Zur Verantwortung des Sports und der Berichterstattung in der massenmedialen Kommunikation

1. Einführung

Moderne Gesellschaften sind ohne Massenmedien nicht denkbar. Sie ermöglichen ihnen mit sich selbst ins Gespräch zu kommen, Gemeinschaft her zu stellen und Inhalte zu liefern, über die die Menschen miteinander reden, weil das Gleiche gesehen, gehört und gelesen wird. Entsprechend lässt sich die Annahme vertreten, dass ohne die Erfindung des Buchdrucks moderne Gesellschaften kaum möglich gewesen wären. Denn nur dadurch können Literatur, politische Ideen und Fachwissen industriell vervielfältigt und in kurzer Zeit ein großes Publikum erreichen.

Die Entwicklung der Massenmedien ist durch einen Prozess der Vervielfältigung gekennzeichnet. Neben Büchern, Zeitungen, Zeitschriften und Hörfunk sind längst Fernsehen, Kino, Internet und Mobiltelefon getreten. Computerspiele und Soziale Medien sind dabei die jüngsten und am schnellsten wachsenden Masseninhalte unserer Zeit.

In einer durch Globalisierung geprägten Welt spielen Massenmedien eine noch größere Rolle als dies bereits in früheren Zeiten der Fall war. Waren es zunächst die Zeitung, später der Hörfunk und das Fernsehen, so ist es heute vor allem das Internet, das sich durch eine kontinuierliche Präsenz auszeichnet.

2. Funktionen der Massenmedien

Die Zeitung am Morgen beim Frühstück, der Hörfunk bei der Fahrt im PKW, das Fernsehen am Feierabend, das Notebook im Beruf, bei der Dienstreise, im Hotel, in der Freizeit – sie alle nehmen heute Einfluss auf das, was menschliches Leben heißt. Massenmedien haben dabei den Charakter einer gesellschaftlichen Institution. Sie verfügen über Macht und Einfluss und weisen in der Regel drei Funktionen auf. Zunächst ging es vorrangig um Information, Bildung und Meinungsbildung, heute geht es vermehrt um Unterhaltung. Deshalb wachsen auch jene Medien überdurchschnittlich schnell, die vor allem der Unterhaltungsfunktion dienen. Massenmedien definieren heute für die moderne Gesellschaft das, was als relevant zu gelten hat, bestimmen die Agenda der modernen Gesellschaft und grenzen aus, was als irrelevant angesehen wird.

3. Die Frage nach der Verantwortung

Angesichts dieses Sachverhalts ist es naheliegend, dass die Frage nach der Verantwortung der Massenmedien zu stellen ist. Sind sie sich ihrer Verantwortung bewusst, kommen sie der gesellschaftlichen Verantwortung nach, die ihnen übertragen wurde? Gibt es die Möglichkeit der gesellschaftlichen Kontrolle? Wer übt sie aus? Was geschieht, wenn die Medien ihre Macht missbrauchen?

Es waren zunächst amerikanische Kommunikationswissenschaftler, die sich mit solchen Fragen auseinandergesetzt haben und sie konnten schon früh zeigen, wie das menschliche Handeln durch die Massenmedien beeinflusst wird. Die Auswirkungen der Massenmedien auf Wahlentscheidungen wurden offengelegt und der Zusammenhang zwischen delinquentem Verhalten und massenmedialer Beeinflussung wird noch heute engagiert diskutiert. Die Wirkung der Massenmedien auf Kinder und Jugendliche, aber auch auf Erwachsene und ältere Menschen sind nach wie vor relevante Forschungsfelder. All diese Fragestellungen beziehen sich auf eine Vielfalt von Kommunikationsinhalten, wobei ein Inhalt im vergangenen Jahrhundert zunehmend an Bedeutung gewinnen konnte: der Sport. In der Presse, im Hörfunk, im Fernsehen und im Internet ist er inzwischen zu einem der bedeutsamsten Kommunikationsinhalte moderner Gesellschaften geworden und entsprechend stellt sich auch hier die Frage der Verantwortung. Ist das, was in der Sportberichterstattung dargestellt wird, verantwortbar? Hat die Sportberichterstattung bereits ein Ausmaß erreicht, dass man heute von einer Gefahr zu sprechen hat? Durch welche Qualität zeichnet sich der Sport in den Massenmedien aus? Wird der Sport in den Massenmedien angemessen widergespiegelt?

4. Kritik an der Sportberichterstattung

Ein Blick auf die mittlerweile üblich gewordene Pressekritik an den elektronischen Medien, vor allem ein Blick auf den Sport als Kommunikationsinhalt in den Massenmedien, lässt Zweifel aufkommen, inwiefern das, was uns als Sport in den Massenmedien offeriert wird, noch ausreichend verantwortet werden kann.

