Die letzte Reform der Bundesjugendspiele: Wiederbelebung oder Sterbehilfe?

Gastbeitrag
Albrecht Hummel

Die Reformierung der Bundesjugendspiele (BJS) erfordert letztlich die unmögliche Quadratur des Kreises. Dennoch hat sich der Ausschuss für die BJS an ein Reformvorhaben herangewagt und mit Beschluss der Kommission Sport der Kultusministerkonferenz (KMK) vom März 2021 wurden die BJS neu „formatiert“ und sollen dadurch künftig – ab 2023 – eine höhere Bedeutung erhalten, so die Pressemitteilung des DOSB vom 13.07.2023. Im Kern der Reform, die nicht als Umstrukturierung verstanden werden will, steht ein neues „Wording“. Es wird eine (rational nicht nachvollziehbare) semantische Differenz zwischen einem als traditionell markierten „leistungsorientierten Wettkampf“ und einem als modern verstandenen „bewegungsorientierten Wettbewerb“ konstruiert und in Anspruch genommen. Das Verhältnis von Wettbewerb und Wettkampf wird hierarchisch interpretiert. Aus den Übungen des Wettbewerbs sollen schrittweise, schwierigere Übungen des Wettkampfes werden. Spaß und Motivation am Sporttreiben gilt es zu erhöhen und der mehrperspektivisch ausgerichtete sowie prozessorientiert angelegte Sportunterricht sollen sich ebenfalls in den neuen Formaten niederschlagen. Die Reformierer der BJS sind davon überzeugt: „Der Wettbewerb stellt ein besonders kind- und entwicklungsgemäßes Angebot dar, das vor allem in der Grundschule umgesetzt werden soll und eine große motorische Vielfalt abbildet.“ Das ist sicherlich gut gemeint aber deshalb noch lange nicht auch gut gemacht.
Zugleich sollen sich die Bundesjugend-Spiele laut Pressemitteilung des DOSB nicht zu einem „rein spielerischen Angebot“ entwickeln. Das Erkennen der eigenen Leistung und der eigenen Leistungsfähigkeit gehören ebenso dazu wie der Umgang mit Niederlagen. Die Leistungen aller Teilnehmer in den unterschiedlichen Formaten sollen mit drei unterschiedlichen Urkunden gewürdigt werden: „Diese sind unterteilt in Ehren-, Sieger-und Teilnahmeurkunden, wobei die Ehrenurkunde mit der Unterschrift des amtierenden Bundespräsidenten versehen ist“.
Die mediale Aufregung in der regionalen und überregionalen Presselandschaft über diese Reformbemühungen ist bezüglich der emotionalen Aufladung von Wortmeldungen bemerkenswert und hat zwischenzeitlich zu grotesk-kuriosen Lagerbildungen geführt: Auf den ersten Blick und etwas holzschnittartig vereinfach, zeichnen sich drei Lager ab: Das Lager der radikalen „Abschaffer“ die auf Petitionen und Verweigerung setzen, die Gruppierung der pseudopädagogisch besorgten „Weichspüler“, die vor allem auf „Spaß“ und „Soft-Skills“ Wert legen  und das Lager der konsequenten leistungsorientierten „Wett – Kämpfer“. Darin spiegeln sich die Zustände der bundesdeutschen Gesellschaft, das funktionale Verständnis von Schule und ausgeprägte Tendenzen der Sportentwicklung in der „bunten Republik Deutschland“.
Die zu Beginn der 50er Jahre von „oben“ (top down) verordneten und später von der KMK 1979 als verbindlich erklärten Bundesjugendspiele waren nie ein Lieblingskind des (west-)deutschen Schulsports und der Sportlehrkräfte. Der organisatorische Aufwand, die funktionale Unklarheit, die Verwechslung mit anderen Wettbewerbsformaten, die ahistorischen Ausblendungen, der falsche Vergleich mit ostdeutschen Sportwettbewerben und die „linke Sportkritik“ der 70er Jahre, im sogenannten „roten Jahrzehnt“ der BRD, haben dazu beigetragen. Frühere Etikettierungen als „Bundes-Wartespiele“ oder als „Bundes- Demütigungsspiele“ waren bereits vor vielen Jahren die Folge. Die Heerscharen der ständig besorgten Sport-Pädagogen der neueren Zeit sehen vor allem in der ausgeprägten und ach so schlimmen „körperlichen Exponiertheit“ beim sportlichen Wettbewerb/Wettkampf die Gefahr der „Stigmatisierung“, der „Beschämung“, der „Ausgrenzung durch Niederlagen“, der „Missachtung beliebiger Identitäten“ sowie die Verursachung „traumatischer Spätschäden“. 
Die Degradierung und Zerstörung der Fachlichkeit des Sportunterrichtes ist diesen ideologisch verblendeten Sporterziehern bereits weitestgehend gelungen. Den Status als drittgrößtes Unterrichtsfach (in allen Bildungsgängen) hat dieses Fach weitestgehend verloren, es gilt in der Kultusbürokratie und in wissenschaftlichen Beratungsgremien der KMK zunehmend als verzichtbar und wabert als inhaltlich beliebig aufladbares Erziehungsfach mit besonderer Verantwortung für Soft-Skills, Teamfähigkeit, Integration und Inklusion so vor sich hin. Das besondere, fachgebundene erzieherische Potential gerade des Kämpfens im regelgeleiteten und leistungsorientierten sportlichen Wettbewerb wird strukturell übersehen und in erster Linie als Gefährdung oder sogar als Bedrohung empfunden und bewertet. 

