Wenn eine Aussage mit einem Sachverhalt übereinstimmt über die sie gemacht wird, so bezeichnet man sie als richtig oder wahr. Vor Gericht schwören Zeugen1, dass sie die Wahrheit, die reine Wahrheit und nichts als die Wahrheit sagen. Die Wahrheit ist ganz offensichtlich ein bedeutsames gesellschaftliches Gut. Nicht nur in Demokratien verdient sie einen besonderen Schutz, denn auch in ihnen ist sie immer wieder bedroht. Davon sind viele Bereiche unserer Gesellschaft betroffen und es kann eigentlich kaum verwundern, dass auch das System des Sports immer wieder Probleme hat, wahre und richtige Aussagen von falschen und unrichtigen Aussagen zu unterscheiden. Auch im Sport ist nicht selten die Lüge zu Hause und auch im Sport gibt es immer wieder Fälle, in denen die Lügner von ihren Lügen profitieren und jene, die sich um die Wahrheit bemühen, benachteiligt werden oder gar fälschlicherweise der Lüge bezichtigt werden. Auch die massenmediale Berichterstattung über den Sport ist vom Phänomen der bedrohten Wahrheit und der begünstigten Lügen betroffen. Das Phänomen des Betruges im Sport hat angesichts der wachsenden Bedeutung der sportlichen Erfolge eine außergewöhnliche Reichweite aufzuweisen. Mit einer mittlerweile globalen Reichweite und mit ganz besonders dramatischen Ausprägungen hat der Doping- Betrug dabei die wohl zentralste Rolle eingenommen. Hat man diesen besonderen Betrug im Blick und möchte man sich für einen sauberen Sport einsetzen, so wird man sehr schnell erkennen, dass dieses Doping-Problem mittlerweile wohl ein globales Ausmaß angenommen hat, es seinen eigentlichen Ursprung jedoch in den führenden Hochleistungssportnationen hat, die während des Kalten Krieges stellvertretend für die jeweiligen politischen Systeme ihre Athletinnen und Athleten in sportliche Wettkämpfe geschickt haben, die dabei immer mehr zu bedeuten hatten als bloße Wettkämpfe. Die USA und die UdSSR sind dabei in erster Linie zu nennen. Der Kalte Krieg zwischen der BRD und der DDR setzte eigene Akzente. Doch es ist und war vor allem die DDR, die in Bezug auf das Doping- Problem des internationalen Hochleistungssports eine ganz besondere Rolle gespielt hat und für viele auch noch heute spielt. Bei der Beantwortung der Fragen welche Rolle die DDR dabei wirklich gespielt hat, wer für den Betrug gegenüber den sauberen Athleten verantwortlich gewesen ist, wie der Betrug organisiert wurde, wie man ihn gegenüber der Öffentlichkeit verschleiert hat, welche Rolle dabei Trainer und Athleten gespielt haben, wer die Opfer, wer die Täter waren und sind, gibt es mittlerweile eine ganze Reihe nationaler und internationaler Aufklärungsbemühungen. Leider muss man jedoch feststellen, dass nach wie vor noch vieles im Unklaren ist, manche Beurteilung von Außenstehenden der Sache nicht gerecht wird und nicht zuletzt auch das Schweigen vieler Athleten und Trainer, die in das Unrechtssystem des DDR- Sports eingebunden gewesen sind, die Suche nach der Wahrheit über den DDR- Sport erheblich erschwert haben und noch heute erschweren.Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund erscheint es mir besonders angemessen zu sein, eine Persönlichkeit des deutschen Sports in den Blickpunkt der gesellschaftspolitischen Aufmerksamkeit zu rücken, die bereits während der DDR-Diktatur ihr Leben dem Sport gewidmet hat und auch nach der Vereinigung der beiden deutschen Sportsysteme sich bis hin zur Aufopferung und zur Gefährdung der eigenen Gesundheit um einen fairen und sauberen Sport bemüht und dem Betrug im Sport den Kampf angesagt hat. Im Folgenden ist deshalb von Henner Misersky die Rede, der vor allem im letzten Jahrzehnt unermüdlich auf der Suche nach der Wahrheit über den Doping- Betrug in der DDR, aber auch über die DDR hinaus, gewesen ist und der durch seine unermüdlichen Recherchen Zusammenhänge offenlegen konnte, die nicht nur für Historiker, sondern für alle, die im Sport Verantwortung übernommen haben, von grundlegender Bedeutung sind. Sein ausgeprägtes politisches Bewusstsein für gesellschaftliche Probleme, seine außergewöhnliche Allgemeinbildung, seine gute sportfachliche Ausbildung als Sportpädagoge und Trainer, sein besonderes enzyklopädisches Wissen über sportliche Höchstleistungen und deren Entwicklung in nahezu allen Sportarten, seine Erfahrungen im internationalen Sport, seine Neugierde für alle neueren Entwicklungen in der Welt des Sports und nicht zuletzt seine Unnachgiebigkeit, wenn es um Fragen der Gerechtigkeit geht, kamen und kommen ihm dabei zugute.
Misersky wurde 1940 in Jena geboren und ist sein ganzes Leben lang seiner Heimat Thüringen treu geblieben. Lediglich während seiner Berufsausbildung von1957 bis 1963 lebte er in Sachsen-Anhalt und lief dabei als Leichtathlet für den SC Chemie Halle. Nach seinem ersten schulischen Abschluss machte er eine Ausbildung als Zahntechniker, absolvierte berufsbegleitend eine Sonderreifeprüfung und studierte danach ab 1965 Sportwissenschaft an der Universität Jena. Mit dem Prädikat „sehr gut“ erwarb er den akademischen Grad eines „Diplom- Lehrers“. 1969 wurde er Hochschulsportlehrer an der Technischen Hochschule Ilmenau, an der er bis zu seiner Pensionierung tätig gewesen ist. 1962 heirateten Henner Misersky und Ilse Schönemann, sie war DDR-Meisterin und „Meister des Sports“ im 800 m Lauf. Sie haben zwei Töchter, Heike und Antje. Beide waren herausragende Athletinnen. Letztere wurde Olympiasiegerin im Biathlon. Die Leichtathletik war jene Sportart, die die Familie ein ganzes Leben begleiten sollte. Nicht weniger bedeutsam war der Ski-Langlauf. Miserskys wichtigste Leichtathletik Disziplin war der 3000 m Hindernislauf. Von 1957-1972 nahm er an allen DDR-Leichtathletikmeisterschaften teil. Er wurde 1958 DDR-Vizemeister im 1500 m Hindernislauf der A-Jugend, 1960 wurde er Juniorenmeister mit neuem DDR-Rekord, den er im gleichen Jahr dreimal verbesserte. 1965 erreichte er den zweiten, 1966 sowie 1971 den dritten Rang bei den DDR-Seniorenmeisterschaften, 1966 und 1967 wurde er DDR-Studentenmeister.
