Fragen an die Vorsitzende des Sportausschusses des Deutschen Bundestages

Ein Gastbeitrag von Rainer Hipp

Die Deutsche Presse- Agentur (dpa) hat mit der Vorsitzenden des Sportausschusses des Deutschen Bundestages, Dagmar Freitag (SPD), ein Interview zu der Amtszeit von Thomas Bach, Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) geführt. Dieses Interview wurde am 9. März in zahlreichen deutschen Printmedien veröffentlicht. Der Schreiber dieser Zeilen hat die Ausführungen von Dagmar Freitag mit großer Aufmerksamkeit gelesen. Die Mischung aus Verwunderung und Irritation hat bei ihm Fragen aufgeworfen, die er der Bundestagsabgeordneten öffentlich stellen möchte. Zum besseren Verständnis werden seine Fragen auf die jeweiligen Aussagen im Interview der Sportausschuss-Vorsitzenden ausgerichtet.


Dagmar Freitag (nachfolgend DF genannt):
Das IOC war und ist ein exclusiver Zirkel der sportpolitischen Macht und am Ende dank der Olympischen Spiele ein gigantisches Geschäftsmodell. Die für den Erfolg des Businessmodells notwendige Klaviatur spielt Präsident Bach zweifellos virtuos und sichert damit auch seine eigene unangefochtene Macht. Das hat man an den unzähligen Ergebenheitsadressen der Mitglieder der IOC-Exekutive an Bach nach seiner Ankündigung zur erneuten Kandidatur gesehen.

Frage von Rainer Hipp (RH):
Was spricht dagegen, dass die Olympischen Spiele mit einem erfolgreichen Geschäftsmodell geführt werden, bei dem die erzielten Gewinne an die 206 Nationalen Olympischen Komitees, also auch an den DOSB, an die Internationalen Sportverbände und an die zukünftigen Ausrichter von Olympischen Spielen ausgeschüttet werden? Wie gehen Sie selbst mit Ergebenheitsadressen um? Könnten die Ergebenheitsadressen gegenüber Thomas Bach auch mit seiner erfolgreichen Arbeit in den letzten Jahren zusammenhängen?


DF:
Seine Amtszeit ist geprägt von bemerkenswerter Nachsicht gegenüber Staaten, die die Werte des Sports wie Good Governance, Fairness und Respekt geradezu demonstrativ mit Füßen treten. Wie anders soll man ansonsten sein Verhalten in der unendlichen russischen Doping-Causa werten?

Frage (RH):
Könnten Sie Ihren Vorwurf der „bemerkenswerten Nachsicht“ gerichtsfest beweisen? Sind Sie der Meinung, dass man Athleten, die des Dopings nicht überführt wurden und insofern als unschuldige Athleten zu gelten haben, von Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen auszuschließen sind, weil ihre Funktionäre und verantwortliche Politiker die Aufdeckung von Dopingverstößen systematisch verhindert haben?


DF:
Das IOC stellt fest, dass 88 Prozent der 40 Reformvorschläge der Agenda 2020 erreicht worden seien. Ich kann nicht einschätzen, ob diese Erfolgsmeldung auch einer externen Evaluierung standhalten würde.

Frage (RH):
Wäre es nicht eine Ihrer Aufgaben als Vorsitzende des Sportausschusses des Deutschen Bundestages die gemachten Reformvorschläge ständig in ihrer Wirksamkeit zu überprüfen, beziehungsweise überprüfen zu lassen?


DF:
Von bedingungslosem Einsatz des IOC für die Kernidee der olympischen Bewegung – die olympischen Werte – habe ich persönlich wenig gesehen.

Frage (RH):
Was ist die Kernidee der olympischen Bewegung? Welche olympischen Werte meinen Sie? Wie setzen Sie sich selbst im Gegensatz zu Thomas Bach bedingungslos für diese olympischen Werte ein?


DF:
Die Olympischen Spiele werden weiterhin in Staaten vergeben, in denen Menschenrechtsverletzungen an der Tagesordnung sind.

Frage (RH):
Sollten Ihrer Meinung nach Olympische Spiele nur noch an Staaten vergeben werden, in denen keine Menschenrechtsverletzungen zu beklagen sind? Wenn ja, in wie viel Staaten dieser Welt  ist dies der Fall? Wer entscheidet, ob in einem Staat Menschenrechte verletzt werden?
Auch in den USA gab und gibt es Menschenrechtsverletzungen – siehe Guantanamo. Als Ordentliches Mitglied des Auswärtigen Ausschusses und Stellvertretende Vorsitzende der Parlamentariergruppe USA  müssten Sie die Einstufung der dortigen Gefangenen als „unlawful combatants“ kennen. Diese Einstufung ist mit Völkerrecht und Menschenrechten nicht vereinbar. Hätten deshalb Olympische Spiele in den USA nicht stattfinden dürfen, und sollten sie auch zukünftig dort nicht stattfinden können? 