Um es vorwegzunehmen: Noch nie waren die Bundesjugendspiele als ein gut organisierter, pädagogisch-methodisch durchdachter regelbasierter und leistungsorientierter Schulsport-Wettkampf so nötig wie heute! „Reförmchen“ reichen dafür nicht aus. 

Historische Wurzeln, Pfade und Stationen:  

Sedanfeiern (1871-1918) – Reichsjugendwettkämpfe (1920-1933) – Reichssportwettkämpfe der HJ (1933-1945) -Wettkämpfe um die Urkunde des Vorsitzenden des Staatsrates der DDR (1961-1990) – Bundesjugendspiele (seit 1951) 

Die Geschichte der Bundesjugendspiele (BJS) begann nicht mit ihrer Einführung in der jungen Bundesrepublik im Jahre 1951. Sie wurden damals auch nicht erfunden. Die Vorgeschichte der BJS ist lang, bemerkenswert, aufschlussreich und ausgesprochen hilfreich für das Verstehen aktueller Diskurse und Missverständnisse. Der Beginn des historischen Entwicklungspfades der BJS ist aufs engste mit dem sogenannten „Sedantag“ (auch Tag von Sedan oder Sedanstag) verbunden. Im Deutschen Kaiserreich (1871 – 1918) war das ein Gedenktag, der jährlich um den 2.September gefeiert wurde. Ursprünglicher Anlass war die Kapitulation der französischen Armee im September 1870 nach der Schlacht bei Sedan. Dieser Gedenktag avancierte schrittweise zum nationalen Feiertag im Kaiserreich. Diese Entwicklung verstärkte sich nach 1890 insofern, dass die innere Einigung des Reiches, die Einheit der deutschen Nation in den Vordergrund gestellt wurde. Die Herausbildung einer gesamtdeutschen Identität spielt in jener Zeit eine immer größere Rolle. Das betraf auch die Überwindung einer Preußen-Lastigkeit des Gedenkens Es fanden in vielen Regionen, Städten und Gemeinden sogenannte Sedanspiele statt, in denen Darbietungen der Turnerschaften aus den Vereinen und Vorführungen von Turngruppen der Schulen ein fester Bestandteil waren. 
Belegt ist allerdings auch der nichtrealisierte Vorschlag des Zentralausschusses für Volks- und Jugendspiele aus dem Jahre 1894 anlässlich des Sedantages ein Nationales Olympia zu veranstalten. Nach dem 1. Weltkrieg nahmen die Widerstände gegen die Sedanfeiern erheblich zu, jedoch wurden die turnerischen und sportlichen Elemente in den 1920 eingeführten Reichsjugendwettkämpfen inhaltlich einbezogen und im neuen Format fortgeführt. Für herausragende, nachgewiesene Leistungen im Dreikampf wurden vom Reichsausschuss für Leibesübungen Ehrenurkunden mit Unterschrift des Reichspräsidenten als Auszeichnung verliehen. In der NS-Zeit (1933-1945) wurden die Reichsjugendwettkämpfe unter der Bezeichnung „Reichssportwettkampf der Hitler-Jugend“ mit einer neuen ideologischen Ausrichtung fortgeführt. In den damaligen Arbeitsrichtlinien (Handbuch) der Hitlerjugend zur Durchführung der Reichssportwettkämpfe (1942) werden die Ziele im Kontext einer politischen Leibeserziehung deutlich markiert. Begonnen wird mit einem Hitler-Zitat: 

