Ich bin wohl ein ganzes Leben in der Welt des Hochleistungssports zu Hause gewesen, doch habe ich nur ganz selten den spektakulären Sport des Eisspeedway- Fahrens authentisch erleben können und wenn dieser Sport – was meistens nur sehr selten der Fall war – auch einmal im Fernsehen übertragen wurde, so haben mich die gefährlichen und akrobatischen Leistungen der Eisspeedway-Könner fasziniert und begeistert. In höchster Geschwindigkeit – nur von wenigen Spikes gehalten – die engsten Kurven zu fahren, gefährliche Überholmanöver zu überstehen und manchmal auch gekonnt zu stürzen – dies alles mit den Augen eines Zuschauers mitverfolgen zu können, das war für mich immer etwas Besonderes. Erst in meinem achten Lebensjahrzehnt war es mir vergönnt, zwei Eisspeedway- Rennfahrer zu besuchen, um mich mit ihnen über ihren besonderen Werdegang in diesem besonderen Sport auszutauschen, um Erinnerungen an herausragende Leistungen von zwei Athleten aufzufrischen, deren Heimat des Achental ist: Günther Bauer und sein Sohn Luca Bauer haben deutsche Eisspeedway- Geschichte geschrieben.
Der Eisspeedway- Sport kann heute bereits auf eine 100-jährige Geschichte verweisen. Man vermutet, dass er in den zwanziger Jahren seinen Ursprung in Russland hatte, wo auch heute noch Eisspeedway ein Massensport ist, weil dort durch das Klima die besten natürlichen Trainings- und Wettkampfbedingungen angetroffen werden können. Zunächst war Eisspeedway das Wintertraining für Sandbahnrennen und für Motocross. Es wurde jedoch sehr schnell zu einer eigenständigen Sportart, in der seit 1964 Weltmeisterschaften ausgetragen werden. An ihnen beteiligen sich Fahrer aus meist mehr als 17 Ländern. Sie kommen vorrangig aus Australien, Neuseeland, aus der Mongolei, aus den USA und vor allem auch aus Russland und aus skandinavischen Ländern.
In Deutschland wird dieser Sport von ca. 50 Athleten betrieben und es gibt seit 1994 deutsche Meisterschaften. Die lokalen Hochburgen befinden sich in Inzell, Berlin und Steingaden. Es gibt in dieser Sportart keine Geschlechtertrennung, doch wird sie vorrangig von Männern betrieben.
Die Fahrer nutzen robuste 500 ccm Motorräder mit maximal 70 PS weil fahrerisches Können und nicht eine hohe Leistung wichtig ist. Das Reglement lässt den Einsatz von „Zwei- Taktern“ und „Vier- Taktern“ zu. Die Chassis der Motorräder sind meist Eigenkonstruktionen. Die Motoren kommen häufig aus der Tschechoslowakei. Im Eigenbau kommen Leichtbaustoffe wie Carbon und Aluminium zum Einsatz. Mit ihren Spezialmaschinen erreichen die Rennfahrer Geschwindigkeiten von durchschnittlich 90 km/h, Spitzenwerte von 140 km/h wurden jedoch auch schon erreicht. Die Reifen werden mit maximal 28 mm langen Spikes gespickt. Das Vorderrad weist in der Regel 130, das Hinterrad 75 – 120 Spikes auf. Dadurch werden höchste Beschleunigungswerte und die besten Schräglagen im Motorradrennsport erreicht.
Beim Eisspeedway wird nicht gedriftet. Statt Bremsen besitzen die Motorräder Zündunterbrecher, die mit dünnen Schnüren am Handgelenk des Sportlers befestigt sind. Der Preis einer Rennmaschine beträgt etwa 20.000 €.
