Das Berufsbild „Trainer“

1. Vorbemerkungen

Will man über das Berufsbild von Trainern im deutschen Hochleistungssport nachdenken, so ist dabei der naheliegende Gedanke, dass man sich die Frage nach der Bedeutung des Wortes „Berufsbild“ stellt. Jeder von uns hat Vorstellungen von dem Beruf eines Automechanikers. Der Berufsalltag einer Krankenschwester in einer Intensivstation ist für uns nachvollziehbar. Lehrer haben wir bei ihrer Berufsausübung über neun Jahre während unserer Schulzeit beobachten können, eine Verkäuferin steht hinter dem Tresen und bedient 40 Stunden in der Woche ihre Kunden und ein Arbeiter bei der Müllabfuhr erbringt eine wichtige Dienstleistung, indem er Woche für Woche die Mülleimer der Bewohner einer Gemeinde entleert.

Wollen wir uns ein Bild von dem Beruf eines Trainers machen, so scheint dies auf den ersten Blick ebenfalls einfach zu sein. Während meiner Karriere als Handballspieler wurde ich von vielen Trainern trainiert. Mein erster Trainer war ein Schneidermeister, der mich in der D-Jugend trainierte. Mein zweiter Trainer war von Beruf ein Automechaniker, der sich in seiner Freizeit dem C-Jugend-Training unserer Bundesligamannschaft widmete. Mein dritter Trainer war ein Nationalspieler, der sich die Fähigkeit zum Trainer autodidaktisch angeeignet hat und im Hauptberuf Angestellter einer Immobilienfirma war. Ich selbst trainierte eine Landesligamannschaft und war nebenbei Student und später Lehrer.

Die Beispiele zeigen, dass es ganz offensichtlich nicht so einfach ist, von einem Beruf des Trainers zu sprechen, wie von einem Beruf eines Arztes oder vom Beruf des Lehrers gesprochen wird. Besonders zweifelhaft scheint es zu sein, von einer Profession des Trainers zu sprechen, so wie wir von der Profession des Arztes oder Rechtsanwalts sprechen. Den Beruf des Trainers kann man ohne jegliche Ausbildung ausüben, ein systematisches und abstraktes Fachwissen ist nur bedingt von Nöten, von einer besonderen Fachsprache kann nur selten gesprochen werden und eine berufständische Organisation für Trainer gibt es zumindest in Deutschland bis heute nur in ersten Anfängen.

Aus einer theoretischen Perspektive lassen sich verschiedene Modelle unterscheiden anhand derer eine Profession gekennzeichnet werden kann. Besonders beliebt ist dabei das Attributemodell, das schon sehr früh in der Wissenschaftsgeschichte zum Problem der Verberuflichung zur Anwendung kam.

Stichweh, einer der führenden deutschen Soziologen, hat sich mit der Frage auseinandergesetzt, welche Merkmale für Professionen besonders markant sind. Für ihn sind es dabei vor allem vier Merkmale, die zu beachten sind:

Erstens muss von der Profession ein gesellschaftlich bedeutsames Problem oder bedeutsame Probleme individueller Personen bearbeitet werden.

Zweitens müssen diese Probleme nach system-spezifischen Regeln von Angesicht zu Angesicht aktiv abgearbeitet werden.

Drittens muss die Profession durch eine Komplementärrollenkarriere gesteuert sein, so z.B., wenn Lehrer und Schüler oder Arzt und Patient die entsprechenden Rollen sind.

Viertens muss eine deutliche Kompetenzasymmetrie zwischen den Professionellen und ihrer Klientel bestehen. Das heißt, es muss eine ausgeprägte Experten-Laien-Differenz vorliegen.