 „Es ist mein Wille, dass die gesamte deutsche Jugend sich einmal im Jahr einer großen sportlichen Leistungsprüfung unterzieht und mit dieser vor der ganzen Nation Zeugnis ablegt von der Kraft und Unbesiegbarkeit des Volkstums„.  

 Für die weitere Umsetzung gelten folgende Positionen: 

Nach dem Willen des Führers ist jeder deutsche Junge und jedes deutsche Mädel verpflichtet, sich einmal im Jahre einer sportlichen Leistungsprüfung zu unterziehen. Diese gewaltige Kundgebung auf dem Gebiet der Leibesübungen der gesamten Jugend unseres Volkes ist der Reichssportwettkampf, der im Frühjahr eines jeden Jahres einheitlich im ganzen Reich zur Durchführung gelangt. Millionen von Pimpfen und Hitlerjungen, Jungmädel und Mädel legen vor der ganzen Nation ein Zeugnis ihrer Kraft und Leistungsfähigkeit ab. Dieses Bekenntnis zur körperlichen Leistung und Gesunderhaltung ist zu einem der wichtigsten Bestandteile im Leben der Hitler-Jugend geworden, und jede einzelne, der in der Jugenderziehung mitarbeitet, muss sich der großen Bedeutung des Reichssportwettkampfes bewusst sein.“
Die politische Wertschätzung der Leibesübungen, die rassenideologische Ausrichtung, der militante Wettkampfgedanke und der durchgreifende Verpflichtungsdruck erwiesen sich für modifizierte Fortsetzungen dieser Wettkampfformate im geteilten Nachkriegsdeutschland als immanente aber in aller Regel nichtthematisierte, unausgesprochene Belastung. Obwohl die Vorläuferformate fest im Gedächtnis der Bevölkerung, insbesondere der Lehrerschaft und der Sportfunktionäre verankert waren, wurden die Reichssportwettkämpfe beschwiegen und restauriert. Ohne kritische Reflexion, aber auch ohne angemessene inhaltliche Würdigung der Vorläuferformate wurde bereits 1951 in der Bundesrepublik Deutschland das Wettkampfformat der Bundesjugendspiele eingeführt. Völlig zu Recht gelten die Bundesjugendspiele als ein „Fossil“ des bundesdeutschen Schulsports. Es geriet zeitweilig in Vergessenheit und mehrfach fanden Wiederbelebungsversuche statt Am 26. Oktober 1979 wurde die jährliche Durchführung der Bundesjugendspiele durch Beschluss der KMK für alle Schüler an den allgemeinbildenden Schulen bis Jahrgangsstufe 10 für verbindlich erklärt. Diese Verbindlichkeit wurde in den Ländern nicht sonderlich ernst genommen. Die wenigen vorliegenden empirischen Untersuchungen zur praktischen Durchführung der BJS belegen das eindeutig. 
