Frau Zupke und Herr Ullrich oder „Zum Verhältnis der SED- Opferbeauftragten zum Vorsitzenden des Sportausschusses des Deutschen Bundestages“

von Gerd Machalett

Der folgende Gastbeitrag wirft einmal mehr Fragen in Bezug auf die Aufgaben der SED- Opferbeauftragten des Deutschen Bundestages auf wie sie bereits mehrfach in „sport- nachgedacht.de“ gestellt wurden. Bezogen auf die Person von Herrn Ullrich muss angemerkt werden, dass dieser selbst seit seiner Wahl zum Abgeordneten des Deutschen Bundestages einen tragfähigen und nachvollziehbaren eigenen Beitrag zur Aufklärung der Vorwürfe, die gegenüber ihm erhoben wurden, bis heute nicht erbracht hat. Hilflos und in diesem Zusammenhang auch völlig unangebracht war dabei die Vorgehensweise des Sportausschusses des Deutschen Bundestages, seinen eigenen Vorsitzenden aufzufordern, mit einer von ihm in Auftrag zugebenden gutachterlichen Stellungnahme die Vorwürfe auszuräumen. Diesen Vorgang als peinlich zu bezeichnen, kann zu Recht als ein Euphemismus betrachtet werden. H.D.

Was geht Frank Ullrich (SPD), Bundestagsabgeordneter mit Direktmandat und gewählter Vorsitzender des Sportausschusses des Deutschen Bundestages, die SED-Opferbeauftragte, Frau Zupke, an? War Frank Ullrich etwa ein Opfer der SED-Diktatur? Oder war er ein Täter, dessen Handlungen Opfer zur Folge hatten?


Frau Zupke mischt sich ganz offensichtlich – und nicht nur in diesem Fall – in Sachverhalte und Fragestellungen ein, bei denen sie nur über eine geringe oder sogar über gar keine Kompetenz verfügt. Das hält sie nicht ab, sich öffentlichkeitswirksam zur Frage der Vergangenheit von Herrn Ullrich zu äußern: “Ullrichs Rolle ist weiter unklar“. Aber was will Frau Zupke überhaupt aufklären? Herrn Ullrich wird vorgeworfen, als ehemaliger Biathlet (Olympiasieger und mehrfacher Weltmeister) und erfolgreicher Trainer doch mehr in das Dopingsystem der DDR verstrickt gewesen zu sein, als er bislang zugab. Frau Zupke erwartet anscheinend Zugaben an Selbstbezichtigungen und Selbstbeschuldigungen von Herrn Ullrich. Er soll genau erklären, in welchem Maß er ein Doping-Sünder oder sogar ein Doping-Täter war.
Erfüllt Herr Ullrich die Erwartungen von Frau Zupke in allen Punkten, tut er Buße, bereut er und schämt sich öffentlich, dann könnte sie ihm vermutlich sogar vergeben
Wenn Herr Ullrich es richtig clever anstellt, könnte er sogar zum Opfer systemischer Zwänge im Zwangssystem der DDR erhoben werden und wenn alles gut läuft, gibt es dann noch Ansprüche auf Opfer-Entschädigungen bis hin zu einem Zuschlag zur Rente. Denn nach der neueren, geradezu abenteuerlichen Lesart und Deutung (J. Braun & R. Wiese 2023) spielen die Kriterien „wissentlich“ und „willentlich“ als Ausschlusskriterien von Entschädigungsansprüchen gedopter Athleten keine Rolle mehr. Der Systemzwang im Zwangssystem der DDR überlagert alles und irgendwie sind dann alle Opfer.
Herr Frank Ullrich genoss und genießt als erfolgreicher Biathlet und herausragender Trainer großes Ansehen in der Bevölkerung, insbesondere in seiner thüringischen Heimat. Das war vor 1990 und auch nach 1990 so. Zu DDR-Zeiten erhielt er den „Vaterländischen Verdienstorden“ in Silber (1980)und den „Stern der Völkerfreundschaft“ in Silber (1986) und 2008 ernannte ihn seine Heimatgemeinde Trusetal zum Ehrenbürger.
Im Februar 2021 trat er in die SPD ein und für die Bundestagswahl 2021 trat er als Direktkandidat der SPD in seinem heimatlichen Wahlkreis an. Auch die Grünen riefen dazu auf, Frank Ullrich zu wählen, um eine Wahl des in diesem Wahlkreis von der CDU aufgestellten Kandidaten, den ehemaligen Präsidenten des Bundesverfassungsschutzes, Herrn Hans-Georg Maassen, unbedingt zu verhindern. Das ist durch den Einsatz des populären Frank Ullrich gelungen. Herr Maaßen wurde verhindert und Frank Ullrich gewann für die SPD den Wahlkreis und das Mandat für den Deutschen Bundestag. Frank Ullrich wurde im 20. Deutschen Bundestag aus fachlich nachvollziehbaren Gründen zum Vorsitzenden des Sportausschusses gewählt. Die Popularität des Frank Ullrich wurde von zwei Parteien gezielt genutzt, um einen zu Recht verhassten politischen Gegner einer anderen Partei zu verhindern. Den verantwortlichen Akteuren dieser durchaus üblichen parteipolitischen Machenschaften waren die biografischen Licht- und Schattenseiten des Spitzensportlers und Trainers Frank Ullrich durchaus und seit langem bekannt. Der Deutsche Skiverband attestierte ihm sogar einen „unbewusst gesteuerten Verdrängungsmechanismus“, quasi eine verdrängte Verstrickung.