Ergänzend zu Stichweh lassen sich noch weitere Professionsmerkmale benennen:

  1. Wissenschaftlich fundiertes Sonderwissen (spezielle Fachterminologie)
  2. Fachsprache
  3. Langandauernde, theoretisch fundierte Ausbildungsgänge auf akademischem Niveau (staatl. Lizenz)
  4. Berufständische Normen (code of ethics). Die Eigeninteressen der Profession werden dabei gesetzlich beschränkt
  5. Exklusives Handlungskompetenzmonopol
  6. Tätigkeitsbereich besteht aus gemeinnützigen Funktionen, Aufgaben von grundlegender Bedeutung
  7. Autonomie bei der Berufsausübung (Fach- und Sachautorität)
  8. Selbstkontrolle durch Berufsverbände und Interessenvertretung

Auf diese Weise entsteht eine gesellschaftlich abgesicherte Monopolstellung für die Profession in Bezug auf die Problembearbeitung, die die Profession begründet. Betrachten wir diese Merkmale in ihrer Gesamtheit so müssen wir erkennen, dass es ganz offensichtlich noch ein langer Weg sein wird, wenn es zu einer Professionalisierung der Trainerrolle kommen soll. Viele dieser Merkmale sind auf die von mir erläuterten Beispiele angewendet nur bedingt für die Tätigkeit des Trainers auszumachen.

Der Chicagoer Soziologe Andrew Abbott hat 1988 eine maßgebliche Studie über Berufe und Zugangsbeschränkungen vorgelegt (The Systems of Professions 1988). In dieser Studie vertritt Abbott die These, dass man die Geschichte eines Berufsbildes nur schreiben kann, wenn man die Geschichte der benachbarten Berufe mit einbezieht. Für ihn bestehen Berufe nicht aus festen Merkmalen, sie entstehen vielmehr in einem Kampf um Zuständigkeiten. Will man also einen Beruf kennzeichnen, so muss man die benachbarten Berufe mit einbeziehen. Für den Beruf des Trainers würde dies vor allem bedeuten, dass wir an den Beruf des Sportlehrers denken, den Beruf des Managers im Blick haben, den Sportarzt und den Physiotherapeuten in seiner Nachbarschaft erkennen und einordnen. Wir müssen aber auch die vielen ehrenamtlichen Übungsleiter und methodischen Laien in Betracht ziehen, wenn wir uns der Profession des Trainerberufes nähern wollen. Abbott weist darauf hin, dass in Bezug auf Professionen Fragen wie die Folgenden zu stellen sind: Ab wann ist ein Jurist erforderlich anstatt eines Betriebswirts? Ab wann ein Psychiater anstatt eines Seelsorgers? Wer die Profession des Arztes erfassen möchte, muss berücksichtigen, welche Aufgaben die Ärzte beispielsweise den Hebammen, den Psychologen oder den Naturheilern entwunden haben. Eine Liste von Eigenschaften, die einen Beruf kennzeichnen gibt es demnach nicht, sondern nur eine Konkurrenz von Berufen, Tätigkeiten, Rechten und wissenschaftlichen Problemfassungen. Es ist also wichtig, dass man den Beruf des Trainers nicht isoliert betrachtet, sondern bei seiner Erforschung auch die benachbarten Gebiete berücksichtigt, will man sich den Problemstellungen des Trainerberufes nähern.

