Sport in der Risikogesellschaft

1. Leben in der Risikogesellschaft

Seit „Tschernobyl“ hat sich unser Wissen über Gesellschaftssysteme, deren Grenzen, interne Strukturen und Abhängigkeiten in ganz wesentlicher Weise verändert. „Alles Leid, alle Not, alle Gewalt, die Menschen einander zugefügt haben, kannte bisher die Kategorie der anderen: Juden, Schwarze, Frauen, Asylanten, Dissidenten, Kommunisten usw. Es gab Zäune, Lager, Stadtteile, Militärblöcke einerseits, andererseits die eigenen vier Wände – reale und symbolische Grenzen, hinter die die scheinbar nicht Betroffenen sich zurückziehen konnten. Dies alles gibt es weiter und gibt es seit Tschernobyl nicht mehr. Es ist das Ende der anderen, das Ende all unserer hochgezüchteten Distanzierungsmöglichkeiten, das mit der atomaren Verseuchung erfahrbar geworden ist“ (BECK 1986, 7). Die Natur – so scheint es – hat uns Menschen eingeholt. Zur Utopie einer künftigen besseren Welt ist längst die negative Utopie kommender Katastrophen getreten und über die Zukunft kann heute nur vernünftig geredet werden, wenn wir uns auch auf die Vorstellung einlassen, dass es diese Zukunft vielleicht gar nicht mehr gibt (vgl. Böhme 1986, 929). Allen Grenzziehungen zum Trotz leben wir plötzlich in einer „Risikogesel1schaft“, in einem „Weltindustriesystem“. Bei dem Versuch, dieses System zu beherrschen, zeichnen wir Menschen uns momentan lediglich durch Hilflosigkeit aus. Die Natur, über Jahrzehnte nur noch über ihre technisch-industrielle Verwandlung wahrgenommen, ist zur unüberwindlichen Voraussetzung für die weitere Lebensführung in unserem modernen Industriesystem geworden. Der Markt und der daraus resultierende Massenkonsum stellen sich in neuartiger Weise als naturabhängig dar. „Tschernobyl“ – so scheint es – könnte einmal als Datum gesehen werden, an dem das Ende der klassischen Industriegesellschaft offenkundig wurde. Deren Vorstellungen von nationalstaatlicher Souveränität, von automatischem Fortschritt, von der Klassenstruktur der Gesellschaft, vom Leistungsprinzip, von der Verfügbarkeit der Natur, vom Nutzen wissenschaftlicher Erkenntnis, von der Übernahme von Verantwortung, vom Konsum und vom Markt scheinen brüchig geworden zu sein. Dies zeigt sich uns in vielen Bereichen des öffentlichen und privaten Lebens, in der Welt der Arbeit ebenso wie in der Welt der Freizeit, nicht zuletzt auch auf dem Gebiet des Sports.

Unsere aktuelle Situation ist über jene Risiken zu kennzeichnen, die uns die industrielle Modernisierung gewollt und ungewollt als Folgeprobleme hinterlassen hat. Diese Risiken haben eine neue Qualität: sie müssen von jenen getragen werden, die sie nicht erzeugt haben; sie schlagen aber auch auf jene zurück (z.B. in Form einer den Erdball umkreisenden und von Windverhältnissen abhängigen Strahlungswolke), die als Verursacher auszumachen sind; in gewisser Weise werden dadurch Gefahren egalisiert.

Nicht weniger riskant ist jener umfassende Prozess der Individualisierung zu beurteilen, durch den sich der soziale Wandel in unserer Gesellschaft in den vergangenen Jahrzehnten vorrangig auszeichnet. Die dabei erreichte Veränderung der „Wir-lch-Balance“ (ELIAS) hat dazu geführt, dass immer mehr Menschen aus ihren angestammten Lebensbezügen gerissen wurden. Beispielhaft kann dies am personalen Gefüge der Familie und im Berufsleben beobachtet werden. Waren Familie und Beruf im Prozess der Modernisierung unserer Gesellschaft Hilfe und bewirkten sie vor allem Sicherheit, so gibt es heute diese Sicherheit für viele Menschen nicht mehr. Beide Bereiche haben ihre ehemalige Zuverlässigkeit und Schutzfunktion eingebüßt. Die bürgerliche Familie scheint eine Verhandlungsfamilie auf Zeit zu werden. Die Scheidungszahlen sprechen diesbezüglich eine eindeutige Sprache.

Im Berufsleben verwischen sich die Grenzen zwischen Arbeit und Nichtarbeit. Arbeitszeit, Arbeitsort und vor allem das Arbeitsrecht sind Faktoren, die zunehmend aufweichen und das Wachstum eines risikoreichen flexiblen Marktes der Unterbeschäftigung außerhalb der offiziellen Arbeitslosigkeit begünstigen. Neben die Berufe treten Beschäftigungen.
Von solchem Wandel ist vor allem das Bildungswesen betroffen. Schon seit längerer Zeit ist dessen Funktion als Institution beruflicher Bildung in Frage gestellt.

Nicht weniger sind die Frauen von solchem Wandel betroffen. Im Prozess der Modernisierung unserer Gesellschaft ist es wohl zu einer gewissen Emanzipation der Frauen gekommen. Die Frauen mussten jedoch ihre neuen Freiheiten mit neuen Belastungen erkaufen. Frauen werden heute vermehrt mit der Brüchigkeit der Ehe, der Familienversorgung konfrontiert; sie sind die häufigste Kundschaft der Sozialhilfe. Auf diese Weise sind Frauen nach wie vor auch heute noch auf die ökonomische Sicherheit durch den Mann angewiesen. Frauen werden im Widerspruch von Freisetzungen aus traditionellen Vereinbarungen, Rückbindungen an die traditionelle Mutterrolle und arbeitsmarktabhängigen Alterszuweisungen hin- und hergerissen.

Suchen Politiker Wege zur Risikobewältigung, so bedienen sie sich der Wissenschaften. Den Wissenschaften kommt auf diese Weise vermehrt eine Machtposition zu. Sie haben heute mehr denn je die Definitionsgewalt über die Frage, was gefährlich und ungefährlich ist. Sie legen fest, was als relevantes Problem gelten muss, was als irrelevant vernachlässigt werden kann. Ihre neuartige Machtposition kann jedoch die Wissenschaft nur auf halbem Wege nutzbar machen, da es ihr an begründeten Lösungsangeboten mangelt. Wissenschaft befindet sich vielmehr selbst jenseits von Wahrheit und Aufklärung, sie ist vielmehr selbst Risikofaktor.

