von Hans Joachim Müller
Im Handball Magazin des Saarlandes wurde dieses Thema bereits aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet, zuletzt im Heft 3/2021 und Heft 5/2021.
Zwischenzeitlich hat der DHB-Bundesrat seine Zielvorstellungen für die Weiterentwicklung des Dachverbandes mehr oder weniger durchgedrückt. Eine Erhöhung der Mitgliedsbeiträge wurde beschlossen, der Fokus wurde auf neue Leistungssportzentren ausgerichtet, die Professionalisierung des Frauenhandballs angekündigt, und das „Jahrzehnt des Handballs“ ausgerufen, gespickt mit Junioren-WM 2023, Männer-EM 2024, Frauen-WM 2025, Männer-WM 2027. Dies alles fordert den Verband bis an die Schmerzgrenze. Nach einer fehlgeleiteten Mitglieder-Gewinnungs-Strategie soll verlorenes Terrain wieder zurückgewonnen werden. Das sind gewiss sehr ambitionierte Ziele mit hehren Absichten. Aber auf welchem Rücken werden sie ausgetragen?
In einem Interview in der Deutschen Handwoche gab Präsident Michelmann zum Besten, dass die Mitgliedszahlen wieder am Steigen sind. Herr Michelmann, wo gibt es dafür einen Beweis?
Die offiziellen Mitgliedzahlen (siehe Tabelle 1 und 2) sprechen von einem Mitgliederverlust in Deutschland von fast 10.000 Personen!
Die Zahl der Mitglieder und der Jugendmannschaften im HVS ist um 2,8 Prozent gefallen, immerhin um 333 Personen. Derzeit hat der HVS 11.588 Mitglieder, davon sind 3698 Jugendliche (= 31,9 %) und 7882 Erwachsene (68,07%) Mitglieder.
Fragen dürfen gestellt werden?
Die Erfolgswahrscheinlichkeit der DHB – Neustrukturierung darf hinterfragt werden. Aus allen großen, erfolgreichen Events (WM 1978, WM 2007, EM 2016, Frauen-WM 1993) haben wir für den Mitgliederzuwachs kaum Kapital geschlagen.
Wie kann dieser Spagat gelingen, wenn die Vereine vor Ort, der Grundpfeiler des Handballsports, vergessen werden oder allein gelassen werden?
Durch die Pandemie haben wir einen weiteren Aderlass erfahren. Es ist zunehmend schwieriger geworden, den lädierten Handball-Nachwuchs wieder in Schwung zu bringen. Hinzu kommen die Energiekrise und die Kostenexplosion, denen die Vereine an der Basis bitte besonders betroffen sind. Die ehrenamtliche Mitarbeit und das Engagement in den Führungsebenen unserer Vereine haben sich ebenfalls verändert, nicht nur im Handball, sondern im Sport allgemein.
Als Abteilungsleiter in einem großen Verein muss ich mich mit grundsätzlichen Fragen beschäftigen:
Dabei ist festzustellen,
… dass in vielen Gemeinden ein Mangel an Hallen und Hallenzeiten besteht bzw. ein großer Renovierungsstau der in den 70-er-Jahren gebauten Hallen vorliegt,
. . . dass durch die Pandemie die Zahl der ehrenamtlichen Helfer (Vorstandsarbeit, Betreuer, Trainer, Schiedsrichter) zurückgegangen ist,
. . . dass die Zahl der gut ausgebildeten Trainer zurückgegangen ist (mangelnde Ausbildungszeiten, veränderte Einstellung, Bezahlung der Trainer, ehrenamtliche Übungsleiter sind seltener geworden)
. . . dass die Mitgliederzahlen stagnieren oder zurückgehen und damit die finanzielle Ausstattung der Vereine immer schwieriger wird,
. . . dass die Unterstützung und Förderung durch Wirtschaftsunternehmen und Spender geringer wurde und derteit noch weiter abnimmt
… dass die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Veränderungen auch unsere Mitglieder betreffen. Der Ton der Diskussionen wird rauer und aggressiver, die persönliche Befindlichkeit gewinnt die Oberhand, die Miteinander-Strukturen in den Vereinen bröckeln zunehmend.