Neben den Printmedien gilt dies auch für den Fernsehsport. Zappt man morgens um neun, mittags um zwölf, nachmittags um vier, abends um sieben, nachts um elf und frühmorgens um zwei in Minutenschritten durch die noch immer wachsende Vielfalt an Fernsehkanälen, so wird einem die Qualitätsfrage in Bezug auf den Inhalt Sport nahezu aufgedrängt. Ähnlich kritisch scheint die Lage zu sein, wenn man durch den Sportteil der Bildzeitung, der FAZ, der Neuen Woche, der Zeit und der Zeitschrift Brigitte blättert, im Internet durch die Sportseiten klickt und die rhetorischen Künste der Fußballreporter im Radio hört. „Human touch“, „sensation seeking“, „Zahlensalat“, „Vorliebe für das Skandalöse“, „nachahmen und kopieren“, „auf den fahrenden Zug aufspringen“, „Nähe zur Prominenz“, „Abhängigkeit bis hin zur Käuflichkeit“, „seichtes Geschwätz“. Merkmalsbeschreibungen, die sich jedoch als unzureichend erweisen müssen, denn der Sport in den Massenmedien findet auf einem Markt statt, der äußerst kompetitiv ist, der sich ständig verändert, der sich durch eine kaum überschaubare Komplexität auszeichnet, wo herausragende Leistung und dilettantischer Journalismus eng miteinander verknüpft sein können. Entsprechend verbieten sich pauschale Urteile über den Sportjournalismus angesichts dieser Situation von selbst. Wer die Qualität der Berichterstattung über den Sport verbessern möchte, der muss sich auf eine Kernerarbeit einlassen. Beckers polemischer Titel aus dem Jahr 1983, „Ob Bild, ob FAZ – Sport ist Sport“ hat heute ebenso noch seine Berechtigung wie eine differenzierte Abgrenzung eines verantwortlichen Qualitätsjournalismus vom Boulevard. Berichterstattung über Fußball muss von jener über die Leichtathletik unterschieden werden und ein Feature in der „Zeit“ lässt sich nur sehr bedingt mit einer Skandalgeschichte der „Bildzeitung“ vergleichen. Auch der Sport in öffentlich-rechtlichen Sendern im Vergleich zu den privaten TV-Kanälen kann dabei durchaus erhebliche Unterschiede aufweisen und die Berichterstattung über einzelne Inhalte kann in hohem Maße variieren. Auch ist das Bild von Sportfunktionären ein anderes als jenes von Trainern und Athleten. Berichterstattung über Doping hat eine andere Qualität als jene über Nationalismus und Gewalt. Die Sportberichterstattung über Frauen unterscheidet sich nach wie vor ganz wesentlich von jener über Männer.

5. Journalistische Selektionsregeln

Trotz dieser Vielfalt muss es überraschen, dass die Logik der Massenmedien noch immer gleich geblieben ist und jene Regeln, wie sie vor mehr als 30 Jahren Luhmann für die Massenmedien definiert hat, nach wie vor das massenmediale Spiel kennzeichnen, das noch heute die mächtigen Medien spielen.

Selektoren der Auswahl von Nachrichten nach Luhmann
(Luhmann, 1996, S. 58-72)

    1. Überraschung: Die Information muss neu sein, bestehende Erwartungen müssen gebrochen werden, das Erkennen von Neuigkeiten erfordert vertraute Kontexte (Typen und Geschichten)
    2. Konflikte: Sie spielen auf eine selbsterzeugte Ungewissheit an und vertragen die erlösende Information über Gewinner und Verlierer, dies erzeugt Spannung.
    3. Quantitäten: Sie sind informativ, durch Vergleichswerte kann diese Informativität ge­steigert werden; es gilt das größere Informationsgewicht der großen Zahlen (viele Tote bei einem Unfall).
    4. Lokaler Bezug: Jede weitere Information am bekannten Ort wird geschätzt. Informationen ohne lokalen Bezug sind nur informativ, wenn sie vermitteln, dass so etwas lokal nicht vorkommen würde.
    5. Normverstöße/ Skandale: Im Bereich Recht, Moral und Politik; sie erzeugen das Gefühl der gemeinsamen Betroffenheit und Entrüstung.
    6. Normverstöße/ Unterschiede: Reproduziert wird der Code der Moral, also der Unterschied zwischen gutem und schlechtem Handeln.
    7. Normverstöße/ Personen: Orientierung an Personen als greifbare Symbole.
    8. Rekursivität: In späteren Meldungen wird auf ein Ereignis Bezug genommen, über das zuvor aktuell berichtet wurde.
    9. Äußerung von Meinungen: Ein Großteil der Berichterstattung besteht aus der Selbstspiegelung der Medien, es wird über Ereignisse berichtet, die es ohne die Medien gar nicht geben würde. Auch hier gilt, je außergewöhnlicher die Quelle, desto besser die Reputation.
    10. Organisationen: Die Selektoren werden verstärkt und ergänzt, da es Organisatoren sind, die sich mit der Selektion befassen.

Becker ist es zu verdanken, dass in Analogie zu den Luhmann’schen Regeln über die Massenmedien diese auf den Sport übertragen wurden. Auch die von Becker gefundenen Regeln haben dabei bis heute an Bedeutung nicht verloren.