2. Determinanten für die Aufgaben eines Trainers

Die Praxis eines Trainers zeichnet sich in erster Linie durch eine Verknüpfung von praktischer und pädagogischer Arbeit während des Trainings und bei Wettkämpfen aus, die zum Ziel hat, die Persönlichkeit des Athleten so zu entwickeln, dass er bei sportlichen Wettkampfereignissen die höchste Leistung erbringen kann. Darüber hinaus ist es die Aufgabe eines Trainers, die soziale Position des Athleten abzusichern und ihm einem Übergang nach Beendigung seiner Karriere in das Berufsleben zu ermöglichen. Man geht dabei in Bezug auf den Athleten von einer Karriere auf Zeit aus, die abgelöst werden muss durch eine weitere berufliche Tätigkeit. Trainer müssen in ihrer Arbeit auf die sportliche Höchstleistung abzielen, auf den Erfolg im Training und Wettkampf. Im Blickpunkt steht somit eine kleine Gruppe von Personen, bei deren Betreuung sehr viel größere Probleme auftreten als zum Beispiel bei der relativ umfangreichen Zahl von Schülern in der Schule. Es gibt größere Risiken und es gibt eine größere Vielfalt an schwierigen Interaktionen auf diesem Gebiet. Aus diesem Grund benötigt ein Trainer ein in vieler Hinsicht unterschiedliches Wissen über den Sport als beispielsweise ein Sportlehrer. Man benötigt eine eher spezifische personenorientierte, eher erfolgsorientierte und eher individuell orientierte Ausbildung. Im Zentrum von Training und Betreuung steht für den Trainer die erfolgreiche motorische Aktion eines Athleten oder eines Teams im Wettkampf. Dies bedeutet, was immer ein Trainer tut, sein Handeln muss zentriert sein auf den Athleten im Wettkampf. Will ein Athlet dort erfolgreich sein, so benötigt er

  • Talent,
  • die Bereitschaft zum Lernen,
  • die Bereitschaft zur harten, anstrengenden Trainingsarbeit über einen langen Zeitraum,
  • gute Trainingsbedingungen
  • und vor allem eine qualifizierte Unterstützung und Hilfe von außen.

Ein Trainer muss in erster Linie für diese Unterstützung seines Athleten oder seines Teams verantwortlich sein. Dabei kann die Unterstützung durch den Trainer drei verschiedene Formen ausweisen:

  • Erstens sollte er den Athleten im Training und im Wettkampf auf der Grundlage eines wissenschaftlich-fundierten Wissens unterstützen.
  • Zweitens unterstützt er den Athleten auf Grundlage seiner Erfahrungen und
  • Drittens kann er für eine finanzielle Unterstützung sorgen.

Natürlich ist der Trainer nicht die einzige Unterstützung, die von außen an den Athleten herangetragen wird. Neben dem Trainer stehen die Familie, der Verein, die Mannschaftskameraden, die Funktionäre, die Verbände, die Sportjournalisten, die Physiotherapeuten, die Ärzte, die Freunde etc. Aufgabe des Trainers ist jedoch, die Hilfe und Unterstützung von außen, auch was die anderen Institutionen anbelangt, zu sichern und diese so zu organisieren, dass sie wirklich dem Athleten zu Gute kommen

3. Tätigkeitsprofil der Trainer

Wenn die Rolle des Trainers eine derart herausragende Bedeutung für den Erfolg des Athleten im Wettkampf spielt, so stellt sich die Frage, welche Fähigkeit ein Trainer besitzen muss, wenn er diese Aufgabe erfolgreich bewältigen will. Betrachtet man die wissenschaftliche Literatur zur Kompetenz des Trainers, so kommt man um den Eindruck nicht herum, dass ein Trainer gleichsam ein „kleiner Gott“ sein muss, dass er nahezu zu allem fähig sein sollte. Gerade dieser Eindruck macht deutlich, wie gefährlich es ist, aus bestehender wissenschaftlicher Literatur Ausbildungskonzepte für Trainer abzuleiten. Wenn man ein Fähigkeitsprofil für Trainer zeichnen möchte, das der Praxis genügen kann, so muss es darum gehen, unter den spezifischen Einsatzbedingungen Fähigkeitsmuster zu beschreiben, die für die auszubildenden Trainer realistisch sind. Diese Fähigkeitsmuster müssen erreichbar sein und sie müssen in der Praxis Bedeutung haben. Ein Curriculum für die Trainerausbildung sollte deshalb an einem Typus von Trainer orientiert sein, bei dem sich der Trainer in erster Linie durch die Qualität seiner Persönlichkeit, sein Wissen und seine Erfahrung auszeichnet. Wichtig dürfte dabei vor allem sein, dass der Trainer sich selbst als Teil des aktiven Sportsystems sieht und dass er sich in diesem Sportsystem darzustellen weiß.