Seine persönliche Bestleistung im Hindernislauf betrug 8:38,2. In den Wintermonaten betrieb er immer den Ski-Langlauf, wo er 1967 und 1968 bei den „DDR Bestenermittlungen“ den ersten Platz über 30 km erreichen konnte.
Während seiner aktiven Zeit pflegte Misersky einen regen Austausch mit westdeutschen Sportlern, was ihn sehr schnell zu einem „Beobachtungsobjekt“ des Ministeriums für Staatssicherheit machen sollte. Misstrauen erweckten auch die verwandtschaftlichen Beziehungen seiner Frau zum damaligen DLV- Präsidenten Dr. Max Danz. Die Abteilung M des MfS ordnete deshalb Post-Zollkontrolle an und kopierte alle Briefpost über die Grenzen der DDR hinaus. Während seiner Trainertätigkeit wurde auch das Telefon der Familie Misersky überwacht. Wegen Republikfluchtgefahr war er als Spitzensportler nicht mehr „verwendungsfähig“. So wurde sein Start beim Europacup Finale in Stuttgart 1965, als er die Jahresbestleistung mit 8:38,6 gelaufen war, durch ein Blitz- Telegramm des Sicherheitsdienstes verhindert und es wurde gegen ihn umgehend ein Ermittlungsverfahren wegen politisch ideologischer Diversion, staatsfeindlicher Hetze und Kontaktaufnahme zu feindlichen Kräften eingeleitet. Aus Sicht des MfS galt er als „politisch unzuverlässig“. Deshalb musste er 1968 die Universität Jena verlassen, verlor die zugesicherte Assistentenstelle im Wintersportbereich und galt als Sportlehrer im staatlichen Schulsystem als nicht mehr erwünscht. Er erhielt im politisch weniger bedeutsamen obligatorischen Studentensport eine Anstellung als Sportlehrer im obligatorischen Hochschulsport an der TH-Ilmenau.
1983 wurde Misersky als Nachwuchstrainer Ski-Langlauf zum SC Motor Zella-Mehlis und an die Kinder- und Jugendsportschule Oberhof zur Lösung „leistungssportlicher Aufgaben/sozialistische Hilfeleistung“ delegiert. Nach zwei Jahren erfolgreicher Tätigkeit wurde er bereits 1985 wieder fristlos entlassen. Er hatte sich einem zentralistisch angeordneten Verbandsprogramm verweigert, zu dem ein Doping gestütztes Trainingssystem (TuM) gehörte, das er ethisch und fachlich-methodisch nicht für verantwortbar hielt.
Nach der Wiedervereinigung kritisierte er den Deutschen Ski-Verband, weil dieser des Dopings belastete Trainer aus der DDR übernommen hatte und er machte umfassende Aussagen vor der „Richthofen- Kommission“ des DSB. Misersky befürwortete flächendeckende Dopingkontrollen im Skisport und trat in verschiedenen Prozessen gegen Doping-Täter als Zeuge auf. Im ersten deutschen Doping Prozess 1991 war er Zeuge und sagte gegen den „Cheftrainer Nordisch“ der DDR, Kurt Hinze, aus. Von der Landesregierung Thüringen wurde Misersky 1992 rehabilitiert und er erhielt eine Anstellung als Spezialsportlehrer für Ski -Langlauf am Sportgymnasium Oberhof. 2012 wurde er für seine Verdienste um den deutschen Sport in die „Hall of Fame“ des DOSB aufgenommen. In einem Brief vom 4. 6. 2012 gratulierte ihm der Ehrenpräsident des Deutschen Olympischen Sportbunds Manfred von Richthofen u.a. mit folgendem Wortlaut: „Wir haben im Rahmen der Aufarbeitung der DDR- Diktatur einige Gespräche geführt. Ich war von Ihrer Geradlinigkeit, Ihrer Zivilcourage und Ihrer Ehrlichkeit stets beeindruckt. Sie waren für mich immer ein Vorbild in der schwierigen Zeit der Zusammenführung unserer beiden Staaten. Sie haben wichtige Hinweise auf unerträgliche Vorgänge im DDR- Sport gegeben. Es gibt wenige herausragende DDR- Athleten und Trainer, die wir als Vorbilder auch bei der Zusammenführung der Sportsysteme bezeichnen konnten“.
Der Doping-Opfer-Hilfeverein e.V. (DOH) unter dem Vorsitz von Dr. Zöllig verlieh ihm sowie seiner Tochter Antje die „Heidi Krieger Medaille“, der Thüringer Skiverband verlieh ihm die goldene Ehrennadel.
Angesichts seiner Biografie war es für Misersky eine Selbstverständlichkeit und ein folgerichtiger Schritt, sich den ersten Initiativen zur Gründung eines Doping-Opfer-Hilfevereins anzuschließen und sich für die Dopingopfer zu engagieren. Er entsprach damit der Bitte des damaligen DOH- Vorsitzenden Dr. Zöllig aus Weinheim und Prof. Dr. Werner Franke, sich als fachkompetenter Zeitzeuge des DDR-Sports beratend zur Verfügung zu stellen. Er war einer der wenigen Ostdeutschen, die anfangs im DOH mitgearbeitet hatten, der ja zunächst vorrangig von einer kleinen Gruppe von Anti-Dopinggegnern aus der Region Heidelberg ins Leben gerufen wurde.
Für Henner Misersky wurde der 1999 in Leipzig gegründete Doping-Opfer-Hilfeverein, nachdem die ehemalige Leichtathletin und jetzige Professorin für „Verslehre“ an einer Berliner Fachhochschule, Ines Geipel, den Vorsitz dieses Vereins im Jahr 2013 übernommen hatte, geradezu zu einer schicksalhaften Institution, die sein Leben nachhaltig beeinflussen sollte.