Gewandelt haben sich in den letzten Jahrzehnten auch die inhaltlich verantwortlichen Trägerschaften für diesen Schulsportwettbewerb. Gegenwärtig ist dafür ein Ausschuss für die Bundesjugendspiele zuständig, der sich aus drei Vertretern der KMK, einer Vertretung des BMFSFJ, einer Vertretung des DOSB und vier Vertretungen aus den Spitzenverbänden DBS, DLV, DSV und DTB zusammensetzt. Verlässt man die übliche, scheinbar selbstverständlich normsetzende bundesdeutsche Perspektive auf den Entwicklungspfad der BJS und wendet sich einer gesamtdeutschen Perspektive zu, entsteht die Frage nach adäquaten Schulsportwettbewerben in der DDR. In aller Regel und vielfach nachlesbar wird diesbezüglich der sachlich unzutreffende Bezug zu den Kinder-und Jugendspartakiaden der DDR hergestellt, wie sie auf Kreis-, Bezirks- und zentraler Ebene durchgeführt wurden. Das hochentwickelte Spartakiade-System hatte als Vorbild bestenfalls eine Entsprechung in der bundesdeutschen Nachahmung des Spartakiade-Modells durch das Format „Jugend trainiert für Olympia“. Der Verweis auf eine funktionale Entsprechung des Spartakiade-Modells mit den Bundesjugendspielen ist nicht gerechtfertigt. Eine funktionale Entsprechung findet man jedoch in einem anderen Schulsportwettbewerb in der DDR. Seit 1961 fanden an den allgemeinbildenden Schulen, den Berufsschulen und den Sonderschulen Wettkämpfe um die Urkunde des Vorsitzenden des Staatsrates der DDR statt. Der Inhalt dieses sportlichen Wettkampfes war ein leistungsorientierter leichtathletischer Mehrkampf (Laufen, Werfen, Springen). Die erreichten Punktzahlen in den Schulen wurden auf Kreis-und Bezirksebene miteinander verglichen. Vergebene Urkunden an die besten Schulen im Kreis, galten als höchste Auszeichnung im (allgemeinbildenden) Schulsport. Das Amt des Vorsitzenden des Staatsrats wurde 1960 anstelle des Amtes eines Präsidenten geschaffen (letzter Präsident: W. Pieck). Bis 1990 gab es vier Amtsinhaber (W.Ulbricht, E. Honecker, E. Krenz, M.Gerlach).
Eine umfassende wissenschaftliche Aufarbeitung der historischen Entwicklung und eine vergleichende Betrachtung dieser hier nur skizzierten schulbezogenen Wettbewerbsformate stehen noch aus. Bislang dominieren einseitige geschichtspolitische Instrumentalisierungen und Dämonisierungen. Ostdeutsche Erfahrungen bei der Durchführung schulsportlicher Wettbewerbe fanden nach 1990 keine Beachtung. Sie galten als historische Abweichung von der Norm. 

Kontexte und Überlegungen zur Sicherung der Zukunftsfähigkeit der Bundesjugendspiele 

