Anmerkungen zur Positionsbestimmung des Bundesinstituts für Sportwissenschaft (BISp) zum „Blood-Flow-Restriction-Training“

Peter Stehle 

Das Bundesinstitut für Sportwissenschaft hat mit Stand Mai 2023 ein „Positionspapier“ zum „Blood-Flow-Restriction- Training“ (BFR) herausgegeben.
Das Blood- Flow- Restriction- Training oder Okklusionstraining stellt eine Trainingsmethode dar, bei der der Blutfluss in den Extremitäten durch Bänder oder Manschetten teilverschlossen wird.
Valentin Herrling schreibt auf der Internetseite des Men`s Health Magazins am 07. 07. 2023 unter dem TitelOkklusionstraining:  Mit weniger Gewicht mehr Muskeln aufbauen“ zum  BFR Training folgendes: „Aktuelle Erkenntnisse aus der Forschung lassen aufhorchen: Mit Blood-Flow-Restriction-Training soll es möglich sein, seinen Körper mit deutlich geringeren Gewichten als bisher angenommen, in Bestform zu bringen. Klingt unspektakulär, ist aber eine echte Revolution. Denn: Das American College of Sports Medicine rät Fitness- und Gesundheitssportlern, keine Lasten unterhalb von 70 % ihres persönlichen 1-Wiederholung-Maximums beim Krafttraining zu stemmen. Unterschreitet man diesen kritischen Wert, so die Befürchtung, bliebe ein kontinuierliches Muskelwachstum aus. Das belegen die Ergebnisse einer Studie. Okklusionstraining krempelt die alten Fitnessdogmen nun um – Sportler können maximale Resultate auch dann erzielen, wenn sie mit weniger Gewicht hantieren“. Er postuliert: „Ganz klar: beachtliche Muskelzuwächse. Dabei ist der Effekt an den Beinen größer als an den Armen – vermutlich aufgrund der dort befindlichen üppigeren Muskelmasse. Ebenfalls erstaunlich ist der Effekt beim Aktivieren der Muskelfasern“.  Er stellt heraus, dass das Blood-Flow-Restriction-Training für folgende Personengruppen geeignet sei: 

  • Für Gesundheitssportler: Manschette umbinden, Druck erhöhen und leichte, anstatt schwere Gewichte in die Hände nehmen – so können Trainings-Wiedereinsteiger das Verletzungsrisiko minimieren. 
  • Für Leistungssportler: Physiotherapeuten setzen die Trainingsform ein, um einem schnellen Verlust der Muskulatur nach einer Verletzung entgegenzuwirken. Auf diese Weise können die Sportler mit geringer Intensität Übungen absolvieren – und dadurch schneller zu alter Form zurückfinden. 
  • Für fortgeschrittene Kraftsportler: Studien zeigen, dass gut trainierte Kraftsportler, die bei leichten Gewichten normalerweise eher schwächer als stärker werden, ihre Kraft schon bei niedrigen Lasten mit BFR-Training steigern können. 

Der Artikel wird illustriert durch Abbildungen, welche die Anwendung demonstrieren sollen:

Bizeps und Trizeps: Silikon-Armband zwischen Schultermuskel und Bizeps anlegen. Je Satz 20 bis 40 Wiederholungen, Curls- und French-Press-Varianten als Supersatz.

Im Internet-Portal „BFR-TRAINING – Geniale Trainingshilfe oder Schnick-Schnack? – Body Coaches (body-coaches.de)“ wird hierzu ergänzend ausgeführt, dass sich „in der Theorie das BFR-Training als mindestens adäquate Trainingsmethodik verglichen mit hoch intensivem Krafttraining, wenn es um die Zielsetzung Kraftentwicklung aber auch Muskelaufbau geht“, erwiesen habe. Eine starke Wachstumshormon-Reaktion (GH-Reaktion)1 wird in etlichen Studien nachgewiesen und auch positive Effekte auf die Gefäße und in diesem Zuge auf die Muskeldurchblutung sind nicht von der Hand zu weisen. Ob sich BFR-Training letztlich auch als andauernd sichere Lösung verglichen mit konventionellem Krafttraining erweist, wird sich zeigen, schon jetzt ist es in jedem Falle eine willkommene Alternative mit neuem Adaptionspotenzial auch für trainierte Athletinnen und Athleten“. 

