Die Worte „Sport“ und „Sexualität“ haben nicht nur gemein, dass sie mit demselben Buchstaben beginnen. Auch die Phänomene selbst, so wie sie sich von uns beobachten lassen, weisen manche Gemeinsamkeit auf. So wird von der Erotik des Sports gesprochen und was Erotik und Sexualität bedeutet, lässt sich täglich im Internet nachvollziehen. Dass der Sport ein durchaus enges Verhältnis zur Sexualität aufweist, mag ebenfalls kaum überraschen. In die Reihe von Sexualität und Kirche, Sexualität und Arbeitsleben, Sexualität und Popkultur kann der Sport mühelos eingereiht werden. Das Verhältnis, das der Sport zur Sexualität aufweist, scheint dabei angesichts jüngster Beobachtungen kritisch zu sein. Die Diskussion über den sexuellen Missbrauch in Kirchen und Internatschulen hat, wie nicht anders erwartet, auch den Sport erreicht. Wohl geschah dies, wie es für den Sportjournalismus bei solchen Fragen üblich ist, etwas verspätet. Doch nun wird auch der Missbrauch an Kindern im Sport öffentlich diskutiert. Clevere Verbandspräsidenten haben auf die Schnelle einen Missbrauchbeauftragten für Missbrauchsprobleme ernannt und haben die möglichen Opfer aufgerufen, sich mit ihren Problemen an die Verbände zu wenden. Solches Handeln wird in der heutigen Zeit als verantwortungsvoll bezeichnet, auch dann, wenn sich das Ganze am Ende als bloße Rhetorik herausstellt, folgenlos ist und dem zu lösenden Problem nicht einmal annäherungsweise gerecht wird.
Dabei ist das Verhältnis zwischen Sport und Sexualität nicht erst seit heute problematisch. Sexuelle Probleme sind aufgrund der kennzeichnenden Merkmale des sportlichen Handelns vielmehr naheliegend und sie sind deshalb auch im modernen Sport seit seinen ersten Anfängen in England bis zum heutigen Tage immer wieder zu beobachten. Die Frage nach der Sexualität wurde und wird dabei nicht nur unter dem Aspekt des Missbrauchs diskutiert. In der Vergangenheit wurden dabei auch weit weniger problematische Themen behandelt. Besonders beliebt war und ist die Frage nach der Bedeutung des Geschlechtverkehrs für den sportlichen Wettkampf. Ist sexuelle Abstinenz für den Hochleistungssportler wünschenswert? Dient regelmäßiger Geschlechtsverkehr der Leistungssteigerung? Sollen während einer Fußballweltmeisterschaft die Spieler einer Nationalmannschaft mit ihren Frauen oder Partnerinnen Geschlechtsverkehr haben? Wie verhält sich dies bei den Spielerinnen? Welche hormonellen Erkenntnisse liegen diesbezüglich vor? Solche und ähnliche Fragen tauchen bei jeder Fußballweltmeisterschaft auf und es waren Wissenschaftler, wie Manfred Steinbach, die sich als Sportmediziner mit diesen Fragen in empirischen Untersuchungen auseinandergesetzt haben. Bei manchen Erkenntnissen hatte man dabei den Eindruck, dass die Wissenschaftler ihre eigenen Vorlieben propagieren. Stringente theoretische Positionen und solide empirische Befunde scheinen hingegen bis heute eher die Ausnahme zu sein.
War lange Zeit der Zusammenhang zwischen Sport und Sexualität durch heterosexuelle Beziehungen geprägt, so ist in einzelnen Fällen bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts immer häufiger, vor allem aber zum Ende des 20. Jahrhunderts und mit Beginn des 21. Jahrhunderts die Homosexualität im Sport ein Phänomen, das vermehrt beobachtet werden konnte und entsprechende öffentliche Diskussionen auslöste. Schwule Fußballspieler sind wohl in einem Fußballsport, der dezidiert ein traditionelles Männerideal verfolgt, nach wie vor eine fremde Sache. Jedoch sind homosexuelle Fußballspieler längst Realität. Immer häufiger kommt es zu einem öffentlichen Outing und es ist davon auszugehen, dass dies in der weiteren Zukunft als normal empfunden wird. Gleiches gilt für lesbische Athletinnen. Wurde noch vor zwei Jahrzehnten nur vor vorgehaltener Hand über die lesbischen Beziehungen innerhalb von Nationalmannschaften in den Sportarten Handball, Fußball, Basketball oder Volleyball gesprochen, hatten lesbische Tennisspielerinnen noch den Charakter des Skandalösen, so werden heute auch im Sport immer häufiger lesbische Beziehungen toleriert und zunehmend als normal empfunden.
