Sport und Markt – eine fragwürdige Beziehung

Vermarktung ist längt zum geflügelten Wort aller Sportorganisationen geworden. Doch wer sich am Markt bewähren möchte, muss sich einer Marktorientierung bewusst sein. Es gibt hierbei zwei negative Phänomene.

Es gibt das Phänomen des Marktversa­gens, d.h. der Markt ist nicht für alle Güter resonanzfähig. Manche Güter, die gesellschaftlich sinnvoll und not­wendig sind, werden für den Markt nicht produziert, weil es keine ausreichende und kaufkräftige Nachfrage gibt. Dieser Sachverhalt gilt auch für die Güter des Sports. Die Annahme, dass das Gemeinwohl am besten gefördert wird, wenn alle nur ihren eigenen Vorteil im Auge haben und verwirkli­chen, ist heute mehr denn je falsch. Beim Sport lässt sich dies beobachten: öffentlich gefördert wurden und werden Athleten und Athletinnen wie Neureuther, Zverev, Kaymer und Mihambo in Sportarten wie Skilauf, Tennis, Golf und Leichtathletik; in Veranstaltungen, wie Welt­meisterschaften und Daviscup. Nicht gefördert werden hinge­gen die Athleten „Maier und Müller“, Sportarten wie Rollhockey, Prellball, Rollkunstlauf und Veranstaltungen wie Deutsche Roll- oder Prellballmeisterschaften.

Zum zweiten gibt es das Phänomen der nicht intendierten Nebenfolgen. Das heißt: neben beabsichtigten Folgen, wie z.B. Verkaufssteigerung, Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit, Einkünfte für Athleten, Finanzquellen für Verbände, Gewinne für Sportmakler, gibt es immer auch unbeabsichtigte Folgen. So z.B. die Existenzbedro­hung der Benachteiligten, die Bedrohung der kulturellen Vielfalt, eine eigendynamische Spirale der Präferenzver­schiebung, die Bedrohung der Gemeinnützigkeit, die Bedro­hung der Einheit des Sports, die Bedrohung der Wer­testruktur des Sports. Aber auch traditionelle Einnahmequellen können durch neue Finanzierungsformen verloren gehen, z.B. kleine Vereine haben keine Zuschauereinnahmen mehr, mit Bandenwer­bung ist in unteren Spielklassen nichts mehr zu verdienen. Eine weitere unbeabsichtigte Folge scheint zu sein, dass unter kulturellen Gesichtspunkten sich der Sport immer mehr der Popszene mit deren Stars und Sternchen angleicht. Eine weitere Folge der Vermarktung ist die zunehmende Verrechtlichung des gesamten Sportsystems. Juristen und Manager sind zu den   eigentlichen Experten des Sports geworden. Dadurch kommt es immer häufiger zur Bedro­hung des Ehrenamtes. Innerhalb der Organisationen verändern sich die sozialen Beziehungen.   Durch die Vermarktung des Sports entstehen immer häufiger auch private Vorteile. Altruismus, Solidarität, idea­listische freiwillige Leistungen und Hilfen treten bei einer Ökonomisierung der Leistungsbeziehungen in den Hin­tergrund.

Gewiss hat der Weg zum Markt auch seine Vorteile. So besteht die Möglichkeit, dass die Athleten eine gerechtere Entloh­nung bzw. Entschädigung für ihre Leistung erhalten. Der Sport wird für immer mehr Menschen zur beruflichen Möglich­keit. Das Problem der sozialen Absicherung, das bislang ungelöst ist, könnte gelöst werden. Die Nachwuchsförderung, deren Finanzierung im Argen liegt, könnte qualitativ abge­sichert werden. Die ehrenamtliche Arbeit in den Vereinen könnte durch neue Finanzierungsinstrumente stabilisiert werden. Insgesamt könnte dadurch die finanzielle Basis der Vereine gestärkt sein. Ja, selbst sozialpolitisch bedeut­same Sportprogramme könnten mit den Überschüssen, die am Markt erzielt werden, finanzierbar werden.