2. Risiken des Sporttreibens – Sport als soziales Problem

„Tschernobyl“ hatte für den Sport ganz unmittelbare Folgen. So wie die Kinder in ihren Sandkästen plötzlich nicht mehr spielen durften, so war auch das Spiel der Erwachsenen plötzlich in Frage gestellt. Tennisplätze wurden gesperrt, in städtischen Sportanlagen wurde der Sportbetrieb eingestellt. Schulsport im Freien war untersagt. Der Sport – meist mit dem Hinweis auf seine angeblichen bzw. tatsächlichen gesundheitlichen Funktionen legitimiert – war in seiner eigentlichen Legitimationsbasis in Frage gestellt. Wer in diesen Tagen Sport trieb, so die Überzeugung der Gesundheitsexperten, gefährdete seine Gesundheit erheblich. Was nicht selten für den Hochleistungssport schon seit längerer Zeit gilt, traf plötzlich für jede Art von Sporttreiben zu. Anzeichen für eine derartige Gefährdung des Sports gab es freilich schon sehr lange. Bei Smogalarm in Berlin, Frankfurt, oder im Ruhrgebiet werden Jogger und Langstreckenläufer schon seit längerer Zeit vor intensiven Ausdauerbelastungen gewarnt. Nur wenigen Großstadtjoggern dürfte dabei ihre paradoxe Situation bewusstgeworden sein: Laufen auf großstädtischem Asphalt, in der Abgasluft von Industrie und Verkehr, ausgelöst durch ein Bedürfnis nach menschlichem Wohlbefinden und Gesundheit, wird zu einer Unternehmung mit Bumerangeffekt. Was es auf der einen Seite an Nutzen bringt, könnte durch die Schädigungen, die man dabei in Kauf nehmen muss, gemindert, vielleicht aber auch bereits in das Gegenteil verkehrt werden.

Das Beispiel des Laufens steht stellvertretend für all jene sportlichen Aktivitäten, die darauf ausgelegt sind, dass der Mensch allein – oder mit anderen – durch körperliche Belastungen und Leistungen, ausgelebt in der freien Natur, lebensnotwendige Bedürfnisse befriedigt. Seit „Tschernobyl“ – so scheint es – ist dies mit Risiken verbunden. Rechtfertigungsversuche des Sports über dessen Bedeutung für die Gesundheit, wie sie noch immer üblich sind, sind zumindest in einem Punkt brüchig geworden. So wie in der Medizin und in deren Diskussion über die Qualität von Medikamenten die Frage über die Wirkungsweise immer auch zu einer Frage über beabsichtigte und unbeabsichtigte Nebenfolgen wird, so müssen nun auch im Sport Folge und Nebenfolge, Nutzen und Schaden, Kosten und Unkosten unterschieden werden. Angeblich gesichertes Wissen erweist sich plötzlich auch im Sport als vorläufiges, als trügerisches Wissen, und der kennzeichnende Satz für unsere aktuelle Situation – „langfristige Schäden können nicht ausgeschlossen werden“ – hat auch im Sport Geltung. Der Sport als Produkt der modernen Industriegesellschaft wird von der verseuchten Natur, die sich eben diese Gesellschaft zu eigen zu machen versuchte, eingeholt. Die Natur wird zur Gefährdung des Sports mit der Perspektive, dass am Ende die Natur die Oberhand gewinnt.

Wenn von den Risiken des Sporttreibens die Rede ist, so verweist „Tschernobyl“ auf jenes Risiko, von dem der Sport selbst betroffen ist. Ein zweites Risiko zeigt sich, wenn wir nach den Auswirkungen des Sports auf die Natur fragen. Dabei wird erkennbar, dass sich auch bestimmte Erscheinungsformen des Sports als ein Eingriff in unser ökologisches System beschreiben lassen und dabei Luft, Wasser, Boden, Tier- und Pflanzenwelt beeinträchtigen, stören, schädigen und vernichten können. So kann allein der Skisport u.a. zu folgenden ökologischen Veränderungen führen: Er kann zur

  • Zerstörung der natürlichen Vegetationsdecke,
  • zur Artenveränderung der Vegetation,
  • zur Verkürzung der Vegetationsperiode,
  • zum Schwund der Wurzelmasse,
  • zur Auflichtung des Schutzwaldes,
  • zu Bodenverdichtungen,
  • zur Chemisierung des Bodens,
  • zur Trockenlegung von Feuchtgebieten,
  • zur Erhöhung des Oberflächenabflusses der Niederschläge und
  • zur Begünstigung von Hangrutsch, Bodenerosionen und Lawinen beitragen.

In ähnlicher Weise hat der Motorsport – nicht nur als Geländesport betrieben – schädigende Wirkungen. „Angeklagt“ sind darüber hinaus die verschiedensten Wassersportarten (Kanu, Rudern, Segeln, Surfen) und sämtliche Bergsportarten. Aus diesem Blickwinkel wird also der Sport zur Gefährdung der Natur. Der Sport wird somit in doppelter Weise zu einem sozialen Problem. Die Perspektive, die sich aus diesem zweiten Aspekt ergibt, deckt sich mit der ersten. Die Gefährdung der Natur durch den Sport – im Verbund mit anderen Gefährdungen – führt ebenfalls dazu, dass am Ende die belebte Natur die Oberhand gewinnt, allerdings in einer Weise, die angesichts ihrer Menschenleere für Menschen kaum vorstellbar ist.

Der Zusammenhang zwischen Sport und Natur – beschrieben als wechselseitiges Problem mit sozialer Wirkung – legt Fragen nach der Verursachung, der Schuld für das Problem, nach der Reichweite und Relevanz, nach der Betroffenheit, nach der Art des Umgangs mit diesen Problemen und nicht zuletzt nach den Lösungsmöglichkeiten nahe.