Journalistische Selektionsregeln (vgl. Becker, 1983)

    1. Nähe: Je vertrauter in kultureller, politischer, zeitlicher Hinsicht sportliche Ereignisse sind, desto höher ist die Medienaufmerksamkeit, die sie erhalten. Diese Regel kann durch besonders „exotische“ Begebenheit wie Brandungssurfen oder Steilwandskilauf aufgehoben werden.
    2. Rekorde, Siege und Elite: Außergewöhnliche Leistungen und Erfolge und diejenigen, die sie vollbringen und haben, finden eher Erwähnung als mittelmäßige Normalität. Großereignisse auf Weltniveau erhalten eher Beachtung als regionale Wettkämpfe.
    3. Konflikte, Gewalt und Aktion: Bedrohliches, die Ordnung sportlicher Dinge gefährdende Handlungen, Krisen andeutende Ereignisse haben höhere Chancen, berichtet zu werden als „normaler Tagesablauf“. Dies gilt z.B. für Krisen in Vereinen, Wertkonflikte, Trainerwechsel, Disharmonien in Mannschaften, Unfälle.
    4. Personalisierung: Personalistische Tendenzen sportlicher Ereignisse werden eher bevorzugt als deren strukturelle Merkmale und Bedingungen. Dies hängt sicher u.a. auch damit zusammen, daß Ereignisse über Personen leichter darstellbar sind (Photos, Interview) als über Strukturen. Konsequenterweise berichten Medien daher mehr über Sportler und Funktionäre.
    5. Human Interest: Alltägliche und private Lebensumstände prominenter Sportler besitzen hohen Nachrichtenwert.

Bei aller Individualität des journalistischen Arbeitens nehmen die Regelstrukturen der Massenmedien eine dominante Stellung ein. Die Spielräume in der massenmedialen Kommunikation über den Sport sind eng begrenzt, der institutionelle strukturelle Charakter der Massenmedien prägt die Inhalte und die Qualität der Sportberichterstattung.

Dies soll im Folgenden an einem Beispiel gezeigt werden. Es soll die Frage gestellt werden, wie das Dopingproblem in den Massenmedien thematisiert wird.

6. Doping als Inhalt der Berichterstattung

An keinem Inhalt lässt sich der institutionelle Charakter der Sportberichterstattung trefflicher zeigen als am Beispiel des Dopings. Seit es Medikamente gibt, ist in unserer Gesellschaft deren Missbrauch zu beklagen; seit es Medikamentenmissbrauch gibt, hat der Sport ein Dopingproblem. Mit dem Begriff des Dopings kommt jener spezifische Medikamentenmissbrauch in den Blick, der seit den Anfängen des organisierten Wettkampfsports zu beobachten ist. Athleten manipulieren als Betrüger in unerlaubter Weise ihre Leistung, unterlaufen vereinbarte Wettkampfregeln und setzen dabei das Prinzip des Fair Play außer Kraft. Mit der gesellschaftlichen Aufwertung des Wettkampfsports, die vor allem mit dessen Kommerzialisierung einhergeht, wuchs die Zahl der Betrüger nach dem Zweiten Weltkrieg exponentiell an. Es war vor allem eine empörte massenmediale Öffentlichkeit, die 1967 den Sportorganisationen nahelegte, ein generelles Dopingverbot in die Regeln des Hochleistungssports einzuführen. Seit diesem Zeitpunkt geht die Geschichte des Hochleistungssports mit einer Geschichte der Dopingskandale einher. In Montreal 1976 waren es die deutschen Schwimmer, die ihre Konkurrenten mittels unerlaubter Manipulationen betrügen wollten. Die Olympischen Spiele von Seoul werden für immer mit dem Skandal „Ben Johnson“ verbunden sein und mittlerweile wissen wir, dass auch Carl Lewis zu Unrecht als Held der Leichtathletik gefeiert wird. Kathrin Krabbe gelang es, den Vereinigungsprozess der deutschen Sportsysteme zu skandalisieren, Mühlegg nahm in Salt Lake City dem Wintersport seine Unschuld. Breuer und Springstein zeigten uns auf, dass die verbrecherischen Kommunikationsnetzwerke, wie sie beim Balco-Skandal entdeckt wurden, auch in Deutschland und Spanien möglich sind. Die Tour de France der vergangenen Jahre machte sichtbar, dass eine Sportart in ihrer Gesamtheit den Dopingbetrug zur Regel gemacht hat und in einem System, in dem Betrüger Betrüger betrügen, sich die Frage des Gewissens kaum noch stellt. Der Sportmedizin der Universität Freiburg und einer vom ehemaligen IAAF Präsidenten angeführten kriminellen Vereinigung war es dann vorbehalten, dass staatlich geförderte Institutionen, die sich nach außen als Anti-Doping-Kämpfer tarnen, Teil des Betrugssystems selbst sein können und dabei eigennützige kommerzielle Interessen verfolgen. Was zeigen uns diese Skandalgeschichten?

Dopingmissbrauch ist willkommener Anlass öffentlicher Kommunikation. Fernsehen, Hörfunk, Presse und Internet folgen dabei den hinlänglich bekannten Selektions- und Bearbeitungsmustern und die Regeln der massenmedialen Kommunikation prägen den Anti-Doping-Kampf. Verstöße namenloser Athleten sind nicht resonanzfähig, sie haben allenfalls das Merkmal einer statistischen Kenngröße. Hat ein Athlet Skandalqualität, ist er entsprechend bekannt und berühmt, stimmen alle Medien für wenige Tage und Wochen in ein Skandalkonzert ein, in dem mit vielen Instrumenten immer die gleiche Melodie gespielt wird. Alles, was beim letzten Skandal bereits thematisiert wurde, wird redundant wiederholt. In einer Welt der Vergesslichkeit hat sich niemand an das zu halten, wofür er früher einmal eingetreten ist. Altes kann als neu gelten, Kopien werden mit dem Original verwechselt, von einem Beitrag zur Lösung des Problems kann dabei kaum die Rede sein. Dies den Massenmedien vorzuwerfen, ist angesichts deren Systemlogik wenig sinnvoll, ja es muss als naiv bezeichnet werden. Die Massenmedien entsprechen mit dieser Art von Berichterstattung weitestgehend ihrem Auftrag, und wer die Dopingberichterstattung als Teil der Unterhaltungsindustrie deutet, steht dabei nicht in dessen Widerspruch.