Die Rennen können sowohl auf Natur- als auch auf Kunsteisbahnen durchgeführt werden. Bevorzugt sind Arenen mit einem 400 – Meter – Eisoval. Für die einzelnen Bahnen werden Bahnrekorde geführt. Besonders bekannt ist die Max Eicher Arena in Inzell. An einem Renntag hat jeder Fahrer fünfmal anzutreten und jeder Fahrer fährt gegen jeden. Für jedes Einzelrennen werden Punkte vergeben. Der Gesamt- und Tagessieger ist der Fahrer mit der höchsten Gesamtpunktzahl.
Neben den Weltmeisterschaften gibt es seit 1994 auch einen Grand Prix Wettbewerb, der aus acht Läufen in verschiedenen Ländern besteht. Daneben gibt es auch berühmte Einzelrennen so wie das Rennen um den Titel eines „Master of Spikes“ in Berlin oder das Rennen in Unna, das unter dem Namen „Aces on Ice“ firmiert. Eine Rennserie mit dem Namen „Golden Spike“ lockt die besten Eisspeedway- Piloten jährlich in Veranstaltungsorte wie Flims in der Schweiz, Assen in den Niederlanden, Diviso inTschechien, St. Johann im Pongau sowie Steingaden und Erfurt in Deutschland.
In der ewigen Bestenliste der Eisspeedway- Weltmeister lässt sich auch der Name Günther Bauer finden. Seit er im Jahr 2003 den Titel eines Vize- Weltmeisters erreichen konnte. Günther Bauer (geboren am 6. Januar 1972 in Schleching) war von Kindesbeinen an mit dem Motorsport auf das engste verbunden. Nachdem er zuvor Skijöring, Motocross und den Kartrennsport betrieben hatte, kam er 1990 über einen Freund zum Eisspeedway- Rennsport und stieg schnell zur deutschen Spitzenklasse auf. 1994 gewann er die Bronzemedaille mit der deutschen Eisspeedway- Mannschaft bei der Team WM. Danach stand er sehr häufig in Einzel WM Finalläufen, nahm mehrfach an der Eisspeedway-WM und an vielen Rennen der Grand Serien teil und im Jahr 2000 gewann er seine erste deutsche Eisspeedway- Meisterschaft. Diesen Erfolg konnte er neun Mal wiederholen. Zwei Jahre später gewann er seinen ersten WM Grand Prix und im Jahr darauf erreichte er seinen größten Erfolg in Berlin, den Vize Weltmeistertitel bei der Eisspeedway Einzel- WM.
Mit einer Motocross-Rennmaschine war Günther schon als Jugendlicher mit großer Begeisterung in den Chiemgauer Bergen und in den bayerischen Alpen unterwegs. Motocross Fahren war für ihn auch das am meisten zielführende Training und die beste Sommervorbereitung auf die für ihn sehr viel wichtigere Wintersaison, die meistens von Oktober bis April dauerte. Da es in Deutschland nur wenige geeignete Eisspeedway- Arenen gab und gibt, musste Bauer meistens sein Training in Schweden und Finnland unter schwierigen Bedingungen organisieren. Die Vorbereitungsrennen fanden damals noch meist an der russisch- chinesischen Grenze im Amurgebiet statt, ehe dann im Februar und März die WM-, EM- und DM- Entscheidungen anstanden. Bei seinen Heimatrennen in Inzell wurde Günther Bauer regelmäßig als der große lokale Star gefeiert. In besonders kalten Wintern, wenn auch die vielen Chiemgauer Seen gefroren waren, wagte sich Günther auch des Öfteren auf manchen dieser schönen Bergseen rund um seine Schlechinger Heimat, um sich bei kleineren Speedway- Rennen mit nationalen und internationalen Konkurrenten zu messen. Selbst der kleine Wössner See, der im Sommer ein beliebter Badesee ist, – so erzählt man sich – war einmal Austragungsort eines Eisspeedway- Rennens.
Sein Abschiedsrennen feierte Günther Bauer im März 2023 in Inzell, in jenem Stadion das Günther Bauer gerne als sein „Wohnzimmer“ bezeichnet hat. 20 Jahre lang war er der beste deutsche Eisspeedway-Fahrer. Sein Blick zurück ist von Dankbarkeit geprägt.
