Sportpolitik im Deutschen Bundestag

Am 30. März 2023 hat aus sportpolitischer Sicht im Bundestag in Berlin ein bemerkenswertes Ereignis stattgefunden. Nach einer lang anhaltenden Abstinenz hat endlich wieder einmal eine Debatte über die Sportpolitik der Bundesregierung im Plenum des Deutschen Bundestages stattgefunden. Nahezu zeitgleich widmete am 3. April das „Parlament“, das Presseorgan des Deutschen Bundestages, die Titelseite und zwei weitere Seiten ihrer Ausgabe der Sportpolitik der Bundesregierung und des Bundestages. Die Texte zur „Kontroversen Debatte über die Sportpolitik der Bundesregierung“ sind für jedermann nachlesbar. Ebenso die spezielle Ausgabe des „Parlaments“ zum Thema „Sportpolitik“. Nimmt man noch die Sitzung des Sportausschusses des Deutschen Bundestages vom 29. März 2023 u. a. mit den Tagesordnungspunkten „Digitalisierung im Spitzensport“, „Situation der Deutschen Schulsportstiftung“ und „Gemeinsame Erklärung der Mitglieder des Sportausschusses zur Beibehaltung des Ausschlusses von Russland und Belarus aus dem internationalen Sport“ , die somit als Auftakt einer „Woche der Staatlichen Sportpolitik“ stattgefunden hat, und liest man die protokollierten Redebeiträge der Experten¹ und der Mitglieder des Sportausschusses, so kann man sich als Beobachter, der die Sportpolitik des Bundestages und der Bundesregierung beurteilen möchte, ein relativ gutes Bild von dieser Politik machen.

Im Plenum des Bundestages fand die Debatte über den 15. Sportbericht der Bundesregierung (Drucksache 20/5900) am 30. März 2023 statt. Eröffnet wurde die Debatte mit einem Bericht der Bundesministerin des Innern und für Heimat, Nancy Faeser. Wie nicht anders zu erwarten, lobte diese Politikerin zunächst die Sportpolitik der sog. Ampel-Regierung und stellte die Behauptung in den Raum: „Die Ampel bringt Deutschland in Bewegung“. Sie beklagte, dass während der Pandemie viele Menschen sich von Sportangeboten abgemeldet haben, dass sich Kinder in dieser Zeit viel zu wenig bewegt haben, dass das Vereinsleben in Deutschland durch die Pandemie massiv bedroht gewesen ist, dass die Sportvereine viele Übungsleiterinnen und Übungsleiter, aber auch Mitglieder und damit auch Einnahmen verloren haben. Wer und welche staatlichen Institutionen diese Verluste zu verantworten haben, wurde von der Ministerin mit keinem Wort erwähnt. Auch auf die Frage, was notwendig gewesen ist und auf was man möglicherweise hätte, zumindest aus der Sicht von heute, verzichten können, wurde ebenfalls nicht eingegangen.