Die Expertise des ehemaligen Verfassungsrichters Udo Steiner befasste sich mit dem Gutachten des Deutschen Ski-Verbandes zur Rolle Ullrichs im „Zwangsdoping-System der DDR“. Da die Feststellungen des Experten aber der Opferbeauftragten nicht gefallen, wird ein „passendes“ Resultat gefordert. Nach Volker Pispers: „Die Leute mit der Wünschelrute befragen die Leute mit der Glaskugel“.
Die damaligen Hauptzeugen Jens Steinigen und Jürgen Wirth hatten die von ihnen erhobenen Vorwürfe nicht glaubhaft untermauern können.
Das erinnert an die Denunziation eines Kurzzeitkugelstoßers („Rückdelegierung“ aus der 10.Klasse der KJS Neubrandenburg), der den Trainer Kollark beschuldigte, ihm Oral-Turinabol mit schweren gesundheitlichen Folgen gegeben zu haben. Auf Anzeige von Ines Geipel wurde der Fall gerichtlich geklärt: Kollark hat diesen Denunzianten nie trainiert und nie die behaupteten Dopingsubstanzen diesem Athleten verabreicht, außerdem wurde die „Rollstuhlpflicht“ des „Sportopfers“ als Lüge entlarvt.

Ich erwähne das nur, weil die den Grünen nahestehende Bürgerrechtlerin und Opferbeauftragte für die Geschädigten der SED-Diktatur, Frau Evelyn Zupke, nach eigenen Aktenrecherchen zwischenzeitlich ein „anderes Bild“ von Frank Ullrich gewonnen hat. Sie ist von Frank Ullrich „enttäuscht“ und sieht ihn nicht als „entlastet“ an. Ihre Enttäuschung basiert auf Vermutungen und „Aktenwahrheiten“ der Unterlagen des Ministeriums für Staatssicherheit. Und selbstverständlich verkündet Hajo Seppelt in seinem Kommentar zu diesem Fall: Frank Ullrich sei „mehr denn je untragbar“.
Der „Mohr“ Frank Ullrich hat gewissermaßen seine Schuldigkeit getan. Er war nützlich zur erfolgreichen Abwehr eines politischen Gegners und zur Gewinnung eines Direktmandates. Dafür gab es eine Belohnung in Form des Vorsitzes eines Bundestagsausschusses. Jetzt ist Frank Ullrich anscheinend ohne justiziablen Hintergrund zur Desavouierung durch ehemalige parteipolitische Nutznießer freigegeben. Zupke und ihre Zuträger dürfen sich an Frank Ullrich „abarbeiten“.
Die Akten der Staatssicherheit können eine „andere Sprache sprechen“ wie sie wollen, Maßstab ist immer noch die Rechtsstaatlichkeit. Eine Verurteilung von Herrn Ullrich vor einem ordentlichen Gericht wegen eines Dopingvergehens liegt jedoch bis heute nicht vor.