Die Vereine sind die Basis unserer Sportart
Das Fundament, auf dem die Zukunft unserer Sportart aufgebaut war und ist, bilden die Vereine bzw. deren Handballabteilungen. Das gilt für den Freizeithandball und den Leistungshandball gleichermaßen.
Obwohl die Profivereine zunehmend über Handballinternate oder Akademien verfügen, die u.a. auch versuchen, die schulische und sportliche Entwicklung der Handballtalente in Einklang zu bringen, wird es auch in Zukunft nicht ohne die vielen kleinen Vereine gehen, die die breite Basis unserer Sportart bilden.
Es sind die vielen kleine Vereine, die in der Breite viele Kinder zum Handball hinführen (Mutter und Kind, Krabbelgruppen, Minihandball).
Der Handballsport hat heute größere Schwierigkeiten denn je, in den Schulen Fuß zu fassen. Da helfen auch die von vielen Sportverbänden und Kultusbehörden geförderten Sportgymnasien nur bedingt weiter.
Unsere Sportart muss sich möglichst breit aufstellen, um im Konkurrenzkampf mit anderen Sportarten nicht den Kürzeren zu ziehen. Im Schulhandball müssen Bedingungen geschaffen werden, die auch unter beengten Verhältnisse die Qualität des Spiels deutlich werden lassen.
Der Sport in der Schule muss von den für unsere Bildungspolitik Verantwortlichen ernst genommen werden. Das attraktive Handballspiel muss in den Lehrplänen vorkommen, es muss in der Schule kind- und jugendgemäß vermittelt werden. Es müssen Lehrerinnen und Lehrer gewonnen werden, die den Handballsport „leben und lieben“. Geistige Anforderungen und Bewegungsengagement bedingen sich gegenseitig und fördern sich.
Die dritte Sportstunde ist in vielen Bundesländern verloren gegangen, im Saarland seit 20 Jahren.
Angehende Sportlehrer sollten im Studium in Sportvereinen verpflichtend tätig sein.
Im Rahmen des Stundendeputats sollten Sportlehrer auch Neigungsgruppen der Vereine mitbetreuen können. Es gibt auch die Möglichkeit, Bundesfreiwilligendienstler einzusetzen. . Dieses System ist hilfreich und müsste ausgebaut werden, aber auch das geht nicht zum Nulltarif.
Leider sind viele Sportlehrer des öffentlichen Schulwesens nicht mehr ortsgebunden im Einsatz, was dazu geführt hat, dass sie die Nähe zu den örtlichen Sportvereine verloren haben.
Nur wenige Sportlehrer, die ja aufgrund der Ausbildung prädestiniert wären, engagieren sich in den Vereinen als ehrenamtliche Betreuer.
Bei den Kleinen sind wir ganz stark
Fast immer sind die Sporthallen bei uns überfüllt, wenn gute, systematische und freudvolle Handball – Spielstunden für die 5 bis 8-Jährigen angeboten werden. Die Eltern ziehen dann auch voll mit, engagieren sich bei Fahrten und Festen und sind Teil dieser Entwicklung. Es muss aber eine kindbetonte Methodik und Betreuung zum Einsatz kommen. Der sportliche Erfolg ist dabei weniger wichtig als das Dabeisein und die Spielfreude. Beides zählt für die Kleinen. Hier liegt die große Chance und Bedeutung für unsere Sportart Handball.
Überbordende Bürokratie
Wir müssen in den Vereinen aber auch mit der neuen Zeit gehen. Digitalisierung, Marketingstrategien, verbesserte Infrastruktur, mehr Transparenz ist in den Vereinen gefordert. Leider gibt es aber auch bürokratische Hemmnisse (so z.B. die Datenschutzverordnung), die dem Vereinsvorstand das Leben schwer machen.