Die Ministerin wiederholte in ihrer Rede – wie nicht anders zu erwarten – die üblichen Stereotype, wenn Politiker über den Sport reden: „Wir wollen das Ehrenamt stärken“. „Wir wollen mehr Menschen für den Sport im Verein begeistern“, „Sportvereine sind der Kitt in unserer Gesellschaft und unverzichtbar für den gesellschaftlichen Zusammenhalt“. „Sportvereine leisten einen großartigen Integrationsbeitrag in dem sie Geflüchteten aus der Ukraine und aus anderen Ländern Angebote machen und sie damit in die Gemeinschaft aufnehmen und integrieren“.
Für die Zuhörer war es wohl auch kaum überraschend, dass danach die Ministerin für ihre Hilfsangebote für ukrainische Spitzenathletinnen und -athleten geworben hat, und wie es der politische Zeitgeist in Deutschland an diesem Tag verlangt hat, bezeichnete die Ministerin die Entscheidung des IOC, russische und belarussische Sportler bei internationalen Wettbewerben wieder zuzulassen als „ein Schlag ins Gesicht aller ukrainischen Sportlerinnen und Sportler“. Sie stellte die Forderung in den Raum, dass „der internationale Sport den Angriffskrieg Putins ebenso verurteilen muss wie wir es auch auf der politischen Ebene tun“. Dass diese Verurteilung durch das IOC – lange bevor sich der Deutsche Bundestag  mit dieser Frage auseinandergesetzt hat – bereits erfolgt ist, wird von der Ministerin ebenso bewusst (?) ausgeklammert wie der Sachverhalt, dass das IOC bis heute noch gar keine Entscheidung über die Teilnahme russischer Athletinnen und Athleten getroffen hat, sondern lediglich eine Empfehlung an die Internationalen Fachverbände auf der Grundlage seiner eigenen Charta und einer gutachterlichen Stellungnahme von Menschenrechtsexpertinnen der UN weitergeleitet hat.
Mit Nachdruck wendete sie sich dann dem Thema Integrität im Sport zu: „Sexualisierte Gewalt und Machtmissbrauch, Rassismus, Antisemitismus und andere Formen von Diskriminierung haben im Sport keinen Platz“. In Bezug auf die Frage des Diskriminierungsverbots, berief sich die Ministerin vermutlich auf das allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), ohne allerdings dabei zu erkennen, dass auf der Grundlage dieses Gesetzes eine Diskriminierung von Athleten, d.h. ein Ausschluss von Athleten lediglich auf der Grundlage eines Passes, ein Menschenrechtsverstoß darstellt.

Im weiteren Verlauf ihrer Rede betonte die Ministerin, dass noch viel zu tun sei. „Doch das Wichtigste ist: Sport begeistert und fesselt uns, er bringt Menschen miteinander ins Gespräch. Diese Freude am Sport ist untrennbar verbunden mit spannenden Wettkämpfen bei Sportgroßveranstaltungen … Sport ist ein wichtiger Bestandteil ganzheitlicher Bildung. Sport sorgt dafür, dass wir unseren Alltag mit Freude gestalten und etwas für unsere Gesundheit tun.“
„Dabei wollen wir auch international Standards setzen, gerade in puncto Menschenrechte und Nachhaltigkeit“.

Wie es bei Bundestagsdebatten üblich ist, folgte auf diese Rede mit S. Mayer (CDU/DSU), der erste Redner der Opposition, dann sprach T. Winkelmann für das Bündnis 90/die Grünen, gefolgt von J. König von der AfD. Ihm wiederum folgte die FDP mit P. Hartewig und die Linke mit A. Hahn. Danach folgten noch weitere Redner der drei großen Parteien und nach 68 Minuten, gemäß der vereinbarten Dauer dieser Debatte, beendete Vizepräsidentin Yvonne Magwas die Aussprache. Mayer, ehemaliger Parlamentarischer Staatssekretär der Vorgängerregierung, lobte diese und damit auch sich selbst für angeblich „goldene Jahre des Spitzensports“ und kritisierte die Ministerin für ihren fragwürdigen Auftritt bei der Fußballweltmeisterschaft in Qatar und für ihre lauthals angekündigten Projekte, bei denen man aber nirgendwo erkennen könne wie sie vorankommen. „Sie werfen mit vielen Begriffen um sich: Sportfördergesetz, unabhängige Instanz, unabhängige Agentur, Sportentwicklungsplan aber tatsächlich wird nichts konkret vorangebracht. Sie loben sich wegen ihres Bewegungsgipfel Ich sage eines ganz deutlich dieser Bewegungsgipfel war ein Schlag ins Wasser“. Das „Zentrum für Safe Sport“ wurde von Mayer begrüßt, da es in seiner Regierungszeit begonnen wurde. „Wir müssen den Kampf gegen sexualisierte, gegen psychische und gegen physische Gewalt im Sport intensivieren“. T. Winkelmann (Bündnis 90/die Grünen) meinte, dass ihr das Herz lacht angesichts der 221 Seiten des Sportberichts der Bundesregierung: „denn hierin geht es um das was uns bewegt, hier stecken Emotionen, Leidenschaft, Freude und Tränen drin, aber auch unfassbare Leistungen, Fair Play, das Wechselbad der Gefühle, kurzgefasst: er umfasst den Sport in all seinen Facetten. Sport verbindet. Sport treibt uns an. Er ist Inklusiv, integrativ und schafft Gemeinschaft. Sport bringt die Idole unserer Gesellschaft, die als Vorbilder fungieren. Doch um das fair, gerecht, schützend und fördernd zu gestalten, benötigen wir neben Analysen und Regeln einen Rahmen, der den Sportlerinnen und Sportlern die Ausübung ihres Sports ermöglicht. Es sind solide Standards in den verschiedenen Situationen gefragt, anstatt einmalige Projekte zu fördern. Daher haben wir als Ampel auch schon sehr viel angeschoben und umgesetzt und es kommt noch vieles mehr. Der Blick geht nach vorne“. Sportförderung muss „von Grund auf Inklusiv und breit aufgestellt sein“. „Es gibt keinen Platz für Rassismus, Antisemitismus oder Ausgrenzung jeglicher Art bei uns im Sport“. „Das „Zentrum für Safe Sport“ ist ein Kernprojekt unserer Sportpolitik. Sport muss angst- und gewaltfrei gelebt werden, und dafür tun wir alles“.