Die im Sommerloch 2023 medial inszenierte und über Gebühr aufgeregte Diskussion zu den Bundesjugendspielen veranlasst Vertreter des DOSB zu Klarstellungen und Rechtfertigungen: 
Seit vielen Jahren wird dieses schulische Sportereignis kontrovers diskutiert. Doch wieso war bei den diesjährigen Berichterstattungen über die Bundesjugendspiele vermehrt davon zu lesen, dass es bei den Bundesjugendspielen ab dem kommenden Schuljahr zu einer „Umstrukturierung“ kommen werde oder gar die „Abschaffung der Bundesjugendspiele“ bevorstünde? Nichts dergleichen ist vorgesehen. Die Bundesjugendspiele werden nicht abgeschafft! Vielmehr wird zukünftig lediglich durch eine im März 2021 getroffene Entscheidung des Ausschusses für die Bundesjugendspiele und der Kommission Sport der Kultusministerkonferenz dem Wettbewerb der Bundesjugendspiele, den es bereits seit 20 Jahren gibt, künftig eine höhere Bedeutung zukommen. Denn ab dem Schuljahr 2023/2024 ist nicht nur (wie bereits seit 2001) für die 1. und 2. Klassenstufen, sondern nun auch die 3. und 4. Klassenstufen in den Grundsportarten Leichtathletik und Schwimmen nur noch die Wettbewerbsform anzubieten und durchzuführen. In der Grundsportart (Gerät-)Turnen können in den Klassenstufen 1-4 weiterhin die Wettkampf- und die Wettbewerbsform angeboten und umgesetzt werden.“ (DOSB 19.07.2023)
Die konstruierte Differenz zwischen (altersgerechtem, kindgemäßem, motorisch vielseitigem, entwicklungsorientierten, bewegungsorientierten, motivierenden, spaßbetonten) Wettbewerb und einem sportlichen Wettkampf, dem anscheinend diese kompetitiven Attribute so nicht zugeschrieben werden, wird weiter bedient. Die semantische Veränderung wird mit der Zuschreibung eines erhofften pädagogischen Bedeutungsgewinns verknüpft. Warum daraus eine erhöhte Bedeutung der Bundesjugendspiele entstehen soll erschließt sich dem Leser nicht. Woher wissen die reformierenden „Bedeutungserhöher“ überhaupt so genau was „kindgemäß“, „altersgerecht“, „entwicklungsförderlich“, „motivierend“ und „spaßmachend“ ist? Welche empirischen Untersuchungen und verallgemeinerte Erfahrungen liegen dazu vor? 
Wann haben die Ausrichtung und Anpassung eines verbindlichen, staatlichen, schulischen Wettbewerbsformates an die vielfältigen und zeitgeistigen Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen ihre Grenzen? Eine „Pädagogik vom Kinde aus“ klingt immer human und gut, beinhaltet aber auch stets funktionale Einseitigkeiten und Verkürzungen. Welche gesellschaftspolitischen und staatlichen Interessen (gesundheitspolitische, bildungspolitische, sozialpolitische) und Anforderungen werden mit dem Schulsportwettbewerb „Bundesjugendspiele“ in Verbindung gebracht? Ginge es ausschließlich nach den Wünschen und Bedürfnissen der Kinder und Jugendlichen gäbe es vermutlich keinen verpflichtenden Schulbesuch mit Zensuren und Prüfungen. Schulen, schulische Wettbewerbe und auch die Bundesjugendspiele sind in erster Linie gesellschaftliche Konstruktionen und Orte bzw. Veranstaltungen zur Durchsetzung gemeinwohlorientierter staatlicher Interessen.
Aus der Sicht des DOSB wird die Zukunftssicherung der BJS primär jedoch wie folgt gesehen: Um die Bundesjugendspiele im Sinne aller Kinder und Jugendlichen stetig weiterentwickeln zu können, sind auch zukünftig weitere neue interessante und motivierende Übungsideen zu entwickeln. Auf jeden Fall sollte darauf hingewirkt werden, dass die Bundesjugendspiele sich in Zukunft noch attraktiver und stärker an den Bedürfnissen von jungen Menschen orientieren.“ (DOSB, 19.07.2023)
„Neue Übungsideen“ und eine noch stärkere „Ausrichtung an den Bedürfnissen der Jugendlichen“ ist das die richtige Spur? Ist nicht eher eine Widerbesinnung auf die Wurzeln, auf die grundlegende Funktion und auf die Kernziele eines verbindlichen Schul-Sport-Wettkampfes angezeigt?
Trotz aller semantischen Kosmetik in der vermeintlichen Reform bleiben die Bundesjugendspiele ein überfrachtetes organisatorisches „Monster“ mit unklarer Profilierung und diffuser Zielsetzung. 