Diese eher allgemeine Kennzeichnung der Merkmale der Dopingberichterstattung bedarf ergänzend noch einer medienspezifischen Betrachtung. Folgt man der Idee des „Gate-Keeper“-Modells, bei der dem Kommunikator eine entscheidende Rolle bei der Konstruktion von Wirklichkeit zugewiesen wird, so ist als Ausgangspunkt an jene Situation zu denken, in der der „Gate-Keeper“ des Fernsehens, der Presse, des Internets oder des Hörfunks zwischen den Optionen zu wählen hat, ob er das Problem des Dopings wahrnimmt oder nicht. Der Wahrnehmung folgt die Reflexion. Sie ermöglicht dann die Berichterstattung. Der Berichterstattung folgt die nachhaltige Berichterstattung. Daraus entsteht eine Übernahme von Mitverantwortung für das Problem und schließlich können die Massenmedien einen Beitrag zur Lösung des Problems anstreben. Auf dem Weg von der Wahrnehmung bis zum Lösungsversuch stellt sich den Kommunikatoren eine Reihe von weiteren Schlüsselsituationen, in denen immer wieder die Entscheidung zwischen „Exit“ oder „Action“ zu treffen ist (vgl. Abb. 1).

Abb. 1: Verantwortung der Medien in der Dopingproblematik

Betrachten wir mit diesem Modell die massenmediale Bearbeitung des Dopingproblems, so kann man erkennen, dass vor allem das Fernsehen sehr lange die Wahrnehmung des Problems verweigerte. Damit war es im Fernsehen allenfalls ein Randthema. Die Information über einen Dopingverstoß tauchte meist nur als kurze Nachricht auf, alle weiteren Optionen stellten sich für die Verantwortlichen des Fernsehens in dieser Angelegenheit nicht. Dies hat sich inzwischen geändert. Das Problem wird nunmehr wahrgenommen, teilweise findet auch eine Reflexion darüber statt. In unregelmäßigen Abständen kommt es zur Berichterstattung. Von einer verantwortungsvollen Bearbeitung kann jedoch nach wie vor nicht die Rede sein. Vielmehr folgt die Bearbeitung den Selektionsregeln von Becker. Sie definieren wie und wann das Thema „Doping“ ein Kommunikationsinhalt des Fernsehens wird.

Im ZDF-Jahrbuch 2008 wird von der Hauptabteilung Sport über den Sportsommer im ZDF berichtet. Das Thema Doping ist lediglich eine Randnotiz wert:

Nach den Skandalen des vergangenen Jahres, gefolgt vom Ausstieg von ZDF und ARD aus der Live-Berichterstattung 2007, spielte auch bei dieser Tour de France das Thema Doping in den Übertragungen eine besondere Rolle. Die vergangenen Jahre haben deutlich gemacht, dass Veränderungen und Verbesserungen im Anti-Doping-Kampf von einer kritischen journalistischen Berichterstattung begleitet werden müssen. Mit der Übertragung von elf Etappen der Tour de France erreicht das ZDF einschließlich der Vor- und Nachberichterstattung durchschnittlich 1,27 Mio. Zuschauer und einen Marktanteil von 11,8 %. Das ZDF erzielte damit insgesamt eine geringfügig bessere Zuschauerakzeptanz als im Vorjahr (1,25 Mio. Zuschauer, 11,3 % Marktanteile)“.

Dieses Zitat zeigt mehr als deutlich, was die Sportberichterstattung über das Dopingproblem im Fernsehen prägt. Der Bericht im Jahrbuch ist auf lobende Zitate ausgerichtet, in denen die Arbeit der Sportredaktion des Fernsehens gewürdigt wird. Sportfernsehen ist dann erfolgreich, wenn überdurchschnittlich viele Zuschauer erreicht und hohe Marktanteile erzielt werden. Die Erkenntnis, dass man eine kritische journalistische Berichterstattung benötigt, wird im Sinne einer Binsenweisheit konstatiert, die Beiträge, die dabei zu erbringen wären, sind jedoch nirgendwo zu erkennen. Betrachtet man noch den Beitrag der Sonderredaktion des ZDF, der so genannten „Doping-Taskforce“ unter der Überschrift „Mission Gold, wie sauber sind die Olympischen Spiele?“, so wird die Qualität der Anti-Doping-Berichterstattung sichtbar, die mittlerweile anstelle der Negation des Problems getreten ist. Unzureichende Recherchen führen zu fragwürdigen Verdächtigungen, die nicht hinreichend belegt werden können. Gesendet wird auch, wenn nichts zu senden ist. Man sucht Skandale, die es so nicht gibt, wie man sie sich aber wünscht. Auch hierbei geht es nur um Einschaltquoten und die beteiligten Fernsehjournalisten sind oft nicht bereit, die Regeln des Sports zu beachten, die auch einen besonderen Schutz der Privatheit des Athleten zur Folge haben müssen. Wie inkonsequent diese Art von Berichterstattung sein kann, zeigt die Entscheidung der ARD, die Live-Berichterstattung der Tour de France fortzuführen. So wie die Entscheidung gegen eine Live-Berichterstattung ohne solide Grundlagen erfolgte, so entbehrt auch die Wiederaufnahme der Berichterstattung nachvollziehbarer Fakten.