Ausgangspunkt für die Gestaltung eines Berufsbildes für Trainer könnte eine von mir konstruierte Vorstellung eines kompetenten Sportexperten sein. Dem Idealtyp eines Sportexperten kommt meines Erachtens jener am Nächsten, der in kompetenter Weise über folgende Fähigkeiten in seiner Praxis verfügt:

  1. Sportliche Handlungsfähigkeit
  2. Fähigkeit, wissenschaftlich begründet zu handeln
  3. Pädagogische Handlungsfähigkeit
  4. Organisatorische Handlungsfähigkeit
  5. Politische Handlungsfähigkeit
  6. Gesellschaftliche/Kulturelle Handlungsfähigkeit
  7. Fähigkeit zur Selbstkontrolle

Bei der sportlichen Handlungsfähigkeit muss davon ausgegangen werden, dass Trainer ihre sportliche Handlungsfähigkeit bereits erworben haben. Diese Fähigkeit muss deshalb lediglich für den weiteren Einsatz stabilisiert bzw. erneuert werden. Will man Trainer dabei helfen, so sind vor allem Tipps zur Fitness und zur Ernährung des Trainers mögliche Inhalte ihrer Ausbildung.

Die Fähigkeit wissenschaftlich begründet zu handeln sollte entwickelt und ständig erneuert werden. Dabei muss davon ausgegangen werden, dass sich das Handeln der Trainer an mehreren Bezugswissenschaften zu orientieren hat. Ein Trainer sollte sich zum einen an jenen wissenschaftlichen Disziplinen orientieren, die sich allgemein mit Fragen des Trainings auseinandersetzten und dabei in der Lage sind, auch das Handeln des Trainers beratend zu beeinflussen. Zum anderen sollte er seine Arbeit an jener Sportwissenschaft ausrichten, die sich auf Vermittlung des Gegenstands des Sports bezieht. Dabei sind bewegungstheoretische, biomechanische, trainingswissenschaftliche, medizinische, sportpsychologische und sportsoziologische Forschungsergebnisse zu unterscheiden, die die wissenschaftliche Kompetenz des Trainers begründen können.

Die Fähigkeit zum pädagogischen Handeln sollte sich zum einen auf das Training und den Wettkampf des Athleten beziehen, zum anderen auf das außersportliche Handeln. Auch auf diesem Gebiet scheint eine Ausbildung der Trainer wünschenswert zu sein. Im Zentrum der Ausbildung sollten dabei die zu optimierenden Dialoge zwischen Trainer und Athlet gesehen werden. Deshalb ist es sinnvoll, dass Trainer auf Interaktionsmaximen hingewiesen werden und Planungs-, Durchführungs- und Evaluationsstrategien kennen lernen, die sich für ihre Arbeit im Sport eignen.

Das Bestimmungsmerkmal „Organisatorische Handlungsfähigkeit“ bezieht sich auf das Training und den Wettkampf selbst, auf die Gestaltung von vorbereitenden Maßnahmen von Wettkämpfen und Wettbewerben. Aber auch auf das organisatorische Handeln im komplexen System des Sports und der Interdependenz zu anderen Systemen. Auch in Bezug auf dieses Merkmal ist eine besondere Ausbildung von Nöten.

Die politische Handlungsfähigkeit eines Trainers kennzeichnet auch dann das Profil eines Trainers, selbst wenn dieser seine Arbeit als unpolitisch versteht. Die Handlung eines Trainers muss im umfassenden Sinne als politisch gedeutet werden, damit der Trainer sich selbst als politisch Handelnder verstehen kann. Dazu ist wünschenswert, dass er sich im politischen Gefüge seines Sportsystems auskennt und in der Lage ist, entsprechende Handlungsinitiativen aber auch Handlungsalternativen unter Berücksichtigung seines Auftrages zu ergreifen.