Die Publikation des Dossiers „Blackbox Doping Opfer – wie die Politik und Öffentlichkeit mit fragwürdigen Zahlen getäuscht werden“ (2018/2019), an der neben den Professoren Franke und Treutlein und der ehemaligen Leichtathletin Lepping auch Misersky als Mitautor mitgewirkt hatte, wurde zu einem entscheidenden Wendepunkt in der Biografie von Misersky. Sie hat vor allem dazu geführt, dass er mit einer an Akribie kaum zu überbietenden Recherchearbeit Zusammenhänge und Details über den Doping- Missbrauch in der DDR offen legen konnte wie es zuvor keinem der mit der Problematik beschäftigten Historiker gelungen war.
War zunächst Misersky noch wertgeschätzter Partner von Geipel, wie dies aus Briefwechseln und weiteren Dokumenten hervorgeht, so führen die gründlichen Recherchearbeiten von Misersky sehr schnell zu der Erkenntnis, dass Geipel nicht weiterhin seine vertrauensvolle Mitstreiterin sein kann im Kampf gegen den Doping-Betrug im Sport. Er musste erkennen, dass Geipel keinesfalls ein Opfer des staatlich orchestrierten Dopingmissbrauchs in der DDR war, sondern dass die Vorsitzende des DOH selbst eine ausgewiesene Täterin ist und als erwachsene Leichtathletin „willentlich und wissend“ ihre Gegner im Sport betrogen hat. 2018 trat Misersky aus Protest gegen Geipel aus dem DOH aus. Die anfängliche Partnerschaft entwickelte sich zur unversöhnlichen Gegnerschaft und aus einer massenmedialen Perspektive kommt es zu einem öffentlichkeitswirksamen „Duell“ zwischen Misersky und Geipel vor dem Berliner Landgericht, bei dem Misersky ein Urteil, dass in einem Vergleich enden sollte, nicht akzeptierte. Gegen zwei gegen ihn gerichtete Unterlassungsbegehren der Geipel-Seite reichte er erfolgreich beim Kammergericht Berlin eine Berufungsklage ein und bekam damit in allen Anklagepunkten das Recht zugesprochen auch weiterhin seine Vorwürfe gegenüber der Klägerin äußern zu dürfen. Geipel wollte mit ihrer Klage erreichen, dass Misersky höchstrichterlich untersagt wird, Frau Geipel der Mitwisserschaft am Doping-Betrug der DDR zu bezichtigen. Mit dem letztinstanzlichen Urteil scheiterte Geipel auf ganzer Linie.
Vor dem Hintergrund des Wissens und der Befunde, die Misersky vor diesem Prozess bereits offen gelegt hatte und vor allem mit Blick auf all die Befunde, die in der weiteren Auseinandersetzung zwischen Geipel und Misersky von Misersky für jedermann einsehbar recherchiert und dokumentiert wurden, kann man aus der Sicht von heute sehr gut verstehen, warum der beklagte Misersky die Anklageschrift als eine verletzende Beleidigung empfinden musste und er bis in die für ihn wichtigste juristische Instanz gegangen ist, bei der er am 28. 10. 2021 vom Kammergericht Berlin die Bestätigung erhalten hat, dass alle von ihm geäußerten Vorwürfe auch zukünftig von ihm geäußert werden dürfen. Keiner der Vorwürfe Miserskys wurden in dem Verfahren „Geipel gegen Misersky“ von Geipel widerlegt. Im Urteil lässt sich vielmehr der bemerkenswerte Satz finden: „Die Klägerin hat der ihr obliegenden Darlegungs- und Beweislast nicht entsprochen“. Miserskys Anwalt nannte in diesem Verfahren Geipel eine „Hochstaplerin“, ohne dass ihm bis heute von irgendeiner Seite dies untersagt wurde oder Befunde vorgelegt wurden, mit der dieser Aussage widersprochen werden könnte.
Bei diesem Prozess lagen dem Gericht unter anderem mehrere Dokumente vor, aus denen eindeutig hervorgeht, wann und zu welchem Zeitpunkt mit welcher Dosierung die Athletin Geipel mit unerlaubten Medikamenten ihre sportliche Leistung entgegen den Regeln des Internationalen Leichtathletikverbandes manipuliert hat. Dem Richter lag auch das wichtigste Beweisdokument in dieser Frage vor. Es handelt sich dabei um eine Zeugenaussage von Geipel vor einem Gericht in Darmstadt. In dem Dokument, das handschriftlich von Geipel unterzeichnet wurde, wird ihre Aussage vor diesem Gericht in folgender Weise dokumentiert:
„Es war allgemeines Wissen, dass Sportler z.B. zum Muskelaufbau- Tabletten einnehmen, aber über spezielle Dopingverfahren vor wichtigen Wettkämpfen wurde nicht miteinander gesprochen, auch nicht mit Gegnerinnen… Mir sind die blauen Tabletten, unter den Sportlern „blaue Steaks“ genannt, bekannt, über die Doping Mittel OT, Epitestoron, STS 646 oder andere Mittel weiß ich nichts.… Ich merkte schon, dass durch die Tabletteneinnahme ein muskulärer Aufbau erfolgte. Allerdings nahm ich die Tabletten nur in geringem Maße ein, da eine größere Menge immer eine größere Verspannung in meinem Körper hervorrufte (dito)… Mir war, wie wahrscheinlich jedem anderen Sportler auch, von Anfang an klar, dass die Tabletten ein Dopingmittel darstellen.“
Lange vor dem wegweisenden Berliner Gerichtsurteil reüssierte Geipel unter den Berufsbezeichnungen „Professorin für Verskunst“, „Schriftstellerin“ und mit ihrem Ehrenamt als „Vorsitzende des Doping-Opferhilfe-Vereins“ in der Zeit von 2013 bis Dezember 2018 zur Vorkämpferin um die Aufarbeitung des DDR-Unrechtsstaates. Die Medien drängten sie sehr schnell in eine „Star-Rolle“ und sie wurde ein gern gesehener Gast und eine häufig eingeladene Rednerin in Talkshows und bei öffentlichen Veranstaltungen. Ihr wurde wiederholt der Titel „staatlich anerkanntes Opfer des Zwangsdopings in der DDR“ zugesprochen.