Dabei muss man sich daran erinnern, dass es bereits ein Verstoß gegenüber der journalistischen Unabhängigkeit war, als die ARD Medienpartner des Teams Telekom wurde. Eine parteiische Berichterstattung über den Radsport war die Folge. Gleichzeitig verlor das öffentlich-rechtliche Fernsehen die Möglichkeit resonanzfähig über das Dopingproblem zu berichten. Mit der Einrichtung einer Sonderredaktion beim WDR hat sich mittlerweile die Situation ganz wesentlich verbessert. Von einer nachhaltigen Anti-Doping-Berichterstattung ist man jedoch noch immer weit entfernt.

Im Hörfunk hat das Dopingthema meist nur Nachrichtencharakter. Es muss jedoch anerkennend hinzugefügt werden, dass einige öffentlich-rechtliche Sender mit ihren zweiten Programmen, aber auch der Deutschlandfunk, zumindest versuchsweise zeigen, wie kritische Journalisten sich der Dopingproblematik annehmen, sorgfältig recherchieren, Hintergründiges aufzeigen und bei den Betroffenen Lösungen anmahnen. Es fällt dabei auf, dass solche Sendungen häufig von Journalisten bearbeitet werden, die sich selbst nicht als Sportjournalisten definieren.

Die vielfältigste Entwicklung in Bezug auf das Dopingproblem weist die Presse auf. Das Problem des Dopings wird dabei von Sportart zu Sportart unterschiedlich behandelt und es ist vor allem eine Frage der redaktionellen Ausstattung der verschiedenen Printmedien, welche Qualität die Doping-Berichterstattung erreichen kann. Aber auch journalistische Ideologien spielen dabei eine entscheidende Rolle. Doping im Fußball wurde in vergleichbarer Weise der Wahrnehmung entzogen wie im Profi-Tennissport und noch heute gibt es viele Fußball-Fachjournalisten, für die das Problem des Dopings in ihrer Lieblingssportart nicht existiert. Dass sich Fußball-Journalisten fachlich weiterbilden, um über Dopingverstöße kompetent zu berichten, ist bisher so gut wie nicht zu erkennen.

Mit einer solchen Fußballberichterstattung wird indirekt die Haltung der Sportfunktionäre unterstützt, die ebenfalls seit Jahren der Öffentlichkeit mit Hilfe einiger fragwürdiger Experten verdeutlichen wollen, dass der Fußball kein Dopingproblem zu beklagen hat.

Ganz anders zeigt sich die Situation bei der Leichtathletik. Dort wurde die Doping-Berichterstattung längst zu einem ständigen Begleiter. Allerdings muss auch hier wie beim Fußball von „Licht und Schatten“ gesprochen werden. Durch eine herausragende Kompetenz hat sich die FAZ ausgewiesen. Über mehr als ein Jahrzehnt hat H.-J. Waldbröl die Doping-Berichterstattung dieser Zeitung geprägt, in deren Mittelpunkt die Verstöße der Leichtathletik standen. Fachlich kompetent, d.h. die pharmakologischen Grundlagen angemessen wiedergebend, die juristischen Probleme kenntnisreich darstellend und die sportorganisatorischen Belange hinreichend berücksichtigend, war eine Berichterstattung entstanden, die zielführend und problemlösend gewesen ist. Leider ist durch die Erkrankung des Journalisten diese Art von Berichterstattung nahezu zu einem Stillstand gelangt.

Vergleichbar hat sich in den letzten Jahren auch die Radsport-Berichterstattung verändert. Auch in dieser Sportart gab und gibt es eine große Mehrheit von Fachjournalisten, die bewusst die Dopingproblematik in ihrer Berichterstattung ausblenden. Es gibt aber nunmehr auch eine kleine Minderheit, die mit gezielten Recherchen Dopingbetrüger auf der Spur sind und dabei einen wichtigen Aufklärungsbeitrag leisten.

Betrachten wir die Presseberichterstattung in ihrer Gesamtheit, so ist die Option der Nachhaltigkeit nur in wenigen Ausnahmen zu erkennen und dass der Journalismus dabei einen Beitrag zum Lösungsversuch offeriert, ist die Ausnahme von der Regel. Eine moralisch konsistente Berichterstattung über das Dopingproblem ist nur selten zu erkennen. Normal ist vielmehr auch hier, dass man den Selektionsregeln Luhmanns folgt. Der Dopingverstoß wird skandalisiert, der Betrug wird personalisiert, es wird eine moralische Empörung und Entrüstung erzeugt, eine genauere und längerfristige Bearbeitung ist eher unerwünscht, beziehungsweise ist sie unter institutionellen Gesichtspunkten nicht möglich. Alles, was vorgestern war, hat keinen Nachrichtenwert mehr. Ist ein Thema unter Marktgesichtspunkten ausgereizt, wird es von der Agenda genommen. Mit dem nächsten Skandal ist jedoch alles wieder aktuell. Identische Geschichten werden wiederholt, die fachliche Inkompetenz scheint dabei grenzenlos zu sein. Über den Sinn einer A- und B-Probe, über gesetzlich verbindliche Rechte und Pflichten der Athleten und der übrigen Betroffenen wird teilweise falsch und meist auch irreführend berichtet. Über Doping-Netzwerke wird spekuliert ohne Fakten zu nennen.