Das Merkmal der gesellschaftlich kulturellen Handlungsfähigkeit weist auf die Notwendigkeit hin, dass sich das Handeln eines Trainers im Umfeld einer bestimmten Gesellschaft ereignet, dass er deren besondere Wertestruktur kennt und sie in Beziehung setzen kann zu Kulturen und Gesellschaften, die anders geartet sind, die jedoch im sportlichen Wettkampf aufeinandertreffen.

Die Fähigkeit zur Selbstkontrolle sollte schließlich auf Seiten des Trainers so entwickelt werden, dass der Trainer sich in den einzelnen Teilschritten seiner Arbeit selbst überprüfen und die Qualität seiner Arbeit im Gefüge seines Gesamtauftrages einstufen kann.

Ergänzend notwendig ist dabei vor allem, dass die Kompetenz des Trainers an den realen Problemen festzumachen ist mit denen ein Athlet im täglichen Training und in der Wettkampfpraxis konfrontiert ist. Was bedeut dies?

Erstens hat man sich zunächst und vor allem auf jene Probleme zu beziehen, die den Athleten im Wettkampf am meisten belasten.

Zweitens hat man die Phase der Vorbereitung zu beachten, die unmittelbar vor dem Wettkampf sich ereignet.

Drittens sind all jene Probleme zu erwähnen, mit denen ein Athlet über einen längeren Zeitraum während des Trainings und darüber hinaus konfrontiert ist.

Viertens müssen alle jene Probleme zur Darstellung kommen, die den Athleten belasten während jener Zeit, in der er nicht im Training und Wettkampf befindet.

Auf diese Weise entsteht eine Hierarchie von Problemen. Tut man dies, so lässt sich der folgende Kompetenzenkatalog für einen Trainer herausarbeiten:

  1. Fähigkeit zur Interaktion mit den Athleten: Hierzu gehören u.a. die Fähigkeit zur Ersten Hilfe, zur Massage, zur Motivierung des Athleten, zur Korrektur, zur Wettkampfbeobachtung, zur Entscheidungsfindung und vor allem auch die Fähigkeit zur emotionalen Stützung des Athleten.
  2. Fähigkeit zur Instruktion des Athleten: Die Motivierung des Athleten, die Abschirmung des Athleten von öffentlichen Einflüssen, die Kontrolle der Ernährung, die Sorgfaltspflicht und Vorbereitung der Einrichtungen und der Ausstattung und die Überprüfung der Bedingungen des Wettkampfes gehören zu den Kompetenzmerkmalen.
  3. Fähigkeit, das Training zu organisieren: Zu diesem Kompetenzbereich gehören u.a. zu Instruieren, korrigieren und Trainingseinheiten zu planen. Trainingsprogramme zu evaluieren, den Fortschritt des Trainings zu überprüfen, den Athleten vor Verletzungen zu verschonen, Erste-Hilfe-Maßnahmen einzuleiten und die Nachversorgung zu sichern, den Lernprozess zu organisieren, Trainingsmethoden zu erklären, den Athleten zu stimulieren und auf Belastungen einzugehen.
  4. Fähigkeit, den Athleten abzuschirmen: Die Fähigkeit für die soziale Sicherheit und die Zukunft des Athleten zu sorgen, Kontakt mit der Familie zu halten, die medizinische Kontrolle und physiotherapeutische Behandlung des Athleten zu sichern und zu organisieren, die Fahrten zu den Wettkämpfen zu organisieren, den Kontakt zu den Massenmedien zu halten, Informiert zu sein über die letzte Entwicklung in den jeweiligen speziellen Disziplinen und wissenschaftliche Literatur über Training und Betreuung im Hochleistungssport lesen und verstehen zu können, könnten dabei beispielhaft Teilfähigkeiten sein.

Wenn ein Trainer in all diesen Gebieten kompetent sein will, dann muss er umfassend ausgebildet sein, d.h. er selbst muss trainiert und gebildet sein. Die Ausbildung muss dabei zumindest bezogen auf einige Fähigkeitsmerkmale ein akademisches Niveau erreichen.