Schulsport – Sportunterricht – Bundesjugendspiele als Schulsportwettbewerb 

Die Bundesjugendspiele sind als „Schulsportwettbewerb“ ein Element des Schulsports, dessen Kernbereich durch den obligatorischen, lehrplanbasierten Sportunterricht verkörpert wird. Das lenkt den Blick auf die konstituierenden, vielschichtigen Zusammenhänge zwischen Sportunterricht und Bundesjugendspiele. So lassen sich die Bundesjugendspiele durchaus auch als Ausdruck und Nachweis der Wirksamkeit, als Spiegelung der Qualität des Sportunterrichts verstehen. Dieser Zusammenhang verweist aber auch auf den Umstand, dass die zahlreichen Probleme, vielfach beschriebenen Defizite und konzeptionellen Fehlentwicklungen im Sportunterricht der 16 Bundesländer ihre Entsprechung im Umgang mit den Bundesjugendspielen finden. Das betrifft sowohl die generelle Akzeptanz als auch die konzeptionelle, funktionale Passung.
Diese Zusammenhänge gilt es genauer zu beachten. Denn letztlich können die Bundesjugendspiele auf Dauer nicht grundsätzlich „besser“ und auch nicht „schlechter“ sein, nicht grundsätzlich anders sein als der regelmäßige Sportunterricht. Ein in der aktuellen Debatte beklagter, zunehmend degradierter Sportunterricht führt letztlich auch zur Degradierung der Bundesjugendspiele und hinter den „Abschaffern“ der Bundesjugendspiele verbergen sich ohnehin auch jene Personen, die offen oder verdeckt für eine Abschaffung des körperlich exponierten und leistungsorientierten Sportunterrichts plädieren. 
Das Verhältnis von Sportunterricht und den Bundesjugendspielen ist auf pädagogisch-konzeptioneller und auf programmatischer Ebene gegenwärtig zutiefst gestört. Sportunterricht und Bundesjugendspiele haben sich auf programmatischer Ebene voneinander entfernt und laufen gewissermaßen parallel nebeneinander her.
Ein Schulsportwettbewerb wie die (verbindlichen) Bundesjugendspiele bedarf jedoch der langfristig angelegten, systematischen Vorbereitung durch den Sportunterricht. Geschieht dies nicht, dann sind die vielfach beschriebenen, zumeist überhöht dargestellten Demütigungs-, Beschämungs- und Stigmatisierungserfahrungen durch die körperliche Exponiertheit des sportlichen Wettkampfes geradezu programmiert. 
Diese negativen Erfahrungen einiger Kinder und Jugendlicher sind jedoch durch pädagogische, didaktische und methodische Vorbereitungen auf leistungsbezogene Vergleiche im Sportunterricht – wenn auch nicht grundsätzlich vermeidbar – so jedoch relativierbar und verstehbar zu machen.  Das souveräne Aushalten und das relativierende Verarbeiten derartiger Erfahrungen, die in unterschiedlichen Kontexten in irgendeiner Weise alle Schüler machen, gehört zur außerordentlich bedeutsamen Erziehung zu Resilienz und individueller Widerständigkeit in der Schule. Eine Schulzeit ohne jegliche „Beschämung“ und „Demütigung“ gibt es nicht, und das ist auch gut so. 
Die von einigen Sportpädagogen beklagte, besondere körperliche Exponiertheit im Schulsport ist mit Gewissheit keine grundsätzliche pädagogische Gefährdung, sondern sie ist ein außerordentlich wertvolles pädagogisches Potential für die Erziehung und Bildung souveräner Kinder und Jugendlicher im und durch Sport. Gut ausgebildete Sportlehrkräfte verfügen sehr wohl über das Wissen und das pädagogisch-methodische Können entwicklungsförderlich mit dieser Herausforderung umzugehen. 