3. „Sport und Umwelt“ – ein beispielhaftes Problem der Risikogesellschaft

Mit der Formulierung „Sport und Umwelt“ wird schon seit einiger Zeit ein Thema etikettiert, das Anlass für Tagungen, Leitlinien, Hearings, Publikationen, aber auch für Polemiken bietet. Thematisiert wird dabei der relativ einfache Sachverhalt, dass Sport auf die Umwelt positiven Einfluss haben kann, dass Sport die Umwelt aber auch belasten und zerstören kann und dass schließlich die Sportausübung durch Umwelteinwirkungen beeinträchtigt werden kann. Betrachten wir das Problem, dass großen Teilen der sporttreibenden Bevölkerung bei einer weiteren Beeinträchtigung der natürlichen Umwelt die Basis für ihr Sporttreiben entzogen werden könnte. Verursacher dieser Probleme ist nicht der Sport. Er ist Betroffener, ihm wird Schaden zugefügt. Der Mensch in der Rolle des sporttreibenden Joggers, Skifahrers, Ruderers, Schwimmers, wird von seinen anderen Rollen, die er in einer modernen Gesellschaft auch noch auszuüben hat, eingeholt. Der Spottreibende sieht sich plötzlich in einem Gefüge von Betreibern von Kraftwerken, Herstellern von chemischen Produkten, Autoproduzenten, Kunden und Konsumenten dieser Produkte. Die Illusion, den Sport als einen ausgegrenzten und angeblich heilen Bereich unserer Gesellschaft erleben zu können, wird dem Sporttreibenden plötzlich genommen.

Die Verursacher, die für diese Gefährdungen verantwortlich sind, d.h. die jeweils handelnden Menschen und menschlichen Institutionen, sind uns bekannt. Will man sie zur Verantwortung für ihre Taten zwingen, so fällt dies allerdings sehr viel schwerer. Die Gefährdungen sind nicht zuletzt eine Folge der hochdifferenzierten Arbeitsteilung, die in Bezug auf die produzierten Risiken und Nebenfolgen der industriellen Produktion das Phänomen der „allgemeinen Komplizenschaft“ zur Folge haben. Diese mündet in einer „allgemeinen Verantwortungslosigkeit“, bei der das gegenseitige Schuldzuweisungsspiel wirkungslos wird. Dem einzelnen Bürger kann dabei vorgemacht werden, dass jede Ursache auch Wirkung und damit nicht Ursache ist. Auch für den „Kleinen Mann auf der Straße“ wird der Gedanke vom nicht mehr durchschaubaren System, von Ursache und Wirkung zur alltäglichen Metapher. Dem Vorwurf, Verursacher zu sein, wird immer schon auch das entlastende Argument mitgeliefert (vgl. BECK 1986, 43).

Im Sport zeigt sich dies insofern, als wir weiter Ski fahren, wohl wissend, dass durch den Massenskilauf bereits große Schäden in den Alpen verursacht wurden. Das ebenfalls öffentlich diskutierte Argument, dass das Waldsterben und die Erosion in den Alpen auch von anderen Faktoren bedingt sein könnte, als nur vom Skilaufen, dass Industrieabgase langfristige Klimaveränderungen und vor allem die nachlässigen Umweltgesetze der angrenzenden Ostblockstaaten zumindest ebenso wahrscheinliche Ursache für die Schäden in den Alpen sein können, führt dazu, dass man auch als aufgeklärter, umweltbewusster Bürger weiter Skilaufen kann, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben. BECK spricht in diesem Zusammenhang von der „biographischen Bedeutung des Systemgedankens“, der darin liegt, dass man etwas tun und wieder tun kann, ohne es persönlich verantworten zu müssen. „Man handelt sozusagen in eigener Abwesenheit. Man handelt physisch, ohne moralisch und politisch zu handeln. Der generalisierte andere – das System – handelt in einem und durch einen selbst hindurch: Dies ist die zivilisatorische Sklavenmoral, in der gesellschaftlich und persönlich so gehandelt wird, als stünde man unter einem Naturschicksal, dem Fallgesetz des Systems. Auf diese Weise wird angesichts des drohenden ökologischen Desasters schwarzer Peter gespielt“ (BECK 1986, 43).
Unser Interessendefizit ist dabei in erster Linie darauf zurückzuführen, dass wir in unserem Handeln überwiegend an kurzfristigen, gut artikulierten und in dieser Kurzfristigkeit auch legitimen Interessen der unmittelbar Betroffenen orientiert sind. Langfristige, ebenfalls legitime Interessen indirekt Betroffener hingegen kommen nicht zur Artikulation. Eine Verantwortung für zukünftige Generationen, wie sie vor allem von JONAS in dessen Verantwortungsethik gefordert wird, scheint somit noch immer in weiter Ferne zu liegen (vgl. JONAS 1982).

Die modernen Risiken in unserer Gesellschaft zeichnen sich noch durch ein weiteres Merkmal aus, von dem sich zeigen lässt, dass es entlastend für die Argumentation des Sports und seiner Verbände in der Auseinandersetzung mit den Naturschützern sein kann. Die Tatsache, dass Modernisierungsrisiken in Bezug auf ihre Verursacher selten eindeutig bestimmbar sind, hängt u.a. auch damit zusammen, wie die Risiken auftreten. Im Gegensatz zu früheren Risiken, die meist persönlich erfahrbar und erlebbar waren, sind die modernen Risiken nicht selten auch unsichtbar und bedrohen global, nicht nur Personen, Schichten, Stände, Arme oder nur die Dritte Welt. Sie bedrohen die ganze Menschheit, alle Tiere, alle Pflanzen. Globalität ist somit das zentrale Merkmal der Modernisierungsrisiken. Die Risiken zeichnen sich dabei auch durch einen Bumerangeffekt aus, so dass selbst die Reichen und Mächtigen dieser Welt vor ihnen nicht sicher sind (vgl. BECK 1986, 28 – 31). Globalität, Universalität und Unsichtbarkeit haben jedoch nur selten zur Folge, dass man sich „in seiner Welt im Kleinen“ von diesen Risiken betroffen fühlt. Sie bewirken eher Entlastung und lassen das Problem verdrängen. Dies wird noch dadurch begünstigt, dass es sich bei den modernen Risiken um relativ abstrakte Phänomene handelt. Sie werden in der Regel sprachlich, argumentativ erfahren. BECK weist darauf hin, dass frühere Gefahren auch sinnlich in die Nase oder ins Auge stachen, während einige der modernen Gefahren nur über chemisch-physikalische Formeln sichtbar werden. Die Gefahr, die der Massenskilauf in sich birgt, ist beim aktuellen Vollzug für den Skiläufer nur selten sichtbar. Der Tod des Wildes tritt nicht als unmittelbare Folge des Skitrekkings ein. Die Lunge der Sporttreibenden wird beim Lauf in der abgasverseuchten Luft der Großstadt nicht so geschädigt, dass der Betroffene es unmittelbar danach bemerkt. Die Wirkungen können oft sogar von der Quelle der Verursachung so weit entfernt sein, dass sie in der Lebensspanne der verursachenden Betroffenen selbst gar nicht wirksam werden. Damit wird nicht einmal mehr deutlich, wie notwendig die Übernahme von Verantwortung gegenüber zukünftigen Generationen für die heute Handelnden ist, und wie wichtig es wäre, dass die Wissenschaften ihrer Pflicht zur Aufklärung nachkommen.