In diesem Beitrag wird immerhin darauf hingewiesen, dass es „derzeit noch nicht hinreichend Studienmaterial gibt, welches sich mit möglichen Langzeitschäden aus der Verwendung von BFR-Bandagen ergeben könnten. Diskutiert werden Mikroschäden oder subtile Veränderungen an Blutgefäßen, die beide mitunter das Thrombose-Risiko erhöhen können“. 
Das BISp gab im Mai 2023 zum Blood-Flow-Restriction Training ein „Positionspapier“ heraus, das eine beratende Funktion erfüllen soll, die Sporttreibende von dieser staatlichen Einrichtung erwarten dürfen.
In der Einleitung zu dieser Positionsbestimmung wird zunächst dessen Ziel herausgestellt:
„Zum einen zwingen Erkenntnisse, einige Grundlagen der Muskelphysiologie neu zu überdenken, zum anderen eröffnen sie neue Möglichkeiten in der Trainingsgestaltung im Leistungs-, Fitness- und Gesundheitssport.
Damit tragen das BISp und die Autorinnen und Autoren des Positionspapieres zu einer humanen, gesundheitlich unbedenklichen und zugleich effizienten Unterstützung des Leistungssports im Nachwuchs- und Spitzenbereich bei.“ 
In der Zusammenfassung dieser Positionsbestimmung wird betont:  