Diese Forderung sollte nicht falsch verstanden werden. Ein Trainer sollte kein Wissenschaftler sein, er sollte aber auch nicht nur „Manager“ sein. In erster Linie muss er ein Begleiter des Athleten, d.h. er sollte in positivem Sinne ein Pädagoge sein. Seine Persönlichkeit sollte stabil, sein Charakter ehrlich, sein Wissen über den Sport vollständig und nicht zuletzt sollte er selbst in der Lage sein, aktiv Sport vorzumachen, mitzumachen, zu demonstrieren. Dieses Verständnis von Trainer steht in gewissem Gegensatz zu anderen Auffassungen über die Aufgaben eines Trainers. Beispielhaft sei der Amerikaner Tutko erwähnt, der die Auffassung vertritt, dass „Wenn man den Charakter eines Menschen erziehen möchte, so sollte man etwas anderes tun als Sport“. Gewiss gibt es erfolgreiche Trainier, die an diesen Satz glauben. Ich bin jedoch davon überzeugt, dass die Mehrheit jener Trainer, die in der Vergangenheit erfolgreich waren und in der Zukunft erfolgreich sein werden, vor allem deshalb erfolgreich waren und sind, weil sie ein vertrauensvolles Verhältnis zu ihren Athleten gehabt haben bzw. haben, weil sie an die Persönlichkeit ihres Athleten glaubten bzw. glauben und weil umgekehrt die Athleten an die Persönlichkeit des Trainers glaubten bzw. glauben. Deshalb bin ich überzeugt davon, dass die Ausbildung von Trainern, auf der Basis von wissenschaftlichem Wissen, am Bild einer Trainerpersönlichkeit orientiert sein muss, die sich in erster Linie durch ihre erzieherische Kompetenz auszeichnet.

Die Geschichte des Sports hat auch eine Geschichte des Trainerberufes aufzuweisen. Der Trainerberuf hat sich in gewisser Weise naturwüchsig entwickelt. Meist waren es junge Männer, die nach Beendigung ihrer aktiven Karriere bereit waren, jungen Athleten zu helfen und sie in jener Weise zu trainieren, wie sie selbst trainiert wurden. Wer selbst Trainer ist erinnert sich an diese historische Situation. Ich habe zum Beispiel nach Beendigung meiner aktiven Handballkarriere als junger Trainer auf der Basis meiner Erfahrungen, die ich im eigenen Training erlebt habe, mehrere Mannschaften trainiert. Die Kompetenz des Trainers war dabei in erster Linie das Ergebnis seiner eigenen Erfahrung. Die Leitlinie für die Arbeit lautete folgender Maßen: Wenn du ein guter Trainer sein willst, musst du ein guter Athlet gewesen sein. Mit der Vervielfältigung des Leistungssports insbesondere mit dessen Globalisierung wurde diese Leitlinie in den vergangenen 50 Jahren in wesentlicher Weise in Frage gestellt. Ein wichtiger Grund hierfür liegt in dem Sachverhalt, dass sich das System des Hochleistungssports grundlegend verändert hat. In einem Prozess funktionaler Differenzierung hat sich der Sport immer weiter ausdifferenziert. Das heißt, es wurden immer mehr Fähigkeiten und Fertigkeiten im Sinne einer institutionellen Spezialisierung voneinander abgetrennt. Was einstmals zusammen gehört hat machen nun jeweils einzelne Experten. Dieser Prozess der Ausdifferenzierung wurde noch dadurch beschleunigt, dass heute nahezu jede Nation der Welt am internationalen Sportsystem beteiligt ist. Außerdem hat der Sport auch als ein besonders beliebtes Thema der Unterhaltungsindustrie eine außergewöhnliche Erfolgskarriere aufzuweisen. Menschen, die sich zuvor kaum für den Sport interessierten, wurden plötzlich in die Welt des Sports einbezogen. Die Wissenschaften, die sich in der Vergangenheit eher in Distanz zum Sport befanden, ja teilweise dem Sport sogar eher ablehnend gegenüberstanden, wurden immer mehr mit den Problemen und Fragen des Hochleistungssports konfrontiert. Der Sport wurde auf diese Weise zu einem attraktiven wissenschaftlichen Thema. Die Probleme des Hochleistungssports legen es dabei nahe, dass der Sport selbst vermehrt einem Prozess rationaler Reflexion unterzogen werden muss.