Es gilt zu entscheiden, welche Projekte mit den begrenzten finanziellen und personellen Ressourcen umgesetzt werden sollen. Die Begrenzung der Ressourcen führt notwendigerweise dazu, dass leider nicht alle guten Ideen umgesetzt werden können. Deshalb ist eine Prioritätensetzung wünschenswert. Der DHB könnte für die Vereine IT-Lösungen zur Mitgliederverwaltung, zum Finanz- und Rechnungswesen sowie zur Spieltechnik anbieten und damit für Entlastung sorgen.
Welches Fazit müssen wir ziehen?
Der Wandel und die Weiterentwicklung unserer Gesellschaft schreitet ständig voran. Soziale Bedürfnisse ändern sich. Einige treten mehr und mehr in den Hintergrund. Der Gemeinschaftsgedanke, der dem deutschen Vereinen innewohnt, hat angesichts eines Anwachsens von individuellen Interessen nicht mehr dieselbe durchschlagende Wirkung wie dies früher der Fall war.
Es zeichnet sich ab, dass die Bedeutung der Sportvereine eher ab- als zunehmen wird. Die Zahl der sporttreibenden Kinder und Jugendliche nimmt in erschreckender Weise ab.
Hier müsste ein „Ruck durch die Gesellschaft“ gehen.
Die Sportverbände und Sportler müssen mit Nachdruck Änderungen anmahnen.
Es sind Ansprüche an die Gesellschaft und die Politik zu stellen, dass Sport einen anderen Stellenwert und eine höhere Wertschätzung erhalten muss. Es geht letztlich auch um die Volksgesundheit und die Fitness zukünftiger Generationen. Jeder in einen Sportverein investierter Euro ist eine gut investierte Geldanlage.
Wir müssen gegen Egoismus, Ellbogenmentalität, Phlegma, Bequemlichkeit ankämpfen und den Anforderungen gerecht werden. Ein Umdenken in der Politik ist dringend geboten.
Ein Anfang wurde mit dem Bewegungsgipfel 2022 versucht. Jetzt geht es darum, möglichst schnell die notwendigen Konsequenzen daraus zu ziehen. Bloße Ankündigungen helfen dabei nicht weiter.
Der Bewegungsgipfel soll es richten
Vor Jahrzehnten gab es die vielfältigen und durchaus erfolgreichen „Trimm- Aktionen“ des DSB. Beachtenswert und sehr erfolgreich war auch der „Goldene Plan“. Solche Aktionen und solch ein Plan werden auch heute benötigt. Benötigt wird ein Plan nicht nur für die in die Jahre gekommenen Sporthallen. Wir benötigen auch einen“Plan“ zur materiellen und personellen Förderung der Vereine, für die Ausstattung der Hallen, für die Sportlehrer und Trainer in den Vereinen.
Warum sollte nicht mit gezielten Förder-Maßnahmen von Seiten der Gesellschaft, des Staates und der Politik hier ein Mehrwert geschaffen werden? Es heißt doch immer, wir müssen in die Bildungsarbeit und Gesundheitsvorsorge investieren. Gezielte Jugendarbeit in unseren Vereinen ist beste Maßnahme, die sich langfristig auch in unserer Gesellschaft auszahlt.
Im Dezember 2022 haben sich acht Bundesministerien an einen Tisch gesetzt, um diese Problematik zu besprechen und zu erörtern. Aufgeschreckt wurden sie durch alarmierende Zahlen über den Gesundheitszustand junger Menschen („nur jedes vierte Kind bewegt sich ausreichend“).
„Es soll ein Signal des Aufbruchs sein. Der Bewegungsgipfel in Berlin will den „trägen“ Bürgern wieder Beine machen. Dabei rücken Kinder und Jugendliche in den Mittelpunkt. Auch Erwachsene sollen motiviert werden, sich mehr und regelmäßig zu bewegen – oder eben überhaupt Sport zu treiben. Jedenfalls ist die Liste der Aufgaben, die zu erfüllen ist, lang.“, so Innen- und Sportministerin Nancy Faeser.