DF:
In der internationalen Sportszene ist es eine gern gestreute Mär, dass Sportgroßveranstaltungen in Staaten mit Menschenrechtsverletzungen zu spürbaren und nachhaltigen gesellschaftspolitischen Verbesserungen führen würden. Nach den Spielen 2008 in Peking ist nichts besser geworden. Dort finden 2022 schon wieder Winterspiele statt, trotz weiterhin unbestritten vorhandener und weltweit kritisierter Menschenrechtsverletzungen.

Frage (RH):
Welche Beweise haben Sie, dass in China seit 2008 keine spürbaren gesellschaftspolitischen Verbesserungen zu beobachten sind? In welchen zeitlichen Abständen haben Sie sich seit 2008 selbst vor Ort ein Bild über den Zustand der chinesischen Gesellschaft verschafft? Sind die Erfolge in der Bekämpfung der Armut, die wirtschaftlichen Erfolge, die besseren Plätze in Wissenschafts-Rankings , die Verbesserung der Fremdsprachenkompetenzen chinesischer Bürger relevante und spürbare gesellschaftliche Verbesserungen? Befürworten Sie einen Boykott der Olympischen Winterspiele 2022?


DF:
Die Dachorganisation des Weltsports kann und muss eine klare Positionierung haben, wenn Athleten schikaniert, verhaftet, gefoltert oder gar von von Staats wegen hingerichtet werden; ich erinnere hier nur an die jüngsten Ereignisse in Belarus oder Iran.

Frage (RH):
Haben Sie Ihre China-Kritik auch im Deutschen Bundestag vorgetragen? Mit welchen Mitteln interveniert die Bundesregierung gegen die Menschenrechtsverletzungen in China?
Sie selbst haben mehrfach als Vizepräsidentin des Deutschen Leichtathletik-Verbandes von 2001 bis 2017 internationale Sportereignisse in verschiedenen Staaten der Welt besucht. Haben Sie dabei auch gegen die Verletzung der Menschenrechte protestiert, wenn Ihnen entsprechende Informationen für das jeweilige Land vorgelegen haben? Haben Sie Athletinnen, Athleten und Funktionärskollegen vor ihrer Einreise in die entsprechenden Länder über die Menschenrechtsverletzungen in diesen Ländern informiert? Wie erklären Sie sich Ihre mehrfachen Besuche in Qatar, obgleich in diesem Staat Menschenrechtsverletzungen zu beklagen sind? Wie und in welcher Form haben Sie als Politikerin gegen die Menschenrechtsverletzungenin Belarus oder im Iran protestiert?


DF:
Die Athletinnen und Athleten sind es, die im Mittelpunkt von Reformbestrebungen stehen sollten. Das aber setzt echte Mitwirkungsmöglichkeiten voraus. Und da hat sich unter Bach nichts bewegt. Auch deshalb ist es weltweit zur Gründung völlig unabhängiger Athletenvertretungen gekommen, die sich zunehmend vernetzen und mindestens mittelfristig zu einer machtvollen Stimme gegenüber dem IOC werden können. Was möglich ist,zeigen eindrucksvoll Vertreter von Athleten Deutschland.

Frage (RH):
Unter Bach haben die Athletinnen und Athleten zum ersten Mal Stimmrecht in der Exekutive des IOC. Die Athleten in der IOC-Athletenkommission werden von allen teilnehmenden Athletinnen und Athleten bei Olympischen Spielen in einer geheimen Wahl gewählt. Stellen Sie dieses Wahlverfahren infrage? Welche neuen, unabhängigen Athletenvertretungen, die sich angeblich weltweit gegründet haben, meinen Sie? Inwiefern unterliegen diese Athletenvertretungen einer demokratischen Auswahlentscheidung?


DF:
Erst als Athleten eine Verschiebung der Spiele in Tokio im vergangenen Jahr gefordert und einige NOKs unmissverständlich klar  gemacht hatten, dass sie unter den vorherrschenden Bedingungen keine Mannschaft entsenden würden, drehte auch das IOC endlich bei.

Frage (RH):
Woher haben Sie Ihre Informationen über den Vorgang der Verschiebung der Olympischen Spiele 2020? Nach welchen Konsultationen hat das IOC zu welchem Zeitpunkt über die Verschiebung entschieden? Welche Rolle haben dabei die WHO, die japanische Regierung, die Athletenkommission des IOC und die rechtliche Situation gespielt?
Welche  und wie viele von den 206 NOKs  dieser Welt haben unmissverständlich klar gemacht, dass sie unter den vorherrschenden Bedingungen an den geplanten Olympischen Spielen 2020 nicht teilnehmen werden?

DF:
Laut Präsident Bach gibt es keinen Plan B für die erneute Verschiebung der Olympischen Spiele.