Die Realität, die sich heute im System des Sports beobach­ten lässt, sieht jedoch völlig anders aus. Keine dieser Chancen wurde bislang befriedigend genutzt. Nur wenige Ath­leten profitieren von den Gewinnen, die auf dem Markt erzielt werden. Nur wenige Fachverbände sind an den Gewin­nen beteiligt, nur wenige Funktionäre profitieren von der immer offensichtlicher werdenden Kommerzialisierung des Sports. Der Rückfluss der erzielten finanziellen Gewinne an die Basis findet nur im Ausnahmefall statt. Beispielhaft lässt sich dies an der Verteilung der Fernseheinnahmen beob­achten. Sie fließen an jene Verbände zurück, die ohnehin finanziell günstiger bemittelt sind und innerhalb der Ver­bände kommen die Einnahmen jenen zu, die an der Leistungs­spitze der jeweiligen Verbände sich befinden. Die in den Sportfunktionärsreden ideologisch postulierten ideellen Aufgaben werden über die Einnahmen kaum gefördert. Dies alles mag bedauert werden. Es könnte jedoch hierzu eingewendet wer­den, dass sich damit die Gesamtsituation des Sports kaum verschlechtert habe, jedoch für einen Teil innerhalb des Sportsystems   Verbesserungen   eingetreten   sind. Betrachtet man die Entwicklungen, die sich derzeit im Sport ereignen vor diesem Hintergrund, so zeigen sich jedoch Gefahren, die dieses positive Urteil eher als fragwürdig erscheinen las­sen. Durch die Orientierung am Markt hat sich längst die Semantik des Sports verändert. Die Mediensemantik, d.h. jene Bedeutung, die dem Sport im Fernsehen zugeschrieben wird, wird zur öffentlichen Sportsemantik. Aus Sport wird „Champagnersport“. Die Sozialfigur des Sportlers wird auf ähnlich dramatische Weise verändert. Die traditionelle Figur des Athleten wird vom professionellen Showstar, der das Medienklavier zu spielen weiß, abgelöst. Das Beckenbauer-Syndrom wird zum Modell der neuen Sozialfigur des Sportlers. Ferner verändern sich die Organisationsmuster des Sports. Wettkämpfe als zentrale Organisationsinstanzen haben einer Inszenierungsdramaturgie und -strategie zu fol­gen. Fernsehregeln werden zu Sportregeln, ein „neuer“ Sport ent­steht.

Dies alles hat eine Veränderung des Mythos des Sports zur Folge. So, wie es eine neue Foulsemantik gibt, so gibt es nunmehr auch eine neue Moral im Sport. Sie lässt sich kaum auf der Vorderbühne der Wettkämpfe beobachten, sie kommt vielmehr dort zum Ausdruck, wo Funktionäre mit­einander, gegeneinander, mit Intrigen und ohne und mit Macht ihre Geschäfte machen.

Die entscheidende Frage, die bislang immer nur sehr ungenü­gend beantwortet wurde, lautet jedoch: Braucht der organi­sierte Sport das Geld der Wirtschaft tatsächlich? Vieles deutet darauf hin, dass Geld zum Wert an sich geworden ist, über das zu verfügen ist. Man sollte möglichst immer mehr als die anderen davon haben, ohne dass man dabei den ökonomischen Besitz an Probleme bindet, deren Lösung dringend erforderlich ist. Diese Vermutung wird nahegelegt, wenn man die aktuelle Situation der Sportvereine und deren Finanzlage betrachtet. Keine der vorhandenen Untersuchungen zu Fragen der Finanzen der Sportvereine deutet darauf hin, dass sich die Vereine in einer bedrohlichen Lage befinden. Eher das Gegenteil ist der Fall. Dies wurde bereits 1975 in einer Untersuchung von SCHLAGENHAUF und TIMM angedeutet, in den drei Finanz- und Strukturanalysen des Deutschen Sportbundes bestätigt und in einer Untersuchung für den Deut­schen Turner-Bund noch einmal mit Nachdruck dokumentiert. Gewiss gibt es auch in den Vereinen finanzielle Probleme. Deren Lösung legt jedoch keineswegs eine Strategie nahe, mittel- und langfristig die tragenden Strukturen der Vereine zu verändern. Die Idee, die den Turn-und Sportvereinen zu Grunde liegt, ist die Idee der Gemeinnützigkeit. § 52, Abs. 1 weist darauf hin, dass eine Körperschaft dann gemeinnützige Zwecke erfüllt, wenn ihre Tätigkeit darauf gerichtet ist, die Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet selbstlos zu fördern. Es geht um nicht mehr und nicht weniger als um die Selbstlosigkeit des Handelns in den Vereinen. Gerade sie ist jedoch heute in Frage gestellt.