Von ihren Gastgebern wurde Geipel dabei fast immer als ehemalige olympische Athletin, die der Weltklasse angehört habe und die mit einer DDR-Staffel über 4 × 100 m einen Weltrekord gelaufen sei, den sie zurückgegeben habe bzw. den Deutschen Leichtathletikverband vor einem Gericht gezwungen habe, die Leistung von Geipel aus den Rekordlisten zu streichen, was ich als Ehrenpräsident des DLV und Mitglied des DLV- Präsidiums eigentlich hätte mitbekommen müssen.(Die Protokolle des DLV- Präsidiums belegen eindeutig, dass der DLV zu keinem Zeitpunkt juristisch genötigt wurde, seine Ergebnislisten zu ändern).
Gegen die besondere „Ehre“, die Geipel durch ihre angeblichen „olympischen“ Leistungen zu Teil wurde, hat sie sich selbst nie bei öffentlichen Veranstaltungen gewehrt, obgleich sie zu keinem Zeitpunkt einer DDR-Olympiamannschaft angehört hatte, niemals an Olympischen Spielen teilgenommen hatte und es sich bei dem Weltrekord um eine Vereinsleistung gehandelt hat, die in den internationalen Rekordbüchern der IAAF nicht geführt wird. Hinzu kommt, dass niemand auf der Welt auf sportliche Leistungen stolz sein sollte, die nachweislich mit der Unterstützung anaboler Steroide erbracht wurden. Doch genau diesen Stolz zeigt die angebliche „Anti- Dopingkämpferin“ paradoxerweise mehrfach in ihren öffentlichen Verlautbarungen. Im Wahrheitskampf von Misersky sollten diese Sachverhalte noch eine wichtige Rolle spielen.
Als Schriftstellerin konnte und kann Geipel durchaus auf wichtige Veröffentlichungen verweisen, wenn es um das Unrecht geht, das der totalitäre DDR-Staat vielen seiner Bürger zugefügt hat. Für die SED war ihr Parteimitglied Geipel ohne Zweifel sowohl als Athletin als auch als Studentin der Germanistik an der Universität Jena eine unbequeme Bürgerin, die unter anderem 1989 die Unterstützung der DDR- Organe für das chinesische Vorgehen bei dem Tian`anmen Massaker in Peking beklagte. Geipel verließ 1989 die DDR und kam über Ungarn nach Darmstadt, wo sie an der Technischen Hochschule Philosophie und Soziologie studierte.
Prof. Werner Franke, auf dessen Privatklage hin es zu den Berliner Doping-Prozessen im Jahr 2000 gekommen war, aktivierte I. Geipel als Nebenklägerin gegen den ehemaligen Präsidenten des DTSB Manfred Ewald und gegen den führenden DDR- Sport-Mediziner Manfred Höppner. Beide wurden rechtskräftig verurteilt und Geipel schrieb über diesen Prozess das Buch: „Verlorene Spiele -Journal eines Doping Prozesses“ (2001). Zuvor hatte Geipel bereits als Herausgeberin von Texten über Literatur in der DDR auf sich aufmerksam gemacht, 1999 ihren ersten Roman veröffentlicht und später folgten noch weitere Romane und Sachbücher. Manches ist dabei lesenswert, wenngleich man als Germanist sich durchaus wundern kann, in welch fragwürdiger Weise von Geipel Anglizismen verwendet werden und welche Versuche zu neuen Wortschöpfungen von ihr dabei vorgelegt werden, deren Qualität eher zweifelhaft ist. Doch dies hat die deutsche Gesellschaft nicht davon abgehalten, Geipel als gern gesehener Talkshow- Star mit Auszeichnungen und Preisen zu überschütten. Im Jahr 2011 erhielt sie den Antiquariat- Preis für Buchkultur, den DJK- Ethikpreis des Sports, das Bundesverdienstkreuz am Bande, 2017 folgte das goldene Band der Sportpresse, 2019 der Karl- Wilhelm- Fricke- Preis und 2020 der Lessing- Preis für Kritik. In den Literatur-Himmel wurde sie mit der Verleihung des Marieluise Fleißer- Preises 2021 und des Erich- Loest-Preises 2023 gehoben. Am 30. Jahrestag der deutschen Wiedervereinigung wurde Geipel in ganz besonderer Weise von der Bundestagspräsidentin bei deren Ansprache vor dem Deutschen Bundestag geehrt.
Für Misersky, für den das Berliner Urteil zu seinen Gunsten ohne Zweifel eine Genugtuung gewesen ist, musste der weitere Werdegang von Geipel und deren Anerkennung in den „gehobenen Kreisen“ der deutschen Gesellschaft und insbesondere ihre von den deutschen Massenmedien zugewiesene „Rolle“ besonders irritierend gewesen sein. Es kann deshalb wohl auch kaum verwundern, dass in der Auseinandersetzung zwischen Geipel und Misersky das Berliner Urteil nicht ein Ende dieser Auseinandersetzung gewesen ist, sondern die eigentliche Auseinandersetzung seit diesen öffentlichen „Würdigungen“ und Presseberichten erst richtig begann.
Miserskys geradezu akribische Suche nach der Wahrheit im staatlichen Betrugssystem der DDR führte dazu, dass er sich im weiteren Verlauf dieser Auseinandersetzung bis zum heutigen Tag unaufhörlich darum bemühte, möglichst exakt die Strukturen des Hochleistungssportsystems der DDR nachzuzeichnen, um damit aufzuzeigen, dass es sich bei Geipel nicht um ein Opfer dieses Systems handelt und dass sie zu Unrecht über das Dopingopferhilfegesetz vom Staat entschädigt wurde. § 2 dieses Gesetzes ist diesbezüglich sehr eindeutig:
„(1) Anspruch auf finanzielle Hilfe nach diesem Gesetz haben Personen, die erhebliche Gesundheitsschäden erlitten haben, weil
- ihnen als Hochleistungssportlern oder -nachwuchssportlern der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik ohne ihr Wissen oder gegen ihren Willen Dopingsubstanzen verabreicht worden sind,
- ihrer Mutter während der Schwangerschaft unter den Bedingungen nach Nummer 1 Dopingsubstanzen verabreicht worden sind.