Ein ehemaliger DDR-Rudertrainer wurde in Frankreich beschuldigt, eine französische Ruderin gedopt zu haben. Dazu wurde als Beweis aus der BRD seine Stasi-Akte vorgelegt, weil er auch zu DDR-Zeiten gedopt habe. Die Richterin beachtete den „Beweis“ gar nicht: “Was soll diese Akte beweisen? Um sie zum Gegenstand der Verhandlung machen zu können, müsste ich den Mann laden, der sie geschrieben hat, müsste ihn fragen, wer ihm warum den Auftrag gegeben hatte, einen Bericht anzufertigen. Ich müsste ihn fragen, ob er dem Trainer je zuvor begegnet war, ob beide vielleicht sogar verwandt oder verschwägert sind, ob sie Streit miteinander hatten, und ich müsste ihn fragen, ob er beeiden könne, nüchtern und clean gewesen zu sein, als er den Bericht schrieb. Wer vor Gericht aussagt, muss darauf hingewiesen werden, dass er den Wahrheitsgehalt seiner Aussage beeiden muss. Das war bisher vor jedem Gericht so. Warum soll ich von dieser juristischen Grundregel abweichen?“ Der beschuldigte Trainer gewann den Prozess.
Die Stasi-Akten mit ihren speziellen Aktenwahrheiten sind schon lange ein Problem. Gauck wurde gefragt, wie zuverlässig diese Akten wohl seien. „Sie sind anders als die Wirklichkeit, es finden sich richtige, teilweise richtige und falsche Zeugenaussagen. Die Informanten sind keine Fachleute, manche sind voreingenommen, wollen die Vorgesetzten über ihre Aktivitäten oder über eigene Versäumnisse und Versagen täuschen. Vielleicht wollen sie sich auch nur wichtigmachen. Historiker und Juristen sind zu Recht solchen vermeintlichen Beweisen gegenüber sehr misstrauisch.
Die Auseinandersetzung von Frau Zupke mit Herrn Ullrich könnte man als eine der unzähligen erinnerungspolitischen „Possen“ im Getriebe des Bundestages mit ihren auf- und abschwellenden Empörungsritualen abtun. Aber Herr Ullrich ist nun mal Vorsitzender des Sportausschusses im Deutschen Bundestag und der Deutsche Sport befindet sich in vielen Bereichen in seiner größten Krise seit 1990. Die Handlungsfähigkeit des Sportausschusses und insbesondere seines Vorsitzenden sind gefragt wie schon lange nicht mehr. Doch angesichts der nach wie vor unbewiesenen Anschuldigungen, denen der Vorsitzende ausgesetzt ist, gleicht er selbst einer „lame duck“ und der Sportausschuss des Deutschen Bundestages ist seit dem Regierungswechsel noch wirkungsloser als er es bereits zuvor war
Die fortgesetzte Desavouierung des Frank Ullrich ohne rechtsstaatliche Substanz, beschädigt nicht nur die Person Frank Ullrich, sie beschädigt auch die Arbeit des Sportausschusses im Deutschen Bundestag. Die Opferbeauftrage sollte sich um tatsächliche Opfer kümmern und nicht auf fragwürdige Art und Weise versuchen, neue Opfer zu „produzieren“. Frau Zupke richtet in dieser Angelegenheit mehr Schaden an als sie Nutzen stiftet.

Letzte Bearbeitung: 7.10. 2023