Als Nächstes behandelte die Rednerin, wie nicht anders zu erwarten, die Themen Gleichstellung im Sport, das Ehrenamt und Sportgroßveranstaltungen. Und eine Solidaritätsbekundung für die ukrainischen Sportlerinnen und Sportler durfte am Ende dieses Redebeitrages nicht fehlen.

Warum solide Standards ein Gegensatz zur Durchführung einzelner Projekte darstellen soll und warum sie sich gegen eine Ausgrenzung jeglicher Art stellt, aber gleichzeitig „neutrale Athleten mit russischem Pass“ von den Spielen in Paris „ausgrenzen“ möchte, bleibt bei den Ausführungen dieser Rednerin allerdings ungeklärt.
J. König (AfD) nahm für seine Partei in Anspruch, dass die Debatte zur „Primetime“ im Bundestag stattfindet und dass es zu einem Aufwuchs zu Gunsten des Sports im Haushalt der Bundesregierung gekommen ist. Für den Spitzensport beobachtete er einen beispiellosen Niedergang und er konstatierte einen Sanierungsbedarf von 31 Milliarden € im Bereich der Sportstätten. Während der Corona Pandemie gab es nach Meinung von König zahlreiche Versäumnisse und Fehler der Bundesregierung insbesondere das Verbot des Sporttreibens und die Behinderung des Schulsports. Das Wiedergutmachungspaket der Bundesregierung bezeichnete er als „lächerlich“.
P. Hartewig(FDP) als dritter Sprecher der regierenden Ampel wiederholte das Eigenlob von Bündnis 90/die Grünen und der SPD und verwendete nahezu dieselben Stereotype: „Sport verbindet. Sport steht für Wettkampf, Leistung und Leidenschaft, auch wenn es mal wehtut. Sport stärkt den Einzelnen, erst recht unser Zusammenleben“. „Deutschland ist Sport Nation“. Er bedankte sich „bei den vielen Engagierten in den Vereinen: Ihr habt euch nicht unterkriegen lassen und sorgt jetzt dafür, dass die Menschen wieder zusammenkommen: beim Sport in den Vereinen, bei Auswärtsfahrten oder Heimspielen, auf dem Platz, den Bahnen, in Studios, in Hallen oder am Spielfeldrand. Ihr macht den Sport auch weiterhin zu etwas ganz Besonderem“. Dem folgte das Eigenlob über die Leistungen der Ampelkoalition: „Jede Investition in den Sport ist auch eine Investition in Integration, Inklusion und Gesundheitsprävention, eine Investition in den Zusammenhalt und die Zukunft unseres Landes“.
A.Hahn (Die Linke) sah als Vertreter der Opposition die angeblichen Erfolge der Regierung aus naheliegenden Gründen eher etwas negativer. Der Sportbericht der Bundesregierung sei wohl umfangreicher als der seiner Vorgängerregierungen, „aber leider keinen Deut besser“. Es müsste doch überraschen, dass im Namen des für den Sport zuständigen Ministeriums nicht einmal der Sport in der Namensbezeichnung unterzubringen ist. Hahn forderte für die Linke den Schutz und die Förderung der Kultur sowie des Sports als Staatsziel, das im Art. 20 A des Grundgesetzes zu verankern sei. Er forderte ein eigenes Ministerium oder zumindest einen eigenständigen Bereich im Kanzleramt. Hahn beklagte, dass angesichts der aktuellen Krisen und teilweise verursacht durch die Corona- Pandemie eine zunehmende Spaltung der Gesellschaft in arm und reich zu beklagen sei, was dazu führe, dass viele Menschen sich das Sporttreiben in Vereinen oder auch in Fitnessstudios kaum noch leisten können, worauf im Sportbericht der Bundesregierung an keiner Stelle hingewiesen wird.
Auch die durch den Klimawandel entstandenen Herausforderungen für den Wintersport würden in diesem Bericht nicht behandelt.