Der Anspruch ist nicht übertragbar und nicht vererblich, es sei denn, die oder der Anspruchsberechtigte verstirbt nach Antragsstellung. In diesem Fall wird die aufgrund des Antrags bewilligte Leistung dem Ehegatten, dem Verlobten, dem Lebenspartner, den Kindern oder den Eltern der oder des Anspruchsberechtigten ausgezahlt, wenn und soweit sie erben. Personen, die bereits aus dem Dopingopfer-Hilfegesetz vom 24. August 2002 (BGBl. I S. 3410) finanzielle Hilfen erhalten haben, sind nicht anspruchsberechtigt.“
Vom Sachverhalt der „nicht erfolgten Aufklärung“, dass Athleten und Athletinnen, nachdem sie ihre Verpflichtungserklärung zur Geheimhaltung unterschrieben hatten und ärztlich überwacht verbotene Substanzen willentlich und wissentlich eingenommen haben, jedoch sie aber von den Ärzten nicht über die Nebenwirkungen der Medikamente aufgeklärt worden seien und dies ausreichende Grundlage für die Entschädigung dieser Athleten und Athleten sei, wie dies u.a. vom derzeitigen Vorsitzenden des DOH noch bis in diese Tage hinein behauptet wird, ist in den beiden Dopingopferhilfegesetzen an keiner Stelle die Rede.
Misersky legte auch mehrere Dokumente vor, die die Schlussfolgerung nahe legen, dass Geipels biografische Lebensdaten, insbesondere jene, die den Sport, ihr Germanistikstudium in Jena und ihre SED- Parteizugehörigkeit betreffen, nicht dem Gebot der Wahrheit genügen und dass Geipel zu Unrecht in den deutschen Medien als Anti-Dopingkämpferin stilisiert wird.
Hierzu präsentierte Misersky immer wieder auf eine manchmal sehr verwirrende und sich auch wiederholende Weise zahlreiche Dokumente, die aus geschichtswissenschaftlicher Perspektive jedoch äußerst interessant sind. Als ehemaliger Leichtathlet und Trainer untersuchte er die Bestenlisten und die Ergebnislisten der DDR-Leichtathletik und bemühte sich dabei um eine wahrheitsgemäße Einordnung der von Geipel tatsächlich erbrachten leichtathletischen Leistungen. Misersky rekonstruierte auch in äußerst penibler Weise das Verfahren des in der DDR üblichen Dopingmissbrauchs, wie und wann die leistungsunterstützenden Maßnahmen zur Anwendung kamen, wer dafür verantwortlich war, was im Nachwuchsbereich erlaubt und verboten war, welche Rolle die Ärzte und Trainer spielten und wie das Einverständnis der Athleten bei der Anwendung der medikamentösen Unterstützungsmaßnahmen eingeholt wurde. Seine Recherchen belegen eindeutig, dass Geipel als erwachsene Athletin „willentlich und wissend“ selbstbestimmt verbotene Dopingsubstanzen eingenommen hat.
Misersky dokumentiert auch die privilegierte Rolle, die das SED-Mitglied Geipel, deren Parteiausschluss erst nach ihrer Flucht in die BRD im Jahr 1989 erfolgte, als Tochter eines hochrangigen SED-Funktionärs während ihrer Schul- und Studienzeit eingenommen hatte. Auch die Heirat mit dem DDR -Kugelstoßer Schmidt, der eine Bestleistung von 20.92m aufwies, sieht Misersky zu Recht als ein Indiz dafür, wie die Sprinterin Geipel als erwachsene Athletin in das Manipulationssystem der DDR eingebunden war.
Misersky kommt bei seinen Recherchen sein geradezu enzyklopädisches Wissen über den Leistungssport der DDR, über dessen Protagonisten aber auch sein umfangreiches Wissen über den Weltsport zugute. Seinen vorgelegten Befunden wurde bislang von niemanden widersprochen. Sie können deshalb zu Recht als glaubwürdig bezeichnet werden. Nicht zuletzt werden damit auch einige Befunde in den vom Bundesinstitut für Sportwissenschaft (BiSp) in Auftrag gegebenen Forschungsvorhaben zur Aufarbeitung des Dopingbetruges in der DDR und in der Bundesrepublik korrigiert und teilweise auch widerlegt.
Miserskys Interventionen gleichen dabei immer häufiger dem literarischen Topos eines „Michael Kohlhaas“, der Sisyphos gleich gegen einen Berg anrennt. Doch dabei sind nicht nur die Interventionen von Bedeutung, sondern auch die Reaktionen der davon Betroffenen. Ein kennzeichnendes Beispiel ist eine ZDF-Sendung „Markus Lanz“, in der Frau Geipel den ehemaligen SPD-Vorsitzenden Lafontaine bezüglich DDR geschädigter Opfer verbal attackiert. Aus Miserskys Sicht ist diese Attacke unberechtigt und seinem ausgeprägten Gerechtigkeitssinn folgend beschwert er sich beim ZDF, informiert auch Lafontaine über weitere Fakten und über seine Argumente, die gegen die Vorwürfe von Geipel sprechen. Er macht Lafontaine auch auf den bevorstehenden Termin des Landgerichts Berlin am 18. Dezember 2019 aufmerksam, in dem es um die Unterlassungsklage von Frau Geipel gegen Misersky gehen soll. Daraufhin wendet sich Lafontaine am 12. November. 2019 an den Intendanten des ZDF, Dr. Thomas Bellut, und bittet darum, die Vorwürfe von Herrn Misersky bezüglich der Biografie von Frau Ines Geipel zu prüfen und einzuordnen. Mit Schreiben vom 20. November antwortet Herr Bellut unter anderem, dass „zum Zeitpunkt der Aufzeichnung der Sendung… die Redaktion keine Hinweise darauf hatte, dass Frau Geipel unwahre Tatsachenbehauptungen aufgestellt oder andere Personen ungerechtfertigterweise beschuldigt hat“. Bellut führte ferner aus: „Sowohl in den Vorgesprächen als auch bei der erneuten Prüfung der bisherigen Publikationen von Ines Geipel und der Auswertung der in früheren Ausgaben unserer Talksendung getroffenen Aussagen haben wir keine Hinweise darauf, dass die von Herrn Misersky erhobenen Vorwürfe der Realität entsprechen. Insofern sehe ich keine Gründe, die Ines Geipel als Gesprächsgast bei „Markus Lanz“ ausschließen würden“. Lafontaine wiederum antwortet auf dieses Schreiben von Bellut am 2. Dezember 2019 mit folgenden Ausführungen: „Bedauerlicherweise gehen Sie nicht konkret auf die Vorwürfe von Herrn Misersky ein. Dabei wäre es doch ganz einfach: Frau Geipel ist am Tag X eine Weltklassezeit von X gelaufen. Die Operation fand am Tag X statt, danach hat Frau Geipel an keinem Wettbewerb mehr teilgenommen. Ich verstehe nicht, warum diese kurzfristig zu beschaffenden Informationen anscheinend nicht vorhanden sind. Aber vielleicht können sie ja noch nachgeliefert werden“. Bezeichnend für diesen ausgewählten Fall ist, dass das ZDF bis heute nicht darüber berichtet hat, dass die Unterlassungsklage von Frau Geipel gegen Misersky vom Landgericht Berlin in allen Punkten vollständig zurückgewiesen wurde. Dieser Sender hat auch während oder nach seinen angeblichen Recherchen bis zum heutigen Zeitpunkt weder über die Zeugenaussage von Frau Geipel vor einem Darmstädter Gericht, bei der sie ihren wissentlichen und willentlichen Dopingmissbrauch eingesteht, noch über die unberechtigte Auszahlung einer Opferentschädigung nach den Dopingopferhilfegesetzen berichtet.