„Der Sport hat mir mehr gegeben als ich erwarten konnte“. Er denkt etwas wehmütig an Zeiten zurück als man noch nach dem Rennen sich mit seinen Konkurrenten gemeinsam zu einem Bier in einer Wirtschaft getroffen hat. Er weiß, dass diese Zeiten mittlerweile vorbei sind und dass vieles anders geworden ist. Bei seinem Abschiedsrennen verriet uns Günther Bauer auch ein interessantes „Geheimnis“ über seinen „eisigen Sport“. Er bezeichnet sich selbst als „Frosty“ und erzählte, dass er bei allen kalten Winterrennen meist sehr gefroren hat. Guenter Bauer war bei den Zuschauern sehr beliebt und er pflegte auch einen professionellen Umgang mit der Presse und dem Fernsehen. Es konnte deshalb kaum noch überraschen, dass selbst die ARD ihn in einer 30-minütigen Dokumentation würdigte. Den Abschied in Inzell, zu dem viele internationalen Freunde gekommen waren, hat er genossen. „Servus Schliff“ war der Abschiedsgruß, der jedoch nur ein Gruß auf Zeit sein kann, denn dank seines Sohnes wird er dem Eisspeedway in seinem weiteren Leben noch lange auf das engste verbunden sein.
Heute wohnt Günther Bauer gemeinsam mit seiner Frau Helga und ihrem Sohn Luca in Reit im Winkl in einem schönen alpenländischen Haus ganz in der Nähe des dortigen Golfplatzes, für den er in den Sommermonaten als Greenkeeper arbeitet. Hinterm Haus steht ein besonderer Stadel. Es ist die Motorradwerkstatt, in der nach wie vor an Motoren und Maschinen geschraubt, gebastelt und gebaut wird, denn Sohn Luca hat noch während der aktiven Zeit seines Vaters dessen würdige Nachfolge angetreten und Mama Helga und Papa Günther begleiten Luca bei seinen Rennen, so wie früher Helga und Luca Günther während seiner großartigen Karriere begleitet haben.
Mama Helga fiebert mit und die Tante schreibt das Rundenprotokoll. Mama ist immer froh, wenn ihr Sohn gesund und unverletzt seine Rennen beendet. Luca ist reiner Amateur und Geld lässt sich mit dem Eisspeedway in Deutschland nicht verdienen. Profi- Speedway Fahrer gibt es nur in Schweden Polen und in Russland. Die „Bauers“ sind dankbar, dass sie immer großzügige Sponsoren finden konnten und auch heute noch finden, die ihnen wenigstens die Unkosten teilweise decken konnten und können.
Sein Sohn Luca hat sich bei seinem Vater all jenes abgeschaut, das für eine erfolgreiche Karriere im internationalen Eisspeedway notwendig ist. Er wurde in die Welt des Motorsports gleichsam hinein geboren und mit vier Jahren fuhr er bereits auf einem Mini Moped. Schon in jungen Jahren meisterte er die steilsten Anstiege und Abfahrten in seiner heimatlichen Berglandschaft. Luca ist heute 24 Jahre alt und ist von Beruf KfZ-Mechatroniker. Wie sein Vater arbeitet auch er auf der Golfanlage von Reit im Winkl. Im „speed week.com“ Steckbrief von 2023 ist er bereits für viele Schlagzeilen gut: „Luca weiß wo der Hebel anzusetzen ist“, „Wildcard für Luca beim Grand Prix in Inzell“, „Vom Papa bin ich noch weit entfernt“, „Luca Bauer hat die Nase vorn“, „Bronze für Luca Bauer“, „Luca Bauer geht mit sich ins Gericht“, „Schwedische Eisspeedway Liga: Luca Bauer stark“, „Eisspeedway WM in Inzell 2023: Luca Bauer grandios“. Bei dieser WM im Jahr 2023 konnte Luca seinen bislang größten Erfolg verbuchen: Er wurde Vizeweltmeister.