Sexueller Missbrauch kann und darf ganz gewiss nicht als normal empfunden werden. Doch auch er ist schon seit sehr langer Zeit im Sport anzutreffen und vermutlich weist er auch heute noch ein Ausmaß auf, das sehr viel größer ist, als man es gerne wahrhaben möchte. Dabei sind die Täter meist Männer. Frauen waren bislang nur ganz selten für solche Delikte verantwortlich. Opfer können hingegen Männer und Frauen, Mädchen und Jungen gleichermaßen sein. So wurde vielfach beklagt, dass Trainer die von ihnen betreuten Athletinnen sexuell an sich gebunden haben. In der Leichtathletik waren vor allem Werferinnen davon betroffen. Auch im Schwimmsport wurden solche Fälle beanstandet. Entsprechende Gerüchte werden auch in den Mannschaftssportarten diskutiert. Dass heute auch lesbische Beziehungen zwischen Trainerinnen und Athletinnen möglich sind, die auf einer Macht-Ohnmacht-Beziehung resultieren, ist sicher nicht auszuschließen. In Sportarten, in denen die Vorbereitungen auf die sportliche Höchstleistung eine tägliche Zusammenarbeit zwischen Athlet und Trainer erforderlich macht, in der die Nähe zweier Menschen Voraussetzung für den sportlichen Erfolg ist, ist die Möglichkeit einer aufdringlichen Nähe, einer gefährlichen Nähe und einer abhängigen Nähe strukturell gegeben und damit als Gefahr immer existent. Es kann deshalb nicht überraschen, dass es im Sport viele Fälle des Kindesmissbrauches gegeben hat. Nicht weniger problematisch sind jedoch auch die Fälle, in denen erwachsene Athletinnen oder Athleten aufgrund der dominanten Rolle ihrer Trainer in ein sexuelles Abhängigkeitsverhältnis gelangt sind.
Die spektakulären Fälle dieser Tage zeigen, dass dabei unser Blickfeld im Sport noch zu erweitern ist. Auch die Sportler selbst können wissend oder unwissend Geschlechtsverkehr mit Kindern haben. Das Beispiel eines internationalen Fußballstars hat dies gezeigt. Vergewaltigungen durch Sportler sind somit möglich und denkbar und sind leider auch immer wieder zu beklagen. Dass von allem auch die Schiedsrichter, Kampfrichter und alle übrigen Funktionäre im Sport betroffen sein können, ist naheliegend und wird auch immer offensichtlicher.
Das Verhältnis zwischen Sport und Sexualität scheint kritisch zu sein und doch ist vieles von dem, was in diesen Tagen diskutiert wird, als normal zu bezeichnen. Im Sport spielt der menschliche Körper eine zentrale Rolle. In ihm interagieren Körper miteinander. Körper berühren sich. Man stößt, man rempelt, man hebt, man trägt, man führt die Körper der Gegner und Partner, Körper werden exponiert, gestylt, modelliert und trainiert. Im Hochleistungssport spielt auch die Körpermassage eine bedeutsame Rolle. Sie ist vitalisierend. Bei ihr möchte man sich wohlfühlen, sich spüren, sich entspannen. All das hat mit dem eigenen Körper zu tun und nicht von ungefähr wurde in der ehemaligen DDR der Sport, insbesondere der Hochleistungssport mit dem Begriff der „Körperkultur“ gefasst. Im Sport spielt vor allem auch der nackte Körper fast alltäglich eine Rolle. Wie selbstverständlich wird die Kleidung im Sport abgelegt, wie selbstverständlich begegnet man sich nach den Spielen unter der Dusche. Sauna und Sport gehören auf das Engste zusammen und zumindest in der deutschen Saunakultur ist es üblich, dass man sich dabei nackt begegnet. Zur Freikörperkultur gehörte und gehört es, dass man nackt auch gemeinsam Sport treibt. Selbst das nackte Volleyballspiel wird dabei als befreiend und angenehm erlebt. Der Sport zeichnet sich also durch eine besondere Beziehung der Körper zueinander aus und