Auf den Tod eines Fußballspielers

Friedrich Torberg, Willi Daume, Walter Jens

Er war ein Kind aus Favoriten
und hieß Matthias Sindelar.
Er stand auf grünem Plan inmitten,
weil er ein Mittelstürmer war.

Er spielte Fußball, und er wusste
vom Leben außerdem nicht viel.
Er lebte, weil er leben musste,
vom Fußballspiel fürs Fußballspiel.

Er spielte Fußball wie kein Zweiter
und stak voll Witz und Fantasie.
Er spielte lässig, leicht und heiter.
Er spielte stets. Er kämpfte nie. 

Er warf den blonden Schopf zur Seite,
ließ seinen Herrgott gütig sein,
er stürmte durch die grüne Weite
und manchmal bis ins Tor hinein.

Es jubelte die Hohe Warte,
der Prater und das Stadion
wenn er den Gegner lächelnd narrte
und zog im flinken Lauf davon-

bis eines Tags ein anderer Gegner
ihm jählings in die Quere trat,
ein fremd und furchtbar überlegener,
von dem´s nicht Regel gab noch Rat. 

Von einem einzgen harten Tritte
fand sich der Spieler Sindelar
verstoßen aus des Planes Mitte,
weil das die neue Ordnung war.

Ein Weilchen stand er noch daneben,
bevor er ab ging und nachhaus.
Im Fußballspiel, ganz wie im Leben,
war‘s mit der Wiener Schule aus. 

Er war gewohnt zu kombinieren,
er kombinierte manchen Tag.
Sein Überblick ließ ihn erspüren,
dass seine Chance im Gashahn lag.

Das Tor, durch das er dann geschritten,
lag stumm und dunkel ganz und gar.
Er war ein Kind aus Favoriten
und hieß Matthias Sindelar.

Friedrich Torberg

1938, als im annektierten Österreich auch eine „Neuordnung des Sportwesens im nationalsozialistischen Sinne“ durchgeführt wurde, ging der populärste Fußballspieler Matthias Sindelar freiwillig in den Tod. (Geboren 10.Februar 1903, gestorben 23.Januar 1939)

 

Briefwechsel zwischen Willi Daume und Walter Jens

Willi Daume schreibt an Walter Jens zu dessen 65. Geburtstag 1988:

„Er war ein Kind aus Favoriten und hieß Matthias Sindelar. Er stürmte immer in der Mitten, weil er der Mittelstürmer war“ (Friedrich Torberg)