Dies alles hat zur Folge, dass die Parole gilt: „was   nicht erfahrbar ist, das zählt nicht“. Da die Diskussion über die Risiken unsicher ist, gilt das Motto „in dubio pro Sport“ und „in dubio pro Fortschritt“, was in der Sprache von beck heißt „in dubio pro Weggucken“ (BECK 1986, 45).

Wer sich für die Natur einsetzt, muss sehr schnell erkennen, dass sich nur wenige Argumente erhärten lassen, und selbst erhärtete sich kaum gegen einen systematischen Dauerzweifel durchsetzen können. Es ist gerade das Merkmal einer komplex ausdifferenzierten Gesellschaft bzw. der industriellen Modernisierung und deren schädigenden Nebenfolgen, dass jedes mit jedem in Beziehung gebracht werden kann. Solange neben dem Skilaufen in den alpinen Regionen der Borkenkäfer, die gefräßigen Eichhörnchen, falsche Techniken der Forstwirtschaft, Schornsteine in den Talregionen etc. ebenfalls als Verursacher zur eigenen Entlastung angeklagt werden können, so lange sehen der Verkehrsverein im Skigebiet, die Hoteliers der Gemeinde, die Seilbahngesellschaften, der Skiverband und schon gar nicht der einzelne Skiläufer einen Grund, auf Skitourismus bzw. Skiurlaub zu verzichten. Dass die Sporttreibenden bzw. die verantwortlichen Institutionen im Sport kaum Verantwortung für das Problem verspüren, hängt aber auch damit zusammen, dass selbst dann, wenn man akzeptiert hat, dass z.B. das Waldsterben eine Folge der Industrialisierung ist, die daraus resultierenden Expertendiskussionen geeignete Alibis für das eigene weitermachen liefern. Sind es die Schwefeldioxide, die Stickstoffe, deren Photooxydanzien, die Kohlenwasserstoffe oder sonst irgendetwas, das uns heute noch völlig unbekannt ist, das uns den ewigen und letzten Herbst, das Fallen der Blätter beschert? „Ist nun das Auto die Schmutzschleuder der Nation und damit der eigentliche Waldkiller, oder gilt es, in die Kohlekraftwerke endlich hochwertige, auf dem neuesten technischen Stand befindliche Entschwefelungsanlagen einzubauen? Oder wird auch das vielleicht nichts nützen, da die Schadstoffe, die den Wald sterben lassen, mit den verschiedensten Winden aus den Schloten und Auspuffrohren unserer Nachbarländer ohne Transportkosten frei Haus bzw. frei Baum geliefert werden?“ (BECK 1986, 42).

Die Reihe dieser Fragen könnte noch erweitert werden. Sie soll auf die gängigen Argumentationsmuster verweisen, die auch im Sport zur Anwendung kommen, wenn er selbst als Verursacher angegriffen wird. „Ich schlag Dich“ und „Du schlägst mich“, jeweils mit Hilfe sogenannter Gutachter, ist mittlerweile ein Spiel, das heute die Umweltauseinandersetzung auf dem Gebiet des Sports prägt. Man lässt Studien zur Umweltverträglichkeit einer Sportanlage anfertigen, oder lässt gar eine bestimmte Technik bei einer Sportart als umweltverträglich sanktionieren.

Ein besonderer Hinweis auf die Unterscheidung zwischen wissenschaftlicher Beratung und Sportpolitik, zwischen Vorbereitung auf der einen sowie dem sportpolitischen Handeln und der sportpolitischen Entscheidung auf der anderen Seite ist hier angebracht. So wie die Wissenschaft ihre eigene Verantwortung in dieser Frage besitzt, so hat auch die Sportpolitik eine eigenständige Verantwortung zu erfüllen. Hinzu kommt, dass das, was wissenschaftlich richtig ist, nicht notwendigerweise auch gesellschaftlich erwünscht sein muss. Was umweltangemessen, menschheitsgemäß, human oder natürlich ist, lässt sich mit dem Instrument der Wissenschaft nicht hinreichend eindeutig bestimmen. Zur Wertentscheidung über die Frage, welcher Sport an welchem Ort akzeptiert werden kann, akzeptiert werden soll und muss, ist ein Prozess politischer Willensbildung vonnöten. Aufgabe der Wissenschaft sollte dabei lediglich sein, Konsequenzen bestimmter Wertpräferenzen offenzulegen, um diese einer allgemeinen Erörterung zugänglich zu machen. Die Frage, ob die Wissenschaft im Allgemeinen und die Sportwissenschaft im Besonderen dazu heute in der Lage ist, muss allerdings angesichts der Erfahrungen, die man bisher mit Wissenschaft auf diesem Gebiet gemacht hat, eher bezweifelt werden.

4. Suche nach Lösungen

Sucht man Hinweise zu angemessenen Lösungswegen, so scheint eines festzustehen: Mit Mahnungen und Appellen sind die aufgeworfenen Probleme nicht zu lösen. Appelle dürfen nur noch Impulse für weiterführende Lösungen sein. Benötigt werden institutionelle Lösungen. Benötigt werden juristische Regelungen, benötigt wird eine bessere Moral, eine geeignetere Ökonomie, eine verantwortungsvollere Wissenschaft, möglicherweise eine neue Form des religiösen Denkens und vermutlich auch ein abgewandelter Demokratiebegriff; d.h. benötigt wird eine andere Gesellschaft. „Lernen“, „Umdenken“ und „Wandel“ sind jene Begriffe, die dabei die Konzepte charakterisieren müssten, deren Ausarbeitung dringend vonnöten ist.