In einer zweiten Runde sprachen dann mit S. Poschmann (SPD), F. Güntzler (CDU/CSU), P. Krämer (Bündnis 90 /Die Grünen), B. Reuter (FDP), J. Steiniger (CDU /CSU), J. Hostert (SPD) J. Lehmann (CDU / CSU), H. Wollmann (SPD), S. Mayer (CDU /CSU) weitere Abgeordnete des Bundestages und Mitglieder des Sportausschusses. Es wurde dabei das rituelle Wechselspiel zwischen dem Lob zu Gunsten der Regierung durch die Vertreter der Koalitionsparteien und der Kritik der Opposition an der Sportpolitik der Bundesregierung fortgesetzt. Einig waren sich alle in ihrem Lob der Ehrenamtlichen, für das was der Sport angeblich oder tatsächlich leistet und dass der Sport noch mehr Beachtung in der zukünftigen Politik finden müsse. Es wurden auch noch einige neue Themen und Projekte aufgegriffen, die erwähnenswert sind. So der durch die Bundesregierung vernachlässigte Bundeswettbewerb der Schulen „Jugend trainiert für Olympia und Paralympics“, die immer geringer werdende Schwimmfähigkeit von Kindern, die Bedeutung der Bundeswehr für die Sicherung des Hochleistungssports, die Durchführung zukünftiger Olympischer Spiele in Deutschland, die kritische Finanzlage vieler Turn- und Sportvereine, die Bedeutung von Forschung und Wissenschaft für den Spitzensport, die Rolle der FES und des IAT und die finanzielle Absicherung der NADA. Einem bestellten Ritual gleichend kritisierten alle Rednerinnen und Redner mit nahezu denselben „Sprachhülsen“ das IOC und forderten den Ausschluss der russischen Athletinnen und Athleten von den Olympischen Spielen 2024.

Auffällig war bei dieser Debatte, dass bei keiner der Parteien auch nur ein Hauch von Selbstkritik zu erkennen war, vielmehr war Eigenlob und Selbstgefälligkeit angesagt. Ein Schuldbekenntnis bei den mittlerweile längst offen gelegten Fehlern, die die staatliche Politik im Kampf gegen die Corona- Pandemie zu verantworten hat, war ganz offensichtlich nicht zu erwarten. Selbst eine systematische Analyse der Fehler und deren Folgen, von denen die Sportorganisationen und die Sporttreibenden in hohem Maß betroffen waren, scheint für die Abgeordneten des Deutschen Bundestages und für den Sportausschuss keine Notwendigkeit zu sein. Betrachtet man die Debatte aus einer fachlichen Perspektive, so ist deren Oberflächlichkeit erschreckend und die Ungenauigkeit der Erörterung einzelner Themen deutet auf erhebliche Wissenslücken auf Seiten der Ministerin und der Abgeordneten hin.

