat für seine Organisation den Gebrauch des Begriffs verbindlich festgelegt. Andere Organisationen können eigenständige Gebrauchsweisen finden.
Anmaßend und frech ist es jedoch und in jeder Hinsicht auch politisch völlig inakzeptabel, wenn sich die Parlamentarier des Bundestages als Lobby einer E-Sport-Wirtschaft sehen und vom DOSB deshalb verlangen, die E-Sport-Organisation in Deutschland als Mitglied in den DOSB aufzunehmen. Stellvertretend sei Staatsministerin Bär genannt, die Vorsitzende des Deutschen Computerspielpreises ist. Es ist der Gipfel der Heuchelei, wenn Politiker vor den Gefahren der digitalen Medien warnen und sie auf Studien verweisen, in denen die Gefahren des Smartphone-Konsums, der Spielkonsolen und der Spielesucht im weitesten Sinne beschrieben werden und gleichzeitig die Förderung der Computerspielwirtschaft zur staatlichen Aufgabe machen.
Dabei ist das Problem ganz offensichtlich und von jedermann und jeder Frau nachzuvollziehen. Die digitalen Medien haben die Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen drastisch verändert. Massiver Medienkonsum prägt den Alltag von Kindern und Jugendlichen. Die psychische Belastung hat in diesen Altersgruppen ganz wesentlich zugenommen und jeder verantwortungsvolle Erwachsene würde sich für diese Kinder und Jugendlichen einen Ausgleich wünschen, durch den die Gefahren zumindest gemindert werden. Ob Kunst, Musik oder Sport – bereits über Jahrhunderte wissen wir, welch wichtiger Ausgleich diese bedeutsamen Kulturträger in der Entwicklung von Menschen besitzen können. Wenn man dabei an Sport denkt, so denkt man dabei ganz gewiss nicht an E-Sport. Im Gegenteil: man hat jenen Sport im Blick, der durch den „Familienbegriff Sport“ des DOSB gekennzeichnet wird und der in seiner Aufnahmeordnung genauer erfasst wird. Aus der Sicht der Sportverbände kommt hinzu, dass sich der E-Sport mit seinen Wettbewerben längst zu einer gefährlichen Konkurrenz für den Kinder- und Jugendsport entwickelt hat. Anstatt im Kinderturnen oder bei der Kinderleichtathletik mitzumachen, in Jugendmannschaften des Handballs, Basketballs und Volleyballs zu trainieren, um an Wochenenden in Ligen spielen, sich mit anderen Mannschaften zu messen, nehmen immer mehr Kinder und Jugendliche nur noch am E-Sport teil und setzen dabei ihre ohnehin schon fragwürdige „Smartphone-Karriere“ hier fort.
Die aktuelle Debatte über die Ablehnung des sogenannten E-Sports des DOSB ist deshalb in vieler Hinsicht ärgerlich. Repräsentanten einer kommerzialisierten Sportwissenschaft springen aus Eigeninteressen auf den Zug des E-Sports, in der Hoffnung mit attraktiven Forschungsprojekten dabei partizipieren zu können. Geradezu peinlich ist es, wenn darauf hingewiesen wird, dass beim E-Sport Konzentrationsfähigkeit, Wahrnehmungsfähigkeit, Gedächtnis und andere Fähigkeiten und Fertigkeiten oft besser geschult werden, als dies bei traditionellen Sportarten der Fall ist. Die Geistlosigkeit der Forschung, die solchen Aussagen zugrunde liegt, ist kaum zu übertreffen. Der schmale Horizont eines sportwissenschaftlichen TV-Stars aus Köln reicht gerade zu einem Statement, das darin gipfelt, dass die Aussage gemacht wird, „Für mich ist E-Sport Sport – basta.“, „So what“ kann man nur sagen. „Für mich ist Weitpinkeln Sport und 100m Stiefelsaufen gehört auch dazu.“ Völlig unnötig sind auch die Rechtfertigungsbemühungen des DOSB, in dem er virtuelle Sportarten und die digitale Simulation von Sport vom sogenannten E-Sport unterscheidet. Dass man sich beim Lehren und Lernen von Sport digitaler Medien bedienen kann, als Hilfsmittel beim Training im Leistungssport ebenso wie im Schulsport, ist mehr oder weniger eine Selbstverständlichkeit. Der organisierte Sport ist nicht hinterwäldlerisch, er entwickelt sich und er befindet sich in einem ständigen Modernisierungsprozess.
Unter dem Dach des DOSB sind mehr als 90.000 Vereine organisiert. Jeder, der Sport in einem dieser Vereine betreibt, der weiß, warum er dies tut. Man sucht die körperliche Anstrengung, die körperliche Belastung und nicht selten geht es dabei auch um Naturerlebnisse. Man freut sich im Freien zu sein und spielt mit anderen zum Spaß mit und ohne Wettbewerb, man möchte aufsteigen und gewinnen, man freut sich auf die gesellige Runde nach einem anstrengenden Wettkampf. Kein Mitglied sucht dabei in seinem Verein die Wettbewerbswelt der E-Sport-Industrie. Dass es sie gibt ist für jedes Mitglied unzweifelhaft der Fall. Doch sie soll das bleiben, was sie ist – ein Teil der Unterhaltungsindustrie. Und wenn ich mich als Vereinsmitglied damit auseinandersetzen möchte, ist dies meine eigene Entscheidung. E-Sport zu einer Angelegenheit des Vereinssports zu machen, ist hingegen die Entscheidung der Mitgliederversammlung des DOSB. Ich hoffe, dass sie einstimmig zugunsten jenes Sports ausgeht, den wir alle in unseren Vereinen und Verbänden zu schätzen wissen.
Verfasst: 15.11.2018