„Die Jüngsten stehen ganz besonders im Fokus der Initiativen. Nur etwa ein Viertel der Kinder und Jugendlichen in Deutschland bewegt sich nach Angaben des Robert-Koch-Instituts ausreichend. Unter den Erwachsenen ist es gar nur ein Fünftel. In der Corona-Pandemie meldeten sich viele Familien mit ihren Kindern aus den Sportvereinen ab. „Das wollen wir reaktivieren“, sagte Faeser. Ein größeres, besseres Sportangebot in Schulen, Kitas und Vereinen, mehr Geld und Unterstützung für das Ehrenamt, Investitionen in Sportstätten, zeitiger Schwimmunterricht für alle Kinder – die Liste der drängenden Aufgaben ist lang und soll ab 2024 umgesetzt werden.“
Helfen soll ein „Runder Tisch Bewegung und Gesundheit“, eine von der Bundesregierung entwickelte Ernährungsstrategie und der verstärkte Ausbau von Radwegen. Zudem sollen Sportangebote im Internet sichtbarer werden. Geplant ist auch ein bundesweiter „Tag des Sports“ mit einfachen Angeboten für Jedermann. Beim Programm „Restart Sport“ stellt das Innenministerium dem DOSB bis Ende des nächsten Jahres 25 Millionen Euro als Fördermittel für den Vereinssport und seine Trainer und Schiedsrichter bereit.
Nachdem seit all diesen Absichtserklärungen bereits wieder Monate vergangen sind, muss die Frage erlaubt sein, was aus diesen hehren Zielen werden wird, wann werden die ersten Maßnahmen denn umgesetzt?
Wir müssen in den Jugendbereich investieren
In „Handball-Deutschland“ ist es normal, zweimal die Woche zu trainieren. In vielen Sportarten gehört das tägliche Training zum normalen Repertoire (so z.B. beim Schwimmen, Turnen, Tennis und in der Leichtathletik). Warum kann man mit Jugendlichen im Handballsport nicht ebenfalls drei- oder viermal ernsthaft und konzentriert trainieren?
Die besten Trainer sollten beim Training des besten Lernalters von 10 – 14 Jahren eingesetzt werden. Alle Handballtrainer brauchen eine gute Ausbildung und es müssen entsprechende Anreize gesetzt werden. Die Vereine müssen ihr „Kapital“ an den richtigen Stellen einsetzen, um größtmöglichen Erfolg zu erzielen. Dazu gehören auch eine mittel- und längerfristige Planung und Koordination der Jugendarbeit. Das bindet wohl Zeit, Finanzen und Engagement, letztlich zahlt es sich jedoch durch eine gesunde Vereinsentwicklung aus. Meist wir jedoch für die Trainer der erwachsenen Frauen- und/oder Männermannschaften so viele finanzielle Ressourcen des Vereins aufgewendet, dass für die Jugendarbeit oft viel zu wenig übrigbleibt.
Gewiss fehlen in vielen Vereinen die Hallenzeiten für das Training und oft gibt es auch einen Mangel an gut ausgebildeten und qualifizierten Jugendtrainern. Aber gerade deshalb gilt es, an der richtigen Stelle zu investieren und geeignete Partner zu Erfüllung der Aufgaben der schwierigen Aufgabe zu finden. Von den Ehrenamtlichen allein kann dies meistens nicht geleistet werden. Deshalb benötigen die Vereine die Unterstützung aus dem Bildungsbereich und aus der Politik.
- Wie sieht die Förderung und Unterstützung in der Gemeinde aus (z.B. Hallengebühren),
- Wie kann das Land den Sport stützen und fördern (z.B. dritte Sportstunde, Förderprogramme im Breitensport, BildungsCamps, Freizeitmaßnahmen)?
Die Jugend ist unser „höchstes Gut“. Dort gehören die Konzentration und auch entsprechende Geldmittel hin.
Der Verein, der sich mittel- und langfristig für eine Jugendkonzeption entschieden hat, wird gewinnen. Es gehört aber viel Geduld, Durchsetzungsvermögen, Hartnäckigkeit und Widerstandskraft dazu. Und es gehören Menschen dazu, die diese Konzeption gezielt umsetzen, am besten in einem Team mit Strategen, Trainern und Betreuern, die nicht allein den schnellen Erfolg wollen.