Hierzu ist in erster Linie eine philosophisch-ethische und juristische Diskussion vonnöten, die gewiss nicht nur vom Sport zu initiieren ist. Vom Sport sollte diesbezüglich nur erwartet werden, dass er sich – in einem mittel- und langfristigen Eigeninteresse – um die Lösung jener Probleme kümmert, von denen sein System ganz unmittelbar betroffen ist. Das heißt, der Sport selbst sollte jene Möglichkeiten ergreifen, die von ihm selbst, d.h. von den Institutionen des Sports und den Sporttreibenden ergriffen werden können. Im Medium Geld als Steuerungsmittel, in der Erziehung und in der Entwicklung von neuen Regeln durch den Gesetzgeber werden bedeutsame Möglichkeiten zur Lösung liegen.

4.1. Ethische Regulative

Eine Schlüsselfrage in der Auseinandersetzung zwischen Sport und Umwelt scheint mir zu sein, ob und inwiefern es gelingt, ein ethisches Fundament zu finden, das Regulationskraft besitzt und dabei den Interessen der Menschen und der Natur gerecht wird. In den letzten 20 Jahren wurden eine Reihe bedeutsamer neuerer Ethikkonzeptionen vorgelegt, die letztlich übereinstimmend das Ziel haben, eine Lösung für die uns belastende ökologische Krise anzubieten. Beispielhaft ist dabei das Konzept von Hans JONAS, in dem vor allem daran Kritik geübt wird, dass in der bisherigen Ethikdiskussion allein der Mensch zum Thema ethischer Überlegungen gemacht wurde. Er stellt deshalb solchen Auffassungen ein metaphysisches Gesamtinteresse des Menschen für seine natürliche Heimat entgegen, zu der auch die Artenvielfalt gehört. Folgt man JONAS, so besitzt die Natur eine Eigenwürde, der wir zur Treue verpflichtet sind. JONAS geht also nicht vom Primat des Menschen aus, sondern von der Gleichberechtigung der Natur. In einem weiteren Schritt kritisiert JONAS, dass sich die ethische Diskussion bislang in erster Linie auf Einzelhandlungen bezogen hat. Damit wird sie jedoch der besonderen Herausforderung durch die moderne Technik nicht gerecht. Ethik muss auch die kumulative Wirkung technologischen Tuns berücksichtigen, wobei die Unumkehrbarkeit des technologischen Handelns bewirkt wird und permanent neue Ausgangssituationen geschaffen sind. Diese neuen Sachverhalte müssen im Blickpunkt einer neuen Ethik im technologischen Zeitalter sein. Das besondere Problem ist dabei die Frage nach der Verantwortung bei kumulativen Wirkungen für die jeweiligen Handlungen und deren Folgen. Das wirklich Gefährliche unserer aktuellen Situation sieht JONAS in dem Tatbestand, dass die direkten Wirkungen einer technologischen Entwicklung überschaubar sind, die Fernwirkungen jedoch nicht. Gerade in den Fernwirkungen liegt die Möglichkeit der Zerstörung der Biosphäre, der Erschöpfung der Rohstoffe und der Energiequellen. Damit wird die Existenz der Menschheit schlechthin in Frage gestellt. JONAS‘ Vorschläge werden von der grundlegenden Überzeugung geleitet, dass es auch in der Zukunft Menschen geben soll. Dieser Imperativ ist die Verpflichtung gegenüber der Nachkommenschaft. Unser Handeln soll von der Art sein, dass es die Möglichkeit zukünftiger Menschheit nicht gefährdet (vgl. JONAS 1987, 983 – 1002; 1987, 103 – 115).

Für eine ethische Diskussion des Sport-Umwelt-Problems sind die Schriften von JONAS von grundlegender Bedeutung. Sie stellen ein traditionelles anthropozentrisches Weltbild in Frage und definieren die Verantwortung der Menschen gegenüber der Natur auf neue Weise (vgl. SCHÖNHERR 1986, 687 – 698). Sie stellen auch zentral die Frage, die gerade für den Sport von besonderer Bedeutung ist: Muss im Falle bestehender Zweifel eine Handlung unterlassen werden? Handlungen im Allgemeinen, aber auch Handlungen im Sport im Speziellen – das kann man in der chemischen Produktion ebenso erfahren wie beim Skilaufen – haben es prinzipiell an sich, dass nicht alle Neben- und Spätfolgen in die Entscheidung, die aktuell zu treffen ist, einbezogen werden können. Ist dies richtig, so stellt sich die Frage nach der Verantwortung in Bezug auf Folgen und Nebenfolgen grundlegend. Die Entscheidungen müssen nach bestem Wissen und Gewissen unter Beachtung aller abschätzbaren Risiken gefällt werden. Die Verantwortung sollte dabei dem einzelnen Menschen nicht genommen werden. Verantwortung ist jedoch personal und kollektiv zu verstehen. Verantwortung sollte nicht delegiert werden, z.B. vom Wissenschaftler auf den Politiker. Jeder einzelne Mensch, aber auch jede kollektive Institution, hat in einer je spezifischen Situation die Möglichkeit, sich frei für oder gegen etwas zu entscheiden, wie stark auch immer die Sachzwänge sind. Dies gilt auch für den Sportler, ebenso aber auch für die Sportverbände.

Die Herausforderung für den einzelnen Menschen ist dabei in der heutigen Situation umfassend und einzigartig zugleich: „Das Singuläre unserer heutigen Krisensituation ist die Möglichkeit der Selbstauslöschung der menschlichen Spezies und einer irreversiblen Schädigung des ganzen Ökosystems“ (TREML 1985, 63). Vor dem Hintergrund dieser Situationskennzeichnung ist eine Überlebensethik vonnöten (vgl. TREML 1985, 64 – 73). Es ist „eine Ethik des Seinlassens“ und sie beansprucht ihre Gültigkeit auch für einen Bereich wie den des Sports. „Sein lassen“ und „sich einlassen“ sind im Sport gleichermaßen vonnöten. Gesucht ist dabei eine „homöostatische Überlebenseinheit“, bei Anerkennung der Motive „Gesundheit“ und „Lebensfreude“, die die Menschen im Sport zu befriedigen wünschen. Ein beliebiges Weiterwachsen und Weitermachen würde im Sport – wie bei allen übrigen Subsystemen – letztlich zur eigenen Selbstzerstörung führen. „Stoppregeln“ für den Sport zu finden heißt somit, dessen eigene Selbstzerstörung vermeiden helfen (vgl. TREML 1985, 71).