Körper, Bewegung und Sport konstituieren und prägen die pädagogische und didaktische Fachlichkeit des Sportunterrichts. Dieser einzigartige, triadisch-fachliche Zusammenhang konstituiert das Fach und rechtfertigt den Platz des Faches Sport im Ensemble der Unterrichtsfächer steuergeldfinanzierter, staatlicher Pflichtschulen. Die individuell bestmögliche Verbesserung der körperlichen Leistungsfähigkeit und die Steigerung des individuellen Bewegungskönnens in definierten Bewegungsfeldern verweisen auf die unumgehbaren Kernziele dieses fachgebundenen Unterrichts. Die Nutzung regelgeleiteter wettbewerblicher Situationen und das kämpfende Anstrengen im Selbst- und Fremdvergleich sind wertvolle Mittel der Zielrealisierung. 
Der Sportunterricht ist keine fachenthobene, sozialerzieherische „Soft-Skill-Veranstaltung“ und die Sportlehrkräfte als hochqualifizierte und im internationalen Vergleich auch sehr gut bezahlte Fach-Lehrer, sind nicht in erster Linie Experten zur „Schülerbespaßung“ in Soft-Skill-Veranstaltungen. Diese Tendenzen verletzen den Erziehungscode von Schule und degradieren den Sportunterricht zur erweiterten Hofpause. Guter Fachunterricht macht gewiss nicht immer Spaß, aber er ermöglicht durchaus das Entstehen dauerhafter Freude an der Verbesserung des eigenen Könnens und der eigenen Leistung, auch in Schulsportwettbewerben. Das nennt man schlicht und einfach Erziehung und Befähigung zum Sporttreiben und wenn alles gut geht, hat das eine lebenslange Auswirkung auf den individuellen Lebensstil zur Folge. Die Erziehung zur Freiheit beim Zwange (I.Kant) hat viele Gesichter.
Die Störungslinien im Verhältnis von Sportunterricht und dem Schulsportwettbewerb „Bundesjugendspiele“ im Detail zu identifizieren ist nicht einfach aber in Ansätzen durchaus möglich. 
So haben die pseudopädagogischen Diskurse der letzten Jahrzehnte in den universitären „Blasen“ und „Echokammern“ der deutschen Sportpädagogik erheblich zur Ent-Fachlichung und Ent-Methodisierung des Sportunterrichts in den Ländern beigetragen. Diese Entwicklung ging mit einer sozial-und individualerzieherischen Überfrachtung des Sportunterrichts einher. Viele der westdeutsch geprägten Sportpädagogen sind in den letzten Jahrzehnten einen Sonderweg gegangen, der zwangsläufig in einer Sackgasse münden musste. Die schrittweise Degradierung des Sportunterrichts und der spürbare Verlust an nationaler und internationaler Anschlussfähigkeit sind die Folge.
Im Vergleich dazu blieben die Bundesjugendspiele geradezu traditionell und erfreulich fachgebunden. Die Fachlichkeit des Schulsportwettbewerbs war anscheinend bei allen organisatorischen Schwächen der Bundesjugendspiele stärker ausgeprägt als die Fachlichkeit des Sportunterrichts. Ginge es nach den Experten aus den zeitgeistigen sportpädagogischen „Echokammern“, dann müsste eine Reform der Bundesjugendspiele vor allem Wettbewerbe im diskriminierungsfreien Reflektieren und im stigmatisierungsfreien, identitätsgerechten Bewerten beobachteter Sportpraktiken aufweisen. Mit einer Ironie könnte man ergänzend darauf hinweisen, dass selbst die Forderung nach einer Vergabe von Ehrenurkunden des Bundespräsidenten für wissensbasierte Kompetenzvergleiche in gendergerechter Sprache dann vorstellbar wäre. 