Doch auch diese Berichterstattung hat wieder nur Episodencharakter. Das „Doping-Ungeheuer“ wird nun schon seit mehr als 40 Jahren Jahr für Jahr durch die Presselandschaft getrieben und immer noch kann man dabei einer Resonanz durch die Rezipienten sicher sein. Die Sportberichterstattung in der Presse hat auf diese Weise affirmativen Charakter, sie ist Teil eines allgemeinen Kommunikationsspiels, das aus Anlass des Dopingbetrugs gespielt wird. Dieses Kommunikationsspiel ist folgenlos, es dient nur der Legitimation bestehender Strukturen. Diese können sich folgenreich tradieren. Verbände, Wirtschaft, Staat und nicht zuletzt die Athleten, die betrügen, können auf diese Weise im System des Sports auf Dauer ihren Profit sichern. Werfen wir abschließend noch einmal einen Blick auf das von mir konstruierte Modell, so müssen wir erkennen, dass die Massenmedien die Optionen der Nachhaltigkeit, der Verantwortung und des Lösungsversuches in der Regel nicht erreichen.

In diesem Zusammenhang ist nun die Frage wichtig, wie die Betroffenen aus dem System des Sports mit dieser Art von Dopingberichterstattung umgehen, welche Folgen sie für deren Handeln hat, wie die Beteiligten selbst den Anti-Doping-Kampf führen. Eine besondere Leistung der öffentlichen Kommunikation über die Dopingskandale ist darin zu sehen, dass angesichts dieser Öffentlichkeit Betroffene, d.h. Athleten, Trainer, Funktionäre, Verbände, Politiker, Sponsoren genötigt werden, auf die Fragen des Dopingbetrugs Stellung zu beziehen. Betrachten wir die Stellungnahmen und Reaktionen der Betroffenen auf die Skandalberichterstattung, so müssen wir allerdings erkennen, dass diese jenen Reaktionen gleichen, die Pawlow für seine Hunde beschrieben hat. Lernen, d. h. eine Veränderung findet dabei nicht statt, Stimulus und Response haben stereotypen Charakter. So, wie die Berichterstattung folgenlos ist, ist auch die Reaktion der Betroffenen auf diese Berichterstattung meistens ohne Folgen. Ritualisiert und stereotypisiert reagieren die Sportpolitiker im Sportausschuss des Deutschen Bundestags und in der Bundesregierung, ritualisiert reagieren die Betroffenen aus den Sportorganisationen. Rhetorische Empörung ist dabei ein typisches Merkmal. Athleten bestreiten ritualisiert die Vorwürfe, die gegen sie erhoben werden. Niemand hat von allem etwas gewusst. Stellungnahmen, dass man nun die entscheidenden Schritte zu tun habe, sind auf der Tagesordnung. Der Staat richtet Forderungen an die Verbände, die Verbände attackieren jene Verbände, die sich angeblich weniger im Anti-Doping-Kampf engagieren, Athleten verweisen auf die ständigen Kontrollen, denen sie unterworfen sind, und darauf, dass dies bei ihren Gegnern leider nicht der Fall ist. Geld wird gefordert, um das Kontrollsystem auszuweiten, und die Laborexperten sind dabei beliebte wissenschaftliche Gesprächspartner.

7. Kommunikation durch Sportorganisationen

Wurde bislang der Versuch unternommen, die Massenmedien mit ihrer Sportberichterstattung zu kennzeichnen, so ist es nicht weniger wichtig, dass man umgekehrt die Frage stellt, wie der Sport selbst kommuniziert und welches Verhältnis er zu den Massenmedien zu verantworten hat. Aus naheliegenden Gründen ist zunächst zu erkennen, dass es vor allem dem organisierten Hochleistungssport darum geht, dass er sich über seine positiven Seiten in den Medien wiederfinden kann. Athleten und Trainer versuchen, die Berichterstattung in positiver Richtung zu beeinflussen. Gleiches gilt für Vereine und Verbände. Ihre Öffentlichkeitsarbeit ist ausschließlich auf dieses Ziel ausgerichtet. Betrachtet man ihre Kommunikationspraxis, kann man erkennen, dass kritischer Journalismus in manchen Sportorganisationen systematisch in Frage gestellt wird. Bei Fußball-Bundesliga-Mannschaften konnte in der Vergangenheit häufig beobachtet werden, wie einzelne Journalisten bei ihrer Informationsaufnahme begünstigt, andere hingegen boykottiert und benachteiligt werden. Inzwischen ist es üblich, dass Sportorganisationen jene Journalisten auf ihre eigenen Kosten zu sportlichen Großereignissen einladen, von denen sie eine entsprechende positive Berichterstattung erwarten.