4.2. Gesetzliche Regelungen mit folgenreichen Sanktionen

Wenn es richtig ist, dass zumindest in einigen Bereichen des Sports, so z.B. im Motorsport, in einigen Wassersportarten und in fast allen Bergsportarten „ein geordneter Rückzug“ gefordert und angesagt ist, so ist angesichts der Erfahrung mit vergleichbaren Situationen in der Geschichte des Menschen die Einsicht vonnöten, dass solch ein Rückzug auf freiwillige Weise kaum gelingen wird. Der Rückzug kann zwar freiwillig erfolgen, er benötigt jedoch auch unfreiwillige Begrenzungen des heute in Anspruch genommenen Freiheitsraumes. Dazu sind die richtigen politischen Rahmenentscheidungen notwendig. Erst wenn sie getroffen werden, hat der einzelne Bürger in seiner privaten Sphäre die Möglichkeit zu sinnvollem, sozial nützlichem Verhalten. Erst dann kann er das leisten, was ethisch von ihm abverlangt werden muss. Es sind somit gesetzliche Verbote im Sinne von Stoppregeln erforderlich, die gefährliches Sportwachstum verhindern, die die Naturregionen so schützen, dass in ihnen eine tatsächliche Regenerierung möglich wird. Zur Einhaltung solcher Regeln sind Strafen erforderlich, die angesichts ihrer Höhe wirksame Abschreckung bedeuten. Im Interesse des organisierten Sports muss es dabei liegen, dass sich die Zahl der Sportarten in der nächsten Zukunft nicht weiter vermehrt, die den Konflikt mit der natürlichen Umwelt noch wesentlich steigern. Der Sport müsste freiwillig und selbstkontrollierend bereit sein, auf jene organisierten Sportveranstaltungen in Gebieten zu verzichten, die als Naturschutzgebiete ausgewiesen sind; mittelfristig müsste auf die Nutzung von Naturschutzgebieten prinzipiell verzichtet werden. Hier lediglich auf andere Nutzer zu verweisen, die in gleicher Unverständlichkeit Anspruch erheben, in Naturschutzgebieten ihre Aktivitäten fortzuführen, ist mehr als fragwürdig. Der organisierte Sport müsste in berechtigtem Eigeninteresse eine Initiative ergreifen, dass der Skitourismus auf eine Größenordnung national und international eingefroren wird, wie sie Mitte der 70er Jahre erreicht wurde. Will man dies erreichen, so ist z.B. ein Verbot weiterer Werbemaßnahmen für den Skisport erforderlich. Dies gilt sowohl für die massenmediale Werbung der Skiindustrie als auch für die Werbung der Skifachverbände. Zumindest müsste die Werbung in vergleichbarer Weise, wie es für die Zigarettenwerbung üblich ist, mit einer Aufklärung gekoppelt sein. Der DOSB müsste sich freiwillig von seinen Motorsport-Organisationen trennen, da sie auf der Grundlage einer Ethik, die ökologische Fragen mit berücksichtigt, nicht mehr zu rechtfertigen sind.

Zu solchen Veränderungen sind nicht nur Appelle vonnöten. Gefordert sind strukturell verändernde Entscheidungen, die Verbindlichkeit erzeugen und bei Nichteinhaltung an Sanktionen geknüpft sind.

4.3. Geld – ein Medium, das jeder versteht

In einer von ökonomischen Prinzipien bestimmten Welt kann angenommen werden, dass das „Medium“ Geld jenes Steuerungsinstrument ist, das mit höchster Resonanz rechnen darf. Wenn man Lösungen für die aufgeworfenen Umweltfragen des Sports sucht, so ist es deshalb naheliegend, dass man finanziellen Abgaben eine besondere Lenkungsfunktion für das zu lösende Problem zubilligt. Ein aus Umweltsicht unerwünschtes Verhalten wird mit einer Zahlungspflicht belegt, um über eine ökonomische Hebelwirkung das Verhalten der Sporttreibenden zu verändern. Abgaben, so eingesetzt, können darüber hinaus eine weitere Funktion haben. Sie können für spezifische Umweltschutzmaßnahmen im Bereich des Sports deren Finanzierung sichern. Beide Typen sind meines Erachtens marktwirtschaftlich konform und können in unserer Gesellschaftsordnung am ehesten angewandt werden. Solange Abgaben jedoch billiger sind als der ideelle Gewinn, den man durch umweltwidriges Verhalten erwirtschaftet, sind die Abgaben unter ökologischen Gesichtspunkten offensichtlich kaum wirksam. Hohe Abgaben, das gilt auch für den Freizeitbereich und für den Sport, können wohl wirksam sein, sie sind deshalb aber nicht unproblematisch. Würde der Sport in der freien Natur sich über ein Abgabenkonzept regeln, so würde dies bedeuten, dass jener Sport, der unschädlich ist, erleichtert wird, d.h. billiger ist und jener Sport erschwert wird, d.h. teurer wird, der schädlich ist. Ob der Sport auf diese Weise gerecht reguliert werden kann, d.h. ob man über den Preis das Umweltproblem lösen kann (vgl. hierzu MOSER 1985, 49), scheint allerdings fraglich zu sein. Es gibt Anzeichen, dass sich einige Skiorte in den Alpen, so z.B. Lech, auf diesen Weg begeben, was letztlich dazu führt, dass nur noch wenige, ausgesprochen wohlhabende Menschen, in diesen Skigebieten Skifahren können. Dieses Beispiel macht deutlich, dass es vermutlich problematisch wäre, würde man jenen Ökonomen folgen, die allein im freien Markt eine Lösung der Umweltprobleme sehen. Geld ist zwar ein Medium, das jeder versteht, es kann aber auch ein höchst ungerechtes Medium sein. Eine Rücknahme menschlicher Bedürfnisse, die zwingend erforderlich ist, setzt einen gerechten Interessenausgleich der Menschen untereinander voraus, soll ein Rückfall in eine Ständeordnung vermieden werden. Der Preis als Regulativ kann deshalb nur sinnvoll eingesetzt werden, wenn er sowohl an politisch-gesetzliche Regelungen gekoppelt wird und darüber hinaus an eine ethische Basis gebunden ist.

4.5. Erziehung – ein zweifelhaftes Lösungsinstrument

Unter den zahlreichen Vorschlägen zur Lösung der Sport-Umwelt-Problematik lassen sich nur wenige erkennen, die einen mittel- und langfristigen Erfolg wahrscheinlich machen. Dazu gehören ohne Zweifel einige Vorschläge, die im Erziehungswesen ein geeignetes Lösungsinstrument erkennen.