Betrachten wir die Ausführungen zur Sportpolitik des Bundestages und der Bundesregierung in deren Medienorgan „Das Parlament“, die aus Anlass der Präsentation des Sportberichts der Bundesregierung vorgelegt wurden, so wird das „graue“ Bild von der Sportpolitik, das während der Debatte entstanden ist, kaum heller. In einem Editorial von C. Zentner wird unter der Überschrift „Sport zur Primetime“ ebenso die Forderung unterstützt, den Sport als Staatsziel im Grundgesetz zu verankern, wie auch das Ziel, 2036 in Deutschland die Olympischen Spiele auszurichten. Dass die Diskussion über das Staatsziel „Sport“ ein „alter Hut“ ist und einer „unendlichen Geschichte“ gleicht und dass dabei von führenden Staatsrechtlern große Bedenken gegen dieses Staatsziel vorgetragen wurden, wird dabei nicht erkannt oder gar erwähnt. Und da der DOSB bis heute es nicht fertiggebracht hat, eine Bewerbung für Olympische Spiele beim IOC einzureichen, die sich durch ein sinnvolles Ziel und durch eine tragfähige Finanzierung auszeichnet, scheint ebenfalls nicht erwähnenswert zu sein.
Auf Seite 2 wird dem Vorsitzenden des Sportausschusses des Deutschen Bundestages, Frank Ullrich, nahezu eine ganze Seite eingeräumt, um die Behauptung aufzustellen, dass die Teilnahme russischer Athletinnen und Athleten an den Spielen 2024 in Paris „ein falsches Signal“ sei und dass eine deutsche „überregionale Bewerbung“ zur Ausrichtung von Olympischen Spielen „für den Zeitraum 2030 bis 2040“ wünschenswert wäre. Dass dieses Interview allein schon unter der Tatsache leidet, dass vermutlich dieser Vorsitzende selbst an Olympischen Spielen 1980 teilgenommen und dabei eine Goldmedaille gewonnen hat, dabei jedoch aller Wahrscheinlichkeit nach gegen die Regeln der Olympischen Charta – angesichts seiner nicht nur vermuteten Doping-Vergangenheit – verstoßen hat, ist bezeichnend. Bezeichnend ist allerdings auch, dass der Sportausschuss seinen Vorsitzenden um Aufklärung gebeten hat und ihn aufforderte ein Gutachten über seine Vergangenheit als Biathlet in der DDR einzuholen. Es kommt einem „Schildbürgerstreich“ gleich, wenn man jemand bittet über sich selbst ein Gutachten einzuholen, der von einer berechtigten oder möglicherweise unberechtigten Anschuldigung betroffen ist. Dass bis heute dem Bundestag ein unabhängiges Gutachten in dieser Frage nicht vorliegt, kann durchaus als ein politischer Skandal bezeichnet werden. Ärgerlich ist auch die ungenaue Zeitangabe für eine deutsche Bewerbung durch einen Vorsitzenden des Sportausschusses des Deutschen Bundestages, wohl wissend, dass die Sommerspiele für 2032 bereits an Brisbane vergeben sind und dass eine tragfähige Bewerbung für Winterspiele im Jahr 2030 derzeit in keiner Region in Deutschland zu erkennen ist.
Auf Seite 2 des „Parlament(s)“ finden sich ferner zwei Gastkommentare von Journalisten, in denen eine deutsche Olympiabewerbung zur Diskussion gestellt wird. Der Contra- Kommentar ist überschrieben mit „Nichts geändert“ und der Kommentator von der TAZ zeichnet sich in seinem Beitrag dadurch aus, dass er nahezu in bösartiger Weise die IOC – Reformen „Agenda 2020“ und „Agenda 2020 +5“ bewusst ignoriert bzw. übersieht und Klischees bedient, die sich eigentlich schon längst von selbst verbieten.
Um für den Raum des Interviews mit Ullrich (SPD) ein parteipolitisches Gegengewicht zu schaffen wird auf Seite 2 noch Jens Lehmann die Möglichkeit gegeben, sich mit seinem „Parlamentarischen Profil“ vorzustellen. Schließlich hat auch die CDU mit Jens Lehmann einen zweifachen olympischen Goldmedaillengewinner im Radsport in ihren Reihen aufzuweisen.