Seine ersten internationalen Rennen bestritt Luca im Jahr 2016 bei der Eisspeedway- EM in der russischen Millionenstadt Ufa, wo er den siebten Rang erreichte (bei insgesamt 30 Startern). 2019 erreichte er dort bei der EM den vierten Platz und 2021 stand er auf dem Podest bei der EM in Tomaszow Ma zowiecki. Diesen Erfolg konnte er 2022 wiederholen. 2023 erreichte er mit einer Silbermedaille bei der EM in Sanok seine bisher beste Platzierung, die er dann beim Grand Prix von Inzell 2023 mit einem weiteren zweiten Platz bestätigen konnte.
Die Bedingungen seiner äußerst anspruchsvollen und auch gefährlichen Sportart sind für Luca heute sehr viel schwieriger als sie noch sein Vater während dessen erfolgreicher sportlicher Karriere angetroffen hat. Allerdings waren sie auch damals bereits sehr schwierig, da für den Eisspeedway- Rennsport auf höchstem Niveau ganz besondere Eisbedingungen erforderlich sein müssen, für die es heute immer weniger Realisierungsmöglichkeiten gibt. Für die Rennen auf Eis ist eine sehr viel stärkere Eisschicht notwendig als dies beispielsweise für den Eiskunstlauf oder für den Eisschnelllauf der Fall ist, wo nur eine 4 cm starke Eisschicht gefordert ist. Die Produktion einer mindestens 12 cm hohen Eisschicht kostet sehr viel Strom und Eisspeedway Rennen werden deshalb aus Kostengründen in West- Europa immer häufiger infrage gestellt. Im Winter findet Luca nur noch in Skandinavien und Russland geeignete Trainingsbedingungen. In Russland war allerdings durch den terroristischen Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine nunmehr bereits seit mehr als zwei Jahren das für ihn sonst üblich gewesene Training nicht mehr möglich. Die Trainingsvorbereitungen auf eine erfolgreiche Wintersaison sind für Luca deshalb ausgesprochen schwierig geworden und auch die großen internationalen Rennen finden nur noch selten statt. Der weltweit beklagte Klimawandel tut ein Übriges, so dass man sich Sorgen um die Zukunft seiner Sportart – nicht nur in den Kreisen der Eisspeedway Experten – machen muss. Die Leidenschaft für seinen Sport ist aber bei Luca nicht weniger groß wie sie bei seinem Vater gewesen ist. Luca ist fasziniert vom schnellen Tempo und der akrobatischen Schräglage beim Eisspeedwayfahren. Für ihn muss in den Kurven der Lenker seiner Rennmaschine fast am Boden sein. Respekt, aber keine Angst, hat er vor den vielen gefährlichen Spikes.
Wie es sein Vater bereits getan hat, bereitet sich Luca auch in diesem Sommer auf seiner Motocross- Maschine für die bevorstehende Wintersaison konsequent vor. Er sucht die schwierigsten Pisten im Gelände, trainiert Kraft, Ausdauer und Geschicklichkeit und man darf deshalb gespannt sein, welche Erfolge in der nächsten Saison, welche Pokale er im kommenden Winter seiner besonderen Siegerpokalsammlung noch hinzufügen kann. Seine Mutter und sein Vater werden ganz gewiss in ihrem schönen Haus in Reit im Winkl, in dem auch Luca wohnt, einen Platz dafür finden.
Im Duell „Vater gegen Sohn“ musste Luca in den zurückliegenden Jahren immer wieder die besondere Klasse seines Vaters anerkennen. Doch Luca ist nun aus den großen Fußstapfen seines Vaters herausgetreten, der ihm vorausgesagt hat, dass man 3-4 Jahre benötigt, um unter den „Helden der Schräglage“ zu den allerbesten zu zählen. Günther wird in der Zukunft einem Duell mit seinem Sohn ganz sicher aus dem Wege gehen, denn er ist sich sicher, dass er ein derartiges Duell nicht mehr gewinnen könnte.
Letzte Bearbeitung: 6.8.2023