Erwartungen an das Präsidentenamt

Die Welt des Sports ist eine Welt von Präsidenten und Direktoren. Unzählige Vizepräsidenten und stellvertretende Direktoren stehen im zweiten Glied. Aus Sekretären wurden Generaldirektoren und Ausschussvorsitzende versuchte man in ihrer Reputation aufzuwerten indem man sie zu Vizepräsidenten gemacht hat. Mit der gesellschaftlichen Aufwertung des Sports, wie sie in den vergangenen Jahrzehnten zu beobachten war, haben sich somit auch die Funktionäre aufgewertet. Oft hat man dabei auch die Führungsgremien personell aufgeblasen. Der dabei entstandene Ballon hat dabei meist nicht an Größe und Bedeutung gewonnen. Dies gilt vor allem auch für die Dachorganisation des Sports – für den Deutschen Olympischen Sportbund und dessen Vorgängerorganisation, den Deutschen Sportbund. Dachorganisationen sind notwendig und überflüssig zugleich. Ihre Mitgliedsorganisationen können oft wesentlich einflussreicher und bedeutsamer sein. Doch in der Logik des Delegierungsprinzips von der Basis zum Dach ist eine Dachorganisation notwendige demokratische Konsequenz. So wie IG-Metall und Verdi mit ihrem Präsidenten großen Einfluss auf die Gesellschaft haben und der DGB sich oft nur als zahnloser Tiger erweist, so stellen sich auch die Verhältnisse im Sport dar. Der Deutsche Fußball-Bund und der Deutsche Turner-Bund als größte Fachverbände haben einen sehr viel direkteren Einfluss auf die Sportentwicklung in Deutschland als der DOSB. Letzterer kann allenfalls ein legitimierter Sprecher des deutschen Sports sein.

Alle vier Jahre steht die Wahl eines neuen Präsidenten des Deutschen Olympischen Sportbundes im Zentrum des öffentlichen Interesses. Würde die öffentliche Berichterstattung über diesen Vorgang die Relevanz des Themas widerspiegeln, so könnte man meinen, dass es dabei um eine Überlebensfrage des deutschen Sports gehen könnte. Schauen wir allerdings zurück auf die jüngere Geschichte des deutschen Sports seit dem zweiten Weltkrieg bis heute, so müssen wir erkennen, dass in der deutschen Gesellschaft das Amt des Präsidenten des deutschen Sports nur eine nachgeordnete Rolle spielt. Je nach der charismatischen Qualität, die die jeweiligen Präsidenten ausgezeichnet haben, wurde das Amt des DSB- bzw. DOSB-Präsidenten in der Gesellschaft mehr oder weniger wahrgenommen. Daumes Charisma wurde dabei wohl von keinem seiner Nachfolger überboten. Allenfalls Weyer mit seiner politischen Vergangenheit und seiner dominanten Persönlichkeit konnte eigene Zeichen setzten. Ansonsten gab es viele Präsidenten, deren Amtszeit durch eine besondere Unscheinbarkeit geprägt gewesen ist. Dies gilt für Kregel gleichermaßen wie für Hansen. Von Richthofen hat in einer besonderen Art den deutschen Sport versucht zu führen. Immerhin hat er im Vereinigungsprozess und im Anti-Doping-Kampf ein besonderes Engagement gezeigt. Die Jahre unter Bach hingegen können nur als ziemlich folgenlos bezeichnet werden. Sein Engagement war international herausragend, die nationalen Belange waren notwendigerweise nachgeordnet. Die Amtszeit von Hörmann ist von einem besonderen Fleiß und umfassender Präsenz geprägt. Wirkliche Zeichen konnte auch er wohl nicht setzen. Pragmatismus verbunden mit intellektueller Ferne haben ganz offensichtlich nur höchst selten kreative Lösungen zur Folge.