Seite 3 wird nahezu ganz dem Breitensport gewidmet und mit der Behauptung eröffnet: „Das Land kommt in Bewegung“. In dem Artikel wird angenommen, dass die „Corona -Delle“ überwunden sei. Dass zahlreiche wissenschaftliche Studien über die sportmotorischen Fähigkeiten von Kindern und Jugendlichen, über das Fitnesspotenzial der Erwachsenen, über den Verlust von ganzen Bewegungsmustern eher eine äußerst kritische Situation in der deutschen Gesellschaft diesbezüglich diagnostiziert haben, wird nicht einmal in einem Nebensatz erwähnt. Ebenso bleiben die psychischen Folgen neben den erheblichen physischen, – insbesondere bei Kindern und Jugendlichen – gänzlich ausgeklammert.
Zum Abschluss erhält in dieser Ausgabe des „Parlament(s)“ Ministerin Faeser noch drei Spalten um zu erläutern, wie sie den konstanten Medaillen- Abwärtstrend stoppen will. Sie will dabei „noch einmal neue Wege gehen“ und sie arbeitet an einem Konzept zu dessen zentralen Bausteinen ein Sportfördergesetz sowie eine unabhängige Bundesagentur für Leistungssport gehören sollen. Die Arbeit der POTAS-Kommission soll demnach fortgeführt werden und das Motto für das Ziel lautet: „In vier bis acht Jahren zum Podium“. Dabei wird weder erwähnt wodurch sich eine unabhängige Bundesagentur von einer unabhängigen hauptamtlichen Abteilung Leistungssport im DOSB inhaltlich und personell unterscheiden soll, noch wird die Kritik beachtet, die mehrfach in Bezug auf POTAS mittlerweile seit längerer Zeit geäußert wurde und wird und bei der die Schlussfolgerung nahe liegt, dass man sich von diesem Steuerungsinstrument verabschieden muss.
Die Sitzung des Sportausschusses am 29. März 2023 unterscheidet sich qualitativ und strukturell von der Debatte im Bundestag über den Sportbericht und von den Darstellungen zur Sportpolitik im „Parlament“ nur um Nuancen. Behandelt wurden bei dieser öffentlichen Sitzung die Themen „Digitalisierung im Spitzensport“ und „Die Situation der Deutschen Schulsportstiftung“ und damit der aktuelle Stand des Bundeswettbewerbs der Schulen „Jugend trainiert für Olympia und Paralympics“. Zeichneten sich die Stellungnahmen der eingeladenen Experten zumindest teilweise durch die notwendige fachliche Expertise aus, so zeigte die Diskussion der Bundestagsabgeordneten über die beiden Themenstellungen eine vergleichbare Oberflächlichkeit wie die Diskussion im Deutschen Bundestag und vor allem wurde deutlich, dass die fachliche Kompetenz in Bezug auf die debattierten Problemstellungen äußerst gering ist. Verwunderung musste vor allem hervorrufen, das mit dem Thema der „Digitalisierung“ ein bereits über zwei Jahrzehnte bekanntes Thema des Spitzensports verhandelt wurde, ohne dass man erkennen konnte, dass seit den ersten Diskussionen zu diesen Fragen ein Erkenntnisfortschritt eingetreten ist und dass vor allem in den Sportorganisationen diesbezüglich nach wie vor eine völlig ungenügende Kommunikationssituation und völlig unzureichende digitale Kommunikationsstrukturen vorherrschen. Im Interesse der Athletinnen und Athleten wurde von einigen Experten dem Datenschutz zu Recht eine große Aufmerksamkeit gewidmet, doch fragt man sich, welche Diagnose-, Trainings – und Wettkampfdaten zu schützen sind, wenn es noch immer viele Verbände gibt, die diese Daten nur unzureichend oder gar nicht digital erfassen und eine verbandsinterne Kommunikation über diese Daten so gut wie nicht stattfindet. Die Frage nach den Ursachen dieser Mangellage wurde in diese Sitzung ebenso wenig gestellt wie zu erkennen gewesen wäre, dass man sich bemüht hat, die „Schuldigen“ strukturell und personell zu benennen.
Es ist deshalb zu befürchten, dass einmal mehr eine Sitzung des Sportausschusses des Deutschen Bundestages folgenlos bleiben wird so wie dies in der Vergangenheit auch bei den meisten Sitzungen der Fall war. Die Sportpolitik, wie sie im Deutschen Bundestag repräsentiert wird, lebt ganz offensichtlich von der Hand in den Mund, beschäftigt sich mit dem, was gerade der Zeitgeist fordert und setzt darauf, dass morgen das vergessen ist was gestern war. Man darf sich nicht wundern, dass die Rezipienten aus relevanten Kreisen des Sports dieser Art von staatlicher Sportpolitik schon seit langem keinen Respekt erweisen.