„Aus diesem Grund zielt das vorliegende Positionspapier darauf ab, eine umfassende Beschreibung der BFR-Trainingsmethode, deren bisher dargestellten Wirkmechanismen und möglichen unerwünschten Wirkungen zu geben. Weiterhin befasst sich die vorliegende Arbeit mit einer wissenschaftlich-basierten Bewertung der Effekte des BFR-Trainings auf den Organismus, der Sicherheit der Trainingsform und der bestehenden Applikationsformen.“
Damit wird beim unbedarften Leser und medizinischen Laien der Eindruck vermittelt, als stelle das BFR-Training eine zielführende und vor allem auch unbedenkliche Trainingsmethode dar.  Bei einer Nachfrage teilte mir einer der auf Seite 71 aufgeführten BFR-Experten mit, dass das Positionspapier zwar eine schöne Zusammenfassung des aktuellen Wissensstandes darstelle, die derzeitige Datenlage zum BFR-Training jedoch keinerlei Empfehlungen zulasse. Dies sei auch eine der Kernaussagen sowie eine Auflage der Deutschen Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention gewesen. Die Einleitung vermittelt jedoch einen gänzlich anderen Eindruck.
Wer Näheres zu akuten physiologischen Reaktionen und langfristigen Anpassungen erfahren möchte, dem ist das Lesen des vollständigen Positionspapieres zu empfehlen. Insgesamt erscheint dabei die Datenlage, sicherlich auch bedingt durch die Heterogenität der Untersuchungsdesigns, noch völlig unzureichend. Sie ist auch ganz gewiss nicht eindeutig bzgl. der Wirkung und Effizienz eines BFR-Trainings. Eine tragfähige Evidenzlage zur Verbesserung der sportlichen Leistungsfähigkeit im Sport ist derzeit noch nicht gegeben. 
Bedenklich in dem vorgelegten Papier sind vor allem Aussagen wie die folgende: „Da beim BFR-Training in der Regel keine belastungsinduzierten Schädigungen auftreten, ist es aktuell noch fraglich, welche physiologischen Mechanismen als die Ursache dieser Anpassungen anzusehen sind (Seite 17)“. Hier wird dem potenziellen Anwender suggeriert, dass es sich hier um eine harmlose Intervention ohne negative Konsequenzen handele. Wer möchte hierfür später bei möglichen Langzeitschäden Verantwortung übernehmen?
In Kapitel 4 „BFR-Varianten und Applikationen“ wird ein Einblick in die unterschiedlichsten Techniken und Methoden des Messens, Bestimmens und Realisierens des Restriktionsdruckes gegeben. Interessant ist hierbei die Beschreibung der unterschiedlichen Manschettenbreiten und -materialien, welche zum Einsatz kommen. Eine besonders „perverse“ und sicherlich hoch riskante Form wird in der oben dargestellten Abbildung dargestellt, welches über ein Internetportal Verbreitung findet. Welche Lösungen lassen sich dabei Trainingsgruppen, auch im Spitzensport, für den Trainingsalltag ohne medizinische Kontrolle einfallen? Und welche Potenzierungen möglicher unerwünschter Nebenwirkungen lassen sich daraus ableiten?
Besondere Aufmerksamkeit sollte dem Kapitel 5 „Risiken und Kontraindikationen des Blood-Flow-Restriction Trainings“ gewidmet werden. Zu deren Beachtung wird dort angemerkt: „Dies ist von elementarer Bedeutung, um die Sicherheit der Anwendung zu gewährleisten und über mögliche Risiken dieser Trainingsmethode zu informieren“ und es wird warnend hinzugefügt:“ Aufgrund der aktuellen Datenlage können mögliche Langzeitnebenwirkungen sowie zeitlich verzögert auftretende Nebenwirkungen grundsätzlich nicht ausgeschlossen werden“.
Als häufige Nebenwirkungen werden Kribbeln, ein verzögerter Muskelschmerz (Muskelkater), Ohnmacht und Schwindel sowie Blutergüsse bzw. subkutane Blutungen erwähnt. In seltenen Fällen werden schwerwiegende Nebenwirkungen wie Rhabdomyolyse, zerebrale Anämie, Kältegefühl, venöse Thrombenbildung und Lungenembolie beschrieben. Fallberichte für seltene Nebenwirkungen existieren für eine tiefe Venenthrombose und für einen Sehverlust durch Verschluss der zentralen Netzhautvene nach der Durchführung eines BFR-Trainings.
In den Ausführungen werden diese Nebenwirkungen jedoch eher verharmlost. Dies ist aus meiner Sicht jedoch als fahrlässig zu bezeichnen und weckt bei medizinisch unkundigen Lesern den Eindruck, dass es sich beim BFR-Training um eine harmlose Trainingsform handele.
Dabei muss aus medizinischer Sicht eindeutig und klar beispielhaft folgendes herausgestellt werden:  

  • Bei der Rhabdomyolyse handelt es sich um eine schwerste Muskelverletzung mit der Zerstörung von quergestreiften Muskelfasern. Der Zerfall kann milde verlaufen, aber auch zu schweren Komplikationen führen. Die Rhabdomyolyse kann von einer sehr hohen Creatin-Kinase-Aktivität und Myoglobinurie begleitet werden und zu akutem Nierenversagen mit Todesfolge, Schock, Ateminsuffizienz, schwer beherrschbarer Hyperkaliämie und intravasalen Koagulopathien führen. 
  • Das Risiko für die Entwicklung eines funktionellen muskulären Kompartmentsyndroms mit all seinen möglichen Komplikationen wird im Positionspapier nicht thematisiert. Dabei muss hierin ein erhebliches Risikopotenzial gesehen werden, vor allem dann, wenn die Methode unsachgemäß durchgeführt wird (siehe Beispiel obere Abbildung). 
  • Bei der Beschreibung der venösen Thromboseentwicklung wird das BFR-Training insofern verharmlost, indem der Methode eine mögliche fibrinolytische Wirkung zugeschrieben wird. Dabei darf jedoch nicht außer Acht gelassen werden, dass kleine Thrombosen häufig unbemerkt bleiben und sich von selbst wieder auflösen können, größere Gerinnsel den Blutfluss behindern und Schmerzen und Schwellungen verursachen. Eine Venenthrombose (TVT) muss deshalb sehr schnell behandelt werden, um Schäden an den Venen zu verhindern und Komplikationen wie z.B. einer Embolie in der Lunge vorzubeugen. 
  • Dem Hinweis, dass der durch BFR induzierte retrograde Scherstress an den Gefäßwänden zu atherogenen Veränderungen führen könnte, wird nicht weiter nachgegangen. Gerade hierin bergen sich jedoch gravierende Risiken für eventuelle kardiovaskuläre Erkrankungen mit gravierenden Konsequenzen wie einem erhöhten Herzinfarktrisiko! 