Talentsichtung und Talentförderung wichtig
Aus der Zahl der jungen Menschen, die sich in Handballvereinen engagieren, wird man mit gezielten Maßnahmen ganz gewiss auch die Talente erkennen, die ganz gezielt gefördert werden sollen. Bei uns im Saarland ist dies beim jährlichen Talente-Tag zu sehen. Auf Bundesebene ist es der jährliche Deutschland-Cup für Mädchen und Jungen, bei dem man den Entwicklungsstand unserer Talente erkennen kann.
Wer ist ein Talent? Wer legt fest, wer ein Talent ist? Wird nicht viel zu oft und zu früh von einem besonderen Talent gesprochen. Oft sind die kleinen, schnellen und wendigen Jugendlichen, die technisch gut geschult sind, die besten Talente. Aber sie entsprechen nicht dem „Gardemaß“ der großen Rückraumspieler.
Wir haben deshalb in Deutschland viele gute Außenspieler, aber ganz wenige groß gewachsene Rückraum- und Mittespieler. In vielen Bundesligavereinen werden diese „Königspositionen“ meist an ausländische Profis vergeben, womit den deutschen Talenten die notwendigen Entwicklungsschübe verbaut werden. Und doch stellen wir fest, dass es diese groß gewachsenen Ausnahmetalente gibt, sie müssen aber auch intensiv geschult und gefördert werden. Oft fallen die großen Spieler bei der Talentförderung durch das Raster. Sie brauchen jedoch eine gezielte Unterstützung, Pflege, Betreuung und Motivation.
Eine zu frühe Spezialisierung hemmt die positive Entwicklung
Eine Fehlentwicklung ist es auf jeden Fall, wenn schon in der C-Jugend Spieler abgeworben werden und den kleinen Vereinen verloren gehen. Das demotiviert die Trainer und Betreuer und verhindert jede gesunde Aufwärtsentwicklung in einem gut geführten Handballverein. Die Vereine, die gerade mühsam ein Entwicklungskonzept aufgebaut haben, werden durch die Abwerbung hart getroffen, verlieren den Mut und die Zuversicht und stellen oft ihre Aktivitäten ein.
Die Konzentration auf wenige Spitzenclubs im Verbandsjugendbereich führt letztlich zur Ausdünnung der Mannschaften und in Folge auch der Ligen. Es muss in diesem Bereich eine andere Strategie zwischen den Vereinen und dem Verband gesucht und gefunden werden. Ob die Abwerbungsprämie (Ausbildungsersatz) , die jetzt wieder seitens des DHB eingeführt wurde, ein probates Mittel ist, darf bezweifelt werden. Beim Deutschland-Cup hat z.B. eine Verbandsauswahlmannschaft gespielt, deren Spieler – bis auf eine Ausnahme – aus angrenzenden Verbänden zusammengesetzt war.
Ist Handball als berufliche Perspektive denkbar?
In den Leistungszentren und Handball-Akademien – die von der Handball-Bundesliga gefordert werden – ist es u. a. ein Ziel, die Talente im sportlichen und geistigen Bereich zu fördern und fit zu machen. Neben den besseren Trainingsmöglichkeiten soll die schulische Ausbildung ebenfalls eine wichtige Rolle spielen. Eine gute Schulbildung und einen guten Abschluss zu erzielen, erhöht auch die Motivation der angehenden Bundesligaspieler. Es geht nicht allein um die Verwirklichung der sportlichen Ambitionen und Ziele, die eine einigermaßen gesicherte berufliche Perspektive darstellt, es soll auch die berufliche Entwicklung, die über den Sport hinaus angestrebt wird, im Blickfeld sein.
Die Spieler können mit ihrem professionell betriebenen Handballsport für einen gewissen Zeitraum ihren Lebensunterhalt verdienen, die Grundlage für berufliche Erfolge legen und zu einem gewissen Wohlstand kommen. Doch dies zu erreichen, ist oft nur sehr schwer möglich. Viele Vereine weisen diesbezüglich ein Dilemma auf. Die Bundesligavereine sind oft unterfinanziert, werden von ehrenamtlichen Betreuern gelenkt und von schlecht ausgebildeten, nebenberuflich tätigen Trainern betreut. Hier müssten mehr finanzielle Ressourcen eingebracht werden und neue Förderprogramme wären dabei wichtig und zielgerichtet einzusetzen.