Fazit und möglicher Ausblick 

Nationen in denen das regelgeleitete und wertebasierte Kämpfen keine Wertschätzung erfährt, haben in mehrfacher Hinsicht keine Zukunft. Wer das „Kämpfen“ zuerst als pädagogische Gefährdung sieht und durch sprachliche Regelungen vermeiden will, hat den Ernst der gesellschaftlichen Lage und die komplexen Zusammenhänge nicht verstanden. Stabile Demokratien und die Bewahrung von Zivilcourage sind ohne „Kämpfe“ und engagierte „Kämpfer“ ebenso wenig zu haben wie gerechte Löhne ohne Arbeitskampf. Die semantische Konstruktion kampffreier Wettbewerbe bringt nichts außer logischen Widersprüchen, lebensfremden Schonräumen und Missverständnisse. 
Pädagogische Prozesse jeglicher Art und Form sind in der Lage biopsychsoziale Differenzen zwischen den Akteuren systematisch abzubauen und diese zugleich zu verstärken. Diese immer wieder neu entstehende „gerechte Ungleichheit“ hat letztlich ihre Ursache in der unaufhebbaren „biopsychsozialen Einzigartigkeit der Menschen“. Eine gelingende Erziehung und Bildung souveräner und resilienter Kinder und Jugendlicher nutzt bewusst diese Unterschiedlichkeit und diese „gerechte Ungleichheit“. 
Sportunterricht und Schulsportwettbewerben sind durch ihre körperliche Exponiertheit, durch ihre offenkundigen Leistungsvollzuge in unterschiedlichen normativen Bezügen und durch das transparente Regelwerk hervorragende Domänen für die Erziehung und Bildung souveräner Menschen. 
Für eine nachhaltige Wiederbelebung und Zukunftssicherung der Bundesjugendspiele lassen sich thesenartig nachfolgende Positionen zur Orientierung und für weitere Diskurse formulieren. Die inhaltlichen Zuspitzungen und ein gewisser Pathos in den Formulierungen sind gewollt: 

  1. Die Bundesjugendspiele sind konsequent als ein für alle Kinder und Jugendlichen der Klassenstufen 1 bis 10 verbindlicher, obligatorischer Schulsportwettbewerb in den staatlichen Regelschulen durchzuführen.
  2. Der Schulsportwettbewerb „Bundesjugendspiele“ wird durch den regelmäßigen Sportunterricht mittelbar und unmittelbar vorbereitet und ausgewertet. Die Bundesjugendspiele sind ein objektiver Nachweis der Wirksamkeit und Leistungsfähigkeit des Sportunterrichts in den Ländern der Bundesrepublik Deutschland.
  3. Der Schulsportwettbewerb „Bundesjugendspiele“ wird als ein regelbasierter Wettkampf in einem definierten „Zeitfenster“ in den 16 Ländern durchgeführt. Im Handbuch der Bundesjugendspiele wird das Regelwerk beschrieben. Die entwicklungsgerechte Einstufung der Kinder und Jugendlichen in Wettkampfgruppen ist darin zu beachten.
  4. Der Bezug der „Bundesjugendspiele“ auf den obligatorischen Sportunterricht zeigt sich in der konsequenten Ausrichtung auf die staatlich zu garantierende Grundbildung („Literacy“) im Fach Sport. Der Bezug zur Grundbildung impliziert eine Konzentration auf das fachlich Wesentliche und auf die fachlichen Kernziele des Sportunterrichts.
  5. Die Körperliche Grundbildung („Physical Literacy“) ist die domänenspezifische Ausprägung der Grundbildung im Fach Sport. Körperliche Grundbildung beachtet den triadischen fachlichen Zusammenhang von Körper, Bewegung und Sport und ist als grundlegende körperliche Bildung, als grundlegende Bewegungsbildung und als grundlegende sportliche Bildung zu verstehen.
  6. Die Basisfähigkeiten der körperlichen Leistungsfähigkeit („Physical Competence“) und das grundlegende Bewegungskönnen in den definierten Bewegungsfeldern des Sportunterrichts sind die fachlichen Kernziele des Sportunterrichts. Der Nachweis zur Realisierung dieser fachunterrichtlichen Ziele muss sich im Programm des Schulsportwettbewerbs „Bundesjugendspiele“ niederschlagen. Wahlobligatorische Programminhalte in diesen Zielbereichen sind geboten.
  7. Das schulsportliche und schulpädagogische Ereignis „Bundesjugendspiele“ kann und sollte in eine Festveranstaltung der Schulen integriert werden, wenn dadurch der Status und die Bedeutung der Bundejugendspiele gewahrt und erhöht werden. Gut durchgeführte Bundesjugendspiele sind ein „Fest der inneren Einheit“ Deutschlands und sie leisten einen Beitrag zur Festigung der gesamtdeutschen Identität. 

Letzte Bearbeitung: 11. 8. 2023