Haben Sportorganisationen interne Probleme, so ist ihre Kommunikationsarbeit in der Regel eher defensiv ausgerichtet. Das Informationsverhalten über Dopingverstöße kann hier als Beleg angesehen werden. Auch wenn es um Korruption und Manipulation geht, ist die Verbands-Kommunikation von einer defensiven Strategie geprägt. Die Kommunikatoren, das heißt die Pressereferenten der Sportorganisationen unterliegen dabei einer gezielten Kontrolle. Immer häufiger kommt es vor, dass auch die Verbandsorgane einer Zensur unterliegen. Für die Verbände ist dieser eingeschlagene Weg erfolgreich, da sie auf die große Mehrheit der Sportjournalisten setzen können, die die kritischen Journalisten in ihren eigenen Reihen eher als Sonderlinge betrachten. Die Sportorganisationen sind dabei gerne bereit, aktive Journalisten in ihre eigene Arbeit einzubinden, was oft zu Interessenskonflikten der jeweiligen Journalisten führt. So z. B. wenn sie eine Stadionzeitung oder Verein-Website zu verantworten haben, gleichzeitig aber in der lokalen Zeitung über die Spiele der Heimmannschaften berichten.

Verbände, Vereine, Funktionäre, aber auch immer häufiger Sportler möchten in den Medien nur das dargestellt sehen, was sie selbst wünschen. Der Sport will bestimmen, was in der Öffentlichkeit über ihn berichtet wird. PR-Agenturen nennen dies Image-Pflege, der Sport folgt dabei der Konzeption der Tourismus-Branche, der Politik und der Wirtschaft. Im Showbusiness gibt es längst Verträge, bei denen ein Interviewer vorab zu unterzeichnen hat und bei denen dem Interviewten sogar die Hoheit über die Bildauswahl zugesichert wird. Die Autorisierung von Interviews ist vorrangig ein Merkmal des Umgangs mit deutschen Massenmedien. In Spanien oder in England ist die Autorisierung von Interviews eher unüblich. Dabei kann die Autorisierung einer Kommunikation durchaus im Interesse der Medien selbst liegen. Im Bereich des Sports, insbesondere in der Fußball-Berichterstattung, sind es jedoch vor allem Vereine und Spieler, die mit diesem Instrument eine kritische Berichterstattung verhindern wollen. Im Fußball sind dabei oft nicht die Pressesprecher der Vereine das Problem, sondern die Berater der Spieler. Es gibt keine vergleichbare Sportart wie Fußball, in der die öffentliche Meinung über die Spieler von den Beratern zu lenken versucht wird. Den Medien selbst bleibt dabei lediglich der Verzicht auf den Abdruck. Dies ist der Weg, um sich vor an Zensur grenzenden Eingriffen zu schützen. Für eine freie Berichterstattung ist dabei ärgerlich, dass es immer häufiger üblich geworden ist, dass in Interview-Situationen Sportler von Pressesprechern begleitet werden.

Die Qualitätsfrage im Zusammenhang mit der Sportberichterstattung muss deshalb auch an den Sport selbst gerichtet sein, denn er war es, der ständig dem Fernsehen in Anbiederungsversuchen den Weg aufzeigte, den das Fernsehen gehen könnte. Jede Sportart ist bemüht, fernsehtauglich zu werden, was sich über unzählige Regeländerungen dokumentieren lässt. Wer als Randsportart diskreditiert ist, bleibt am Rand, ganz gleich, welche Regeländerung er vornimmt. Durch die Einführung des dualen Fernsehsystems wurde der Polarisierungsprozess, bei dem für die Medien kompatible und nicht kompatible Sportarten und Programme unterschieden werden, beschleunigt.

Die enge Bindung der Sportjournalisten an die Sportorganisationen führt dazu, dass viele Journalisten an diese meist sehr unrealistische Erwartungen herantragen. Bei überzogenen Erwartungen sind jedoch die daraus resultierenden Enttäuschungen meist umso größer. Dies zeigt sich, wenn der Sport mit Themen wie Doping, Kommerzialisierung und der Aufweichung der Spielregeln konfrontiert ist. Die Enttäuschung, dass Funktionäre Dopingprobleme verschleppen, sanfte Strafen aussprechen und die Kommerzialisierung des Sports vorantreiben, ist bei Journalisten häufig sehr groß. Dies führt zu einer unverhältnismäßigen Form der Kritik. Diese ist dann zu verstehen, wenn man die Nähe der Journalisten zu den Institutionen in Rechnung stellt. In gewisser Weise ist diese Nähe für den Beruf des Sportjournalisten konstitutiv, ja in vieler Hinsicht auch besonders folgenreich. Der Journalist ist abhängig von seinem Verein und von seiner Sportart. Dies zeigt sich ganz besonders deutlich im Fußball, aber auch in anderen Sportarten sind entsprechende Folgen beobachtbar. Ist ein Club erfolgreich, so ist auch der Journalist erfolgreich. Steigt eine Vereinsmannschaft ab, so steigt in gewissem Sinne auch der Journalist ab. Ist eine Sportart immer weniger bedeutsam, so wird die Berichterstattung über sie und damit der entsprechende Fachjournalist immer weniger bedeutsam. Spielt die Heimmannschaft international, so fliegt der Lokaljournalist mit seiner Mannschaft zu den großen Spielen. Ist sie nach wenigen Jahren nur noch dritt- oder viertklassig, so kommt die Berichterstattung über die Spiele einer Randbemerkung gleich. Manche journalistische Karriere ist also an den Erfolg einer Institution des Sports gebunden. Denken wir nur an den Werdegang von Waldemar Hartmann und seine Beziehung zum FC Bayern.