Zusammenfassung oder warum kränkeln die Vereine?
- Schwindende Mitgliederzahlen im Bundesverband und in den Landesverbänden.
- Geringe Bereitschaft, sich ehrenamtlich in der Vereinen zu engagieren
- Die Zusammenarbeit mit den Schulen vor Ort ist mitunter kümmerlich
- Die Sportlehrer in den Schulen haben oft keinen Zugang zum Vereinssport
- Kinder und Jugendliche sind heutzutage zu stark abgelenkt, (andere Sportangebote, digitale Veränderung, Ansprüche zur Selbstverwirklichung)
- Die Eltern geben ihre Kinder oft im Verein ab und bringen sich in das Vereinsleben zu wenig ein
- Vereinstreue ist ein Fremdwort geworden. Die soziale und emotionale Bindung zum Verein ist verloren gegangen.
- Der Einsatz im Verein ist mühsam, es herrscht eine Dienstleistungsmentalität.
Zur Lösung all dieser Probleme bedarf es der Einigkeit aller Sportverbände und der deutschen Sportführung im Bundestag und den Landesparlamenten. Eine konzertierte Aktion, wie sie jetzt die acht Ministerien anstreben, ist sinnvoll und wichtig, sie muss aber schnellstens auch mit Leben gefüllt werden.
Der Medaillenspiegel bei Weltmeisterschaften, Europameisterschaften, bei Olympischen Spielen zeigt uns einerseits die Defizite auf, darf andererseits aber nicht das Maß der Dinge sein. Der Sport hat inzwischen ein breit gefächertes Angebot zu bedenken, das durch alle gesellschaftlichen Schichten dringen muss. Wir müssen uns im Handballspiel auch noch viel stärker als bisher um Migranten und um die Integration geflüchteter Menschen kümmern. Hier sind uns andere Sportarten meilenweit voraus.
Ich plädiere deshalb für ein Umdenken und Überdenken der gesamten Sportlandschaft und fordere eine intensivere Unterstützung für den Unterbau der „deutschen Sportpyramide“.
Junge Familien haben mittlerweile einen gesetzlichen Anspruch auf Kindergartenplätze, warum sollte ein Platz in den Sportvereinen nicht auch dazu gehören. Die Kommunen und die Sportämter der Städte und Kreise sind zur Erledigung all dieser wichtigen Aufgaben geradezu prädestiniert. Natürlich erfordert das auch finanzielle Mittel, aber diese Mittel sind sinnstiftend und gewinnbringend eingesetzt: Kinder sind sozial besser eingebunden, es würden neue Arbeitsplätze geschaffen, viele Integrationsprobleme können angegangen und gelöst werden.
Konkrete Vorschläge zur Nachwuchsarbeit
Führen wir in unserem Verband eine kritische Bestandsaufnahme über unsere Jugendarbeit in unseren Vereinen durch, so müssen wir feststellen, dass wir in den jüngeren Jahrgängen bei den Mädchen und Jungen gut aufgestellt sind (Bestandserhebung 2022: 2.805 Jugendliche, bis zur C-Jugend), danach fallen die Zahlen in den weiteren Jahrgängen der B- und A-Jugend aber ganz erheblich ab (902 Jugendliche).
Wir haben also die Problematik, dass wir die positiven Zahlen in den jüngeren Jahrgängen nicht mitnehmen können in die etwas älteren Jahrgänge. Wir haben bei der männlichen A-Jugend noch gerade eine Staffel mit Vereinsmannschaften, bei der weiblichen A-Jugend ist überhaupt keine Spielbetrieb mehr möglich.
Die diesbezüglichen Zahlen sind auch im Deutschen Handball-Bund nicht erfreulicher.