Ohne Zweifel kann Sport als öffentliche Ware, angeboten im Verein, heute in den meisten Vereinen nur noch im Verbund finanziert werden. Man benötigt dabei die kostengünstigen, freiwilligen, ehrenamtlichen Leistungen, die Beiträge der Mitglieder, staatliche Subventionen, den Verkauf von Nebenrechten, die Einnahmen durch Gesellschaftsbetriebe, Einnahmen durch Spenden, Werbeeinnahmen, Verkauf von Haupt­rechten, Lotterieeinnahmen und nicht zuletzt auch die Ein­nahmen aus Veranstaltungen, die man selbst verantwortet. In dieser Mischfinanzierung gibt es auch mit Blick auf die Gemeinnützigkeitsbedingungen kaum Probleme. Ein wichtiges Fundament sind dabei nach wie vor die ehrenamtlichen Leistungen und die Mitgliedsbeiträge. Vor allem aber müssen die erzielten Einnahmen gemeinnützigen Zwecken zugeführt werden. Damit ist und bleibt die Arbeit der Vereine selbstlos. Gewinnt jedoch eine am Markt orientierte Finanzierung die Oberhand, treten ehrenamtliche Leistungen und Mitgliedsbeiträge zurück, so wird auf Dauer nicht zu verhindern sein, dass die Akquisition der Einnahmen von jenen, die sie erfolgreich geleistet haben, neu bilanziert werden, dass die wirtschaft­liche Situation der Vereine von der Ideologie des ökonomi­schen Wachstums infiziert wird. Die Zuverlässigkeit des Führungspersonals dürfte dabei ebenso auf dem Spiel stehen wie die Frage, was mit den dabei zu erzielenden Gewinnen in der weiteren Zukunft gemacht wird.

Besonders fragwürdig ist dabei die Steuerungsstrategie der Dachorganisation des deutschen Sports. Sie zeichnet sich in erster Linie dadurch aus, dass einmal Festgelegtes über Bord geworfen wird, wenn die realen Entwicklungen es notwendig erscheinen lassen, ohne dass man dabei überlegt, welche Folgen derarti­ges Handeln hat. Man beruft sich dabei auf den sogenannten autonomen Standort des Sports, der sich angeblich zwischen Leistung und Freiheit befindet. Beispielhaft sei dies verdeutlicht: 1974 entschied man sich für die Leitli­nien für die Werbung im Sport. Auf der Grundlage dieser Werbung war „Werbung am Mann“ bei der Ausübung des Wettkampfsports verboten. 1980 gibt der Wissenschaft­liche Beirat des Deutschen Sportbundes eine Stellungnahme zur Beibehaltung dieser Leitlinien ab. 1982 werden die Leitlinien klammheimlich ad acta gelegt. Wohl wissend, dass laut Satzung des Deutschen Sportbundes, dieser noch immer auf dem Boden des Amateursports sich befindet und ehrenamt­lich geführt wird. Ähnlich könnte die Geschichte der Medienverträge des Deutschen Sportbundes nachgezeichnet werden. Insgesamt zeigt sich dabei eine Ohnmacht der Dach­organisationen, die gleichzeitig eine Ohnmacht der Vereine gegenüber ihren Verbänden widerspiegelt.