Frage (RH):
Warum sollte es Ihrer Meinung nach einen so genannten Plan B geben, wenn sowohl aus der Sicht des japanischen Gastgebers als auch aus der Sicht des IOC eine weitere Verschiebung der Olympischen Spiele in Tokio nicht mehr möglich ist. Die Spiele finden entweder statt, oder sie müssen abgesagt werden.
Wünschen Sie sich selbst, dass die Olympischen Spiele in diesem Jahr in Tokio stattfinden? Wenn ja, was tun Sie in Ihren verschiedenen Funktionen dafür?
Sollten in einer internationalen Impfstrategie die olympischen Athletinnen und Athleten weltweit einen besonderen Status erhalten, damit bei den Spielen nur geimpfte Sportler an den Start gehen können? Was gilt für Trainer, Betreuer, Funktionäre, Medienvertreter weltweit, aber auch im Bereich des DOSB. Haben Sie als Vorsitzende des Sportausschusses dafür einen Plan – keinen Plan B?


DF:
DOSB-Präsident Hörmann glaubt offenkundig, dass Deutschland im IOC durch den deutschen IOC-Präsidenten bestens vertreten werde. Ich halte das für eine Fehleinschätzung.

Frage (RH):
Ihrer Meinung nach ist Deutschland ganz offensichtlich durch einen deutschen IOC-Präsidenten nicht „bestens vertreten“? Welche andere deutsche Vertretung im IOC wünschen Sie sich, und was tun Sie selbst, dass es zu einem Wechsel kommt?


DF:
Wer das Agieren von Thomas Bach als IOC-Präsident aufmerksam beobachtet und begleitet hat, weiß, dass ganz andere Kriterien sein Handeln bestimmen, und ganz bestimmt nicht landsmannschaftliche Heimatgefühle.

Frage (RH):
Sie unterstellen dem IOC-Präsidenten Bach, dass sein Handeln nicht von „landsmannschaftlichen  Heimatgefühlen“ geprägt sei. Sind Sie wirklich der Meinung, dass das Handeln eines IOC-Präsidenten von derartigen Gefühlen geleitet sein soll und dar? Ist es nicht Aufgabe eines IOC-Präsidenten, die Idee der Olympischen Spiele weltweit zu fördern und sich darum zu kümmern, dass es möglichst viele Interessenten gibt? Halten Sie tatsächlich eine parteiische Begünstigung einer deutschen Bewerbung – nach dem Motto „Germany first“ – durch einen deutschen IOC-Präsidenten für wünschenswert?


DF:
Sollten sich der DOSB, Ministerpräsident Laschet oder die Initiatoren von Rhein-Ruhr-City tatsächlich auf eine Unterstützung des IOC-Präsidenten verlassen haben, kann man das, zurückhaltend formuliert, bestenfalls als naiv bezeichnen. Die wechselseitigen Schuldzuweisungen und die erkennbare Uninformiertheit machen zudem deutlich, dass weder die NRW-Landesregierung noch der DOSB vom IOC ernst genommen wurden.

Frage (RH):
Sie selbst haben Ihr Wahlkreisbüro in Iserlohn und verdanken Ihr Mandat den Wählern aus dem Märkischen Kreis II – also in dem Bundesland NRW. Die von Ihnen erkannte Uninformiertheit weist darauf hin, dass Sie selbst besser informiert gewesen sind, die Verantwortlichen für die  „Rhein-Ruhr Initiative“ jedoch auf ihre Naivität, Unwissenheit und ihre Uninformiertheit nicht aufmerksam gemacht haben. Wäre dies nicht Ihre Aufgabe als Abgeordnete des Deutschen Bundestages und sogar Vorsitzende dessen Sportausschusses gewesen?

Bei den Angriffen von Dagmar Freitag gegen das IOC und gegen den IOC-Präsidenten muss sich der Autor unwillkürlich die Frage stellen, was Dagmar Freitag in ihrer Funktion als Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende des Sportausschusses für den Sport in Deutschland geleistet hat. Der Fragesteller war und ist seit 50 Jahren in verschiedenen Sportorganisationen hauptberuflich und ehrenamtlich in unterschiedlichen Funktionen tätig gewesen. Er arbeitete im Bundessportbeirat der SPD, dem jetzigen Forum Sport, mit.  Er kann sich nicht erinnern, dass Dagmar Freitag sich in dieser Zeit durch richtungsweisende Beiträge und Initiativen zur Sportentwicklung und dem Spitzensport ausgezeichnet hat. Die bloße Präsenz in Organen und Gremien von Vereinen, Verbänden und Stiftungen des Sports ist ganz offensichtlich kein Zeugnis für Kompetenz und Führungsqualitäten.


Rainer Hipp war unter anderem 23 Jahre Hauptgeschäftsführer des Landessportverbandes Baden-Württemberg.