Dieser Prozess hat, das kann kaum überraschen, natürlich auch das Berufsbild des Trainers erfasst. Sein Berufsbild wurde zunehmend Diskussionsthema. Seine Erfahrung, die bis vor wenigen Jahrzehnten noch die unangetastete Grundlage seines Handelns war wurde in Frage gestellt. Ein Trainer, folgt man der Meinung einiger Wissenschaftler, sollte heute in erster Linie ein technologischer Experte sein, dessen Kompetenzen auf wissenschaftlichem Wissen basiert: Er muss ein Experte der Biomechanik sein, er muss ein wissenschaftlich fundiertes Training absolvieren, er sollte physiotherapeutische Kenntnisse haben, und er muss auch ein guter Psychologe sein. Diese Meinung gewann mehr und mehr Einfluss im modernen Hochleistungssport. Diese Meinung bekam auch mehr und mehr von all jenen Sportnationen Unterstützung, die an eine wissenschaftliche Grundlegung des Sports glauben und auf diese Weise besonders erfolgreich bei Olympische Spielen gewesen sind. USA, die ehemalige DDR, die ehemalige Sowjetunion und die Bundesrepublik Deutschland sind seit diesem Zeitpunkt die erfolgreichsten Sportnationen in der Welt gewesen. Sie alle glaubten an eine wissenschaftliche Ausbildung des Trainers. Deshalb überrascht es nicht, dass bei allen Neuentwicklungen auf dem Gebiet der Trainerausbildung die Konzepte dieser Länder die entscheidende Grundlage bilden. Wo immer heute ein neues Curriculum für Trainer entsteht gilt der Slogan „go scientific, go sports“.

Betrachtet man diese neuen Curricula für Trainer etwas genauer, so kann man beobachten, dass Curricula, die auf dieser Auffassung vom Beruf des Trainers beruhen, in Abhängigkeit von den Erscheinungsdaten, Jahr für Jahr mehr wissenschaftliche Inhalte aufweisen und die Erfahrung und die praktischen Fähigkeiten des Trainers allenfalls eine gleichberechtigte Rolle neben diesem Aspekt spielen.

Diese Entwicklung ist jedoch nicht ganz unproblematisch. Im Prozess sportwissenschaftlichen Arbeitens ist in den letzten Jahren eine Beschleunigung zu beobachten, die in vieler Hinsicht nicht nur positiv ist. Täglich entstehen neue Forschungsresultate, die sich auf Probleme des Hochleistungssports beziehen. Gerade auf diese Weise ist der Hochleistungssport zu einem hoch komplexen Phänomen geworden, das vom einzelnen Individuum nur noch bedingt durchschaut werden kann. Jedes Bemühen, alle Resultate sportwissenschaftlicher Forschung in das praktische Tun des Trainers einzubeziehen, muss angesichts dieser Beschleunigung als vergeblich bezeichnet werden. In dieser neuen Situation befinden sich heute immer mehr Sportorganisationen. Sie haben nunmehr die Aufgabe zu lösen, aus den angehäuften Ergebnissen und Daten jene auszuwählen, die von tatsächlicher Bedeutsamkeit für die praktische Arbeit des Trainers sind. Dies ist nicht zuletzt der Grund, warum heute auch in den führenden Sportnationen die Trainerausbildungskonzepte von neuem revidiert werden. Dabei wird erkannt, dass der Trainer wohl in den Grundlagen der Sportwissenschaft ausgebildet sein muss, insbesondere dann, wenn der Trainer selbst in die Lage versetzt werden soll, die Ergebnisse der sportwissenschaftlichen Forschung auf ihre Angemessenheit prüfen zu können, um sie – sollten sie geeignet sein – in seiner Trainingsarbeit angemessen zu berücksichtigen. Problematisch ist dabei jedoch, wenn – wie es teilweise bereits üblich geworden ist, Trainer in Theorien der Biomechanik, der Humanwissenschaft, in Lerntheorien, in Motivationstheorien usw. ausgebildet werden. Immer mehr wird dabei deutlich, dass jene Ausbildungskonzeptionen, die diesem Ansatz gefolgt sind, unrealistisch und praxisfern sind. Von der großen Mehrheit der auszubildenden Trainer werden diese Inhalte nicht akzeptiert. Sie haben in der Ausbildung keine Durchsetzungskraft. Was ist der Grund für dieses Versagen?

