Kindersport als Kinderarbeit?

Gastbeitrag
Hartmut Gabler

Im Schwäbischen Tagblatt wurde am 9. Januar 2024 darüber berichtet, dass nach der Turn – Gala des Schwäbischen und Badischen Turnerbunds, die am 8. Januar 2024 in der Porsche Arena in Stuttgart stattfand, Beamte des städtischen Gewerbeamts erschienen. Sie prüften, ob es sich beim Einsatz der Kinder zwischen fünf bis neun Jahren um „Kinderarbeit“ handelte.

Seit 35 Jahren gibt es diese Turn – Gala. Dabei handelt es sich um eine Veranstaltung, in der „artistische Traumwelten mit hinreißender Musik“ (so 2024) vorgestellt werden. Noch nie gab es Beanstandungen. Remy Butterlin, der als Caterer immer dabei ist, meinte zu dem Vorfall: „Man hat die Kinder wie Verbrecher festgehalten.“ Da die Verantwortlichen die Aushändigung der Personalien ohne Einverständnis der Eltern ablehnten, wurde von den Beamten die Polizei gerufen.

Was ist Kinderarbeit?

Nach dem Fund UNICEF, dem Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (UN) ist Kinderarbeit eine Arbeit, die die körperliche oder seelische Entwicklung der Kinder schädigt und den Schulbesuch zumindest beeinträchtigt. Sie wird von den Kindern zu Erwerbszwecken verrichtet und verstößt gegen die weltweit gültigen Kinderrechte. Es handelt sich um ausbeuterische Tätigkeiten, z.B. die Produktion von Textilien und Schuhen durch Kinder in Bangladesh oder im Kongo, aber auch um kriminelle Tätigkeiten, bei denen Kinder als Drogenkuriere oder als Kindersoldaten missbraucht werden.

Man mag dies im Blick auf den Einsatz der Kinder in der „Sport Gala“ als nicht vergleichbar abtun. Trotzdem sollte man über das Thema Kinderarbeit sprechen, denn auch in Deutschland wurde  in der Vergangenheit über das Problem der „Kinderarbeit“ zum Beispiel in bestimmten Sportarten des Hochleistungssports zurecht diskutiert und die Frage nach dem angemessenen Wettkampfalter gestellt. Diese Fragen stellen sich uns nach wie vor. In der Kinderarbeitsschutzverordnung“ wird Arbeit im Sinne „leichter für Kinder/Jugendliche geeignete Arbeit“ ab 13 Jahren erlaubt, sofern der Schulbesuch nicht beeinträchtigt ist.

Eine mit der Turn – Gala des STB vergleichbare Veranstaltung organisieren  jährlich viele deutsche Turn-undSportvereine, so u.a. die TSG Tübingen. DieTSG Tübingen ist ein Mehrspartenverein mit etwa 3.000 Mitgliedern. Jährlich veranstaltet sie in Tübingen in der dortigen Paul Horn-Arena ihre TSG Sportgala.. In der TSG Sportgala führen etwa 180 Kinder im Alter zwischen vier und 12 Jahren in das Programm der Gala mit gymnastischen Übungen ein. Wer miterlebt hat, mit welcher Begeisterung die Kinder ihre Übungen und damit immer auch ihr Können zeigen und wie stolz sie sind, wenn die 2.000 Zuschauer in der vollbesetzten Halle, ebenfalls begeistert, ihre Leistungen mit anhaltendem Beifall  belohnen – der kann nur den Kopf schütteln, wenn diese spielerische Präsentation als „Kinderarbeit“ beurteilt würde.

Gewiss geht es auch bei dieser Veranstaltung um Geld. Der Verein möchte mit seiner Gala einen finanziellen Gewinn erzielen. Dieser Gewinn kommt jedoch der TSG als gemeinnütziger Verein zur Förderung der Kinder- und Jugendarbeit zugute.

Durch den Sport, ob vereinsgebunden oder ungebunden, lernen Kinder Einstellungen und Kompetenzen, die sie dazu motivieren, lebenslang Sport zu treiben. Bereits im Kindesalter erwerben sie körperliche, kognitive und sozial-emotionale Kompetenzen. Vor allem die sozialen Kompetenzen sind in einer Zeit von großer Bedeutung, in der der Gebrauch der digitalen Medien, allen voran der Gebrauch von Smartphones auch bei Kindern längst selbstverständlich geworden ist. Bereits 2019 ergab eine Studie, dass drei Viertel der Zehnjährigen ein Mobiltelefon besitzen. Daneben besitzen immer mehr Kinder bereits Tablets, Smartphones, Notebooks und Spielekonsolen. Die diesbezüglichen Verkaufszahlen nehmen noch immer ständig zu. Die Dauer der täglichen Nutzung dieser Medien durch Kinder hat längst einen äußerst bedrohlichen Umfang erreicht.
Auch in anderen kulturellen Bereichen wird von Kindern bei öffentlichen Aufführungen ihr Können gezeigt, so z.B in einem Kinderchor, um nur ein Beispiel aus dem Bereich der Musik zu nennen. Auch hier gilt es, die Aufregung vor dem Einsatz zu spüren, zu erleben, ob und wie der Einsatz mehr oder weniger gelingt und wie groß die Freude in der Gruppe ist, wenn die Leistung durch den Applaus der  Zuhörer belohnt wird.
„Welch eine Bereicherung des kindlichen Lebens!“
Doch meine Behauptung muss ergänzt werden:
„Es ist auch eine Bereicherung für die Eltern, für die Großeltern für die Freunde und Bekannten, die bei diesen Ereignissen dabei sein dürfen“.
Wer als Erwachsener dies alles nicht zu schätzen weiß, dem fehlt ganz offensichtlich das Verständnis für jenes, was Kultur für das Zusammenleben von Menschen bedeuten kann.

Prof.Dr. Hartmut Gabler i.R.   hatte einen Lehrstuhl am Institut für Sportwissenschaft der Universität Tübingen und war über viele Jahre dessen Direktor. Mit seinen zahlreichen sportpsychologischen Publikationen kann er auf eine Reputation zu verweisen die weit über Deutschland hinausreicht. Ehrenamtlich hat er in vielen Institutionen des deutschen Sports mitgewirkt, so unter anderem als Vize- Präsident des Deutschen Tennis Bundes.