dass dabei die sexuelle Beziehung eine besondere Steigerung dabei darstellen kann, ist unter biologischen Gesichtspunkten durchaus naheliegend. Missbrauch kann dabei eine mögliche gefährliche Folge sein. Vermutlich werden jedoch solche Beziehungen mindestens ebenso häufig als äußerst positiv und angenehm wahrgenommen. Lässt sich ein Mensch von einem anderen Menschen sexuell befriedigen, so ruft dies Glücksgefühle hervor und es entsteht das Bedürfnis, sich immer wieder in diese befriedigende Situation hinein zu begeben. Ob diese Handlung als normal, legal, moralisch oder amoralisch und als illegal zu bewerten ist, hängt von den jeweils gültigen kulturellen Normen in Bezug auf die sexuelle Beziehung von Menschen ab. Dabei kann es durchaus sein, dass gewisse Formen der Befriedigung, die in einer bestimmten Situation als angemessen beurteilt wurden, aus einer späteren Perspektive als Gewalt gedeutet werden kann. In diesem Sachverhalt könnte auch der Grund liegen, warum die öffentliche Kommunikation über den pädophilien Missbrauch von Kindern durch Erzieher und Lehrer nicht selten sehr widersprüchlich ist. Dieser Sachverhalt macht aber auch deutlich, warum auch der Sport gerade im Zusammenhang mit dem sexuellen Missbrauch an Schulen eine bedeutsame Rolle spielt. Schon in der Weimarer Republik wurden in der Landschulheimbewegung eine Körperkultur gepflegt, bei der die Sexualität eine ganz besondere Rolle spielte und so konnte es eigentlich kaum überraschen, dass der damalige Weltrekordinhaber und deutsche Meister, Otto Peltzer, als Athlet wurde er der „Seltsame“ genannt, als Lehrer an einem Internat der Landschulbewegung des homosexuellen Missbrauchs an Kindern verdächtigt wurde. Sein Fall war angesichts seiner exponierten Position als Olympiateilnehmer und Weltklasseathlet spektakulär. Er lässt sich jedoch durchaus auch im Zusammenhang einer körperlichen Erziehung deuten, bei der das nackte Duschen und die Begegnung in Nacktheit Normalität war und eine besondere pädagogische Bedeutung besaß.
Die Beziehung zwischen Sport und Sexualität ist schillernd. Sie ist vor allem aber auch wandlungsfähig. Einige der gemachten Beobachtungen haben dies gezeigt. Es gibt Aspekte der Sexualität, die schon seit Beginn des modernen Sports existieren und die sich nahezu als konstant erwiesen haben. Andere Aspekte unterliegen einem Wandel. Neue Aspekte kommen hinzu. Die Frage nach der Transsexualität und die Frage nach der Intersexualtiät stellen sich in jüngster Zeit in völlig neuer Qualität. Davon sind vor allem die sportlichen Wettkämpfe betroffen und es muss die Frage nach der Chancengleichheit in völlig neuer Weise beantwortet werden, wenn man den Intersexuellen den Zugang in den Hochleistungsport nicht verwehren möchte. Antworten auf all diese Fragen lassen sich nur dann finden, wenn der Sport sich in einen Dialog über seine Normen einlässt, die das Handeln im Bereich des Sports prägen und leiten. Die Normen und Regeln des Sports sind dabei als relativ zu erachten. Von Kultur zu Kultur können gerade in Bezug auf die Frage der Sexualität äußerst unterschiedliche Normen bedeutsam sein. Was in der einen Kultur als Missbrauch gilt, kann in der anderen Kultur akzeptabel sein. Was heute gilt, kann morgen anders sein und auch moralische Vorstellungen können überholt sein. Sie bedürfen einer ständigen Anpassung an die Lebensverhältnisse, in denen Menschen zusammenleben. Normative Offenheit bedeutet, dass sich im Konsens auch neue Normen finden lassen. Dies gilt auch für den Sport in seinem Verhältnis zur Sexualität.