In erster Linie muss man erkennen, dass ein Ausbildungskonzept für Trainer, das auf den wissenschaftlichen Einzeldisziplinen der Sportwissenschaft basiert, den Trainer überfordert. Dies gilt gleichermaßen in Bezug auf die persönlichen Merkmale der Trainer als auch auf ihre formale Qualifikation in Bezug auf eine derartige Ausbildung

Es gibt jedoch einen weiteren Grund, der besondere Erwähnung verdient. Die wissenschaftsorientierten Trainerausbildungskonzepte sind in erster Linie deshalb gescheitert, weil sie verkannt haben, in welcher Weise wissenschaftliche Erkenntnisse für den Trainer in dessen Praxis von Bedeutung sind. Der Trainer – betrachten wir das vorrangige Ziel seiner Arbeit – muss an den spezifischen Problemen des Athleten orientiert sein. Diese Probleme stellen sich nicht als wissenschaftliche, sondern als praktische Probleme dar. Praktische Probleme sind zum Beispiel die Verletzung des Athleten, die Angst des Athleten vor dem nächsten Wettkampf, die in Frage gestellte sportliche Höchstleistung, die noch nicht ganz gekonnte Fertigkeit, das Klima, ein besonderes Handicap, das der Athlet zum aktuellen Zeitpunkt seiner Vorbereitung auf einen Wettkampf hat, die Ernährung des Athleten, das Motivationsproblem, die unfairen Kommentare von Sportjournalisten usw. Wenn ein Trainer solche Probleme lösen möchte, benötigt er wohl wissenschaftliche Ratschläge, er selbst muss jedoch nicht die unterschiedlichen Theorien der Wissenschaft kennen. Dies bedeutet, dass ein Trainer zur Lösung seiner Probleme der Unterstützung von Wissenschaftlern bedarf; er selbst muss jedoch keineswegs ein Wissenschaftler sein.

Was bedeuten diese Feststellungen für die Entwicklung eines anpassungsfähigen Berufsbildes des Trainers? Dies bedeutet nicht mehr und nicht weniger, als dass beim Vorhaben, ein sinnvolles Trainerbild zu entwickeln, die Wissenschaften auf keinen Fall einen Selbstzweck darstellen dürfen. Nur ein Teil dessen, was die Disziplinen der Sportwissenschaft in diesem Zusammenhang ausmachen, kann selbst zum Thema einer sinnvollen Trainerausbildung und damit eines Trainerbildes werden. Und jeder Teil muss daraufhin kontrolliert werden, ob er einen Bezug zu einem Problem des Athleten im Wettkampf, zur Vorbereitung auf den Wettkampf, während der Trainingsperiode und im sozialen Leben des Athleten hat. Auf diese Weise entsteht ein wissenschaftlich orientiertes Trainerbild, das in einem Ausbildungscurriculum umzusetzen ist.

Letzte Überarbeitung: Dez. 2019