Den intensiven Recherchen von Misersky hat sich Geipel mit all ihren publizistischen Möglichkeiten im vergangenen Jahrzehnt und mit zahllosen umfangreichen Gegendarstellungen entgegengestellt. Mit Hilfe einer Geipel getreuen Personengruppe aus dem Bereich der Presse und des öffentlich-rechtlichen Fernsehens und mit Hilfe von zwei Professoren, die sich nicht zu schade waren, ihre „Venia Legendi“ zu Gunsten von fragwürdigen Unterstützungsaktionen für Geipel zu missbrauchen, bemühte sich Geipel ihre „Opferinszenierung“ in Bezug auf ihre eigene Person erfolgreich fortzusetzen, was ihr ganz offensichtlich zumindest teilweise auch bis heute noch gelungen ist. Den fragwürdigen Unterstützern der „Ikone Geipel“ scheint dabei jedes Mittel recht zu sein. In jüngster Zeit haben sie nicht davor zurückgeschreckt, Misersky mit seiner gesamten Familie zu diskreditieren, indem sie ihn unter Dopingverdacht gestellt haben. Misersky konnte sich gemeinsam mit seiner Frau dagegen nur mit einer eidesstattlichen Erklärung wehren. Damit weist Misersky die gegen ihn und seine Familie gerichteten Vorwürfe argumentativ zurück. Dennoch stehen diese verleumderischen Profile nach wie vor im Raum. In einem Beitrag für die Bundeszentrale für politische Bildung schreibt Geipel: „Die zweite Tochter hat offenbar im Rahmen des zweiten Dopingopferhilfegesetzes eine Entschädigung bekommen“. Die NZZ (Tewes) schreibt hierzu am 21.8.2022: „Daß Antje Misersky Teil des Dopingprogramms war, belegt der Sporthistoriker Giselher Spitzer in seinem Band „Sicherungsvorgang Sport. Das Ministerium für Staatssicherheit und der DDR-Spitzensport“ mit Dokumenten aus dem Stasi- Unterlagen- Archiv in Berlin. Und die zweite Tochter hat offenbar im Rahmen des Zweiten Dopingopfer- Hilfegesetzes eine Entschädigung bekommen“.
Diese Vorwürfe wurden von dem mittlerweile verstorbenen ehemaligen Bundestagsabgeordneten der Grünen Werner Schulz in einem Beitrag in der Zeitschrift ZdF 50/2023 wiederholt, der mit folgenden Worten eingeleitet wird:
„Den nachstehenden Beitrag hat Werner Schulz im Frühsommer 2022 der ZdF-Redaktion angeboten. Seine Arbeitsfassung traf am 31. Oktober 2022 ein. Für eine weiterführende Recherche wollte sich Werner Schulz noch an die Havemann- Gesellschaft und die Stiftung- Aufarbeitung wenden. Dazu kam es wegen seines plötzlichen Todes am 9. November 2022 nicht mehr. Die Redaktion hat einige Belege nachrecherchiert und eingefügt. Die Inhalte des Beitrages wurden nicht verändert.“
Diese Vorgehensweise ist publizistisch höchst fragwürdig und es ist offensichtlich, dass dann, wenn einige Belege anonym eingefügt wurden, damit auch der Inhalt des Beitrages unüberprüfbar für Dritte verändert wurde.
Ergänzend zu den bereits vorliegenden Vorwürfen wird in diesem Beitrag behauptet, dass Antje Misersky und auch andere Läuferinnen aus der Trainingsgruppe von Misersky in das staatliche Dopingprogramm eingebunden gewesen seien. Die Akten würden dies für Oktober und November 1984 belegen. „In der Phase der höchsten Trainingsbelastung (…) kam OT (Oral Turinabol) zum Einsatz. Misersky, Antje (85 mg OT)“. Die Belege hierzu finden sich bei „Spitzer, Sicherungsvorgang Sport, Bonn 2005“.
Was die Problematik von Miserskys Tochter Heike betrifft, wird in dem Beitrag ferner ausgeführt, dass Misersky selbst gegenüber der NZZ vermutet hat, dass seine Tochter Heike als Dopingopfer mittlerweile anerkannt worden sei. „Heike Misersky hat dem nicht widersprochen, sodass die ältere Tochter nach Prüfung aller Unterlagen eine der mittlerweile über 1600 anerkannten Dopinggeschädigten ist“.