8          Ausblick

Die durchgeführte Analyse des Verhältnisses zwischen den Massenmedien und dem Sport hat gezeigt, dass sowohl die massenmediale Kommunikation über den Sport als auch die Kommunikation des Sports gegenüber den Medien eine Reihe von Qualitätsproblemen aufweist. Die dabei sich ereignende Kommunikation ist nicht folgenlos, sie muss vor allem in Bezug auf jene verantwortet werden, die von dieser Kommunikation betroffen sind.

Dabei muss jedoch gesehen werden, dass in einer sich globalisierenden Welt sich die Menschen ganz neuen Herausforderungen zu stellen haben, die nahezu zwangsläufig zu einer Relativierung alter Wertvorstellungen beitragen. Eine der wichtigsten Forderungen für den modernen Menschen ist heute die Forderung nach Flexibilität. Der moderne Mensch soll flexibel sein, was meist so viel bedeutet, dass für ihn sich alles als möglich erweisen sollte. Zu Gunsten der beruflichen Karriere sollte man sich den neuen Herausforderungen stellen, möglichst mobil sein, heute hier und morgen dort sein. Die Karrieren erfolgreicher moderner Menschen zeichnen sich dadurch aus, dass sie im Alter von fünfzig Jahren mehr als fünfmal ihren Wohnort gewechselt haben, innerhalb ihrer beruflichen Verantwortung immer wieder in ein neues Arbeitsfeld eintreten, tausende von Stunden in Flugzeugen verbracht haben, immer mit neuen Gesprächspartnern konfrontiert werden, gestern italienisch, heute französisch, morgen chinesisch dinieren, dem schnellen Wechsel der Moden folgen und in immer seltener werdenden Anfällen einer nostalgischen Heimat-Sehnsucht huldigen, die sich durch Langsamkeit, Gemütlichkeit, Volksgesang und schwäbischem Vesper auszeichnet. Flexibel ist der moderne Mensch aber auch dann, wenn er gestern jene Meinung hatte und heute eine andere und diese mit einer Fähigkeit zum ständigen lernen begründet. Flexibel ist er, wenn sein Mobiltelefon in seiner Aktentasche klingelt, sein Notebook ihm als ständiger Arbeitsplatz zur Verfügung steht und er in der Airport-Lounge mit seinen Mitarbeitern kommuniziert. Flexibel ist der moderne Mensch immer dann auch, wenn er sich durch eine relativierende Betrachtungsweise auszeichnet, bei der insbesondere belastende soziale Sachverhalte dahingehend relativiert werden, dass sie keine Betroffenheit auslösen.

Gewiss kann Flexibilität auch anders beschrieben werden. Dieser Begriff ist schillernd, seine Semantik zeichnet sich durch positive und negative Züge aus. Soviel scheint allerdings sicher zu sein; Wenn Flexibilität die Megaforderung unserer Zeit ist, so heißt das letztlich, dass ein sich einbinden lassen in eine Verantwortung gegenüber seiner Nahumwelt eher etwas Seltenes werden wird.

Ist mit dem Merkmal der Flexibilität und der Flüchtigkeit ein Trend unserer Zeit beschrieben, so kann es eigentlich kaum noch überraschen, dass angesichts solcher Sachverhalte Menschen nur noch bedingt bereit sind, Verantwortung zu übernehmen, da sich das Problem der Verantwortung ihnen nicht stellt. Kenne ich meinen Nachbarn nicht, brauche ich nicht für ihn einzustehen, wenn dieser in Not ist. Grüße ich meine Mitmenschen nicht, so werden auch diese mich nicht grüßen. Finde ich keine Zeit zum kurzweiligen Gespräch beim Bäcker, beim Metzger, so wird eine sich daran anschließende Intensivform von Geselligkeit nicht wahrscheinlich sein.

Von alldem, was in unserer Gesellschaft mit Blick auf eine schwindende Verantwortung anzutreffen ist, ist auch der Sportjournalismus betroffen.

Dieser Zusammenhang wird deutlich, wenn wir die Situation des Sportjournalismus unter den Aspekt der Verantwortung in einem verantwortungslosen Sport etwas genauer betrachten.

Literatur:

Becker, P. (1983). Ob FAZ oder Bild, Sport bleibt Sport – zur Bedeutungskonsonanz der Sportberichterstattung. In H. Digel (Hrsg.), Sport und Berichterstattung (S. 74-95). Reinbek: Rowohlt.

Gruschwitz, D. (2009). Der Sportsommer im ZDF. In ZDF (Hrsg.), Jahrbuch 2008 (S. 86-89). Mainz: o.V.

Luhmann, N. (1996). Die Realität der Massenmedien. Westdeutscher Verlag: Wiesbaden.

letzte Überarbeitung: 03.12.2019