Sportpädagogik muss dann allerdings vor allem auch eine politische Pädagogik sein. Sportpädagogen müssen sich als politische Menschen begreifen. Dazu gehört die Einsicht, dass genau wie jeder Naturbezug gesellschaftlich bestimmt und somit politisch veränderbar, so ist auch jede Handlung im Sport gesellschaftsbezogen und somit nicht weniger veränderbar ist (vgl. DIGEL 1982). Das Prinzip der Veränderbarkeit ist der Schlüssel zur Überwindung der paradoxen Beziehung zwischen Sport und Umwelt, über Veränderung ist jenes möglich, was WINTER verheißungsvoll „Befreiung in solidarischer Bindung“ nennt (WINTER 1986, 4) und wozu die Absage an Konsumüberfluss, geistige Trägheit, Mitläufertum ebenso gehört wie der Verzicht auf nach außen und nach innen gerichtete imperialistische Dominanz in den Bereichen von Politik und Ökonomie. Dieser pädagogische Anspruch ist wünschenswert. Er ist jedoch so umfassend, dass es kaum verwundern kann, dass ihm in der Praxis so gut wie nicht entsprochen wird. Die Hoffnungen auf Lösungen durch das Erziehungswesen sollten jedoch eher bescheiden veranschlagt werden.

Auf Erziehung zu setzen, ist zwar populär und eine entsprechende Argumentation leuchtet im Grunde genommen jedermann ein. Es wird dabei auf das „vernünftige Subjekt“ gesetzt und die Schule, in der dieses Subjekt gebildet werden soll, ist schließlich eine integre Institution. In gewisser Weise ist dieser Lösungshinweis jedoch Teil jener Individualisierungsprozesse, wie sie für unsere Gesellschaft typisch sind. Erziehung wirkt dabei kurzfristig entlastend, mittelfristig und langfristig stellt sie sich aber als stumpfe Waffe heraus. Diese Gefahr birgt das Konzept einer Umwelterziehung vor allem dann in sich, wenn es sich herausstellt, dass sie nur einer privilegierten Gruppe dient. Aufklärung und Erziehung können allenfalls günstige Voraussetzungen für durchschlagende Maßnahmen sein. Finden sie im intellektuellen Freiraum jener statt, die sich selbstverständlich ihr spannendes Naturvergnügen nicht nehmen lassen wollen, so haben beide Alibifunktion und verschärfen in indirekter Weise die Konflikte zwischen Sport und Umwelt. Vorschläge zum „ökologischen wandern“ und Berichte darüber überbieten sich diesbezüglich an Naivität und Blauäugigkeit. Als didaktisch so wichtige praktische Erfahrung wird etikettiert, wenn ohnehin Privilegierte mit eigenen Augen sterbende Bäume sehen, Schutthalden betasten, Pisten in Naturschutzgebieten fotografieren, mit einem Vertreter des Fremdenverkehrsverbandes sprechen etc.

Stoppregeln können nicht nur von innen, vom Individuum selbst gesetzt werden, sie müssen auch von außen dem System des Sports auferlegt werden. Nur damit ist langfristig erkennbar, wie der ökologische Konflikt zwischen Sport und Umwelt zu lösen wäre und eben daran sind auch die Umwelt-Erziehungskonzepte im Sport zu messen.

4.6. Wohnnahe Freizeitentwicklung als Entlastung

Führt man eine Diskussion über die Lösungsstärke von ethischen Grundlagen, gesetzlichen Regelungen, finanziellen Abgaben als Steuerungsinstrumente, freiem Markt und Erziehung, so sind die Skepsis und der Pessimismus deren herausragendes Merkmal. Einschneidende strukturelle Veränderungen in Bezug auf das besondere Umweltproblem des Sports sind bis heute kaum sichtbar. Gerade deshalb sind Einzelmaßnahmen auch dann, wenn sie nur eine geringe Reichweite haben, unverzichtbar geworden. Sie sollten allerdings an jenen strukturel1en Veränderungswünschen ausgerichtet sein, die bislang zwar nicht erfolgreich waren, dadurch ihre Angemessenheit jedoch nicht verloren haben.

Auf dem Gebiet des Sports bieten sich dabei Einzelmaßnahmen an, die im Vergleich mit ihren Alternativen sowohl den sportlichen Interessen genügen als auch einem individuellen Umweltschutz nützen. Die beste Umweltpolitik des Sports könnte dabei darin liegen, dass er in seinen Organisationen – d.h. vor allem in seinen Vereinen – Sport in der unmittelbaren Wohnumgebung seiner Mitglieder anbietet. Dieser Sport sollte so attraktiv sein, dass die wohnfernen Regionen unserer Umwelt immer weniger anziehend für die Masse der Bevölkerung sind und damit eine Phase der Regenerierung für die belasteten Regionen eingeleitet werden kann. Anstelle einer unkontrollierten Ausdifferenzierung des Sports könnte so eine gesteuerte partielle Entdifferenzierung treten.

Will man ein Konzept wohnnaher Sportgelegenheiten realisieren, so ist eine Vielzahl von Einzelmaßnahmen erforderlich. Dazu gehören der

  • Ausbau und die Pflege der grünen Freiflächen in den bewohnten Regionen
  • Ausbau und die Pflege der Spielflächen für Kinder und Erwachsene
  • Öffnung der Spiel-, Sport- und Vereinsanlagen für jedermann
  • Öffnung der Parkanlagen zum Sonnen, Liegen, für Sport, für Spiele, für Nachbarschaftsfeste
  • Anpflanzung von Laubbäumen in den Wohnstraßen
  • Ausbau der öffentlichen Nahverkehrssysteme zugunsten einer günstigen Erreichbarkeit der Freizeit- und Sportstätten im urbanen Raum
  • Ausbau der verkehrsberuhigten Zonen im Wohnbereich
  • Umwidmung von Industriebrachen und alter Industriegebäude zu Sportstätten.