Eine systematische Agenda, die sich an den brennenden Problemen orientiert, von denen die aktuelle und zukünftige Sportentwicklung Deutschlands betroffen ist, kann schon seit längerer Zeit nicht erkannt werden. Hingegen ist eine respektlose Infragestellung einer vom Staat unabhängigen und neutralen Sportpolitik durch die „Freiwilligen Vereinigungen des Sports“, allen voran durch den DOSB und durch das IOC, parteiübergreifend immer üblicher geworden. Es ist dabei eine Anmaßung zu beobachten, die ihresgleichen in der Geschichte des Sports seit Gründung der Bundesrepublik im Jahr 1949 und seit Gründung des DSB in Hannover im Jahr 1950 Uhr sucht. Die parteipolitische Inanspruchnahme der Sportorganisationen zeigt sich uns auch in der Besetzung von Führungsgremien der deutschen Sportfachverbände und deren Dachorganisation DOSB. Die Unabhängigkeit und parteipolitische Neutralität dieser Organisationen werden dadurch in einer ganz unerträglichen Weise bedroht.
Sowohl durch Erklärungen der Vereinten Nationen und der Europäischen Union als auch durch das Grundgesetz wurde den Sportorganisationen das „Gebot der Autonomie ihrer Entscheidungen“, das „Gebot der politischen Neutralität“ und das „Gebot der Transparenz ihres Handelns“ zwingend nahe gelegt. Unter Verletzung ihrer eigenen Verpflichtungen und staatlichen Vereinbarungen maßen sich in diesen Tagen über dreißig westeuropäische Staaten mit ihren Regierungen und Parlamenten an, über die Frage der Teilnahme bei Olympischen Spielen entscheiden zu können und nötigen ihre Sportorganisationen, sich in ihrem sportpolitischen Handeln an diesen fragwürdigen Vorgaben zu orientieren. In Deutschland ist dabei offensichtlich wie der Druck, der für die staatliche Sportpolitik verantwortliche Ministerin über Repräsentanten ihrer eigenen Partei bis hinein in die Präsidien der Sportorganisationen ausgeübt wird und Wirkung zeigt. In diesen Tagen sind die Präsidenten von drei wichtigen und einflussreichen Sportorganisationen ebenso Mitglied ihrer Partei wie ein größerer Teil der Mitglieder der jeweiligen Präsidien. Die dadurch mögliche und teilweise auch bereits erfolgte Einflussnahme der staatlichen Politik auf eine unabhängige Sportpolitik ist unerträglich.
Die Ministerin müsste deshalb dringend gefragt werden: Gelten die Ausführungen der Bundesministerin des Innern und für Heimat auf ihrer eigenen „Homepage“ noch? Dort wird von ihr (auf der Grundlage der Artikel 30, 32, 91a, 91b und 104 GG) ausgeführt:

„Maßgeblicher Grundsatz der Sportförderung ist, dass die Autonomie des organisierten Sports stets gewahrt bleibt. Jede sportpolitische Maßnahme beachtet die Unabhängigkeit des Sports, der sich selbst organisiert und seine Angelegenheiten in eigener Verantwortung regelt.“

(Siehe:https://www.bmi.bund.de/DE/themen/sport/nationale-sportpolitik/nationale-sportpolitik-node.html)

Vor diesem Hintergrund lassen sich allein aus der „Natur der Sache“ viele „übergriffige“ Entscheidungen des Bundesministeriums des Innern und für Heimat ebenso wenig begründen wie ähnliche Forderungen von Parlamentariern des Deutschen Bundestages!

¹ Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf „gendergerechte“ Sprachformen – männlich weiblich, divers – verzichtet. Bei allen Bezeichnungen, die personenbezogen sind, meint die gewählte Formulierung i.d.R. alle Geschlechter, auch wenn überwiegend die männliche Form steht.

Letzte Bearbeitung: 16. April 2023