Misersky war und ist zwischenzeitlich bemüht, sich gegen diese teilweise widersprüchlichen und in einer bewusst denunziatorischen Absicht erhobenen Vorwürfe zu wehren, indem er die zeitlichen Angaben von Schulz et. al. mit eigenen-durchaus glaubwürdigen-Dokumenten über die zeitlichen Verläufe widerlegt und zu einer anderen Rekonstruktion der historischen Verläufe des Dopingbetruges in der DDR kommt als dies bei seinen Kritikern der Fall ist. Er weist meines Erachtens zu Recht darauf hin, dass er angesichts seiner Außenseiterrolle, die er ohne Zweifel im System des DDR-Sports innehatte und die ihm in den vergangenen Jahrzehnten viele Anfeindungen eingebracht hat, längst von seinen feindlich gesinnten Gegnern öffentlich denunziert worden wäre, wenn die ihm gegenüber erhobenen Vorwürfen der Wahrheit entsprechen würden. Misersky weist zu Recht darauf hin, dass nicht alle Aussagen von Spitzer quellengeprüft sind und dass dessen Aussagen auch teilweise widersprüchlich sind, so zum Beispiel beschreibt Spitzer selbst Fälle der Verweigerung im Rudersport und im Skilanglauf und widerspricht somit seiner eigenen Behauptung vom „flächendeckenden Zwangsdoping“ in der DDR.
Im Fall des Vorwurfs gegen Antje Misersky und deren Einnahme verbotener Substanzen ist es für Dritte schwierig zwischen Wahrheit und Lüge zu unterscheiden, zumal es gerade auch in den von Spitzer zitierten Stasi-Akten gefakte Dokumente geben kann, die sich von echten nur schwer unterscheiden lassen. Auch muss beachtet werden, dass auf der Grundlage verschiedener Dokumente nachweisbar ist, dass der angebliche Dopingmissbrauch von Antje Misersky, wenn überhaupt, dann jedoch unter Anleitung eines anderen Trainers stattgefunden hat. Der verantwortliche Lehrgangstrainer war damals Frank Grübe. Von Antje Misersky liegt eine anwaltlich bestätigte Erklärung aus den USA vor, die ihren Vater in dieser Frage entlastet.
Was die datenschutzrechtlichen äußerst bedenklichen Vermutungen und Hinweise von Geipel Tewes, Schulze et.al. betreffen, dass Miserskys Tochter Heike möglicherweise als Dopingopfer entschädigt wurde, hält Misersky glaubwürdig dagegen, dass er diese Vermutung nicht geäußert hat, er jedoch nicht ausschließen kann, dass seine Tochter wie andere nachweisbare „Trittbrettfahrer“ eine Entschädigung erhalten haben könnte. Heike Misersky hat den geäußerten Vermutungen weder widersprochen noch hat sie sie bestätigt.
Für jemand, der sich in seinem gesamten beruflichen Leben als Sportwissenschaftler und in seinen vielen ehrenamtlichen Funktionen in den Gremien des Sports für den Schutz der sauberen Athleten eingesetzt hat und den Dopingbetrug, ganz gleich durch wen und wo er stattgefunden hat, entschieden bekämpfte, ist es dabei irritierend, dass in der gesamten Auseinandersetzung der Kontrahenten leidenschaftlich und ausufernd über erreichte oder nicht erreichte sportliche Leistungen, über Kaderzugehörigkeiten und über Ranglisten diskutiert wird, obgleich jeder der Kontrahenten in den eigenen Ausführungen darauf hinweist, dass ab einem bestimmten Leistungsniveau gemäß dem Staatsplan 14.25 aus dem Jahr 1974 die große Mehrheit der Athletinnen und Athleten in der DDR ihre sportlichen Erfolge mittels verbotener Doping- Unterstützung erbracht haben. Sämtliche Höchstleistungen in den olympischen Sportarten, die der staatlich angeordneten Doping- Manipulation unterlagen, müssten deshalb zum Schutz der sauberen Athleten eigentlich schon längst annulliert werden. Diese Forderung müsste allerdings auch für all jene sportlichen Höchstleistungen gelten, die mittels Dopingunterstützung von Athletinnen und Athleten der ehemaligen Bundesrepublik hervorgebracht wurden. Schon gar nicht kann irgend jemand auf derartige Leistungen stolz sein.
Nach der Lektüre der angeblich von Werner Schulze geschriebenen Kritik in der Zeitschrift ZdF hat man als Leser durchaus den Wunsch, etwas genauer zu erfahren, wer an dieser teilweise anonymen Kritik alles mitgeschrieben hat. Angesichts des Stils des Beitrags, der einer wissenschaftlichen Publikation gleichkommt und angesichts der angewandten Zitiertechnik hat man den Eindruck, dass Frau Geipels üblich gewordener männlicher Professorenbeistand dabei geholfen haben könnte. Liest man das Editorial zu dieser Zeitschrift, so spricht einiges für diese Annahme.
Nach Veröffentlichung des Dopingmissbrauchsvorwurf befindet sich Misersky weiterhin in einem Kampf, bei dem kein Ende in Sicht ist.
Das Bundesverwaltungsamt beruft sich auf den Datenschutz und gibt in Bezug auf die Frage, ob Heike Misersky als Dopingopfer entschädigt wurde, keine Auskunft. Die von Henner Misersky zu Recht gestellte Frage, warum Frau Geipel und „Werner Schulz et al“ ihre denunzierenden Vermutungen äußern können, ohne dass sie durch ein Dokument des BVA verifiziert werden und wozu ergänzend zu erwähnen ist, dass den Eltern von Heike Misersky das BVA eine Antwort auf deren Frage verweigert, ob die Tochter tatsächlich eine Entschädigung erhalten hat, wirft zumindest eine ganze Reihe von datenschutzrechtlichen Fragen auf. Für den Datenschutzbeauftragten der Bundesregierung muss sich zumindest die Frage stellen wie es möglich ist, dass Frau Geipel und ihre Unterstützer Mutmaßungen über Namen öffentlich äußern können, die angeblich oder tatsächlich finanzielle Dopingopferhilfe erhalten haben, obgleich die Namen der Dopingopfer datenschutzrechtlich geschützt sind.
Eine endgütige Klärung dieser Frage könnte in der aktuell sehr verworrenen Situation nur durch eine Aussage der Tochter von Misersky erfolgen, doch diese verweigert jegliche Auskunft. Damit werden auch weiterhin Zweifel in Bezug auf den von Experten vermuteten Missbrauch der Dopingopferhilfegesetze bestehen (vgl. die „Recherche zu den Dopingopferhilfegesetzen“ in diesem Magazin).