5. Versuch einer Bilanz

Die Ökologiediskussion zeichnet sich heute vorrangig durch zwei Diskussionsmuster aus, die in vieler Hinsicht als konträr zu bezeichnen sind. Konträr sind sie insofern, als die eine Seite von einer umfassenden Krise spricht, die andere hingegen die Probleme, die derzeit als ökologisch zu bezeichnen sind, lediglich als Übergangserscheinung eines normalen gesellschaftlichen Wandels versteht. Für die eine Seite ist das Ökologieproblem der Ausdruck einer umfassenden Krise des abendländischen Denkens, einer gewinnorientierten Wachstumswirtschaft, die keine Grenzen und Sättigungsziele kennt. Für die andere Seite hingegen sind die Umweltprobleme technologische Probleme, wie man sie schon immer gekannt hat. Sie werden als Folge einer schlechten Technologie betrachtet und müssen deshalb durch eine bessere, neuere Technologie überwunden werden. Die Technologie, die uns in die Krise gebracht hat, müsste nun die Krise zu überwinden helfen. Befürwortet man dies, so benötigt man Wirtschaftswachstum, um aus dem Wachstum auch die Finanzierung der dringlicher werdenden Bedürfnisse des Umweltschutzes zu sichern. Die Gegenseite macht ganz andere Vorschläge. Es wird für ein neues Denken plädiert, für das Erlernen eines vernetzten, nichtlinearen Denkens. Es wird eine Ökologisierung der Industriegesellschaft gefordert, d.h. eine schrittweise, aber zielbewusste Änderung unserer Umwelt. Der Konsum von Energie und Rohstoffen muss unter dem Blickwinkel einer maximalen Einsparung erfolgen. Gefordert ist ein umweltfreundlicher Umbau des Verkehrssystems und anderer grundlegender Funktionsbereiche der Gesellschaft. Dazu gehört die Energie, die Landwirtschaft, das Siedlungswesen, aber auch unsere Freizeitstrukturen und hier auch das Sportsystem. Die ökologische Problematik wäre so betrachtet eine kulturelle Problematik im umfassenden Sinne, die das Wertsystem dieser Gesellschaft herausfordert und die überkommenes Denken in Frage stellt. Es geht um die Entwicklung eines „neuen Lebensmodells“ (vgl. Editorial zur Zeitschrift Universitas 11 (1987)).

Stimmt die zweite Kennzeichnung der vorrangigen Probleme unserer Gesellschaft, so ist die von den betroffenen Sportorganisationen aufgeworfene Frage nach der Priorität im Verhältnis zwischen Sport und Umweltschutz eindeutig zu beantworten. Es geht nicht um einen „Interessenausgleich“, wie es in vielen Reden als besondere Kompromissleistung des Sports hervorgehoben wird. Angesagt und gefordert ist der geordnete Rückzug, der Verzicht auf die Befriedigung einer Reihe von Bedürfnissen, die man sehr liebgewonnen hat, die aber nicht elementar sind. Dieser Rückzug ist sowohl von der Gesellschaft als auch von jedem Einzelnen anzutreten.

Heute müssen wir erkennen, dass eine Vielzahl von Bedürfnissen, auf die unsere Ökonomie in der Vergangenheit ausgerichtet war, neu zu überdenken sind. Es muss ein „Wohlstandsziel“ gefunden werden, das ethisch zu rechtfertigen ist. Dies bedeutet, dass unser ökonomisches System normativ gefasst sein muss. Es muss an einem „menschen- und naturgerechten Wohlstandskonzept“ ausgerichtet sein (vgl. KOSLOWSKI 1984, 46). Es sind somit die Bedürfnisse, die die Menschen derzeit befriedigen, auf den Prüfstand zu legen. Es stellt sich die Frage nach der Hierarchie der Bedürfnisse auf neue Weise, und es stellt sich weiterhin die Frage, ob es Bedürfnisse gibt, deren Befriedigung erschwert oder gar verboten werden muss. Grundbedürfnisse oder existentielle Bedürfnisse sollten dabei von Statusbedürfnissen oder nicht essentiellen Bedürfnissen unterschieden werden. Dabei sollte erkannt werden, dass erstere zu sättigen sind, letztere aber nicht und deshalb in ihnen die besondere Gefahr für die Menschheit liegt. „Höher, schneller, weiter“ – übersetzt als Abenteuer, Wagnis, Risiko – bedeutet für den Sport, dass auf ihn Bedürfnisse projiziert werden, deren Sättigung unter ökologischen Gesichtspunkten nicht mehr zugelassen sein kann.

Betrachtet man die Bemühungen des organisierten Sports im Konflikt zwischen Sport und Umwelt, so muss man erkennen, dass die Auseinandersetzung mehrheitlich gekennzeichnet ist durch die Suche nach Kompromissen. mayer-tasch weist darauf hin, dass „Kompromisslertum“ jedoch heute das Phänomen ist, das zu besonderer Sorge Anlass gibt. Dies gilt für das allgemeine Umweltproblem ebenso wie für das spezifische des Sports. In der Fortsetzung der „schwächlichen Politik des peripheren Eingriffs“ liegt die besondere Gefahr der aktuellen Politik. Autoritäre Politikverhältnisse werden durch solche Politik nahezu zwangsweise aufgezwungen, nicht zuletzt im Zusammenhang mit der Großtechnologiepolitik, insbesondere aber auch durch die gegenwärtige Atomenergiepolitik. Eine „Wir haben die Dinge im Griff“-Rhetorik, wie wir sie derzeit allenthalben von den Politikern erleben, führt zwangsläufig in einen umweltpolitischen Notstand, der eine Gefahr für unsere Freiheit bedeuten kann (vgl. mayer-tasch 1986, 1203).

Gewiss spielt diesbezüglich der Sport so gut wie keine Rolle. Wie überhaupt die Beantwortung der zentralen Fragen in der Umweltproblematik außerhalb der direkten Zuständigkeit des Sports liegen. Dies gilt vor allem für die Frage, welche Bereiche der Umwelt wertvoller und deshalb schützenswerter sind, und es gilt auch für die Frage nach den Gefährdungsschwellen, bei denen ein striktes Verbot der einzige Ausweg ist. Die Kompromissstrategie des Sports befindet sich jedoch in der Gefahr, die von MAYER-TASCH beschriebenen Gefahren mit zu bedingen. Wenn der Sport vom Kompromiss redet, so meint er nämlich im Grunde genommen „Weitermachen“ – und entsprechend bilanziert er auch seine Erfolge in der Auseinandersetzung mit den Umweltschützern. Im „unbedenklichen Weitermachen“ liegt jedoch die besondere Gefahr unserer Zeit.

 

Literatur:

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DEUTSCHER SPORTBUND: Deutscher Sportbund 1982 – 1986. Bericht des Präsidiums. Frankfurt 1986.

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MAYER-TASCH, P.C.: Ökologie und Freiheit. In: Universitas. Zeitschrift für Wissenschaft, Kunst und Literatur 41 (1986a) 11, 1200 – 1205.

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