Sucht man demnächst wieder einen neuen DOSB-Präsidenten, so wäre zunächst die Frage zu stellen, auf welchen Gebieten sich der DOSB in der weiteren Entwicklung auszeichnen könnte, um dann die weiterführende Frage zu beantworten, welche Kompetenzen ein Präsident haben sollte, will er diesen Aufgaben und Anforderungen entsprechen. Ist der DOSB der Sprecher für die Interessen seiner Mitglieder so müssen vor allem der Schulsport und dessen positive Entwicklung höchste Bedeutung haben. Einige Präsidien des deutschen Sports haben sich auf diesem Gebiet besondere Verdienste erworben. Zu nennen ist das erste und zweite Aktionsprogramm für den Schulsport, wie sie vor 50 Jahren verabschiedet wurden. Betrachtet man die Amtszeiten seit Gründung des DOSB, so kann man auf diesem Gebiet nur von einer Fehlanzeige sprechen. Zur Interessensvertretung seiner Mitglieder sollte zweitens gehören, dass der DOSB gegenüber den wichtigen gesellschaftlichen Teilsystemen die Interessen des deutschen Sports in einem ständigen Dialog angemessen einbringt. Bedeutsame Partner sind dabei die Gewerkschaften, die Kirchen, die Medien, die Wirtschaft und nicht zuletzt die Politik. Auch hier stellen sich völlig neue Herausforderungen an den deutschen Sport, die in der zurückliegenden Amtszeit des DOSB so gut wie nicht angegangen wurden. Ein drittes wichtiges Feld stellt die Partnerschaft zu den Universitäten, zu den Wissenschaften und zur Sportwissenschaft dar. Auch auf diesem Gebiet bleibt viel zu tun. Die Sportwissenschaft hat in den vergangenen Jahren zumindest in einigen Disziplinen erhebliche Qualitätsverluste aufzuweisen. Ihre Beratungsqualität hat sich kaum erhöht, ihre Einbindung in den deutschen Sport ist eher nachgeordnet. Zu den übrigen Wissenschaften hat der organisierte Sport so gut wie keine Beziehung aufzuweisen. Ein Wissenschaftlicher Beirat, hochkarätig besetzt mit Vertretern aus Philosophie, Rechtswissenschaft, Medizin, Volks- und Betriebswirtschaft, Soziologie und Theologie, wie er noch vor 50 Jahren an den Sport gebunden war, ist schon lange nicht mehr denkbar. Die Rolle des DOSB als zuständiger Sprecher für die Fragen des Leistungssports kann sowohl aus der Sicht der Mitglieder als auch aus der Sicht der politischen Partner kaum als gelungen bezeichnet werden. Wie in vielen sportfachlichen Fragen nimmt dabei die Sportbasis an, dass diese Rolle überflüssig ist, dass sie von den Mitgliedsverbänden besser erledigt wird als von der Dachorganisation. Gleiches kann man für den Bereich des Freizeitsports beobachten. Er ist in der Verantwortung der Landessportbünde wesentlich besser aufgehoben, als dass man dem DOSB in dieser Frage eine besondere Führungsrolle zumessen könnte. Die Fragen der Integration und Inklusion im Sport sind gesellschaftspolitisch von Bedeutung und müssen vom DOSB vertreten werden, ob sie gelingen, ob es sinnvolle Antworten auf diese Fragen gibt, zeigt sich jedoch in der Praxis der Vereine und deshalb sind auch die sozialpolitischen Funktionen des Sports, die der Sport für die Gesellschaft übernehmen soll, sehr viel besser bei den Landessportbünden, bei den Fachverbänden und deren Mitgliedern aufgehoben, als dass man hierzu ausufernde Personal- und Finanzstrukturen auf nationaler Ebene benötigt.

Die hier skizzierten Aufgaben und Herausforderungen zeigen, dass das Amt eines DOSB- Präsidenten nur mit Schwierigkeiten und nur selten mit vollem Erfolg auszufüllen ist. Trifft man bei diesem Amt auf einen politisch versierten Generaldirektor, der mit einer besonderen Autorität ausgestattet ist, so wird die Arbeitsteilung zwischen DOSB-Präsident und Generaldirektor eine zusätzliche Herausforderung. Das Amt des DOSB-Präsidenten verlangt ohne Zweifel eine charismatische Persönlichkeit, die in der deutschen Gesellschaft einen besonderen Platz einnimmt. Eine parteipolitische Neutralität ist für dieses Amt unverzichtbar, wie überhaupt das Gebot der Autonomie des Sports dieses Amt zu prägen hat. Dem deutschen Sport wäre dabei zu wünschen, dass er nicht von einer Persönlichkeit geführt wird, die sich mit einer angepassten Verwaltung zufrieden gibt. Eine visionäre Sportpolitik wäre durchaus wünschenswert und die Bereitschaft zur Übernahme von Verantwortung würde es auch notwendig machen, dass besonders heikle Themen, die der Sport bislang eher unter den Tisch gekehrt hat, angepackt und gelöst werden. Das Dopingproblem des Hochleistungssports gehört dabei sicher zu den dringendsten Problemen. Nicht weniger wichtig sind einige Fehlentwicklungen im Fitnesssport, bei denen Doping ebenfalls eine bedeutsame Rolle spielt. Es müssen auch die sozialen Probleme gelöst werden, die mit der wachsenden sozialen Ungleichheit auch auf dem Gebiet des Sports entstanden sind. Für kreative Lösungen gibt es in der Zukunft des deutschen Sports hoffentlich genügend Platz. In der Vergangenheit waren sie eher Mangelware.

letzte Überarbeitung: 26.03.2018