Wer übernimmt für die hier beschriebenen Risiken die Verantwortung?  

Laut der Welt Anti Doping Agentur (WADA) muss ein Wirkstoff oder eine Methode zwei der folgenden drei Kriterien erfüllen, um auf die Verbotsliste zu kommen:

  • Die sportliche Leistung kann dadurch auf unerlaubte Weise gesteigert werden.
  • Es besteht ein gesundheitliches Risiko.
  • Es liegt ein Verstoß gegen die Fairness-Regeln im Sport vor. 

Sind mit der BFR-Methode nicht mindestens zwei dieser Kriterien erfüllt? Hinzukommt, dass aus einer medizin-ethischen Sicht gegenüber einer Methode, die in ihrer Wirkweise ganz gewiss nicht als geklärt bezeichnet werden kann, erhebliche Bedenken bestehen. Nicht alles, was in der sportlichen Praxis erprobt wird und auch zur Anwendung kommt, ist wünschenswert und förderungswürdig.
Hinzu kommt noch dasGenfer Ärztegelöbnis, das nach dem Hippokratischen Eid neuverfasste Gelöbnis für die ärztliche Ethik, das nach wie vor seine Gültigkeit hat und ganz dringend auch von der Sportmedizin und ihren Repräsentanten eingehalten werden muss. Dies ist vor allem in Zeiten wichtig, in denen unter dem Schlagwort „Enhancement“ die Gefahr besteht, dass alle ethischen Grenzen, die aus guten Gründen äußerst klar definiert wurden, überschritten werden. Einige Aussagen, die auch im Sport Gültigkeit haben, seien deshalb hier noch einmal in Erinnerung gerufen: 

  • Als Mitglied der ärztlichen Profession gelobe ich feierlich, mein Leben in den Dienst der Menschlichkeit zu stellen. 
  • Die Gesundheit und das Wohlergehen meiner Patientin oder meines Patienten werden mein oberstes Anliegen sein. 
  • Ich werde den höchsten Respekt vor menschlichem Leben wahren. 
  • Ich werde meinen Beruf nach bestem Wissen und Gewissen, mit Würde und im Einklang mit guter medizinischer Praxis ausüben. 
  • Ich werde mein medizinisches Wissen zum Wohle der Patientin oder des Patienten und zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung teilen. 

Bei Sportlerinnen und Sportlern (unabhängig ob im Senioren- oder Nachwuchsbereich) handelt es sich um „gesunde“ Menschen. Eine Trainingsmethode mit einem erheblichen Potenzial für die Gefährdung der Gesundheit, lediglich angewendet zu einer möglichen Steigerung der Leistungsfähigkeit, verbietet sich daher von selbst.
Die möglichen Gefahren auf die Gesundheit der hier diskutierten Methode, auch unter Berücksichtigung des leider vor allem im Spitzensport häufig anzutreffenden Narrativs „viel hilft viel“ sind als gravierend einzustufen.
Deshalb sollte auch meines Erachtens die Forschung zur Methodik des BFR-Trainings nicht mit öffentlichen Mitteln gefördert werden und eine verharmlosende Darstellung der BFR-Trainingsmethode müsste sich sowohl in medizinischen Fachzeitschriften als auch in einem Positionspapier des Bundesinstitut für Sportwissenschaft von selbst verbieten. 

Dr. med. Peter Stehle
Arzt und Diplom-Sportlehrer
Ehemaligers Referatsleiter „Medizin“ im Bundesinstitut für Sportwissenschaft 

Letzte Bearbeitung: 29.Juli 2023