Wir hatten 1996 13.716 Handballspieler im Saarland, im Jahr 2022 sind es noch 11.580. Wir haben in diesen Jahren 15 Prozent unserer HandballspielerInnen verloren.
Wir schaffen es also, die Kinder für unser Handballspiel zu begeistern, wir sehen aber auch, dass es schwierig ist, die Jugendlichen so für die Sportart zu begeistern, dass sie noch im Erwachsenenbereich Handball spielen. In dieser Zeitspanne von 14 – bis 18 Jahren müssen wir uns bemühen, die Jugendlichen bei der Stange zu halten, zu motivieren, sie im zwischenmenschlichen Bereich zu binden, ihnen jugendgemäße Angebote zu unterbreiten, die ihrem Freizeitverhalten entgegenkommen. Warum erleben wir beim Beachhandball derzeit einen so großen Nachhall?
Aus der breiten Basis der Weg zur Spitze
Wo sollen Kinder eine Motivation hernehmen, wenn Sie Meisterschaftsspiele in der B-Jugend mit 55:12 verlieren. Sicher sollen sich die Jugendspieler auch messen und Leistung bringen, aber der breitensportliche Aspekt hat in den „normalen“ Vereinen sicherlich eine größere Daseinsberechtigung. Da muss es nicht um die Meisterschaft und den Pokalsieg gehen, da kann auch mal eine knappe Niederlage als Erfolgserlebnis gewertet werden.
Das soll auf keinen Fall unsere Bemühungen um die Talentsichtung und Talentförderung schmälern. Viele Jugendliche wollen sich messen, sich verbessern, die „Tricks“ der Großen lernen und beherrschen, da gehört auch viel Training und Zeitaufwand dazu und mit dem nötigen Ehrgeiz kann man diese Ziele auch erreichen. Dieser Ansatz ist legitim.
Aber wo hat das Schwergewicht in unseren Vereinenzu liegen? Eindeutig im breitensportlichen Bereich. Aus der Vielzahl der Spieler finden wir auch gute Schiedsrichter, Betreuer, Trainer und Funktionäre, die das Leben im Verein aufrechterhalten.
Dort haben wir nämlich noch weitere Problem in unseren Vereinen, deren Lösung der Zeit so gut wie nicht in Sicht ist. Das ehrenamtliche Wirken nimmt ab, die Zahl der freiwilligen Helfer wird geringer, keiner will mehr einen großen Aufwand und viel Zeit zum Nulltarif erbringen. Aber es ist notwendig und wichtig, Nachwuchskräfte an den Verein zu binden. Wer will noch Schiedsrichter sein, wer „opfert“ seine Freizeit am Samstag oder Sonntag, um die Spieler über vier, fünf Stunden zu betreuen und anzuleiten.
Eine kleine, engagierte Arbeitsgruppe in unserem Verband hat sich zusammengetan und will eine konstruktive Diskussion über die Jugendarbeit der Zukunft führen, Vorschläge unterbreiten und auch mitanpacken, wenn es darum geht, neue Ideen zu entwickeln und neue Wege zu gehen.Diese Gruppe diskutiert ernsthaft und lebhaft, wie die Zukunft unserer Vereine aussieht.Wir sind dankbar für jeden, der uns bei diesem Prozess unterstützt. Als erste Schritt wurde der folgende „Zehn Punkte Plan“ entwickelt:
- Es muss einen Schulterschluss bzw. engere Kooperationen zwischen Hallenträgern und Vereinen geben (Absprache der Hallennutzung, enger Zeitkorridor für viele Aktivitäten, gemeinsame Nutzung der Sportgeräte, Aufarbeitung der Mängellisten in den Hallen, keine Mieten für Jugendarbeit).
- Wir müssen Überlegungen anstellen, welche Anreize wir setzen, um das Handballspiel bei der B- und A-Jugend attraktiv zu machen (alternative Spielformen, Beachhandball, Austausch auf vergleichbarem Level, Veränderungen der Spielbedingungen (Mädchen und Jungen spielen zusammen, körperloses Spielen, vereinfachte Regeln, kein Dribbling, kleinerer Ball, Softball, Ziele verändern, Spielen in kleinen Hallen ermöglichen, 3:3).
