Gast-Kommentar von Andreas Müller
Die Bundeswehr beklagt zunehmend sinkende Zahlen von Bewerbern. Verteidigungsminister Boris Pistorius versucht nun gegenzusteuern, indem er die Spitze der verantwortlichen Rekrutierungs-Abteilung neu besetzt. Dass junge Leute zu wenig Interesse verspüren, beruflich bei der Bundeswehr anzuheuern und lieber eine zivile Laufbahn einzuschlagen, ist gewissermaßen erst der Anfang eines Personalproblems, das in den kommenden Jahren sukzessive weiter zunehmen und womöglich dramatische Züge annehmen dürfte. Warum? Weil selbst die fähigsten Werber und Animateure der „Truppe“ wenig nützen, wenn demnächst der potentielle Soldat kaum mehr über Gräben springen, keine Handgranate mehr werfen, keine Eskaladierwand mehr überwinden kann und unter dem Gewicht des Gefechts-Rucksacks regelmäßig zusammenbricht. Wo sollen die künftigen Soldaten herkommen, wenn sie körperlichen Strapaze nicht gewachsen sind, wenn sich der potenzielle militärische Nachwuchs immer weniger bewegt, das Unterrichtsfach Sport nur noch vom Hörensagen kennt und die aktive körperliche Betätigung bei Heranwachsenden hinter Maus-Klicks, Touch-Screens und Computer-Spielen immer weiter zurückbleibt? Einschlägige Erhebungen über Bewegungsarmut gibt es zuhauf.
Ganz zu schweigen von den Sorgen der Marine in Zeiten, da immer weniger Kinder und Jugendliche Schwimmen lernen und Schwimmen können. Nichtschwimmer als künftige Matrosen und Offiziere zur See? Reihenweise unsportliche junge Frauen und Männer als Gewehrs-Leute für ein starkes Heer? Kann so die angestrebte und derzeit viel diskutierte Wehrhaftigkeit und Wehrfähigkeit in diesem Land gelingen? Geht´s mit der Bewegungsarmut weiter kontinuierlich bergab, darf – zugespitzt – mehr über das Ende statt über eine Aufrüstung der Bundeswehr nachgedacht werden und dürfte auch der üppigste Nachtragshaushalt zur Beschaffung modernen Geräts und besserer Ausrüstung nur sehr bedingt über das grundlegende Problem hinweghelfen. Ohne wehrtüchtiges Personal keine wehrfähige Armee, so einfach ist das.
Friedrich Ludwig Jahn würde sich schwer verwundert haben, dass eine Debatte um Wehrfähigkeit die körperlichen und motorischen Fähigkeiten komplett ausblendet. Für den „Turnvater“ war dieser Zusammenhang ein natürlicher. Eben weil er um den besonderen Wert körperlicher Leistungsfähigkeit fürs Militärische wusste, hatte er sich vor mehr als 200 Jahren so sehr für Sport und Bewegung ins Zeug gelegt. Als „Franzosen-Fresser“ wollte er damals vorzugsweise Männer ertüchtigen, um gegen den Feind gerüstet zu sein. Seine so geartete Motivation hat seine großen Verdienste um die Begründung und Verbreitung des Turnens, von regelmäßigen Leibesübungen und sportlicher Betätigung bei objektiver Betrachtung deutlich geschmälert und mit einem ewigen historischen Schatten überzogen.
Antriebe für Sport und Bewegung auf ihren Nutzen ausschließlich fürs Militaristisch-Kriegerisch zu verengen, kann selbstverständlich nicht gesund sein und wird dem riesigen gesamtgesellschaftlichen Mehrwert aktiver sportlicher Bestätigung unmöglich gerecht. Die modernen Lobbyisten des Volks-, Breiten- und Nachwuchs-Sports sollten sich entsprechend hüten, dem Jahn´schen Tunnelblick zu folgen. Sie könnten sich jedoch die aktuelle Debatte um eine stärkere Bundeswehr für ein Plädoyer zugunsten des Sports als Lebenselixier sinnvoll zunutze machen.
Welch eine Steil-Vorlage sind die Bewerber-Probleme im „Hause Pistorius“, etwa um den zu oft darniederliegenden Schulsport auf die Beine zu helfen, mehr Kinder und Jugendliche und Erwachsene auf „Trimm-Dich-Pfade“ zu locken und parallel dazu ein nationales Programm zur Gesundung der in weiten Teilen kranken Sportstätten-Landschaft in Städten und Gemeinden aufzulegen? Nicht im Sinne der Motivation bei Friedrich Ludwig Jahn, doch als Vehikel taugen die aktuellen Personalsorgen bei der „Truppe“ allemal, um dieses Land im besten Sinne fit zu machen – und die dem Sport innewohnenden zivilen, friedlichen, gesundheitsstiftenden, sozialen und anderer nützlichen Potentiale sich voll entfalten zu lassen. Überdies ein nachgerade zwingender strategischer Ansatz für ein Land, das so gern eine Sportnation sein will und in zwölf oder 16 Jahren Olympische Sommerspiele auszurichten gedenkt.
10. Aprill 2024
Andreas Mueller ist freier Journalist und schreibt unter anderem für die „Junge Welt“