Der also Besungene war vielleicht der beste Mittelstürmer, den es je auf der Welt gab. Als Junge hatte ich ihn schon verehrt. Und später war mein ganzer Stolz, dass ich einmal gegen ihn spielen durfte. Später – nach der NS-Besetzung Wiens-hatte er für sich den Gashahn aufgedreht. Dann aber las ich in den „Republikanischen Reden“, dass „anno 30 der ‚Papierne‘, der große Sindelar, das Vorbild des Kleinstkickers Jens war. Der ‚Papierne‘ war der weltweite Spitzname des Sindelar, so dünn und rank war er, wie heute der Walter Jens aussieht. Und der ist ja auch, war eigentlich immer ein Mittelstürmer – z.B. wie ich es, in aller Unbemerktheit bei der unvergesslichen und unvergleichlichen Gruppe 47 verfolgte. Oder wenn er als Prediger aufgerufen war. Als politischer Redner und Schreiber sowieso. Als Schreiber ist er ja auch immer etwas ein Redner. Ganz besonders eindrucksvoll und dankenswert beim Widerstand gegen den Olympia Boykott. Außenstürmer und „Verbinder“ hatten wir genug. Auch im politischen und intellektuellen Raum. Aber mutige Center eben nur wenige. Man will sich immer zuerst „aus der Affäre ziehen“ und hat im Gegensatz zu unserem Freund kein Gespür für die immerwährenden, aber eben dadurch manchmal schwierigen Beziehungen zwischen Sport und Politik. Walter Jens hat in „Der Ort der Handlung ist Deutschland“ nachgedacht –ich zitiere… „wo es gilt, die Ansatzpunkte zu nutzen, mit deren Hilfe die Olympischen Spiele, dieses Politikum von Anfang an, zur Beförderung von Humanität (konkret zur Entwicklung der concordia discors) beitragen könnten“. Wie gut, dass wir ihn haben!
Er kennt sich einfach aus. Sogar in den Fußballregeln. Beim Deutschen Fußballbund riet er im Festvortrag beim Jubiläum, endlich „dem Torwart zu gestatten, sich beim Elfmeter auf der Torlinie zu bewegen“. Wie wahr – mehr Fußballweisheit als die ganze FIFA! Und wie liebenswert seine Erinnerung an den Fußballclub seiner Jugend, dem SV Eimsbüttel, gewissermaßen das Hamburger Pendant des Wiener Arbeitervororts Favoriten.
Sein Engagement fängt niemals neu an, sondern setzt stets fort, ich meine jenes für den Frieden. Der Nationalsozialismus wird nicht wiederkommen – dank Walter Jens und anderen. Aber Deutschlands Unheil könnte ja auch andere Gestalt annehmen. Leute seines Geistes sind ebenso unentbehrlich wie selten, auch seine Sprachkunst. Was ich dabei liebe, ist der Hauch von Pathos, in Wort und Tat, aber eben nur ein Hauch. Das ist wie beim Sport. Die höchste Leistung kann immer nur gewonnen werden, wenn ein Hauch von Gefahr dabei ist. Aber auch nur ein Hauch.
Nur wenige Schriftsteller hatten, wenn ich es recht weiß, einen eigenen „Kreis“. Ich stehe zu weit außerhalb der Szene, um zu wissen ob es genug „Jens-Schüler“ gibt. Aber eines ist mir klar: es gibt bei uns zu wenige Figuren wie Walter Jens selbst. Das ist nicht nur bei uns so. Man denke an Frankreich – wer kam nach Sartre, Camus, Malraux. Umso wertvoller für uns ein Freund mit seinem Gefühl für Grenzen und, um Camus zu zitieren, jenes „mittelmusische Maß“, dass vom Olympismus übriggeblieben und für den Sport unserer Tage so notwendig ist.
Dank! Und so fortan! Noch lange, bitte!

 

Willi Daume ( 16. März 1988 )

Lieber und verehrter Willi Daume

Ein fantastischer Brief, der vorexerziert, wie ein dreifacher Salto aussieht: Würdigung des Jubilars – Hinnahme des souverän und inspiriert schreibenden Ichs – Bezeichnung gemeinsamer Interessen. Ein Hegel‘scher Dreischritt. Ihre Meditation über die fehlenden Mittelstürmer (Center) und die wie Sand am Meer vorhandenen „Verbinder“ hat mich zu lautem Beifallklatschen veranlasst: fabelhaft! Und dann die Verbindungen zwischen Eimsbüttel und Favoriten! Eine Schande, dass jetzt beim großen Anschluss-Memorial, nicht vom Papiernen gesprochen wurde! Vor allem aber bin ich Ihnen für die Verteidigung des Pathos und des Hauchs von Gefahr beim kalkulierten, hoch pathetischen Risiko dankbar.

Ich habe Ihnen, lieber Willi Daume, oft die Hand gedrückt in Gedanken: jetzt, wo sie über Calgary und dessen Funktionärs-Seligkeit sprachen. Wir stehen da Schulter an Schulter wie einst – im leider vergeblichen Kampf gegen den Olympia-Boykott, befördert durch die unselige Allianz von Helmut Schmidt und Eberhard von Brauchitsch. (Dieser Elendskerl: Mich packt noch heute die Wut, wenn ich an seinen Auftritt damals denke). Ja und dann hätte ich einen Wunsch: einmal zusammen mit Willi Daume, nach Seoul zum Beispiel, im Fernsehen ein ruhiges, treibendes Gespräch über die „Olympische Idee, Kraft, Möglichkeiten und Grenzen“ zu führen Sie wissen, ich bin ihr Palladin: wenn sie mich brauchen – der „Center“ wird zur Stelle sein. Sehr dankbar, bewegt, begeistert ihres Briefes wegen (das Telegramm nicht zu vergessen!)

Stets Ihr getreuer

Walter Jens