In Diskussionen über mögliche Alternativen wird häufig die Behauptung aufgestellt, dass es heute die Wahl zwischen Staatssport, Wirtschafts- und Mediensport gibt. Dabei wird verkannt, dass nach wie vor die sinnvollste Alternative jene ist, die bislang den Sport so erfolgreich entwickeln ließ, nämlich die vom Staat, von der Wirtschaft und von Medien unabhängige Sportbewegung. Wenn immer mehr heute auf das Konzept eines „Wirtschaftssports“ setzen, so muss zumindest eine Einsicht dabei beachtet werden. Entgegen der Behaup­tung von Vertretern der Wirtschaft gibt es bis heute keinen Spitzensport, der sich selbst finanziert. Das heißt, bis­lang lässt sich in der Praxis der Sportförderung keine Sportart und keine sportliche Leistung eines Athleten beob­achten, die ausschließlich auf die Förderung der Wirtschaft zurückzuführen ist. Hier wird deutlich, dass in gewissem Sinne Sportsponsoring immer auch auf einer Schmarotzerhal­tung beruht. Dies kommt nicht nur dadurch zum Ausdruck, dass man mittels Sport ein Instrument der Schleichwerbung im Fernsehen gefunden hat, das kostensparend wirkt im Ver­gleich zu jenen Kosten, die zu bezahlen wären, wenn man direkte Werbung im Fernsehen finanzieren müsste. Vielmehr soll damit zum Ausdruck gebracht werden, dass die Wirtschaft sich um sportliche Leistungen, um Athleten und um Sportar­ten immer erst dann kümmert, wenn umfassende Vorleistungen bereits finanziert sind, auf deren Grundlage abzusehen ist, dass man als Wirtschaftsunternehmen in einer Gewinn-Verlust-Bilanz am Ende der Sportförderung Erfolge zeitigen kann. Am Rande sei noch erwähnt, dass bei dieser Art von Marktorientierung das Risiko einseitig auf der Seite des Sports liegt. Sponsoring durch die Wirtschaft wird nur so lange wahrscheinlich sein, so lange die Wirtschaftskraft erhalten bleibt. Kommt die Zeit einer wirtschaftlichen Rezession, so ist kaum anzunehmen, dass die Wirtschaft auch wei­terhin bereit sein wird, den Sport in jener Weise zu för­dern, wie es in der wirtschaftlichen Blüte der Fall ist. Ob es dem Sport dann gelingt, nachdem er sich an volle Töpfe gewöhnt hat, von „Champagner und Hummer“ wieder auf „Bier und Bockwurst“ umzusteigen, dürfte eine interessante Frage sein.

Vermarktung führt ohne Zweifel zur Veränderung der sozialen Beziehungen und deren soziale Normen. Es lassen sich bereits viele Beispiele zeigen, dass über Vermarktung, auch dann, wenn sie gemeinnützig ist, immer auch private Vor­teile entstehen. Die Zuverlässigkeit der ehrenamtlichen Funktionäre in den Sportorganisationen wird durch die unübersehbare Tendenz zur Vermarktung aller Sportgüter und -rechte ebenso in Frage gestellt wie jene der hauptamtlichen Mitarbeiter. Hilfsbereitschaft, Vertrauen und Altruismus werden in einer derartigen Situation langfristig immer seltener ein wichti­ges Gut der Sportorganisationen sein. An deren Stelle treten Eigennutz, geheime Absprachen und Eitelkeit. Insgesamt kann die fragwürdige Entwicklung auf einen Nenner gebracht werden: Die soziale Norm „Solidarität“, die idealistische freiwillige Lei­stung und die selbstlose Hilfe treten bei einer Ökonomisierung der Beziehungen im Sport immer weiter in den Hintergrund. Das Ehrenamt des Sports wird dabei zunehmend gefährdet.

Letzte Überarbeitung: 10.11.2020