- Die Zusammenarbeit mit den Schulen muss gesucht werden (vereinfachte Handball-Spielformen für die Förderstunden in Ganztagsschulen, Wettspiele auf vergleichbarem Niveau, keine Meisterschaften, Spaß am Spielen vermitteln, Verstärkung der Lehrerfortbildung, Einsatz von FSJ-lern)
- Wir wollen aktive Spieler in unseren Mannschaften ansprechen, die als Sportlehrer oder engagierte Lehrer Mannschaften im Jugendbereich in ihrer Gemeinde betreuen können. Kurze Einweisungslehrgänge für alternative Formen des Jugendtrainings durch den HVS.
- Wir müssen Überlegungen anstellen, wie wir die ehrenamtliche Arbeit im Verein auf viele Schultern verteilen (Co-Aufgaben). Die Zahl der Einsatzstunden muss überschaubar sein (2 – 4 Stunden pro Woche). Jeder, der sich im Verein, einsetzt ist wichtig! Neue Formen der Anerkennungskultur!
- Die Jugendarbeit steht im Zentrum des Vereins (die besten Trainer in die Jugend-Teams, bessere finanzielle Förderung für die lizenzierten Jugendtrainer, stufenweise Ausbildung für Betreuer und Trainer, Co-Optionen bei der Trainerarbeit, bei der Betreuung.
- Die verstärkte Jugendarbeit im weiblichen Bereich soll auf die Agenda. „Mädchenhandball fördern“ heißt die neue Maxime.
- Die administrativen Aufgaben in einem Vereinen müssen neu strukturiert werden (Anträge stellen, Nachweise führen, Finanzen abgleichen, Zuschüsse an Land ziehen). Der engagierte Handball-Funktionär soll sich auf die Kernaufgaben (Betreuung und Begleitung der Spieler) konzentrieren können. Können auch sportartübergreifende Leistungen in den Gemeinden geleistet werden? – Sportkoordinator, Sportbeiräte)
- Wir bieten im HVS ein Beratungsgremium an, das in diesen zeitaufwendigen Aufgaben Unterstützung anbieten kann. Nehmen Sie mit uns Kontakt auf (0171/5313443).
- Wir müssen bei Spielerwechseln von Verein zu Verein mehr Transparenz an den Tag legen (Information für Spieler, Eltern, Trainer, Funktionäre, sachgerechte Beratung der jungen Talente, Information über Aufwandsentschädigungen). Wir müssen Überlegungen anstellen, wie die Talente im Verein und im Verband sinnvoll zum Einsatz kommen können und dem Verband (mindestens bis zum Erwachenenalter) erhalten bleiben. Wieso kommt es ausgerechnet bei der C-Jugend zu den großen Abwerbungstendenzen in die Spitzenvereine? Die von der HBL geforderten Leistungszentren und die jetzt beschlossene DHB-Einführung einer Jugend-B-Bundesliga sind kontraproduktiv. Sie wird dem breitensportlichen Anspruch in den Vereinen sehr schaden und führt zu weiteren Verlusten in den Mitgliederzahlen. Schleichend wird dem Handballsport der Boden entzogen!
- Die Bundesregierung hat mit großem Aufwand auf einen Bewegungsgipfel im Dezember 2022 mit acht Ministerien hingewirkt. Was ist aus dieser Initiative in den Ministerien, in den Bundesländern, in den Landessportbünden, in den Fachverbänden geworden? Wo und wie sind die Fördermittel in den Vereinen vor Ort angekommen? Wo sind die Milliarden Fördergelder hingeflossen? Wo kann man Anträge stellen? Wie wird die Wirksamkeit dieser Gipfelmassnahmen überprüft?
Wir bleiben am Ball!
Hans-Joachim Müller war lange Jahre Präsident des saarländischen Handballverbandes und ist dessen Ehrenpräsident und Vorsitzender der Arbeitsgruppe, die den „Zehn Punkte Katalog“ des HVS erstellt hat.
Letzte Bearbeitung: 19.9.2023