Die Ehrverletzungen und Verleumdungen, denen Misersky und seine Familie nunmehr seit längerer Zeit ausgesetzt sind, haben bei Misersky schwere Narben hinterlassen. Daran kann und konnte auch eine faktenreiche Dokumentation des MDR zur Rolle von Geipel im System des DDR-Sports und zu ihrer angeblichen Rolle als Anti- Dopingkämpferin zunächst nur wenig ändern. Die Dokumentation hatte durchaus eine gewisse Resonanz und führte auch zu einer umfangreichen Beschwerde von Geipel gegenüber den Aufsichtsgremien des MDR und ihrer ersten Beschwerde ist bereits eine zweite gefolgt. Die Antwort von MDR- Programmdirektor Brinkbäumer kann in ihrer Klarheit allerdings kaum übertroffen werden: „Der Film selbst ist präzise und gut, von inhaltlichen Fehlern haben wir nie geredet… Unser Team, der Autor Uwe Karte und die Moderatorin Stephanie Müller-Spirra ist kompetent“. Geipel erhielt auch in dieser Angelegenheit die längst üblich gewordene Unterstützung durch eine der wichtigsten deutschen Tageszeitungen. Doch fällt bei all diesen unterstützenden Maßnahmen und Gegendarstellungen auf, dass auf all die gesicherten empirischen Befunde, die in der Fernsehdokumentation einer interessierten Öffentlichkeit vorgelegt wurden und die im Wesentlichen auf die Recherchen von Misersky zurückzuführen sind, weder eingegangen wird, noch dass sie widerlegt werden. Auch scheint Geipel aus guten Gründen vor einer erneuten Klage gegen Misersky zurück zu schrecken
Beobachtet man die bisherigen Reaktionen auf diese Dokumentation, so muss man den Eindruck gewinnen, dass der Medien- und Literaturstar Geipel für die „Feuilleton-Klasse“ des Westens der Bundesrepublik nahezu unantastbar geworden ist. Im Osten dieser Republik hat Miserskys aufklärerische Arbeit jedoch durchaus einige Erfolge aufzuweisen. Geipels Versuch, eine Buchveröffentlichung von Rainer Eckert zu blockieren, ist gescheitert. Gegenwind hat sie auch von dem Historiker Ilko Sascha Kowalczuk erhalten. Der Berliner Philosoph Jürgen Große hat in der Zweiwochenschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft „Das Blättchen“ einen bemerkenswerten Essay über das Buch „Umkämpfte Zone“ von I.Geipel unter der Überschrift „Es braucht Konzepte“ oder: die DDR ist schuld“ geschrieben, der als ein radikaler „Verriss“ gedeutet werden kann. Auch ihre wenig fundierte Kritik an der Publikation “Der Osten: Eine westdeutsche Erfindung“ des Literaturwissenschaftlers Dirk Oschman wurde von diesem mit tragfähigen Argumenten gekontert. Als Folge dieser Kritik scheinen ihre öffentlichen Auftritte seltener geworden zu sein, was vielleicht aber auch an ihren Honorarforderungen liegen könnte
Die Laudatio des Schriftstellers Grünbein, die dieser bei der Verleihung des Loest-Preises an Geipel im Februar 2023 in Leipzig gehalten hat, kann in diesem Zusammenhang nur als peinlich bezeichnet werden und ein Bemühen um die Wahrheit bei der Aufarbeitung des DDR-Unrechts kann bei der dabei gezeigten Parteilichkeit wahrlich nicht erkannt werden. Nicht weniger peinlich und an fragwürdigen Gedankensprüngen kaum zu übertreffen ist hierzu auch ein Beitrag der ehemaligen Politikerin Lengsfeld (Bündnis 90/ Die Grünen, später CDU, heute in der Nähe der AfD).
Wem es wirklich um die Wahrheit geht, der müsste in der Auseinandersetzung zwischen Geipel und Misersky längst erkennen, dass bei der dringend notwendigen Aufklärungsarbeit nicht nur über den Doping- Betrug im Osten, sondern auch über die Aufklärung über das durchaus weitverbreitete Dopingphänomen in der ehemaligen Bundesrepublik gesprochen werden müsste. Spitzers Forschungsarbeiten über den Dopingbetrug in der DDR sind, das zeigen Miserskys umfangreiche Recherchen, mehr als lückenhaft und methodisch fragwürdig, ergänzungsbedürftig und manche seiner Schlussfolgerungen und Interpretationen sind zumindest aus der Sicht von heute als falsch zu bezeichnen. Gleiches gilt allerdings auch für die wenigen Arbeiten, die sich mit dem Dopingbetrug in der Bundesrepublik auseinandergesetzt haben.
Selbst wenn es sich herausstellen würde, dass eine oder gar beide Töchter von Misersky tatsächlich am Dopingbetrug der DDR beteiligt gewesen sind, so hat Misersky selbst seit der Wiedervereinigung mit seinen unermüdlichen Recherchen einen unverzichtbaren Beitrag für diese erwünschte Aufklärung geleistet. Es sollte dabei immer auch bedacht werden, dass die von ihm recherchierten Befunde und Dokumente und die daraus abgeleiteten Interpretationen unabhängig von jener Person ihre Bedeutung haben, die diese vorgelegt hat.
Die Laudationes, die zu Gunsten von Frau Geipel üblich geworden sind, müssten deshalb meines Erachtens wohl eher über die Wahrheitssuche eines mittlerweile 82 Jahre alten Henner Misersky gehalten werden.
Im Sport werden immer wieder Fair-Play Preise vergeben und man muss sich dabei fragen, warum dabei Handlungen im Sport ausgezeichnet werden, die eigentlich für jeden Sport treibenden eine Selbstverständlichkeit sein müssten. Offensichtlich gibt es nur noch ganz selten außergewöhnliche Leistungen, mit denen das Fair- Play Ideal des Sports geschützt wird. Miserskys unermüdliche und zwangsweise auch manchmal etwas widersprüchliche Wahrheitssuche ist meines Erachtens ein bedeutsamer Beitrag in der jüngeren deutschen Sportgeschichte zum Schutz eines fairen und sauberen Hochleistungssports.
Letzte Bearbeitung: 2. 5. 2023